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Pedro 06. November 1973

1 Comisaria de Carabineros Nr.2, Santiago

Pedro Alfredo Dosetto wurde am späten Vormittag zusammen mit Lucía Iriarte und Liliana Pelemontes festgenommen. In einem Fahrzeug der Carabineros brachte man sie in die Comisaria Nr. 2 in der Pasaje Reyes. Nach der Einlieferung wurden die drei getrennt voneinander verhört.

Pedro landete in der ersten Etage in einem Warteraum. Dort saßen bereits vier andere »Problemfälle« des Vormittags: ein betrunkener Obdachloser, eine aufreizend geschminkte Prostituierte und zwei Personen, die ihrer Kleidung nach Bauarbeiter waren. An der Tür hielt ein Posten mit MP Wache. Sprechen war verboten, nur der Betrunkene grölte gelegentlich seine Unzufriedenheit in den Raum. Der Wachposten trat ihn dann ans Schienbein und rief »Callate, mierda!«.

Pedro rutschte nervös auf seinem Stuhl umher und fragte sich, was die Typen wohl schon über ihn wussten.

Zuerst wurde die Prostituierte abgeholt. Ein kleiner, stämmiger Carabinero forderte sie freundlich auf mitzukommen. Die Frau schimpfte wie eine Elster, ihre Papiere seien in Ordnung, der Freier sei ein Betrüger gewesen und die Polizei solle sich besser um diesen Typen kümmern, statt ihr die Zeit zu stehlen. Der Carabinero nickte gelassen, winkte sie mit den Fingern von ihrem Stuhl herunter und führte sie den Flur nach hinten. Kurz darauf brachte ein Einsatzkommando zwei neue Verdächtige, beide männlich. Auch sie wurden angewiesen zu warten.

Nach einigen Minuten erschien der Carabinero wieder. Er wischte sich über den Schnauzbart und blätterte dann in einem braunen Schnellhefter. Er zeigte erst auf Pedro, dann auf die beiden Bauarbeiter.

»Ihr seid dran. Mitkommen!«

Der lange Flur führte zu einer Treppe im Hinterhaus. Pedro wunderte sich, dass es außer dem Carabinero keine weiteren Wachsoldaten zur Begleitung gab. Dem unsportlichen Typen würde er im Ernstfall glatt davonrennen. Aber vielleicht war die Verhaftung in der Universität ja auch ein Irrtum gewesen. In dem politischen Durcheinander nach dem Putsch passierte derartiges alle paar Tage. Meist wurden die Betroffenen dann schnell wieder freigelassen.

Durch das Treppenhausfenster sah Pedro hinunter auf den Innenhof. Er begriff, dass ein Fluchtversuch spätestens dort zu Ende gewesen wäre. Im Untergeschoss übergab der Carabinero die vier Verdächtigen an einen Offizier. Er händigte ihm auch den braunen Schnellhefter aus. Der Offizier übernahm das Kommando.

»Aufstellen vor der Wand, Gesicht zu mir, Hände in den Nacken!«

Er studierte einige Sekunden die Unterlagen.

»Arturo Mendez?«

»Ja?«

»Es heißt ›Hier, mi Teniente‹. Klar?«

»Klar, mi Teniente.«

»Du bist zuerst dran. Stell dich hier vorn hin!«

»Pedro Dosetto?«

»Hier, mi Teniente.«

»An zweiter Stelle!«

»Ruben Calvo?«

»Hier, mi Teniente.«

»Du bist der letzte.«

Nachdem sich die Männer in der geforderten Reihenfolge aufgestellt hatten, verschränkte der Offizier die Arme auf dem Rücken.

»Tja, ihr Böcke. Euch ist hoffentlich klar, dass ihr tief in der Jauche steckt!« Der Offizier schaute die Verdächtigen mit ernster Miene an und machte eine wohlberechnete Pause. »Ich erzähle euch jetzt, was ihr tun müsst, um da wieder ’rauszukommen. Garantieren kann ich nichts, die Entscheidung liegt beim Kommissar. Aber soviel ist klar: Wer sich nicht an die Spielregeln hält, der bleibt länger hier … Also: Zum Verhör zieht ihr jetzt die Schuhe aus, Hosen, Hemd, Strümpfe, Unterwäsche, alles. Die Sachen ordentlich auf einen Stapel legen, zwischen euch und die Wand. Dann umdrehen, Gesicht zur Wand, Hände in den Nacken.«

Die Männer murrten lautstark. Der Offizier blockte ab.

