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ОглавлениеLucía 06. November 1973
1 In der Universität
Lucía Paulina Iriarte stieg an diesem Dienstagmorgen die Treppe des Universitätsgebäudes schneller nach oben als sonst. Sie hatte ein Paket Flyer aus einer kleinen Druckerei abgeholt. Jetzt kam sie zu spät zum Seminar.
Die illegale Druckerei lag gut getarnt auf einem Industriegelände. Damit die Flyer nicht auffielen, hatte der Kontaktmann sie in Zeitungspapier eingewickelt. Lucía verbarg das Paket tief unten in ihrer braunen Umhängetasche. Studentische Organisationen luden auf den Infozetteln zu einer Versammlung ein, um gegen die Absetzung der gewählten akademischen Leitung durch die Militärs zu protestieren.
Leise öffnete Lucía die Tür zum Raum 2.023. Auf dem Stundenplan stand Lateinamerikanische Gegenwartsliteratur. Das Seminar hatte bereits begonnen. Während sie durch die Bankreihen zu ihrem Platz schlich, tauschte sie ein kurzes Lächeln mit Carolina aus. In der Militancia war diese unter dem Namen La Diplomatica bekannt, weil sie gelegentlich Briefe in die jugoslawische Botschaft schmuggelte. Dort gab es eine Person mit Kontakten zur russischen Botschaft und von der wiederum wurden Verbindungen zu Exilgruppen in Frankreich, der DDR und anderen Ländern unterhalten. Auf dem selben Weg, nur andersherum, flossen Geldmittel an die Gruppen im Untergrund.
Lucía kramte ihr Exemplar von Vargas Llosas La Ciudad y los Perros1 aus der Tasche. Sie machte sich klein, um nicht zu Wort gerufen zu werden. Seit letzter Woche hatte sie nicht eine Seite weitergelesen. Zum Glück diskutierten zwei Studentinnen in den vorderen Reihen mit der Seminarleiterin.
Lucía überlegte derweil, wie sie später die zwei Freistunden bis zur nächsten Vorlesung verbringen könnte. Wahrscheinlich würde sie in der kleinen Cafeteria gegenüber der Fakultät etwas essen gehen. Doch dazu kam sie nicht mehr.
Es klopfte an der Tür. Die Studenten drehten sich um. In der Tür erschien ein Offizier in Uniform der Carabineros und scannte mit zusammengekniffenen Augen die Sitzreihen. Mit einem Handzeichen winkte er von draußen weitere Carabineros in den Raum. Zwei von ihnen trugen Maschinenpistolen über die Schulter gehängt.
Solche unangenehmen Zwischenfälle häuften sich seit einigen Wochen. Wahrscheinlich war irgendwo wieder etwas Spektakuläres vorgefallen, und die Militärregierung musste zeigen, dass sie die Lage unter Kontrolle hatte. Meist waren derartige Aktionen nach einer halben Stunde vorbei. Lucía fiel plötzlich das Flugblattpaket wieder ein. Sie wurde blass. Wegen solcher Dinge waren schon Studenten verhaftet worden.
Der Einsatzleiter bedeutete mit einer arroganten Geste den Anwesenden aufzustehen. Die Studentinnen und die Seminarleiterin mussten sich an der Wand zum Nachbarraum aufstellen. Zwei Carabineros kontrollierten dort die Ausweise. Sie hatten eine Liste mit Namen dabei. Offenbar suchten sie bestimmte Personen. Die anderen Männer durchwühlten derweil die Taschen und Tüten der Anwesenden. Sie wählten die unkomplizierte Variante und schütteten den Inhalt einfach auf den Fußboden. Der Offizier scharrte mit der Stiefelspitze in den Häufchen herum.
In der Ecke des Raumes wurde es laut. Patricia hatte aus Nachlässigkeit die Hände sinken lassen. Die Männer zerrten sie unter wüsten Beschimpfungen aus der Reihe und bestraften den Verstoß mit Ohrfeigen. Zwei Knöpfe ihrer Bluse rollten über den Fußboden.
