Читать книгу Geheime Begierde | Erotischer Roman - Amy Walker - Страница 4
ОглавлениеKapitel 2 Überraschung mit Startschwierigkeiten
Das tut gut … An die Arbeitsplatte der Küche gelehnt schlürfe ich meinen morgendlichen Kaffee und sehe Leonie durch den offenen Durchgang beim Spielen zu. Sie hat ihre Plüschente in der Mitte des Wohnzimmers entdeckt und krabbelt fröhlich brabbelnd auf sie zu. Seit gestern Nacht – die sie fast gänzlich durchgeschlafen hat – ist sie wie verwandelt. Sven hatte also recht. Es war wieder mal irgendeine Phase, die sie aus der Ruhe gebracht hat.
Als hätten meine Gedanken ihn herbeigezaubert, kommt er nur mit Shorts und T-Shirt bekleidet ins Wohnzimmer getappt und sieht sich irritiert um. Leonie ändert ihre Richtung und visiert ihn anstatt der Ente an.
»Morgen, kleine Maus. Wo hast du denn die Mami gelassen?« Er nimmt sie hoch und gibt ihr einen Kuss. Der Anblick ist zum Schmelzen.
»Hier drüben … die Kleine ist so zufrieden, da wollte ich sie in ihrem Entdeckerdrang nicht stören.«
Sven setzt Leonie zu ihrem Kuscheltier und gesellt sich zu mir in die Küche. Ich hole eine Tasse für ihn aus dem Oberschrank und lasse ihm einen Kaffee aus dem Vollautomaten – froh, mich für einen Moment abwenden zu können. Leonie hat mich zwar heute Nacht schlafen lassen, dennoch habe ich kaum Ruhe gefunden. Meine Gedanken wollten einfach nicht stillstehen.
»Morgen Schönheit«, murmelt Sven anzüglich. Er schlingt von hinten die Arme um meine Taille und haucht mir einen sanften Kuss in den Nacken. Mir wird ganz heiß, als er mit seinen Hüften an meinen Po stößt. Er ist steinhart. Anscheinend denkt auch er an gestern Nacht. Das hat ihn jedoch nicht davon abgehalten, bis nach neun zu schlafen.
»Morgen«, antworte ich leise und drehe mich in seinen Armen herum. Er empfängt mich mit einem langen Kuss. Als er wieder von mir ablässt, greift er an mir vorbei nach seinem Kaffee.
»Wann geht die Kleine denn wieder ins Bett?«, fragt er beiläufig und nippt an seiner Tasse. Lässig lehnt er sich in der u-förmigen Küche mir gegenüber an die Arbeitsplatte und lässt seinen Blick über meinen Körper schweifen. Die Signale könnten nicht eindeutiger sein.
»In einer halben Stunde.« Meine Stimme klingt belegt, ich räuspere mich. Zwar kann ich durchaus Gefallen an dem Gedanken finden, das von gestern Nacht zu wiederholen, aber mir fehlt die Zeit dazu. Wäsche waschen, falten und bügeln, kochen, aufräumen ... Sven scheint jedoch keine Gedanken an solche Nichtigkeiten zu verschwenden. Er stellt seinen Becher ab und drängt mich heißblütig gegen den Küchenschrank. Seine Hände landen auf meinen Hüften und er zieht mich eng an sich. »Dann haben wir etwas Zeit für uns, richtig?« Sein steifer Penis drängt gegen meinen Schamhügel, mit erwartungsvoll funkelnden Augen sieht er mich an.
Hitze flutet meinen Körper, meine Nippel stellen sich augenblicklich auf. Dennoch schiebe ich ihn von mir und schlüpfe an ihm vorbei. »Prinzipiell ja, aber ich habe so viel zu tun …« Ehe ich zu Ende gesprochen habe, schnappt Sven sich seine Tasse und verschwindet mit einem gekränkten Schnauben aus der Küche. Es ärgert mich, dass er sich wie ein abgewiesenes Kleinkind verhält, nur weil ich nicht sofort verfügbar bin. Wütend folge ich ihm.