»Maul halten und ausziehen! Na los, los, ihr Böcke! Ja, ganz blank! Schüchtern könnt ihr bei euren Frauen sein, hier gibt es nichts zu verbergen.«

Während die Männer widerwillig begannen, sich auszuziehen, erklärte der Offizier weiter:

»Wann ihr hier wieder rauskommt, entscheidet allein der Kommissar. Er wird euch da drin gleich einzeln verhören. Vielleicht setzt er euch heute abend schon wieder auf freien Fuß. Oder ihr bleibt noch Tage hier in Untersuchungshaft. Oder bis ihr vermodert seid. Also benehmt euch, spielt nicht die Helden und sagt die Wahrheit! Verstanden?«

Die Tür vom Verhörzimmer ging auf. Der Kommissar schaute persönlich heraus. Er schien gereizt.

»Teniente, warum sind die nicht fertig? Wir können wieder nicht weitermachen, weil Sie hier rumtrödeln!«

»Si, mi comisario!« salutierte der Offizier und beeilte sich, den ersten Gefangene in den Raum zu beordern.

Als die Tür zu war, zischte der Offizier:

»Mierda! Ihr habt’s gesehen. Der Kommissar hat schlechte Laune. Sieht nicht gut aus für euch Böcke. Ich hab’s gesagt: Ihr steckt in der Jauche.«

Er schüttelte den Kopf, setzte sich auf einen Stuhl neben die Tür und zündete sich eine Zigarette an. Die Standpauke vom Kommissar ärgerte ihn. Was konnte er dafür, dass der Carabinero die Männer nicht eher gebracht hatte? Missmutig ließ er eine Ermahnung vom Stapel, weil der Mann neben Pedro die müden Arme sinken ließ.

Pedro wurde bewusst, dass er sich zum ersten Mal tatsächlich in den Händen der Sicherheitskräfte befand. Bisher hatte er den Gegner nur aus der Ferne gesehen. Auf den öffentlichen Straßen und Plätzen war er stets einer von vielen Studenten gewesen. Sie demonstrierten, verteilten Flugblätter, warfen gelegentlich Steine. Manchmal, wenn sie sich überlegen fühlten, stürmten sie eine Straßensperre und freuten sich, wenn die Sicherheitskräfte die Flucht ergriffen.

Durch die geschlossene Tür hörte er ein paar Mal den Kommissars brüllen. Pedro ahnte Böses. Als ein Wachposten ihn dann hereinholte, schlug sein Herz bis zum Hals. Pedro bedeckte seine Blöße notdürftig mit den Händen. Der Verhörraum war klein und dunkel. In der Mitte stand ein Schreibtisch. Davor ein Stuhl mit Handschellen an der Rückenlehne. Auf dem Tisch stand eine der typischen Kommissariats-Schreibtischlampen. Ihr Licht beleuchtete den Stuhl.

Hinten, im Halbdunkel des Raumes saßen der Kommissar und drei weitere Personen. Ein Wachposten zog die Tür zu.

Der Kommissar blickte Pedro an, zeigte auf den Stuhl.

»Setz dich da hin! Arme hinter die Lehne!« Seine Stimme klang bestimmt, aber nicht aggressiv. Er öffnete die Akte, entnahm ein Blatt und schob es dem Carabinero neben sich zu.

»Name?« fragte er.

»Dosetto.«

Der Kommissar nickte. Der Mann mit dem Blatt trug die Antworten ein.

»Vorname?«

»Pedro Alfredo.«

»Beruf?«

»Student.«

»Wo?«

»Universidad de Chile.« Pedro bemühte sich, möglichst nicht provozierend zu wirken.

»Namen der anderen beiden Studentinnen?«

Hinter Pedro öffnete sich kurz die Tür. Eine Frau betrat den Raum und setzte sich ganz außen zu den anderen Offizieren an den Tisch. Sie trug Carabinera-Uniform und hatte braune Haare mit kurzem Pferdeschwanz. Pedro presste überrascht die nackten Oberschenkel zusammen.

Der Kommissar rief ihn zur Aufmerksamkeit:

»Hast du nicht gehört?« Er trommelte mit einem Stift auf die Tischplatte.

Pedro konzentrierte sich wieder auf das Verhör. Lügen machte jetzt keinen Sinn, Lucía und Liliana waren reguläre Studenten. Daran war nichts Illegales.

»Lucía Iriarte und Liliana Pelemontes.«

Der Kommisar bohrte weiter.