Lucía nahm die Hände freiwillig noch etwas höher. Die Ausweiskontrolle endete schließlich ohne Befund. Der Offizier schloss seine eher oberflächliche Durchsuchung der studentischen Habseligkeiten ab, und alle durften zurück in die Bänke. Lucía inspizierte besorgt ihre auf dem Fußboden verstreuten Sachen. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Das Paket mit den Flugblättern fehlte! Mit verstohlenem Blick entdeckte sie es auf einem der hinteren Tische. Der Offizier hatte es zusammen mit verdächtigen Sachen anderer Studenten einkassiert. Nun diskutierte er mit einem zweiten Carabinero, wie die problematischen Funde einzustufen waren.
Lucía zwang sich, tief durchzuatmen. Sie brauchte jetzt ganz schnell eine plausible Erklärung. Immerhin, sinnierte sie, seien studentische Versammlungen nicht generell verboten. Es gab auch rechtsgerichtete Studentenkreise, die ihre Meinungen kundtaten. Und auch sie machten Werbung für Veranstaltungen.
Die Carabineros forderten schließlich vier Studenten auf, zur Klärung des Sachverhaltes mit nach draußen zu kommen. Lucía war dabei. Mit gesenktem Haupt und weichen Knien folgte sie den Uniformierten hinunter in die Eingangshalle. Unterwegs registrierte sie, dass auch in anderen Räumen Durchsuchungen stattgefunden hatten. Auf dem Universitätsvorplatz sammelten die Carabineros die Verdächtigen, insgesamt etwa 20 Personen. Lucía sah schon von der Treppe aus eine Kolonne von Polizei-Einsatzwagen draußen auf der Straße. Ein Fahrzeug nach dem anderen kam auf das Universitätsgelände gefahren. Die Studenten wurden in Gruppen eingeteilt. Lucía, Liliana und Pedro gehörten nun zusammen. Ein olivgrüner Transporter stoppte direkt vor ihnen, und drei Männer stiegen aus. Sie identifizierten sich als Angehörige des zweiten Polizeikommissariats. Die beiden jungen Frauen sollten sich auf die Rückbank setzen. Pedro kam zwischen zwei Carabineros auf die mittlere Bank.
2 Comisaria de Carabineros Nr.2, Santiago
Die Fahrt durch die Innenstadt dauerte knapp 20 Minuten. Die Sonne stand hoch am Himmel und die Einwohner nutzten die Mittagspause für Erledigungen. Der Transporter hielt vor einer Einfahrt, und ein graues Metalltor wurde geöffnet. Der Wagen fuhr über zwei enge Innenhöfe und blieb schließlich vor einem Hintereingang stehen. Der Beifahrer kurbelte die Seitenscheibe herunter und pfiff über den Hof. Zwei Carabineros mit Maschinenpistolen erschienen. Die Männer legten den Gefangenen Handschellen an und führten sie im Treppenhaus ein Stockwerk nach oben. Die drei Studenten wurden jetzt voneinander getrennt. Lucía wurde von einem der Carabineros durch mehrere Dienstzimmer bis in einen Flur gebracht. Hier standen mehrere Stühle an der Wand. Mit einer Handbewegung forderte er die junge Frau auf, sich zu setzen.
»Ist sicher nur eine Formsache. Man wird Sie aufrufen.« Mit diesen Worten ließ er sie allein.
Zwei Frauen in Uniform schlenderten den Flur entlang. Unter dem Arm trugen sie Aktenordner. Vor der Tür blieben sie kurz stehen und warfen einen Blick auf Lucía. Sie tuschelten etwas, kicherten und betraten dann das Dienstzimmer.
Unruhig rutschte Lucía auf ihrem Stuhl herum. Sie wartete schon fast eine ganze Stunde. Weiter hinten, in einer Raucherecke, erschienen Einsatzkräfte in Uniform. Die Männer rissen Witze und lachten. Irgendwann hatten sie ihre Zigaretten aufgeraucht. Sie verschwanden vom Gang, und Lucía war wieder allein.
Endlich öffnete sich die Tür gegenüber. Ein Carabinero kam heraus. Er sah Lucía und stutzte.
»Hier ist noch eine!« rief er nach hinten ins Zimmer. Jemand antwortete ihm. »Moment«, raunte der Mann ihr zu und verschwand wieder im Raum. Kurz darauf winkte er sie schließlich herein.
»Señorita, setzen Sie sich dort ans Fenster. Es kommt gleich jemand!«
Lucía war nicht allein im Raum. In der Ecke, links neben dem Schreibtisch, saß ein Wachsoldat. Er rauchte Zigaretten und las Zeitung, El Mercurio. Gelegentlich blickte er Lucía über den Rand der Zeitung hinweg an. Belustigt beobachtete er, wie sie ihre Unterarme hin- und herdrehte. Die Bügel der Handschellen hinterließen bereits rote Abdrücke an den Handgelenken.
