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Claudia und Inés 17. Februar 1974

1 Instituto Pedagógico

Claudia Lidia Morales war Studentin im vierten Semester an der Universidad Catholica de Chile. In der Avenida Mackenna teilte sie sich ein Wohnheimzimmer mit Inés Flores Cardenas, einer Studentin aus der Fakultät für Soziologie.

Wie viele junge Menschen ihrer Zeit waren beide politisch aktiv und suchten nach einer gerechteren Zukunft für ihr Land. Schon in den Jahren von Allende hatten sie sich in den Hochschulgremien engagiert. Nach dem Militärputsch wurde die Arbeit solcher Organisationen verboten. Viele politische und religiöse Organisationen setzten jedoch die Arbeit im Untergrund fort. Ihre Anführer stellten die Aufgabe: »Widerstand, Kampf und fortgesetzte Verteidigung der Interessen des Volkes und der Arbeiter«. Tausende treuer Anhänger folgten diesem Ideal unter hohem persönlichen Einsatz.

Auch Claudia und Inés spürten, dass sie sich entscheiden mussten. Sie schlossen sich einer Jugendorganisation an, die der Partido Christiano de Chile nahestand Dort engagierten sie sich in der »Militancia«. Dieser Begriff für den Widerstand gegen die Militärregierung war Programm, denn die ständige Präsenz der Streitkräfte in den Straßen von Santiago ließ keinen Zweifel: der Junta war mit demokratischen Mitteln allein nicht beizukommen.

Claudia und Inés sahen sich als »Militante«, und beide waren unverkennbar stolz auf diese Bezeichnung. Nicht zuletzt deshalb, weil das Thema Gleichberechtigung der Frauen in Südamerika noch in den Kinderschuhen steckte. In der »Militancia« jedoch standen Frauen und Männer auf gleicher Stufe.

In den ersten Monaten nach dem Putsch konzentrierten sich die Aktivitäten in ihrer Untergrundgruppe vor allem auf das Drucken und Verteilen von Flugblättern. In den revolutionären Zirkeln wurde viel vom Aufruf zum Generalstreik geredet. Aber auch kleinere Aktionen wie betriebliche Arbeitsniederlegungen oder Sabotage in den Staatsbetrieben sollten zur Isolation der Junta beitragen.

Natürlich machte auch die Junta Propaganda. Am Tag des Putsches wurden aus Helikoptern tausende Flugblätter über der Hauptstadt abgeworfen. Auf ihnen wurde das Vorgehen von Militär und Carabineros als Selbstverteidigung gegen linke Terroristen dargestellt. Es wurde behauptet, Marxisten würden die Ermordung von Militärangehörigen planen. Die Vorwürfe bezogen sich auf einen sogenannten »Plan Z«. Es war ein Plan, der sich Jahre später als erfundener Vorwand der Junta herausstellten sollte.

In den ersten Monaten nach dem Putsch erfüllte der »Plan Z« jedoch eine wichtige Funktion: Er überzeugte chilenische Wehrpflichtige davon, dass sich im Lande ein »innerer Feind« entwickelt habe, der unmittelbar ihr persönliches Leben bedrohte. Der Selbstschutz und die ständig propagierte Notwendigkeit einer Wiederherstellung der christlich abendländischen Ordnung mussten vielen chilenischen Wehrpflichtigen und Carabineros tatsächlich als oberste Aufgabe erscheinen.

Im November 1973 wurde der Geheimdienst DINA gegründet. Erlass #521 gab ihm das Recht, während des Ausnahmezustandes Bürger ohne Anlass festzunehmen. Schon wenige Tage nach dem Militärputsch kursierten in den revolutionären Gruppen die ersten Berichte von verhafteten Guerilleros und Guerilleras. Die Führung der Untergrundorganisationen wollte dem Thema nicht zu viel Bedeutung beimessen, vielleicht in der Erwägung, dass die Verbreitung von Angst durchaus im Interesse des »Klassenfeindes« lag.

In den Mitgliederversammlungen wurden Verhaftung und Folter lieber als Bewährungsprobe im revolutionären Kampf diskutiert. Nach einer Verhaftung würde es hart werden, aber der vorbildliche Guerrillero und die der Sache verpflichtete Guerrillera hätten dann Gelegenheit, ihre Standhaftigkeit zu zeigen. Auch Claudia und Inés wurden entsprechend instruiert.