»Wenn ich mich nachher nicht gleich um die Wäsche kümmere, komme ich mit dem Kochen nicht hinterher. Und einmal am Tag sollte Leonie schließlich auch an die frische Luft. Das alles kostet Zeit!« Zeit, von der irgendwie nie genug da ist. Sobald ich das Gefühl habe, die Dinge einigermaßen im Griff zu haben, kommt etwas Neues hinzu, das ich einbauen soll. So wie jetzt Sven.
Ich stoppe abrupt, als er zu mir herumwirbelt und mich ärgerlich anfunkelt. »Kannst du das nicht einmal vergessen? Herrgott noch mal, Annabell, es ist Sonntag!«
Ich schlinge abwehrend die Arme um meinen Oberkörper. Sven hat ja keine Ahnung. »Und wenn ich mich nicht auch am Sonntag um alles kümmere, habe ich am Montag doppelt so viel Arbeit! Das wird mir einfach zu viel.« Ich will nicht schon wieder streiten, dennoch kann ich nicht verhindern, dass ich laut werde. Wie kann Sven nur so blind sein und nicht sehen, wie ich durch jeden Tag hetze, um Leonie und ihn zufriedenzustellen? »Es kotzt mich an, dass ich immer nur geben soll, es aber nie genug ist! Für dich ist es selbstverständlich, dass du jeden Tag ein sauberes und gebügeltes Hemd aus dem Schrank ziehst, ich dein Zeug hinter dir herräume und dass jeden Tag, sofern ich es irgendwie schaffe, ein ordentliches Essen auf dem Tisch steht. Und ich krieg das einfach nicht mehr auf die Reihe, wenn ich nur einen Tag lang stillstehe.« Ich spüre, wie mir hilflose Tränen der Wut in die Augen schießen. Ich hasse es, dass ich heulen muss, wenn ich richtig sauer bin. Zornentbrannt stürme ich an Sven vorbei. Er soll bloß nicht glauben, dass ich weine, weil ich traurig bin.
»Früher hast du das doch auch alles hinbekommen, obwohl du den ganzen Tag arbeiten warst!«, brüllt er mir hinterher. Ich mache auf dem Absatz kehrt und baue mich vor ihm auf. »Ja, früher habe ich mir meine Zeit aber auch selbst einteilen können und musste nicht alles, was ich tue, zigmal unterbrechen.« Sven starrt mich düster an. Langsam schüttelt er den Kopf. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, du wünschtest dir, wir hätten Leonie nie bekommen.«
Seine Worte treffen mich wie ein Faustschlag. Tu ich das? Ich spüre, wie das Blut aus meinen Wangen weicht, und schüttle entgeistert den Kopf. Von Sven lasse ich mir nicht die Worte im Mund umdrehen. »Pass auf, was du sagst. Ich bin keine schlechte Mutter, nur weil ich mich nicht in drei Teile zerreißen und jeden Ball auffangen kann, der mir zugespielt wird.«
Sven nickt bitter, seine Schultern sinken resigniert nach vorn. »So ist das also. Im Prinzip sagst du mir gerade, dass der Haushalt Vorrang vor mir hat. Dabei habe ich einfach nur das Bedürfnis, wieder eine richtige Partnerschaft zu leben. Eigentlich sollte das auch dein Bedürfnis sein.«
Er geht an mir vorbei und würdigt mich keines Blickes mehr. Ich zucke zusammen, als er die Tür mit einem Knall hinter sich zuschlägt, Leonie beginnt zu weinen. Ich nehme sie erschrocken hoch und wiege sie tröstend. Das schlechte Gewissen bricht über mir zusammen. Wie konnte ich nur so auf mich konzentriert sein, dass ich nicht bemerkt habe, dass wir ihr Angst machen? Wann ist nur dieser Groll in mir entstanden und wie?
Geistesabwesend setze ich mich mit der Kleinen aufs Sofa und mache Faxen mit ihrer Plüschente, um sie bis zur Schlafenszeit bei Laune zu halten. Sie lacht erheitert, als ich das Tierchen hinter meinem Rücken verstecke und laut quakend wieder zum Vorschein kommen lasse. Für sie ist die Welt wieder in Ordnung. Wäre es für mich doch auch nur so einfach …
***
Eine gute dreiviertel Stunde später liegt meine Kleine friedlich schlummernd in ihrem Bett, von Sven ist weit und breit nichts zu sehen. Eigentlich sollte ich mich jetzt um den Haushalt kümmern, doch ich halte diese Anspannung zwischen uns einfach nicht länger aus. Leise öffne ich die Tür zu unserem kleinen Büro. Wie vermutet sitzt Sven vor dem PC und zockt irgendein Ballerspiel, um Frust abzubauen.