Nach einer Weile erschien eine junge Frau in Uniform. Sie gehörte zu den beiden, die sie vorhin schon auf dem Flur gesehen hatte.
»Du!« Sie blickte Lucía fest an, bis sie ihre volle Aufmerksamkeit hatte. »Komm mit!«. Lucía folgte ihr in einen Nachbarraum. Die Frau hatte lustige Sommersprossen im Gesicht. Ihre braunen Haare waren zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden.
»Stell dich vor die Wand, Gesicht zu mir, Hände hinter den Kopf!« Die Carabinera trat lässig gegen das Türblatt. Die Tür fiel unüberhörbar ins Schloss. Die Frau streifte sich einen dünnen weißen Gummihandschuh über und tastete die Verdächtige flüchtig ab. Lucía ließ es über sich ergehen. Die Dame suchte wohl nach Waffen oder Messern. Sie erspürte Portemonnaie und Wohnungsschlüssel, zog ihr beides aus den Taschen und warf die Sachen hinter sich auf die Tischplatte.
Viel mehr ist da nicht, dachte sich Lucía und erwartete das baldige Ende der Durchsuchung.
Mit Erschrecken registrierte Lucía, wie die Carabinera ihr den Pullover aus dem Hosenbund zog, dann mit einem Ruck weiter bis über den Kopf nach oben. Lucía fühlte sich überrumpelt. Sie wollte sich wehren, aber sie hatte die Hände in Handschellen hinter dem Kopf.
»Bleib’ ruhig, ich muss dich durchsuchen!«
Durch die Fasern des Pullovers waren nur noch unscharfe Konturen sehen. Lucía nahm sich zusammen, um nicht zu provozieren. Als die Frau ihr aber auch den BH öffnete, ging es ihr zu weit.
»Stopp! Was fällt Ihnen ein?«
»Halts Maul!« erwiderte die Carabinera unbeeindruckt. »Wenn du zickig bist, ruf’ ich die Männer! Dann machen die das.«
Sie öffnete die Knöpfe der Jeans und zog sie bis zu den Knien herunter. Lucía öffnete den Mund zum Protest, aber die Carabinera kam ihr zuvor:
»Kein Wort, meine Süße, klar?«
Es folgte der Slip.
»Manche Guerilleras verstecken eine Giftkapsel in ihrer Vagina«, murmelte die Frau, als wolle sie ihr Tun rechtfertigen. »Um sich umzubringen, bevor sie auf der Folter schwach werden.«
Lucía kannte die Geschichte, hatte aber selbst keine solche Kapsel. Sie spürte die Hand der Frau zwischen ihren Oberschenkeln. Instinktiv zog sie die Beine zusammen. Ein derber Faustschlag in den Magen war die Quittung.
»Beine breit!« fauchte die Uniformierte verärgert.
Lucía japste nach Luft.
Die Finger der Frau erkundeten jede Stelle. Lucía hatte das Gefühl, es dauere länger als notwendig. Aber das zu beurteilen stand ihr offenbar nicht zu. Verstohlene Tränen sickerten auf ihren Wangen in die Wolle ihres Pullovers.
Nachdem die Carabinera sich überzeugt hatte, dass da nichts war, ließ sie von der Verdächtigen ab.
»Dreh dich um, Gesicht zur Wand!«
Lucía, halbnackt und mit den Händen hinter dem Kopf, hörte, wie sie sich einen Stuhl am Schreibtisch zurechtrückte. Nun kamen Fragen: Namen, Wohnadresse, Ausbildung und so weiter. Wohl für eine Polizeiakte. Lucía antwortete wahrheitsgemäß.
Jemand öffnete die Tür und betrat den Raum. Eine Männerstimme fragte, ob die Verdächtige hier eine Cecilia Lagercrantz sei. Lucía zog verschämt die Schultern nach vorn. Die Carabinera verneinte lautstark und warf den Mann wieder ’raus. Sie war sauer, weil er nicht angeklopft hatte. Der Mann fluchte. Die Tür ging zu, und es herrschte wieder Ruhe.
Die Carabinera fragte jetzt detaillierter nach Liliana und Pedro.
