Читать книгу Der geheimnisvolle Wald Debohra's Rückkehr - André Dorenkamp - Страница 11
ОглавлениеErinnerungen
Währenddessen tief im Süden …
as Rot des Blutmondes legte sich über den kompletten Wald und zwängte sich durch ein kleines Holzfenster einer einsam stehenden Hütte.
Die Verkleidung bestand aus Holzlatten und das Dach war aus Stroh. Der Fassade sah man ihr Alter an. Das Holz war grau und hatte schwarze Stellen. An ein paar Latten wuchs etwas dunkelgrünes Moos, das langsam anfing, vom Boden hochzuwachsen. Das Stroh des Daches war nicht mehr saftig gelb. Die Sonne verblasste den oberen Teil, während der Regen den Rest braun werden ließ.
Das rote Licht das sich durch das Fenster zwängte, strahlte eine junge Frau an, die am Erdboden zusammengekauert auf etwas Stroh lag. Das Ohr presste sie auf den kalten Boden, der aus alten Holzdielen bestand. Den Kopf hatte sie zum Fenster gerichtet. Ihr langes, graues Haar lag zerzaust neben ihr. Das blaue Kleid, das sie trug, hatte seine kräftige Farbe verloren; nun war es verblasst und überzogen mit einem grauschwarzen Schleier, der aus Dreck bestand.
Nicht weit von ihr entfernt stand ein massiver Stuhl, der aus dem Holz eines dunklen Nussbaumes war. Sowohl sein Sitz als auch die Rückenlehne war mit mehreren grauweißen Wolfsfellen bedeckt.
Neben ihm befand sich ein offener Kamin aus dunklen Ziegelsteinen. In ihm lag noch etwas Asche und schwarzes, verkohltes Holz.
Vor dem Stuhl stand ein massiver Tisch aus brauner Eiche. Auf ihm lag eine kleine rotlackierte Holzschachtel und eine handgroße Puppe aus hellem Stoff mit einem schwarzen Knopfauge. Das andere Auge war drauf gestickt und stellte ein X dar. Der Mund war ein langer Strich und war ebenfalls drauf gestickt. In ihr steckten zwei dünne Nadeln. Eine im Mund und die andere im rechten Bein. Ein paar schwarze Strähnen waren in ihre Hand genäht.
Überall standen gut verteilt mehrere Kerzen. Auf dem Tisch so wie auch auf den Kommoden und Regalen, die sich in dem Raum befanden.
Klein loderten sie vor sich her und versuchten dabei, das Zimmer leicht zu beleuchteten. Doch die dunklen, breiten Holzbretter die die Wände verkleideten, verschlangen es regelrecht.
Auf der anderen Seite stand eine alte längliche, dunkelbraune Kommode, mit 10 kleinen Schrumpfköpfen darauf, deren Haut eine hellbraune Farbe hatte. Ihre schwarzen Haare waren zu einen Zopf zusammen gebunden. Die Augen hatten sie fest geschlossenen und ihr Mund war zugenäht.
In der Ecke auf dem Holzboden lag eine alte Steinplatte. Auf ihr befanden sich mehrere schwarze unterschiedlich große Kerzen, ihre Flammen loderten klein vor sich her.
Mitten unter den Kerzen war ein Totenschädel. Er trug einen schwarzen Zylinderhut, der seitlich eine lange braunweiße Feder stecken hatte. Mit seinem Kiefer, auf dem schwarze Stummel saßen, die einst mal Zähne waren, hielt er eine Zigarre fest, die langsam glimmte und immer kürzer wurde.
Neben dem Schädel lag ein zusammengerolltes Schlangenskelett mit abgetrenntem Kopf. Der Kopf, dem die Haut und das Fleisch schon lange vom Knochen gefallen war, lag auf der anderen Seite des Totenschädels mit aufgerissenen Maul, so dass die spitzen Zähne gut zur Geltung kamen.
Es stand ein volles Glas mit einer braunen Flüssigkeit neben ihm. Ein paar spitze, lange Nadeln sowie ein Messer lagen auch dabei.
Um diesen Altar standen alte Holzregale mit abgeschlagenen Ecken und Kanten, die voll mit Flaschen, Krügen und Tontöpfen waren.