»Ihr wart bei der Aktion vor zwei Wochen in Flor de Caballito dabei, stimmt’s ?«

»Ich bin nicht in der Militancia, und soweit ich weiß, die Studentinnen auch nicht.«

»Du lügst! Du bist ein Terroristenschwein!« brüllte der Kommissar genervt und sprang auf. »Also, raus mit der Wahrheit!«

Pedro ließ sich seine Furcht nicht anmerken. Er fragte sich, ob der Kommissar bluffte oder ob die Carabineros wirklich mehr über ihn wussten

»Na los, rede!« Der Kommissar stand seitlich hinter ihm.

»Was wollen Sie, dass ich sage?« Er klang selbstsicher, aber seine Hände zitterten.

»Wie ihr die Sache in Flor de Caballito organisiert habt, wer dabei war, wer den Auftrag dazu gegeben hat, die ganze Geschichte!«

»Ich bin nicht in der Militancia.«

»Er lügt«, sagte die Frau mit dem Pferdeschwanz trocken.

»Es ist die Wahrheit!« beharrte Pedro stur.

»Wer ist Victor?« fragte die Carabinera mit geheimnisvollem Lächeln.

»Welcher Victor?«

»Victor Ramirez Tello!«

Pedros letzte Reste innerer Sicherheit verflogen augenblicklich. Er kannte diesen Victor. Der hatte Verbindungen zu einem Zeitungsverlag und besorgte Papier, wenn Flugblätter gedruckt werden sollten. In Flor de Caballito, so gingen die Gerüchte, war er wohl auch beteiligt gewesen. Es hieß, er sollte in der Filiale geeignetes Material für die Druckerei identifizieren und nach der »Enteignung« beim Abtransport helfen. Was dann tatsächlich gelaufen war, wusste Pedro aber nicht.

»Na, wird’s bald?« rief der Kommissar ungeduldig. Pedro spürte einen leichten Schlag gegen seinen Hinterkopf und zuckte zusammen.

»Der Name sagt mir nichts!« fingierte Pedro mit kleinem, hilflosem Lachen.

Eine schallende Ohrfeige fegte ihn vom Stuhl. Er landete auf dem Fußboden und spürte die kühlen Fliesen. Der schwarze Stiefel des Kommissars drückte seinen Kopf zu Boden.

»Beschwere dich nicht, wir hätten’s nicht im Guten versucht. Ab jetzt reden wir unter Männern, verstehst du! Das hier ist ausschließlich deine Schuld.«

Der Kommissar packte Pedro an den Oberarmen und zog ihn wieder auf den Stuhl. Die anderen Uniformierten standen jetzt im Kreis um Pedro. Jemand klickte die Handschellen an der Stuhllehne um seine Handgelenke. Pedro schwirrte der Kopf. Die Carabinera tauchte direkt vor seinem Gesicht auf. Ihr Grinsen hatte etwas Beunruhigendes. Er bemerkte, dass sie Sommersprossen im Gesicht hatte. Dann zog sie ihm eine dunkle Augenbinde über den Kopf.

Er spürte, wie sie seine Fußgelenke festbanden und etwas an die großen Fußzehen klemmten.

»Gib her!« sagte eine Stimme.

»Die?« fragte die Stimme der Frau.

»Nein, die anderen beiden!«

Pedro spürte Finger an seinem Geschlechtsteil. Zwei Krokodilklemmen am Hodensack. Er versuchte, die Beine zusammenzupressen. Es half nichts. Die Klemmen saßen fest.

Kurzes Stühlerücken. Dann war herrschte gespannte Ruhe im Raum.

Pedro schwitzte vor Angst. Sein Atem ging schnell und flach.

»Wer ist Victor?« Der Kommissar wiederholte ungerührt die Fragen von vorhin.

»Ich weiß es nicht!« rief Pedro aufgeregt.

Er hörte ein surrendes Geräusch, dann zuckte der erste Stromstoß in seine Fußzehen, raste hinauf in die Hoden und verließ seinen Körper durch die dort angebrachten Klemmen. Pedro schrie kurz auf. Mehr aus Überraschung als aus Schmerz.

»Das ist Magneto, unser kleiner Helfer.« erklärte der Kommissar in einem Ton, als würde er eine Küchenmaschine vorstellen.

Pedro fing sich schnell. Es hatte weh getan, war aber zu ertragen. »Resistir« fiel ihm wieder ein. Widerstehen war möglich!

»Wer ist Victor?«

Pedro nahm sich vor, kein Wort zu gestehen. Er presste die Lippen aufeinander und wartete mutig auf Magneto.