Im Probenraum einer Theatergruppe des Institutes für Lehrerbildung hatten sich am Sonntagnachmittag etwa 40 Personen eingefunden. Auf dem Podium wurde ein Flugblatt der Militärregierung hochgehalten. Ein Gruppenführer las vor:

»Sofortige Exekution von Terroristen

– Die extremistischen Marxisten planen die Ermordung von Mitgliedern der Streitkräfte und Carabineros.

– Die Streitkräfte und Carabineros haben die Verpflichtung, die Sicherheit ihrer Mitglieder und der Bürger wiederherzustellen. Aus diesem Grund werden sie nicht zögern, Terroristen ohne Vorwarnung zu töten, die Waffen tragen oder die Soldaten angreifen.«

Der Gruppenführer erklärte, dieses Flugblatt solle alle daran erinnern, bei ihren Aktionen höchste Vorsicht walten zu lassen. Militancia sei kein Kinderspiel, und wer nicht aufpasse, der könne schnell in die Fänge der »Milicos« geraten.

Ein anderes Podiumsmitglied warnte:

»Die Direktive der Sicherheitsorgane lautet: »Entschlossenes Durchgreifen«. Konkret gesagt: Wir wissen, dass es an mehreren Orten im Land geheime Lager gibt, in denen Oppositionelle als »Kriegsgefangene« inhaftiert sind. Entschlossenes Durchgreifen, das heißt auch: alle Gefangenen werden gefoltert. Der Geheimdienst will die Namen und Adressen der Compañeros und Compañeras aus der Gruppe hören. Die werden dann als nächstes gejagt. Und sie wollen die Namen schnell, bevor diese Compañeros und deren Familien alarmiert sind.«

Claudia und Inés war diese Zusammenhänge nicht neu. Sie hatten sich schon darüber unterhalten, dass nach einer Verhaftung der einen innerhalb weniger Tage auch die andere verhaftet werden könnte. Die erhöhte Wahrscheinlichkeit ergab sich schon aus der Tatsache, dass beide sich ein Wohnheimzimmer teilten – und diesen Fakt bei einem Verhör zu verschweigen erschien nicht weise.

Der Diskussionsleiter rief zwei Personen auf die Bühne. Er erklärte, dass Pedro und Lucía bereits einmal verhaftet waren und dass sie jetzt den Anwesenden über ihre Erfahrungen berichten würden.

Claudia und Inés schauten gespannt nach vorn. Ein junger Mann und eine junge Frau, beide ca. Anfang 20, betraten die Bühne. Der Mann begann zu sprechen:

»Compañeros und Compañeras, wir stehen heute hier, um euch zu berichten. Wir wollen euch sagen, worauf ihr euch einstellen müsst, wenn die PACOs euch erwischen. Ihr müsst immer daran denken, unser Kampf ist gerecht und human, aber der Feind ist inhuman und ungerecht.

Der Feind wird von euch verlangen, dass ihr ›singt‹. Also dass ihr Treffpunkte mit anderen Mitgliedern eurer Organisation verraten sollt. Lucía und ich, wir haben das durch. Und wir sagen euch, es ist hart. Aber es ist möglich, der Folter zu widerstehen. Man wird brutal geschlagen, aber man widersteht dem Schmerz, wenn man dem Feind mit Widerstandskraft begegnet.«

Dann sprach die Compañera Lucía:

»Es hilft euch, wenn ihr euren Hass auf den Feind aktiviert. Eure ideologischen und politischen Überzeugungen erlauben es euch zu widerstehen. Ihr müsst einen kühlen Kopf bewahren. Dazu gehört zuvorderst der eiserne Wille, so viele Stunden wie möglich zu schweigen. Nicht ein Name, nicht eine Adresse darf über eure Lippen kommen.«

Pedro nickte:

