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KAPITEL 2

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»Dreh doch mal leiser bitte, meine Mama ruft gerade an.« Genervt wanderten die Finger der rechten Hand des jugendlich gekleideten Mittzwanzigers zum Regler des Autoradios. Mit der linken hielt er seinen metallicgrünen BMW Z3 in der Spur.

»Hallo, Mama! Ja … ja, wir sind jetzt fast schon bei Linz. Nein, das kostet mich hier gerade nicht extra viel Gebühren, ich habe eine Flatrate. Auch im Ausland. Nein, das ist in Ordnung, die Leitung geht auch über ganz Mitteleuropa. Ja, sag Grüße. Tschüss.«

Monika Jensen legte ihr Smartphone umständlich ins Handschuhfach und blickte zu ihrem Partner, Erik Pause, der gerade Mühe damit hatte, einen Drängler am Abbiegen in die Autobahnausfahrt zu hindern. »Wollen wir nicht an einer Raststätte pennen, Schatz?«

Erik Pause schüttelte den Kopf lässig, nie den Verkehr außer Acht lassend.

»Ich bin aber schon müde.« Monika legte ihre Hand sanft auf Eriks rechten Oberschenkel.

Er spürte ihre Finger an seinem Bein entlangstreicheln. Die junge, gut aussehende, zwanzigjährige Frau aus Calw ließ nicht den Hauch eines Zweifels an der Vollkommenheit des weiblichen Wesens. Ihre braungebrannte Haut glänzte im goldenen Schimmer der heißen, österreichischen Abendsonne. Erik Pause war sich der Tatsache vollkommen bewusst, dass Monika nicht nur ihm bereits beim ersten »Hallo!« sofort den Verstand raubte. So tat sie es damals, als sie sich in irgendeiner billigen Spielothek das erste Mal verträumt in die Augen gesehen hatten. Monika würde für immer und ewig sein Hauptgewinn dieses Abends bleiben, davon war er felsenfest überzeugt.

Der Fahrer nutzte die kurze Stille, die sein Kopfschütteln ausgelöst hatte, um die Anlage wieder aufzudrehen. Monikas Streicheleinheiten hatten aufgehört und sie lauschten beide gemeinsam den Klängen des ersten Megadeth-Albums. Die Sonne spiegelte sich im Tachometer, sodass es für Pause äußerst schwierig wurde, die genaue Geschwindigkeit des Wagens zu deuten. Monika Jensen gab ihm mit einer Geste zu verstehen, dass er doch ein bisschen vom Gaspedal ablassen sollte. Erik Pause drückte die Kupplung und schaltete einen Gang hinunter, währenddessen drehte seine Freundin den Sound der Anlage beinahe auf Maximum. Erfreut über die vertrauten Gitarrensounds bewegten die beiden ihre Köpfe im Takt auf und ab.

Urplötzlich zerstörte ein starker Schlag die Idylle. Ein Schlag so heftig, als wären fünf ausgewachsene Bullen frontal in den BMW gerast, in welchem sich das Pärchen befand. Erik Pause und Monika Jensen sahen das Armaturenbrett auf ihre Köpfe zurasen, als würden sie gerade in einem 3D-Kino sitzen. Glas und Metall flog durch das Innere des Autos und durch die schlagartige Orientierungslosigkeit konnte Erik das Lenkrad nicht mehr greifen. Die Musik hatte aufgehört zu spielen. Der BMW schlingerte über die Fahrbahn und ein Überschlagen des Fahrzeugs war nun unausweichlich, als sich das bereits völlig demolierte Gefährt der Leitplanke näherte. Alle Mühen, sich an irgendeinem Gegenstand festzuhalten, waren vergebens. Brachial stürzte das Auto über die Leitplanke die Böschung hinunter. Die Insassen wurden herumgeschleudert wie Klamotten in einer Waschtrommel. Eine adäquate Reaktion war völlig ausgeschlossen. Der BMW traf zuerst mit dem Kofferraum auf dem harten Erdboden auf, überschlug sich noch einmal, bis er dann am Rande eines Holzzauns endgültig auf dem Dach liegen blieb.