Unter ihnen nahmen auch Gläser, die randvoll mit Kräutern, Knochen und Knochensplitter waren, Platz ein. Ein paar waren sogar mit Schlangenhäuten, Schlangenzähne und Zungen befüllt. Gegenüber in der anderen Ecke direkt beim Eingang, stand noch eine Holzkiste, die oben offen war. Aus ihr hörte man immer wieder ein Zischen.
Vor der am Boden liegenden jungen Frau stand eine weitere weibliche Person mit zusammengebundenen braunen, mittellangen, verfilzten Haaren, die zusammen- gezwirbelt waren. Ihre Haut glich der Farbe von heller Schokolade und ihre Lippen waren pechschwarz. In ihrem Gesicht hatte sie um ihre Augen herum weiße Punkte aufgemalt und ein roter, breiter Strich glitt von einem bis zum anderen Auge mitten über ihrer Nase.
Ihre verschränkten Arme verdeckten ihren freiliegenden Bauch, der wegen dem kurzen, braunen, ärmellosem Oberteil zum Vorschein kam.
Sie machte einen Schritt nach vorne und ihr langer, ebenfalls brauner Wickelrock, den sie trug, folgte ihr.
Hinter der Frau wuchs ein Schatten mit roten Augen und schwarzen Pupillen. Sie blickten über ihre Schulter und starrten ebenfalls die junge Frau am Boden an.
»Glaubst du, er wird noch kommen, um sie zu befreien?«, brummte der Schatten mit tiefer Stimme fragend.
Als die Frau den Mund auf machte, um zu antworten, kamen schwarze Zähne zum Vorschein.
»Ich hoffe es! Damit ich die Gelegenheit bekomme, ihn zu töten!«
Und ein tiefes, schallendes Lachen kam ihr entgegen.
»Sie ist nun seit einem halben Jahr deine Gefangene und du glaubst immer noch, dass er kommen wird?«, kam vom Schatten spöttisch, doch als Antwort bekam er nur ein Schweigen.
»Hast du sie schon gefunden?«, warf sie dem Schatten zornig an den Kopf.
»Nein, sie hält sich gut versteckt … «
Ruckartig drehte sich die Frau mit einem vernichtenden Blick zum Schatten.
»Warum bist du dann noch hier?«, brüllte sie ihn an. Wortlos löste sich der Schatten wie Rauch langsam in Luft auf, seine roten Augen verblassten, bis sie völlig verschwanden.
Was die Beiden nicht wussten, war, dass ihre Gefangene mithörte. Ein Satz bohrte sich in ihren Kopf. Ein halbes Jahr! Ich bin hier schon … seit einem halben Jahr gefangen …
Traurig blickte sie aus dem kleinen Fenster und fing an, sich zu erinnern:
»Ich halte das für keine gute Idee, Samira!«, flüsterte eine Stimme in der Dunkelheit des Waldes, der tief im Süden lag.
»Wir haben keine andere Möglichkeit, Almalios!«, flüsterte Samira aufgebracht zurück.
Man sah Almalios Zweifel an, doch er erwiderte nichts darauf.
»Wieso gehen wir eigentlich zu Fuß?«, kam von ihm genervt.
»Möchtest du, dass wir frühzeitig entdeckt werden?« Almalios gab keine Antwort darauf. Er wusste, dass sie damit Recht hatte.
Die Stimmung war getrübt zwischen den beiden. Langsam wurde es dämmrig und die Wärme des Tages drückte immer noch von oben auf sie herab.
Schweigend wanderten sie durch das Dickicht des Waldes.
Die Bäume waren groß und die Wurzeln schlängelten sich wie Schlangen auf der Erde. Je tiefer sie in den Wald kamen, umso mehr schlug die Temperatur um und es wurde schlagartig kälter. Es entwickelte sich ein leichter Dunst, der sich über sie legte. Dies nahm ihnen die Sicht, dennoch reichte es, um in der Ferne etwas zu erkennen.
Bei jedem Schritt hörten sie unter ihren Füßen ein zunehmendes zartes Schmatzen. Der Boden wurde immer schlammiger. Schnell erkannten Samira und Almalios, dass sie sich einem Sumpf näherten.
Behutsam achteten sie darauf, wo sie lang liefen, jeder Schritt war nun noch gefährlicher als vorher. Vorsichtig wichen sie den immer größer werdenden Pfützen, die mit dunkelgrünem Wasser gefüllt waren, aus. Die Wasseroberfläche war dicht besiedelt mit grünen Algen und die Luft roch faulig.