»Später, wenn es nicht mehr anders geht, müsst ihr eine Geschichte bereit haben. Eine glaubhafte, aber unverfängliche Geschichte. Gebt sie dann stückweise her! Versucht, falsche Informationen zu geben über die Treffpunkte, um Zeit zu gewinnen! Eure Compañeros sind derweil an anderer Stelle zum richtigen Treff. Sie sehen, dass ihr nicht gekommen seid. Dann werden sie vorsichtig. Sie ahnen, dass ihr verhaftet wurdet. Sie zeigen sich dann eine Weile nicht mehr und gehen nicht zu den Orten, die euch bekannt sind.«

Lucía ergänzte:

»Es gibt auch Vergewaltigungen. Sie erzählen euch, es sei eine Ehre, weil es für die eigenen Soldaten ist, die dem Vaterland dienen. Fast alle Frauen werden in der Haft vergewaltigt. Davor darf sich eine Revolutionärin nicht fürchten, denn der Feind will, dass wir uns fürchten. Also Zähne zusammenbeißen und durch.«

Claudia beugte sich zu Inés herüber und flüsterte:

»Denen treten wir ordentlich in die Eier, dann können sie selber an dieser Ehre teilhaben!«

Inés reagierte nicht und starrte mit weit aufgerissenen Augen nach vorn.

Dort berichtete jetzt wieder Pedro:

»Für mich und meine Compañeros waren die elektrischen Schläge das Schlimmste. Sie sind so stark, dass du während der Behandlung urinierst. Und wenn du dann am Ende deiner Kräfte bist, erklären sie, dass sie dich jetzt erschießen. Dann halten sie dir die Pistole an den Kopf und drücken ab. Die Pistole ist aber nicht geladen.«

Lucía fasste zusammen:

»Man kann den Schmerz bekämpfen, wenn man seine Angst besiegt. Der Compañero Pedro und ich, wir sind standhaft geblieben. Denkt immer daran, dass es notwendig ist, die Compañeros nicht zu verraten. Denn Compañeros verraten heißt, die Revolution zu verraten.«

Das Publikum applaudierte. Der Gruppenleiter dankte den beiden. Er wies darauf hin, dass es sehr wichtig sei, auf den Ernstfall vorbereitet zu sein. Erst gestern war wieder ein Compañero von einem nächtlichen Einsatz nicht zurückgekehrt. Man müsse davon ausgehen, dass er geschnappt worden sei.

»Zwei Sachen noch: Denkt an die Sperrstunde: Nachts gehört die Stadt der Militärpolizei. Wenn jemand nach 22.00 Uhr noch auf der Straße angetroffen wird, besitzt er entweder eine Genehmigung der Kommandantur, oder es warteten große Probleme auf ihn. Und noch Mal zur Erinnerung: Wenn ihr einen Auftrag ausführt, fragt nicht zu viel. Fragt nicht, wer sonst noch dran teilnimmt oder wie das alles zusammenhängt. Was ihr nicht wisst, könnt ihr im Ernstfall auch nicht verraten. Das schützt euch und die anderen Compañeros und Compañeras.«

2 Wohnheim Avenida Mackenna

Den Weg nach Hause liefen Claudia und Inés in Gedanken versunken nebeneinander. Inés dachte an die Ausführungen der Compañera Lucía, dass die Milicos alle gefangenen Frauen vergewaltigen würden. Im Geiste sah sie sich im Hinterzimmer eines Kommissariats von Soldaten umstellt. Männer packten sie an Hand- und Fußgelenken. Obwohl Inés sich nach Kräften zu wehren suchte, rissen sie ihr die Bluse vom Leib. Sie schrie nicht, denn niemand würde ihr zu Hilfe kommen. Nur ihr Keuchen und das Reißen von Stoff waren zu hören. Sie spürte Hände, die sich am Verschluss ihres BH zu schaffen machten. Die Männer knöpften auch ihre Hose auf und zogen sie ein Stück herunter. Niemand sagte ein Wort. Mit Schwung flog ihr BH auf den Schreibtisch. Ein paar obszöne Bemerkungen, dann die unvermeidlichen Grapschereien. Stück für Stück riss man ihr den Rest der Kleidung vom Leibe, bis sie schließlich nackt vor den Soldaten stand.