Lucía stellte sich unwissend:
»Die sind nicht in meiner Seminargruppe, wir sind erst auf dem Vorplatz der Uni zusammengebracht worden, von den Carabineros dort.«
»Aber du kennst die beiden?«
»Ja.«
»Namen?«
»Liliana Pelemontes und Pedro Dosetto.«
»Ihr habt vor zwei Wochen in Flor de Caballito mitgemacht?«
Die Carabinera beobachtete, wie sich die Haltung der Verdächtigen etwas versteifte. Aufmerksam zog sie eine Augenbraue hoch.
Lucía wusste sofort, worauf die Frau hinauswollte. Bei der besagten Aktion hatten Aktivisten eine Filiale der Zeitung Mercurio überfallen. Es ging um die »Enteignung« von Bargeld, Druckerausrüstung und was sonst noch so in Widerstandskreisen brauchbar war. Die Aktion lief aus dem Ruder, als ein Transporter mit Carabineros zufällig vor der Tür hielt. In den Nachrichten wurde die Aktion als schwerer Raub und Erpressung dargestellt. Lucía selber war nicht dabei gewesen, aber sie hatte danach einem Compañero namens Victor für einige Tage Unterschlupf gewährt. Er erzählte, dass es eine Schießerei gegeben hätte.
Lucía hatte sich nach dem Vorfall eine Alibigeschichte ausgedacht, um die Unterstützung für Victor zu kaschieren. Nun fragte tatsächlich jemand nach der Sache. Lucía antwortete entschlossen:
»Sie meinen den Überfall auf die Zeitungsfiliale? Nein, zu der Zeit war ich in Valparaiso.« Es klang etwas zu sicher, wie auswendiggelernt. Die Carabinera lehnte sich grinsend auf dem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
»Und die beiden anderen?«
»Ich weiß nicht viel über sie. Nur damals, im ersten Semester, hatten wir ein oder zwei gemeinsame Vorlesungen. Aber da saßen auch noch 100 andere Studenten im Saal. Man hat nicht viel Kontakt.«
»Aber es waren doch sicher Studenten der Universität daran beteiligt, oder?« Die Carabinera blieb hartnäckig am Thema. Lucía verstand langsam den Grund für den heutigen Polizeieinsatz in der Universität.
»Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe es auch nur aus den Nachrichten erfahren.«
Die Carabinera erhob sich und kam langsam zu Lucía herübergelaufen. Sie stellte sich dicht hinter die Verdächtige. Lucía konnte die Wärme ihres Körpers spüren.
»Verstehe«, raunte sie. »Dann also nochmal konkret zu dir. Wo genau warst du an jenem Nachmittag?«
Lucía schluckte beklommen. »In Valparaiso. Am Strand.«
Statt einer Antwort begann die Carabinera mit den Fingern die Konturen von Lucías Oberkörper nachzuzeichnen. Sie startete an beiden Achselhöhlen und arbeitete sich langsam nach unten voran. Lucía riss die Augen auf und zuckte erschrocken.
»Bitte …«, entgegnete sie peinlich berührt, »… ich mag so was nicht.«
»Hör mal, Kleines, du bist hier bei einer Vernehmung«, flüsterte die Carabinera. »Hier geht es nicht darum, ob du das magst. Du bist hier, weil du etwas zu verbergen hast, nicht wahr. Aber wir beide werden die Wahrheit herausfinden. So oder so. Es liegt in deiner Hand, wie lange wir dazu brauchen. Verstanden?«
»Ja.«
»Gut. Dann noch mal: Wo warst du an diesem Nachmittag?«
»Wir sind ans Meer gefahren für drei Tage, und an dem Nachmittag waren wir am Strand.«
Die Carabinera schwieg. Ihre Finger zeichneten unsichtbare Kreuze auf die Pobacken der Verdächtigen.
Lucía war verunsichert. War die Frau an der Geschichte interessiert, oder suchte sie eine bestimmte Form von Erregung?