»Sven?«
Keine Reaktion.
Ich presse die Lippen aufeinander, um nicht wieder zu schreien – diesmal aus Frust – und trete vorsichtig hinter ihn an den Schreibtisch. »Es tut mir leid. Ich wollte dir keine Vorwürfe machen. Natürlich bin ich für die Arbeiten zu Hause zuständig, nachdem ich nun ja den ganzen Tag da bin, und natürlich ist der Haushalt nicht wichtiger als du. Aber manchmal habe ich einfach das Gefühl, dass mir alles über den Kopf wächst.« Sven nimmt nicht einmal den Blick von diesem bescheuerten Bildschirm. »So ein ähnliches Gespräch haben wir doch erst vorgestern geführt …« Er klingt nicht einmal mehr böse, vielmehr entmutigt. Seine Schultern sind angespannt.
Nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen. Warum bin ich überhaupt so explodiert? Mein Mann wollte einfach nur den günstigen Zeitpunkt nutzen und mit mir schlafen. Das ist doch kein Grund, derart auszurasten. Ich räuspere mich, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden. Es macht mich traurig, dass ich nicht wenigstens einen Teil der Schuld auf ihn abschieben kann. Doch tatsächlich scheine ich allein der Grund für unsere Eheprobleme zu sein.
»Ich verstehe mich manchmal selbst nicht mehr. Ich meine, es macht mich so wütend, nie mit der Arbeit fertig zu werden. Den ganzen Tag kreise ich um die unerledigten Dinge und am nächsten Morgen ist die Liste wieder voll.«
Zum ersten Mal, seit ich dieses Gespräch begonnen habe, sieht Sven mich an. Ein beunruhigender Ausdruck flackert in seinen schönen Augen auf. »So geht das nicht weiter, Annabell. Ich dachte wirklich, dass in den letzten beiden Tagen irgendwie ein Knoten geplatzt sei. Und heute haust du mir deinen Frust um die Ohren, nur weil ich dich auf dem falschen Fuß erwischt habe.«
Ich presse die Lippen aufeinander und nicke beschämt. »Es tut mir leid.«
Sven schüttelt den Kopf und wendet sich wieder seinem Spiel zu. »Das glaube ich dir sogar. Aber es reicht einfach nicht mehr, dass es dir hinterher leidtut. Irgendetwas muss sich ändern …«
***
Nach dem Mittagessen fliehe ich mit Leonie regelrecht aus dem Haus. Ich halte die eisige Stimmung zwischen Sven und mir einfach nicht länger aus. Da es nieselt, packe ich sie ins Auto und fahre zu meiner Mutter. Sie lebt nur eine viertel Stunde Autofahrt von uns entfernt in Hamburg-Bergstedt. Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb ich unbedingt in einem der Walddörfer wohnen wollte, den nordöstlichen Stadtteilen Hamburgs. Vielmehr wollte ich wieder dorthin zurück, wo ich selbst eine wundervolle Kindheit erlebt habe, inmitten der reichen Vegetation der Außenbezirke. Ich hatte eigentlich nie das Gefühl, in der Stadt groß zu werden, und das habe ich mir für meine eigenen Kinder auch gewünscht. Sven hat das verstanden und war bereit, aus dem Stadtzentrum wegzuziehen, auch wenn es für ihn bedeutet, dass sein Weg zur Arbeit sich damit verdoppelt. Als wir dann unser schnuckeliges Haus in Volksdorf gefunden haben, war mein Glück perfekt. Mein Herz krampft sich bei der Erinnerung daran zusammen. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich nur eineinhalb Jahre später ernsthaft um meine Ehe sorgen muss.
Leonie beginnt in ihrer Babyschale zu jammern. Sie ist ein quirliges kleines Mädchen und hasst es inzwischen, in dem engen Sitz eingepfercht zu sein. »Gleich, Süße, gleich sind wir bei Oma«, tröste ich sie und gebe etwas mehr Gas. Ich brauche jetzt dringend Ablenkung.