Schon als junges Mädchen hatte sie diese Phantasien gehabt. Im Badezimmer, wenn sie allein war, spielte sie manchmal solche Szenen. Dann stellte sie sich nackt vor den Spiegel, die Beine gespreizt, die Hände hinter den Kopf, die Brust nach vorn gestreckt, ganz so wie die Männer es verlangen würden. Wenn in Kinofilmen solche Szenen gezeigt wurden, wurde sie immer ganz still, damit niemand merkte, dass sie das erregte.

Falls ihr einmal tatsächlich so etwas passieren würde, dann würde sie es ebenso tapfer durchstehen wie diese Lucía. »Zähne zusammenbeißen und durch!«, das schien Inés eine gute Parole zu sein. Eine gute Geschichte musste sie dann noch stückweise als Geständnis von sich geben, um die Soldaten auf falsche Fährte zu locken.

Inés lief mit starrem Blick neben Claudia her. Ihr Herz klopfte. Sie nahm sich vor, heute abend das Ausziehen wieder vor dem Spiegel zu üben.

Claudia hing ganz anderen Gedanken nach. Der mutige Compañero hatte ihr gut gefallen. Sein lockiges Haar, die dunklen Augen und die angenehme Stimme, das passte in ihr männliches Suchschema. Ob der Typ mit dieser Lucía zusammen war? Claudia befragte ihr Bauchgefühl, ob sie sich mehr Nähe zu ihm vorstellen könnte. Zwischen den Schultern rieselte ein warmes Prickeln ihren Rücken hinunter. Ein verwegenes Grinsen huschte über ihr Gesicht, wie bei einem Kind, das sich unbeobachtet fühlt und die Chance nutzt, verbotenes Terrain zu betreten.

Die beiden erreichten eine rote Ampel und mussten warten.

»Wir müssen uns einen Notfallplan ausdenken!« sagte Inés leise.

Claudia zog die Augenbrauen zusammen.

»Was für einen Plan?«

»Falls eine von uns beiden nicht mehr auftaucht.«

Claudia fühlte sich aus ihren Träumen gerissen und schüttelte unwillkürlich den Kopf, als würde das mehr Klarheit in die Gedanken bringen.

»Doch!« beharrte Inés auf ihrem Vorschlag.

Claudia war immer noch nicht klar, warum ihre Zimmergenossin sich solche Sorgen machte. »Ist dir der Vortrag auf den Magen geschlagen? Darüber haben wir doch schon geredet.«

»Vielleicht noch nicht konkret genug. Ich habe das Gefühl, die Berichte der Compañeros könnten eine Warnung sein. Verstehst du?«

»Hm. Also gut, wenn es dich beruhigt, dann reden wir noch mal darüber.«

Inés wurde euphorisch:

»Auf jeden Fall brauchen wir eine Liste der Dinge, die unverzüglich aus dem Wohnheimzimmer verschwinden müssen. Und wir brauchen eine Geschichte, die wir im Ernstfall nach einer Verhaftung erzählen können.«

»Okay.«

Die beiden erreichten den Eingang zum Wohnheim. Im Treppenhaus kamen ihnen andere Studenten entgegen. Da man nicht genau wissen konnte, ob man ihnen vertrauen konnte, schwiegen Claudia und Inés auf dem Weg hinauf in ihr Zimmer.

Drinnen angekommen, nahm Inés die Diskussion wieder auf.

»Genaugenommen brauchen wir sogar zwei Geschichten. Eine für dich, eine für mich. Also schon weitgehend deckungsgleich, aber an einigen Punkten doch unterschiedlich. Sonst sieht das zu glatt aus.«

»Du hast dich ja richtig in das Thema verbissen. An deinen Bedenken ist ganz sicher etwas dran, aber sollten wir uns nicht eher bemühen, noch vorsichtiger zu sein, um gar nicht erst verhaftet zu werden?»