»Wer ist ›wir‹?«
»Ich … und zwei Freundinnen.«
Die Hand der Carabinera wechselte auf die Innenseiten von Lucías Oberschenkeln. Lucía riss wieder die Augen auf und stellte sich auf die Zehenspitzen. Das half nicht viel. Als die Finger den oberen Anschlag berührten, schrie sie: »Aufhören!«
Die Hand verschwand sofort. Im nächsten Moment bekam Lucía einen gewaltigen Tritt in den Hintern. Sie schleuderte gegen die Wand. Die Carabinera brüllte: »Was denkst du, wer du bist?« Lucía konnte sich mit den gefesselten Händen nicht abfangen und rutschte seitwärts zu Boden. Die Tür ging auf. Eine Männerstimme fragte: »Brauchst du Hilfe?«
Die Carabinera wiegelte ab: »Danke, nein! Nur ein bisschen zickig, das kleine Luder. Aber die krieg ich schon eingefangen.«
Die Tür wurde wieder geschlossen.
Lucía lag erschrocken auf dem Boden und schwieg, um die Situation nicht noch weiter anzuheizen.
Die Carabinera trat ihr wieder derb in den Hintern: »Los, steh auf, du Stück Scheiße!«
Lucía bemühte sich, aber mit den Händen hinter dem Kopf kam sie nicht vom Boden hoch. Die Carabinera zog sie am Oberarm herauf. Mit deutlich milderer Stimme erklärte sie:
»Du hast es gehört: Wenn du nicht kooperierst, dann kommen die Männer ›helfen‹. Weißt du, was das heißt? Sie reißen dir die Kleidung gleich hier im Zimmer vom Leib. Dann schleifen sie dich nackt über den Flur und bringen dich ’runter in den Keller. Dort ziehen sie dir die Ohren lang, bis runter auf den Fußboden. Verstehst du? Das ist deren Geschäft. Die lassen nicht locker. Wenn du nicht singst, wie eine Lerche, dann holen sie dich morgen wieder und jagen dir Strom in die Titten. Und übermorgen noch woanders hin.«
Lucía hatte Knie wie Pudding. Hastig nickte sie.
»Gut. Dann lass uns noch etwas in die Details gehen. Ihr wart also in Valparaiso. Ich brauche ein paar Namen, die das bezeugen können!
»Carolina Villepen.«
Die Carabinera spitzte die Lippen und umfasste von hinten mit beiden Händen Lucías Brüste. »Auch eine Studentin?«
Lucía ließ sie gewähren und nickte gehorsam. »Ja.« Sie konnte das Parfum der Carabinera riechen und spürte, wie sich die Uniform an ihrer Haut rieb.
»Wer war noch dabei?« Die Frage kam sehr leise, fast geflüstert, aber dennoch dominant.
»Eine Brasilianerin, die von allen ›Patsy‹ genannt wurde. Mehr weiß ich wirklich nicht.« Lucía flüsterte jetzt auch. Einerseits hatte sie Angst, andererseits fühlte sie sich geborgen, solange die Carabinera friedlich blieb. Der Charakter der Vernehmung änderte sich nun. Die beiden hatten einen Modus gefunden, miteinander auszukommen. Lucía ließ die Nähe der Carabinera zu und erzählte dafür ihre Version des fraglichen Vorfalls. Die Carabinera fragte nicht weiter nach, sondern lieferte gelegentlich sogar kleinere argumentative Hilfestellungen für eine akzeptable Geschichte.
Irgendwann löste sie sich von Lucía und ging zurück zum Schreibtisch.
«Du kannst dich wieder ankleiden.« Der Ton war jetzt wieder sachlich nüchtern. Sie schob die persönlichen Sachen der Verdächtigen auf dem Tisch zusammen. »Du musst noch abwarten, was deine Mitstreiter zu Protokoll geben. Hoffentlich erzählen sie keine Geschichten über dich. Sonst wird dein Aufenthalt hier deutlich unangenehmer werden. Falls aber alles okay ist, wird man dich nachher wieder entlassen. Sei vorsichtig in den nächsten Monaten, hörst du? Die Lage ist sehr gespannt. Für uns alle.«
Die Carabinera warf einen letzten Blick auf Lucía. Dann verließ sie den Raum und befahl dem Wachposten, die Verdächtige in Raum 217 zu bringen. Kurz vor acht Uhr abends fiel die Entscheidung. Lucía durfte gehen. Wenige Minuten später stand sie tatsächlich wieder auf der Straße. Sie war erschöpft, aber erleichtert. Ihre erste direkte Begegnung mit dem Militärstaat hatte gut zehn Stunden gedauert.
1 »Die Stadt und die Hunde« (Anmerkung des Verlegers)