Keine fünf Minuten später sind wir da, doch ich zweifle inzwischen daran, dass meine Mutter überhaupt zu Hause ist. Ich werfe einen Blick durch die Verglasung der Eingangstür. Drinnen ist es ruhig. Natürlich … sonntags trifft sie sich ja immer mit ihren Freundinnen zum Poker.
»Sorry, Maus, du musst wohl noch eine Weile da drinbleiben.« Ich wende mich gerade wieder ab, als doch noch die Tür geöffnet wird.
»Annabell? Was führt euch denn her?« Hektisch streicht meine Mutter sich die zerzausten Haare glatt. Wahrscheinlich habe ich sie aus ihrem Mittagsschlaf aufgeschreckt.
»Entschuldige, wir wollten dich nicht stören.« – »Ach wo, kommt doch rein«, unterbricht meine Mutter mich und schenkt Leonie ein strahlendes Lächeln, das die Kleine sofort erwidert. »Ich habe mich nur ein wenig hingelegt, aber das kann ich ja auch später noch tun. Seit Birgit weggezogen und Margret wegen ihrem neuen Hüftgelenk in der Reha ist, bekommen wir einfach keine Pokerrunde mehr zustande und mir steht der ganze Sonntag zur freien Verfügung.«
»Birgit ist weggezogen? Davon hast du mir ja gar nicht erzählt …« Ich folge meiner Mutter ins Wohnzimmer und befreie Leonie aus ihrer verhassten Lage. »Warum triffst du dich dann nicht wenigstens mit Emma?« Die ist die Vierte im Bunde. Meine Mutter winkt genervt ab und lässt sich aufs Sofa plumpsen. Ich folge ihr beunruhigt und gebe ihr Leonie auf den Arm. Als wäre nichts, kitzelt meine Mutter sie unterm Kinn. Wie kann sie nur so gefasst sein? Neben den Kontakten zu ihren Freundinnen und mir hat sie niemanden. Mein Vater hat uns verlassen, als ich noch ein Baby war.
»Du weißt doch, wie Emma ist – alt und eingefahren. Wenn wir nicht Poker spielen können, bleibt sie am liebsten zu Hause«, antwortet sie beiläufig und konzentriert sich darauf, Leonie zum Lachen zu bringen.
Der Druck auf meiner Brust nimmt zu. Ich fühle mich für meine Mutter verantwortlich. »Sollen wir dich dafür am Sonntag besuchen kommen?« Ich habe zwar keine Ahnung, wie ich das auch noch unterbringen soll, doch ich kann einfach nicht anders, als das vorzuschlagen. Die traurige Vorstellung, wie sie das ganze Wochenende allein daheimhockt, zwingt mich dazu. Auch bei ihrer Arbeit als Reinigungskraft im Krankenhaus an vier Tagen in der Woche hat sie nicht sonderlich viele Kontakte, da wegen der zunehmenden Stellenkürzungen kaum Zeit bleibt, mal ein Wörtchen mit den Patienten oder Pflegekräften zu wechseln.
Zu meiner Erleichterung schüttelt meine Mutter entschlossen den Kopf. »Ihr kommt doch schon jeden Mittwoch. Was würde Sven da sagen, wenn ihr am Wochenende auch noch weg seid, wo er doch endlich mal Zeit für euch hat?«
Ja, was würde Sven sagen? Vermutlich würde er sofort die Scheidung einreichen oder zumindest einen Ehetherapeuten aufsuchen. Ertappt starre ich auf meine Hände.
»Was ist, Annabell? Habt ihr Probleme?«
Natürlich durchschaut meine Mutter mich sofort. Schon als Kind konnte ich selten ein Geheimnis vor ihr wahren. »Es läuft momentan nicht besonders gut«, murmle ich. Meine Mutter legt mir sanft die Hand auf den Arm und etwas in mir zerbricht. Ich hatte nicht vor, ihr von meinen Sorgen zu berichten. Ihre mitfühlende Geste fühlt sich jedoch gut an. Meine Gedanken müssen einfach raus.