Der Wald wurde zunehmend immer kahler, die Bäume trugen keine Blätter mehr, man sah nur die nackten Äste. Teilweise standen die Bäume schräg oder lagen auf dem Boden und waren teils mit Moos überzogen. Einige lagen halb im dunkelgrünen Wasser.
Nach einer gewissen Zeit entdeckten sie im Dunst ein schwaches Licht. Sie folgten weiter den Leuchten in der Ferne, bis sie eine Hütte erblickten. Abrupt blieben beide stehen und begutachteten das Gebäude, doch sie wussten schon, wer darin wohnte.
Die Hütte hatte eine Verkleidung aus Holzlatten und ein Dach aus Stroh. Nun sahen sie, woher das schwache Licht kam, das sie zur Hütte führte. Die graue Holztür stand weit offen, dadurch konnte etwas Licht nach draußen dringen.
Vor der Hütte waren zwei weit auseinanderstehende Pfähle, die in der Erde steckten. Es waren gerade dicke Äste, an denen noch die dunkle Rinde des Baumens hing. Auf ihnen war jeweils ein Menschenschädel aufgespießt. Das Fleisch fiel ihnen schon lange von den Knochen, nur noch der Schädel selbst war übrig. Auf jedem aufgespießten Knochenschädel war ein schwarzer Zylinderhut aufgesetzt, der an der Seite eine lange weißbraune Feder stecken hatte. Unterhalb der Schädel waren jeweils drei Krähenfüße befestigt. Ein Stück helles Garn hielt sie oberhalb an den Beinen fest und die Krallen zeigten nach außen.
In der Nähe stand ein Baumstumpf, an dem das dunkelgrüne Moos langsam hoch wanderte.
Eine kühle Brise kam und ließ das blaue Kleid, das Samira trug, tanzen und ihr langes, graues Haar beförderte es von ihrer Brust nach hinten auf ihren Rücken. Mit ihren braunen Augen fokussierte sie die Hütte, während sie darauf zulief. Almalios sträubte sich innerlich dagegen. Sein Instinkt warnte ihn und er verstand Samira in diesem Moment überhaupt nicht. Er musste sich zu jedem Schritt zwingen.
Der Vorhof, den seine Augen erblickten, ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Das weiße Hemd das er trug, drückte sich gegen seinen Oberkörper und die schwarze Leinenhose flatterte mit der Brise genauso wie sein schwarzes Haar. Seine grünen Augen fixierten nicht mehr die Hütte sondern Samira, in der Hoffnung, dass sie es sich noch anders überlegte.
Samira lief ein kleines Stück vor Almalios, bis sie abrupt stehen blieb.
»Almalios … gibst du ihn mir bitte …«
Zögerlich griff er an seinen dunkelbraunen Gürtel. Vorbei an den gut befüllten Glasphiolen zu seinem braunen Säckchen und holte eine kleine Phiole heraus in der etwas schwamm und übergab sie ihr.
Behutsam nahm sie die Phiole in ihre Hand und starrte sie an.
»Danke, Almalios … aber es ist jetzt besser, wenn du gehst…«, flüstere sie sanft.
Mit aufgerissenen Augen, sichtlich erschrocken, schaute Almalios sie an.
»Du weißt, das ich das nicht machen kann! Wenn dir irgendetwas passiert!«
»Almalios!«, unterbrach sie ihn. »Du weißt, was passieren wird, wenn ich in die Hütte gehe, ich kann das nicht verantworten, dass dir dasselbe zuteil wird!«
»Aber… «
»Nein!«, unterbrach sie ihn ein zweites Mal.
»Bleib lieber in der Nähe und berichte den Anderen, was mit mir passiert ist!«
Almalios Miene verzog sich zu einem düsteren Blick.
»Na gut, ich bleibe hier und beobachte, obwohl mir das nicht recht ist!«, zischte er mit einem Unbehagen. Samira nahm Almalios das letzte Mal in den Arm und erwiderte dabei: »Ich weiß, aber es ist das Klügste!« Almalios hätte sie am liebsten nicht mehr losgelassen. Er wusste, dass es ein Abschied war, dennoch glitt sie ihm aus seinen Armen.
Fest entschlossen wandte sich Samira wieder der Hütte zu und ging in ihre Richtung.
Regungslos stand Almalios da, fast schon hilflos wie ein kleines Kind und schaute Samira zu, wie sie zur Hütte ging.