»Wir machen natürlich beides. Aber wie der Gruppenführer sagte: Das ist kein Kinderspiel. Wenn die Typen vom Geheimdienst dich erst mal nackig über den Flur schleifen, wirst du dankbar sein, dass wir was vorbereitet haben.«

Diese Assoziation genügte. Jetzt spukten auch in Claudias Kopf unheimliche Bilder herum. Sie sah sich in einem schäbigen Zimmer. Die Fenster waren verbrettert, und von der Decke hing eine rostige Kette. Männer standen mit verschränkten Armen um sie herum und grinsten. Ein dicklicher Offizier drängte sich zwischen ihnen hindurch und zeigte auf Claudias Bluse. »Zieh dich aus, Vögelchen!» Warum er sie so nannte, erschloss sich ihr nicht, aber sie war sicher, dass er »Vögelchen« zu ihr sagte.

Claudia schüttelte unwillkürlich den Kopf, als könne sie die aufdringlichen Bilder wie Moskitos vertreiben. Ins Bad, Hände waschen, dann Abendbrot machen, um auf andere Gedanken zu kommen, dachte sie.

An der Badtür hing ein Poster von einem nackten Kerl. Es hatte schon dort gehangen, als Claudia und Inés in das Zimmer einzogen. Die beiden Studentinnen waren sich nach Begutachtung seines knackigen Hinterteils einig, dass das Plakat auch weiterhin dort hängen bleiben könne.

Claudia wusch sich im Bad die Hände und fragte sich, ob der Compañero Pedro ohne Kleidung auch so attraktiv aussähe. Es wurde immer klarer: In der nächsten Woche musste sie unbedingt herausfinden, ob er schon eine Partnerin hatte.

Draußen vor der Badtür wartete bereits Inés mit seltsam lächelndem Gesichtsausdruck darauf, auch ins Bad zu kommen. Claudia kannte diesen Gesichtsausdruck inzwischen. So schaute Ines, wenn sie erotische Gedanken hatte.

Die Durchsprache der Liste von Dingen, die zu verschwinden hatten, und eine recht ausgefeilte Geschichte zerstreuten die Bedenken der beiden jungen Frauen bezüglich der Gefahren in der Militancia. Schon eine Woche später machten sie sich in aller Frühe wieder auf den Weg, um vor dem Betriebstor eines großen Motorradwerkes Flugblätter zu verteilen. Zielgruppe waren die zur Frühschicht strömenden Arbeiter, die aus ihrer politischen Resignation und Lethargie geweckt werden sollten. Die Flugblattaktionen blieben nicht lange unbemerkt. Rechte Funktionäre übten auf die Betriebsleitungen Druck aus. Von da an wurden die studentischen Zettelverteiler daran gehindert, vor dem Betriebstor zu agitieren. Das mit eigenem Geld bezahlte und unter Gefahr vervielfältigte Material wurde beschlagnahmt und zerstört.

Eine Antwort der Militancia bestand in Flugblättern, die zu Hunderten in Pappkartons gestapelt waren. Am Boden des Kartons war eine kleine Sprengladung untergebracht, der Deckel lag nur lose auf. Inés und Claudia deponierten solche Kartons auf halber Strecke zwischen den Bushaltestellen und dem Werkstor. Wenn die Ladung zündete, regneten im Idealfall die Flugblätter über den Arbeitern herab wie eine Konfettiparade. Die Technik war notgedrungen primitiv, und manchmal legte der Zünder zu früh oder zu spät oder gar nicht los. Oder ein Windstoß wehte die Blätter quer über die vielbefahrene Avenida Sor Vicenta. Es war für die Mädchen frustrierend anzuschauen, wenn nicht ein einziges Flugblatt die Zielgruppe erreichte.

Zudem waren die Aktionen nicht ungefährlich. Wer mit so einem Karton erwischt wurde, hatte gegen das Waffen- und Munitionsgesetz verstoßen. Staatsanwälte und Richter sahen in diesen Fällen keine Probleme, die betreffenden Personen für längere Zeit aus dem Verkehr zu ziehen. Den rechtlichen Hintergrund dazu lieferte die »Doktrin der nationalen Sicherheit«. Inés und Claudia ließen sich aber nicht einschüchtern. Sie waren »Militantes« und hatten eine Menge Erfahrungen bei den verdeckten Einsätzen gesammelt. Nur manchmal, wenn die Situation wieder einmal besonders brenzlig geworden war, fragten sie sich, wie lange ihre persönlichen Schutzengel diesen Lebensstil noch mitmachen würden.

Das Eisenbett

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