»Sven hat auf der Arbeit so viel zu tun, dass er fast jeden Tag später heimkommt, und wenn er dann endlich da ist, streiten wir uns. Es ist wie verhext. Ich freue mich auf ihn, doch kaum steht er vor mir und macht den Mund auf, könnte ich ihm ins Gesicht springen. Ich weiß auch nicht, warum ich so empfindlich bin, aber ich habe ständig das Gefühl, dass ich nichts richtig machen kann.«
»Ist doch klar, du hast in deine neue Rolle noch nicht richtig hineingefunden. Man sagt ja immer, dass das beim ersten Kind am schwersten ist.« Meine Mutter legt mir den Arm um die Schultern und mustert mich forschend. »Oder ist da noch mehr?«
Leonie schaut mit ernsten Augen zu mir auf, als wolle sie mich fragen, ob ich lieber zurück in mein altes Leben wolle. Das schlechte Gewissen regt sich wieder in mir. Sie ist ein geliebtes Kind, unser beider Wunschkind. Ihr ergeht es anders als mir, als ich ein Baby war. Ich schüttle abwehrend den Kopf. Wie konnte ich nur so unbedacht meine Gefühle hinausposaunen? »Sven ist nicht wie Papa.«
»Das weiß ich doch …« Trotz der Überzeugung, die sich hinter ihren Worten verbirgt, klingt meine Mutter erleichtert. Kein Wunder. Was sie in ihrer Ehe erlebt hat, wünscht sich keine Mutter für ihr Kind. Ich habe meinen Vater nie richtig kennengelernt, aber was ich von ihr über ihn weiß, reicht aus, um froh darüber zu sein. Zwanghaft, kontrollsüchtig, jähzornig. Und als sie genug davon hatte, jede Handlung von ihm kontrollieren zu lassen und jedes Abweichen von seinen Erwartungen zu rechtfertigen, um nicht seine Wut auf sich zu ziehen, hat er seine Sachen gepackt und uns verlassen. Sie war ihm nicht perfekt genug, ich war es nicht … Wir haben ihn nie wieder zu Gesicht bekommen. Nur zu meinem Geburtstag schreibt er mir jedes Jahr eine Karte, was ich aber mehr seinen Zwängen zuschreibe als seiner Zuneigung.
»Wo liegt dann das Problem?«, hakt meine Mutter nach.
Ja, wo liegt es überhaupt? »Unser Alltag ist zu voll geworden«, antworte ich nachdenklich. Meine Mutter legt fragend die Stirn in Falten.
»Ich meine, Leonie beansprucht mich voll und ganz, was ja auch in Ordnung ist, sie ist ein Baby … Aber ich schaffe es kaum, daneben auch noch den Haushalt zu führen. Für Sven bleibt da unterm Strich nicht genug übrig.«
Meine Mutter lächelt und setzt Leonie auf ihrem anderen Bein ab, weil sie ständig nach meinen Haaren greifen will und dabei fast von ihrem Schoß fällt. »Sven ist also eifersüchtig?« Versonnen schüttelt sie den Kopf. Sie kennt ihn gut genug, um zu wissen, wie intensiv er ist und wie hart es für ihn sein muss, nur noch an zweiter Stelle zu stehen. »Dann wird er wohl lernen müssen, hintanzustehen. Ihr wollt bestimmt noch mehr Kinder«, sagt sie tatsächlich trocken.
Doch irgendwas daran passt mir nicht. Sven ist ja bereit zurückzustecken und bietet mir sogar seine Unterstützung an. Ich reibe mir über die Schläfen, um die aufsteigenden Kopfschmerzen zu verdrängen. Sven und ich sehen uns mehr denn je, wir haben eine wundervolle Tochter, sind alle kerngesund und stehen finanziell nicht unter Druck. Was verdammt noch mal stört mich also so, stört Sven so, dass es unsere Beziehung derart belastet?
»Es liegt nicht nur an ihm. Mir gefällt es genauso wenig, wie sich unsere Beziehung durch Leonie verändert hat. Ich meine, er fehlt mir. Selbst wenn er da ist, haben wir kaum Zeit füreinander.« Das wir fehlt mir. Sven und Annabell, das Paar. Es tut gut, das mal auszusprechen, aber es macht mich auch traurig. Ich habe mir so sehr ein Kind gewünscht und war völlig verzweifelt, als es über ein Jahr gedauert hat, bis Leonie entstanden ist, und jetzt bin ich unzufrieden? Ich schüttle verzagt den Kopf.