Beim Vorhof angekommen, öffnete Samira die kleine Phiole und schüttete den Inhalt vor ihren Füßen aus. Behutsam ließ sie ihre Hände über die feuchte Stelle schweben und flüsterte: »Auctare!«, und langsam wuchs ein Menschenkörper heran.
Als sie den leblosen Körper sah, fing sie wieder an zu trauern.
»Alajos … es tut mir so leid, was mit dir passiert ist, ich wünschte, du könntest noch unter uns weilen und das Leben mit deiner Frau und deinem neugeborenen Kind genießen …«, flüsterte sie trübselig ihm zu.
Armer Kleiner, was wird jetzt nur aus dir ohne deinen Vater …, schlich ihr betrübt in ihrem Kopf herum.
Sie strich Alajos durch sein braunes Haar. Ihr Blick fiel auf die Schnittwunde an seinem Hals.
Zum Glück haben wir ihn vorher etwas sauber gemacht und ihm was Neues angezogen. Ich hoffe, das weiße Hemd und die weiße Hose gefallen ihr.
Vorsichtig griff sie unter den leblosen Körper und nahm Alajos langsam hoch. Es war schwer, das Gleichgewicht bei dem unebenen, schlammigen Boden zu halten.
Mit den Augen wieder auf die Hütte fixiert, machte sie sich weiter auf den Weg.
Schritt für Schritt kam sie der Hütte näher und ihre Nervosität stieg. Ihr Herz schlug bei jedem Schritt immer kräftiger und schneller. Je näher sie ihrem Ziel kam, desto mehr wuchs in ihr die Anspannung.
Behutsam schlich sie am ersten Pfahl vorbei. Der aufgespießte Schädel blickte sie mit seinen leeren Augenhöhlen an. Das löste in ihr ein Unbehagen aus und ihre Nervosität änderte sich in ein ungutes Gefühl. Langsam kam Samira dem Eingang der Hütte näher.
Vorsichtig ließ sie ihre Augen umherwandern. Ihr Blick blieb beim Baumstumpf hängen und bemerkte, dass an ihm dunkelrotes, getrocknetes Blut klebte. Die Oberfläche des Stumpfes war überzogen mit tiefen Kerben.
Das Herz in ihrer Brust fing an, ihr bis zum Hals zu schlagen. Am liebsten wollte sie wieder umdrehen, doch sie wusste, dass es dafür zu spät war.
Ihre Beine brachten sie langsam zur offenstehenden Tür. Behutsam ging sie hinein.
Aus der Ferne beobachtete Almalios mit einem Unbehagen, wie Samira in der Hütte verschwand.
Kaum war Samira in der Hütte, erblickte sie ein loderndes Feuer in einem offenen Kamin aus dunklen Ziegelsteinen.
Sie ließ ihre Augen an dem Kamin vorbeigleiten und sah eine Frau, die auf einem massiven Holzstuhl saß.
Aus einer der Ecken zischte es und ihre Augen suchten ruckartig das Geräusch und fanden eine Holzkiste, die oben offen war.
»Nervös, Samira?«, kam von der Frau mit hämischem Grinsen.
Samiras Blick richtete sich wieder zur Frau.
Die Augen der Frau starrten den leblosen Körper in Samiras Armen an.
»Wer ist das?«, zischte die Frau mit scharfem Ton. Samira lief es kalt den Rücken runter, das war der Moment, vor dem sie sich gefürchtet hatte. Ihre Furcht konnte sie noch vor Almalios verbergen, aber nicht vor dieser Frau.
»Es …. es ist Alajos …«
»Was? Wer war das?«, kam ihr schreiend entgegen. Ruckartig sprang die Frau dabei auf und eilte zum leblosen Körper.
Samira zuckte vor Schreck zusammen.
»Jada … es … es tut mir leid …«
»Schweig!«, brüllte Jada und griff unter den toten Körper von Alajos und nahm ihn Samira ab. »Mein kleiner Bruder … Was haben sie dir nur angetan?«
Mit bösem Blick starrte Jada Samira an.
»Sag mir sofort, wer das war!«, keifte sie laut.
Samira rührte sich vor Angst nicht von der Stelle.
»Es waren Baldur und Debohra …«, presste sie mit einem Unbehagen über ihre Lippen.
»Baldur! Ich wusste es!«
»Ja, aber er ist tot«, warf Samira eilig ein.
»Und was ist mit Debohra?«, kam wutentbrannt zurück.