»Aaaaaaaauuaah! Jesus! Er … er ist in einer Gruppe … Aaaah!« Der Stromstoß war viel stärker als der letzte. Als Pedro wieder klar denken konnte, wurde ihm bewusst, dass er geredet hatte. Fieberhaft suchte er nach einem Weg, aus der Geschichte wieder herauszukommen. Doch die Carabinera hakte schon nach:

»Von welcher Gruppe redest du?«

Noch bevor Pedro antworten konnte, raubte ein furchtbarer Stromschlag ihm fast das Bewusstsein. Er sprang in die Höhe, riss den Stuhl hinter sich her. Die Ketten an den Fußgelenken hielten ihn zurück.

»Gütiger Gott!« rief die Carabinera entsetzt.

»Pass’ doch auf, nicht so viel, du Unmensch!« rief der Kommissar. »Bin halt abgerutscht.« entschuldigte sich eine Männerstimme.

»Grobian! Lass die Señora ran, die macht das mit mehr Gefühl!«

Pedro schnappte nach Luft – als hätte ihm jemand voll in die Eier getreten. Er brauchte einige Sekunden, bevor er wieder vernehmungsfähig war.

»Noch mal: Welche Gruppe?«

Pedro lernte schnell, dass er nach jeder Frage nur zwei Sekunden hatte. Wenn er bis dahin nicht redete, drehten sie an der Kurbel des Generators. Wenn er leeres Zeug redete, um Zeit zu gewinnen, auch.

Das Verhör wurde durch dieses Verfahren beschleunigt, und der Kommissar kam mit seinen Fragen schnell voran.

»Wann hast du Victor das letzte Mal gesehen?«

Pedro spürte seine Fußzehen bald nicht mehr. Wenn die Klammern am Geschlecht Strom führten, brannte es wie glühende Kohlen. Seine Oberschenkel zuckten unkontrollierbar. Im Mund spürte er einen metallischen Geschmack.

Bröckchen für Bröckchen gestand er, was er über Victor T. wusste.

Zum Glück hatte die Führung der Widerstandsgruppen darauf Wert gelegt, dass die Teilnehmer von Aktionen immer nur das Allernotwendigste erfuhren. Es war eiserne Regel, dass die Teilnehmer nicht wussten, wie die Kontaktkette jenseits der nächsten Person weiterging. Über Victor T. hinaus konnte Pedro nichts sagen, auch als die Behandlung härter wurde.

Nach zwanzig Minuten Befragung und der Beihilfe von Magneto sah sich der Kommissar bezüglich des Falles hinreichend im Bilde. Die Carabinera entfernte die Klemmen und zog dem Verdächtigen die Augenbinde vom Gesicht.

»Alles gut. Du hast es überstanden!« sagte sie tröstend. Pedro glaubte, ein spitzbübisches Lächeln in ihrem Gesicht zu erkennen.

Der Kommissar öffnete die Handschellen und bedeutete Pedro mit einer Handbewegung aufstehen. Der Wachsoldat warf er ihm seine Kleidung hin. Zitternd zog Pedro sich wieder an. Man brachte ihn nach oben in einen Warteraum.

Wieder musste er warten. Pedro erholte sich langsam. Er fragte sich, warum die Carabineros nicht weiter nach den beiden Mitstudentinnen gefragt hatten. Hatten sie sich einfach auf diesen Victor eingeschossen? Musste er nachher noch mal in den Verhörraum? Welche Folgen würde es für Victor haben, dass Pedro »gesungen« hatte. War das bereits Verrat an einem Compañero? Eigentlich, so befand er, hatte der Kommissar doch gar nicht viel Neues von ihm erfahren. Schließlich waren er und seine Leute über Viktor schon vorher umfangreich informiert gewesen.

Der stämmige Carabinero von heute mittag betrat den Raum.

»Noch mal Glück gehabt! Der Kommissar lässt dich laufen.« Er lächelte. Pedro fragte sich, ob das mit dem Glück ironisch gemeint war. Der Carabinero legte seine Hand auf Pedros Schulter.

»Nimm’s nicht persönlich, Junge. Es sind halt rauhe Zeiten. Das ist alles eine große Maschine. Und wir sind die Rädchen, die sich drehen müssen. Mach’ kein Drama draus. Ist doch alles noch glimpflich abgelaufen, oder?«

Pedro sah ihn etwas ratlos an.

Der Mann richtete sich auf und ging zur Tür.

»Ich bringe dich zum Ausgang.«

Pedro atmete auf. Draußen auf dem Flur gestikulierte der Carabinero, als wolle er das alles noch einmal rechtfertigen:

»Der Kommissar muss halt die Wahrheit herausfinden. Nimm es wie ein Mann. Geh’ nach Hause und red’ nicht mehr drüber – und sei in Zukunft vorsichtig! Du bist jetzt registriert.«

Das Eisenbett

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