»Ich bin einfach eine schlechte Mutter. Oberflächlich gesehen kümmere ich mich gut um die Kleine, aber wenn man genauer hinschaut …«
Die Mimik meiner Mutter wird weich. »Euch fällt die Decke auf den Kopf? Dann schaut zu, dass ihr rauskommt – ohne Leonie. Es ist völlig in Ordnung, mal Zeit für sich zu brauchen.« Vielsagend zieht sie ihre Augenbrauen in die Höhe. Mir ist klar, was sie mir damit anbietet. Es ist schließlich nicht das erste Mal. Aber kann ich das? Kann ich mich überwinden, die Kleine in andere Hände zu geben?
In den letzten neun Monaten ist sie zu meiner Dauerbegleitung geworden und ich habe sie nie länger als eine Stunde abgegeben, und dann auch nur an Sven. Bereits bei dem Gedanken daran, allein mit Sven loszuziehen, fühle ich mich unvollständig. Mein Magen rebelliert, am liebsten würde ich mich übergeben, um dieses widerwärtig zwiespältige Gefühl loszuwerden.
Irgendetwas muss sich ändern, hallen Svens Worte laut in meinen Ohren wieder. Ich nicke langsam und schaue meiner Mutter fest in die Augen. »Würdest du Leonie mal für ein paar Stunden zu dir nehmen?« Auch wenn es im Moment nicht immer so erscheinen mag, liebe ich Sven, und ich muss verdammt noch mal endlich damit anfangen, an unserer Partnerschaft zu arbeiten.
»Aber natürlich!« Meine Mutter dreht Leonie auf dem Schoß zu sich herum und knuddelt sie. Die Kleine quietscht fröhlich und zwickt ihrer Oma in die Nase. »Wir würden schon zurechtkommen, nicht wahr Süße? – Wie du ja jetzt weißt, habe ich jede Menge Zeit am Wochenende«, sagt sie zu mir, ohne den Blick dabei von ihrer Enkelin zu nehmen.
Ich atme tief ein und aus. Es ist einfach nötig. Nicht darüber nachdenken, Augen zu und durch. »Wie wäre es gleich mit nächstem Samstag?«
***
Als wir wieder zu Hause ankommen, fühle ich mich um Längen besser. Tatkräftig stürme ich in das Büro, in das Sven sich nach dem Mittagessen wieder verzogen hat. Ich kann es gar nicht erwarten, ihm von meinen Plänen zu berichten. Er sitzt wieder an seinem Ballerspiel und dreht sich nicht mal nach mir um.
»Halt dir den nächsten Samstag frei«, fordere ich ihn auf, kaum dass ich die Tür aufgestoßen habe.
»Mache ich doch sowieso, damit du in Ruhe einkaufen gehen kannst«, erwidert er säuerlich. Ein zufriedenes Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Das fühlt sich so verdammt gut an, ihm einen Schritt voraus zu sein. »Diesmal werden wir gemeinsam einkaufen gehen, nur wir zwei. Besser noch: Wir können machen, was wir wollen, denn ich habe mit meiner Mutter vereinbart, dass sie auf Leonie aufpasst. Wenn es gut läuft, dann haben wir den ganzen Tag für uns.«
Stille.
Dann dreht Sven sich ganz langsam auf dem Schreibtischstuhl zu mir herum. Seine Augen kneift er misstrauisch zusammen. »Ist das dein Ernst? Was ist aus deiner Philosophie geworden, die Kleine vor dem Kindergartenalter bei keinem anderen als mir zu lassen?«
Mein Lächeln verwandelt sich in ein genugtuendes Grinsen. »Hab ich durch eine neue Philosophie ersetzt: Eltern brauchen auch mal Zeit für sich, und das, ohne ständig auf Abruf zu sein. Außerdem ist meine Mutter ja auch Teil dieser Familie, ich habe meine Grenzen also nur etwas erweitert. Was hältst du davon?«
Sven betrachtet mich nachdenklich und verschränkt die Arme vor der Brust. Er scheint mir nicht über den Weg zu trauen. »Wenn du das wirklich durchziehst, finde ich, dass das ziemlich gut klingt.« Er kann jedoch nicht vor mir verbergen, dass seine Augen erfreut blitzen. Das kann ich zumindest kurz sehen, ehe er mir wieder den Rücken zudreht.