»Sie lebt, ist aber spurlos verschwunden!«
Jadas Augen schwanken zurück zu Alajos. Sie wandte sich von Samira ab und ging behutsam zum Tisch, der aus einer massiver, brauner Eiche war und legte seinen Leichnam dort ab.
»Dafür wird sie mir büßen!«, wisperte Jada dem leblosen Körper leise zu.
Kurz wurde es still in der Hütte und Jada wirkte nachdenklich.
»Wieso bringt mir nicht dein Mann den Leichnam? Hat er nicht den Mut dazu, mir in die Augen zu schauen?«
»Er ist auf der Suche nach Debohra …«, bekam Jada eilig, aber dennoch ruhig als Antwort.
»Ihr habt ihn gerufen!«, schoss es aus Jada.
Samira überlegte hastig, was sie darauf sagen sollte, da fing Jada fort: »Weißt du, was ich glaube … dass er sich schuldig fühlt, wenn nicht sogar verantwortlich für den Tod von Alajos!«
»Nein, niemals! Wir hatten nichts damit zu tun! Bitte Jada, du musst mir glauben!«, bettelte Samira.
Umso länger Jada den leblosen Körper betrachtete, desto mehr wuchs in ihr die Wut und der Zorn.
Langsam wandte Jada ihren Blick von dem toten Leichnam ab und drehte sich zu Samira.
Sie spitzte ihr Lippen und pfiff. Es dauerte nicht lange, bis Samira ein Knurren hinter sich hörte. Behutsam drehte sie sich um und was sie sah, kannte sie nur aus Erzählungen.
Es waren drei Bestien in Gestalt eines Hundes. Von ihrem Leib hing altes Fleisch und Hautfetzen. Das Blut darauf war schon lange getrocknet und es roch nach Tod. Auf ihren zerfetzen Körpern hing frische Erde. Es sah so aus als wären sie gerade eben erst aus ihren Gräber emporgestiegen. Man konnte deutlich die Muskelstränge sehen und wie sie bei jeder Bewegung arbeiteten.
Samira wusste, dass sie es hier nicht mit lebendigen Tieren zu tun hatte, sondern mit schon lang verstorbenen, die man aus ihrem Grab geholt hatte.
Zähnefletschend und knurrend setzten die Bestien eine Pfote nach der anderen und gingen auf Samira zu. Vor Angst vergaß sie dabei, auf Jada zu achten, die sich von hinten an sie heranschlich. Mit einen starken Griff in ihre Haare packte Jada Samira und riss ihr mit einem Ruck ein paar aus. Schreiend fiel Samira zu Boden.
Almalios hörte einen lauten pfiff und sah, wie drei Hunde in das Haus stürmten. Danach folgte ein lauter Schrei. Er zögerte nicht eine Sekunde und setzte sich gleich in Bewegung.
Behutsam und vorsichtig schlich er zum Fenster und beobachte das Schauspiel.
Mit einem Büschel Haare in ihrer Hand wanderte Jada zu einer Steinplatte, die auf dem Boden in der Ecke lag. Auf ihr standen mehrer unterschiedlich große schwarze Kerzen, ihre Flammen loderten klein vor sich her.
Mitten unter den Kerzen war ein Totenschädel, er trug einen schwarzen Zylinderhut, der seitlich eine lange braunweiße Feder stecken hatte. Unter den schwarzen Kerzen und dem Totenschädel lag eine handgroße Puppe aus hellem Stoff, mit einem schwarzen Knopfauge, das andere Auge war drauf gestickt und stellte ein X dar. Der Mund war ein langer Strich und war ebenfalls drauf gestickt. Neben der handgroßen Puppe lagen lange, dünne Nadeln und eine 30 cm große scharfe Machete.
Mit stechenden Kopfschmerzen verfolgte Samira Jadas Bewegungen.
»Bitte Jada, lass mich gehen …«, flehte Samira sie an, doch sie widmete ihr nicht einmal einen Blick.
Jada griff sich eine lange, dünne Nadel und nähte der Puppe ein paar Strähnen von Samiras Haaren in die Hand.
»Bitte, Jada!«, winselte sie ein weiteres Mal.
»Sei still!«, keifte sie zurück und steckte der Puppe die Nadel in den Mund.
Samira wollte gerade etwas erwidern, doch sie bekam keinen einzigen Ton mehr heraus, als wäre ihre Stimme verschwunden. Über Jadas Gesicht machte sich ein breites Grinsen breit.
Ängstlich tastete Samira ihren Hals und ihren Mund ab, der sich öffnen und schließen ließ, doch sie bekam keinen einzigen Ton mehr heraus. So sehr sie es auch versuchte, ihre Bemühungen waren vergebens.
Jada schnappte sich eine weitere Nadel und stach sie in das rechte Bein der Puppe.
Samira verzerrte vor Schmerzen ihr Gesicht und riss ihren Mund auf. Es schien, als würde sie vor Qualen schreien. Sie griff nach ihrem rechten Bein, das furchtbar schmerzte. Es war ein Schmerz, als hätte sie jemand mit einem Messer in das Bein gestochen. Schnell zog sie etwas das Kleid nach oben, um zu schauen, was dort war. Doch es war nichts zu sehen, es schmerzte einfach nur fürchterlich.
Jada betrachtete mit Freuden Samira, wie sie sich vor Schmerzen quälte.
Behutsam legte Jada die Puppe, in der noch die Nadeln steckten, zurück und schnappte sich die Machete.
Sie schlenderte zu dem Zischen in der Ecke und starrte einen kurzen Augenblick in die Kiste, als würde sie auf etwas warten, bis sie dann ruckartig und schnell hinein griff.
Blitzartig schoss ihre Hand zurück und zog dabei eine schwarze Kreuzotter heraus, die sie mit ihren Fingern hinter dem Kopf fest umschlungen hatte. Wie wild wandte sich die Schlange, während sie ihr Maul aufriss und ihre spitzen Zähne zeigte. Langsam ging Jada nach draußen.
Samira folgte ihr mit ihren Augen, bis sie Jada nicht mehr sehen konnte.
Die schwarze Schlange zuckte immer noch wie wild und kämpfte um ihr Leben, doch Jada hatte sie nach wie vor fest im Griff.
Almalios brachte sich in eine bessere Position, so dass Jada ihn nicht entdecken konnte, und folgte ihr mit seinen Augen. Er haderte mit sich, ob er Jada nicht angreifen sollte, beschloss aber dann, es sein zu lassen. Schließlich reichte nur ein Pfiff von ihr aus, um Samira von den Bestien zerfleischen zu lassen. Zum Schluss starben sie beide. Dann überlegte er, wie er Samira retten konnte.
Ich brauche die Puppe …, kam ihm in den Sinn.
In der Zwischenzeit, als Almalios sich einen Plan zurechtlegte, schlenderte Jada zum Baumstumpf und hielt dort an.
Sie presste den Kopf der Schlange auf das Holz des Stumpfes, holte mit der Machete in der anderen Hand aus und schlug der Kreuzotter den Kopf hab. Aus dem kopflosen Torso sprudelte das rote, warme Blut und die Schlange tat ihren letzten Zucker, bevor ihr Körper erschlaffte. Doch das hinderte Jada nicht daran, sich den abgetrennten Kopf zu greifen und anschließend wieder zurück in die Hütte zu gehen.
Almalios fluchte innerlich, als er bemerkte, das Jada schon wieder zurückkehrte.
Immer noch kämpfte Samira mit den stechenden Schmerzen in ihrem Bein. Umzingelt und gut bewacht, lauerten Jadas Bestien nur darauf, dass Samira einen Fluchtversuch wagte, um sie dann in Stücke zu zerreißen.
Mit blutverschmierter Machete kam Jada hereinspaziert und ging in die Ecke zur Steinplatte mit den schwarze Kerzen drauf, wo die Puppe mit den Nadeln lag.
Sie legte den abgetrennten Schlangenkopf rechts neben den Totenschädel mit dem Zylinderhut ab, den noch lauwarmen Torso der Schlange legte sie auf die andere Seite des Totenschädels und drehte ihn zu einer Spirale zusammen.
Jada wandte sich kurz ab und verschwand in einen Raum, den Samira vorher übersehen hatte, als sie das erste Mal in die Hütte eintrat.
Samira konnte aus ihrer Position nicht gut erkennen, was sich dort befand.
Vorsichtig ließ sie ihren Blick durch den Raum wandern und sah 10 Schrumpfköpfe ohne Haare, mit geschlossenem zusammengenähten Mund auf einer alten, länglichen, dunkelbraunen Kommode.
Kurz darauf kam Jada mit einem Glas, das mit einer braunen Flüssigkeit gefüllt war, einer Zigarre und einer kleinen rotlackierten Schachtel, die sie in der Hand hatte, zurück. Sie nippte kurz an dem gut gefüllten Glas und betrachtet Samira.
»Ein guter Rum … ich würde dir gerne etwas anbieten, doch dieser ist für einen … guten … alten Freund bestimmt…«, kam von ihr fast schon spöttisch.
Schließlich widmete sie sich wieder dem Totenschädel auf der Steinplatte in der Ecke.
Vorsichtig ging sie auf die Knie um nichts zu verschütten, und stellte das Glas mit dem braunen Rum zum Schädel. Dann steckte sie ihm die Zigarre zwischen die Kiefer und holte aus der kleinen rotlackierten Schachtel, die sie in der Hand hielt, ein Stäbchen aus Holz mit einem roten Kopf. Sie drückte den roten Kopf des Hölzchens an die angeraute Seite der kleinen Holzschachtel und entzündete es mit einer schnellen Bewegung und etwas Druck nach vorne. Ein unangenehmer Geruch nach Schwefel und Rauch stieg hoch. Behutsam ging Jada auf die Knie und führte die Hand mit dem brennenden Stäbchen zur Zigarre. Die kleine Flamme zuckte und schlug nach der Zigarre, bis sie schließlich anfing, leicht zu rauchen und rot zu glimmen.
Mit einer schnellen Handbewegung löschte sie das kleine Feuer des Hölzchens und legte es beiseite.
Auf den Knien, mit erhobenen Händen, den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen fest verschlossen, fing Jada an, etwas zu rufen: »Großer Baba Yoruba, erhöre mich und nimm bitte meine Gaben an, oh großer Baba Yoruba, erhöre mich und erscheine mir!«
In der Hütte wurde es still. Einen Moment lang kam es einem so vor, als wäre die Zeit stehen geblieben.
Plötzlich gingen die Kerzen auf der Steinplatte aus und wieder stieg ein unangenehmer Geruch nach Schwefel hoch, zusammen mit etwas Rauch. Eine tiefe Stimme brummte aus der Dunkelheit: »Was willst du, Jada?«, und ein Schatten wuchs langsam hinter ihrem Rücken heran.
Er nahm die Gestalt eines gut gekleideten, dunkelhäutigen Mannes an, mit schwarzer Hose sowie schwarzem Hemd und edlen, schwarzen Lackschuhen. Über seinem Hemd trug er eine rote Weste mit roten Knöpfen und auf seinem Kopf nahm ein schwarzer Zylinderhut, mit einer weißbraunen Feder die an der Seite herausragte, Platz.
Als Jada die Augen öffnete, waren das Glas und die Zigarre verschwunden. Ruckartig drehte sie sich um und starrte plötzlich in rote Augen mit schwarzen Pupillen. In seiner rechten Hand hatte der gut gekleidete Mann ein Glas voll mit braunem Rum, während er mit der linken eine Zigarre zu seinem Mund führte. Sein dunkelhäutiges Gesicht war wie ein Totenkopf geschminkt.
Vor dem Mann kniend, fing sie an, ihren Wunsch zu äußern.
»Oh großer Baba Yoruba, suche und finde Debohra, damit ich sie zur Rechenschaft ziehen kann!«
Genüsslich zog Baba Yoruba an der Zigarre. Er sah aus, als würde er über ihren Wunsch nachdenken, dabei starrte er Jada mit seinen roten Augen an.
»Du möchtest sie also zu Rechenschaft ziehen? Warum, wenn fragen darf?«, und zog wieder an der Zigarre.
»Schau auf den Tisch, dann weißt du es …«
Er drehte sich um und sah auf den Tisch. Dort entdeckte er die Leiche von Alajos.
»Alajos!«, schoss überrascht aus ihm heraus.
Dann erblickte er Samira, die am Boden lag.
»Was ist hier geschehen? Warum ist Alajos tot?«
»Es war Debohra, so behauptet es Samira. Aber ich glaube ihr nicht. Ich denke, dass sie etwas damit zu tun hat!«, erwiderte sie erzürnt.
»Was hast du jetzt vor mit ihr?«
»Sie bleibt meine Gefangene, bis ich das mit Debohra geklärt habe!«
Wieder nahm er einen Zug von seiner Zigarre und überlegte.
»Also gut, du brachtest mir ein Opfer und ich werde dir diesen Wunsch erfüllen.«
Er leerte kurz das Glas mit dem Rum auf einem Schluck, stellte es auf den Tisch ab und löste sich in Luft auf.
Jada richtete ihren Blick nun auf Samira, die nicht fassen konnte, was sie gerade gesehen hatte.
»Weißt du, einst hat mich Baldur bestohlen und ich ließ ihn gehen, weil Alajos gemeint hatte, er sei es nicht wert und ich akzeptierte es. Nun sind beide tot…, doch werde ich trotzdem meine Rache bekommen, das schwör ich dir!«, brodelte Jada nur so vor Zorn und hielt kurz inne, bevor sie fortfuhr: »Und weißt du auch, warum ich sie bekomme? Ich mache dich und deinen Mann für den Tod von Alajos verantwortlich und bis das mit Debohra geklärt ist, bist du meine Gefangene. Und sollte ich meine Rache nicht an ihr ausüben können, stirbst du an ihrer Stelle!«
Almalios beobachtete alles von draußen und bekam jedes einzelne Wort mit. Ihm war klar, dass er jetzt schnell handeln musste, um Samira zu befreien. Aber alleine hatte er keine Chance, somit schlich er wieder zurück in den Wald um Hilfe zu holen und vor allem zu berichten, was er gesehen und gehört hatte.
Jada ging traurig an Alajos totem Körper vorbei in den Nebenraum und kam mit einer Schaufel wieder zurück.
Samira verfolgte sie mit ihren Augen und beobachtet, wie sie aus der Hütte ging.
Jada suchte sich einen idealen Platz für Alajos Grab und fing an zu schaufeln.
Stundenlang bearbeitete sie den Erdboden, bis sie ein geeignetes Loch mit der passenden Größe gegraben hatte.
Schweiß lief ihr vor Anstrengung die Stirn hinunter.
Sie rammte die Schaufel neben das Loch in das Erdreich und ging hinein in die Hütte.
Vor Alajos leblosem Körper blieb sie stehen. Sie wusste, was jetzt folgte und atmete ein letztes Mal tief durch. Dann griff sie unter seinen toten Körper und trug ihn hinaus zu dem Loch.
Behutsam ließ sie ihn hinab in das frisch gebuddelte Grab und ging dabei auf die Knie. Und als sie ihn so da liegen sah, kamen in ihr alte Erinnerungen hoch. Sie schloss ihre Augen und hörte plötzlich seine Stimme in ihrem Kopf. Ein Schmunzeln machte sich in ihrem Gesicht breit.
»Fang mich doch, Jada!«
»Ich hab dich gleich!«
»Niemals wirst du mich erwischen!«
»Ach ja!«
»Du bist einfach zu langsam, Jada!«
Behutsam öffnete sie ihre Augen und sah den toten Alajos an.
»Das war unsere schönste Zeit miteinander, als wir noch Kinder waren…«
Kurz hielt sie inne. Das Schmunzeln verschwand und die Traurigkeit kam zurück.
»Du hättest nicht fortgehen sollen … «
Wieder machte sie eine Pause und sammelte sich.
»Wenn ich daran denke, dass ich dich nach dem Tod unserer Eltern großgezogen habe und jetzt muss ich dich zu Grabe tragen … Es bricht mir das Herz, dich so zu sehen …«
Jada erhob sich und griff nach der Schaufel. Schweren Herzens fing sie an, Alajos mit Erde zu bedecken. Dies tat sie so lange, bis das Loch vollständig verschlossen war.
»Mach´s gut, mein kleiner Bruder …«, wisperte sie und schlich traurig wieder zurück in die Hütte.
Langsam erwachte Samira aus ihrer Erinnerung. Sie starrte immer noch aus dem kleinen Fenster, wo das Rot des Blutmondes durchschien.
Seit einem halben Jahr bin ich hier gefangen … ein halbes Jahr schon … Keiner ist gekommen, um mich zu retten … haben sie mich vergessen? …
Wieder einmal durchfuhr Samira die Einsamkeit. Sie dachte an ihre Kinder und an ihren Mann und wie sehr sie sie vermisste. Sie fühlte sich noch nie in ihren Leben so alleine wie in diesem Moment. Ihre einzige Hoffnung war damals Almalios.
Als dieser Namen ihr in den Sinn kam, bekam sie wieder etwas Hoffnung.
Du wirst mich retten, Almalios … ja, das wirst du … aber wo bleibst du? … Almalios … hol mich hier raus …