Völlig benommen, wie aus einem Sekundenschlaf erwacht, blickte Erik Pause mit versperrter Sicht auf einen dunkelroten Schaltknüppel. Den seines BMWs. Sein Griff ging unmittelbar in die Richtung dieses Knüppels, den er noch Sekunden zuvor bedient hatte. Es fühlte sich nicht an wie die Sekunden zuvor. Erik zog an dem Schaltknüppel, der sofort nachgab. Wie eine überreife Banane baumelte das lange Etwas vor ihm. Knochen, das ist ein Knochen, schoss es ihm in den Kopf, als hätte jemand endlich den Startknopf in ihm gefunden. Erschrocken zuckte er zusammen.

Immer noch völlig benommen versuchte sich der junge Mann in seinem Trümmergefängnis zu lokalisieren: »Hier ist der Sitz, der Kopf am Dach, in meiner Hand ein Knochen.« Er drehte seinen Kopf nach rechts, um das bereits erdachte Unheil ungeschönt vor Augen geführt zu bekommen. Neben ihm befand sich, gliedlos, seine tote Freundin Monika.

Ein weiteres Zucken fuhr durch Pauses Körper, reflexartig stieß er durch einen gekonnten Tritt mit beiden Beinen auf die Mittelkonsole durch die Heckscheibe. Immer noch erstaunt über diese physikalisch fast unmögliche Aktion, rappelte er sich auf dem nassen Waldboden auf. Verwirrt schaute er sich um. Schwach und benebelt wankte der junge Mann zu dem vor ihm befindlichen Autowrack. Seine Klamotten hingen wie Fetzen von seinem Körper.

»Monika, Moniiiii!«, schrie es aus ihm heraus, als er den leblosen Körper seiner Freundin auf dem Beifahrersitz erkannte. »Was … was hab ich getan?« Erik Pause schlug beide Hände vor dem Kopf zusammen und sank zu Boden. So saß er da. Fassungslos und gemütstaub. Das Bild seiner toten Freundin war nicht mehr aus seinen Gedanken zu bekommen. Immer wieder lief er zu dem Wrack, um sich daraufhin wieder davon abzuwenden.

Planlos ging er einige Meter in den Wald hinein, den Kopf in der Luft, als käme in den nächsten Augenblicken sofortige Hilfe von oben. Erik Pause setzte einen Fuß vor den anderen und langsam merkte er, wie er sein Gleichgewicht wieder zurückbekam.

Er hetzte. Erik Pause rannte durch den Wald, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. In seinem Kopf nur wirre Gedanken. Der Unfall, Monika, der Knochen. Was genau hatte er noch mal gemacht, bevor sie sich überschlugen? Schweiß und Blut rannen von seiner aufgeschürften Stirn und er glaubte, er könne jeden Moment ohnmächtig werden oder einfach vor lauter Druck sterben. Sein Schritt verlangsamte sich. Panik und Angst machten Platz für die urplötzliche Resignation vor dem Leben.

»Was ist da passiert? Das kann doch nicht wahr sein. Ich meine, so etwas passiert doch nur im Fernsehen. Ich … ich … Hallo? Können Sie mir helfen?« Erik Pause nahm ein Geräusch hinter einer Baumgruppe neben sich wahr, was seine Verwirrung nur noch steigerte. »Hallo? Ich brauche Hilfe, dringend Hilfe. Ich hatte einen Unfall. Meine Freundin … Ich …«

Pauses Gestammel rief keine Reaktion hervor. Ruhig näherte er sich den dichten Bäumen, aus deren Richtung er das animalisch klingende Grunzen vernahm. »Wildschweine«, keuchte Pause verängstigt.

Wie paralysiert stand er auf einer Lichtung und wagte es nicht, einen Schritt weiter zu gehen. Wieder hörte er ein Grummeln. Doch dieses Mal war er sich sicher, es nicht mit einem gefährlichen Tier zu tun zu haben. Dazu klang das Gehörte viel zu menschlich. Behutsam ging der zerschundene Mann auf eine Gebüschgruppe zu, die links und rechts von zwei großen Bäumen flankiert wurde. Mit beiden Händen drückte er das Buschwerk zur Seite.

Pause rieb sich mit seiner blutigen Hand über das Gesicht. Er hatte das Gefühl, sich so sein letztes bisschen Verstand zu bewahren, denn was er hinter einer kleinen Baumgruppe zu sehen bekam, ergab für ihn keinen Sinn: Ein paar Meter hinter den Bäumen kam ein kleiner Mann zum Vorschein, welcher gerade damit beschäftigt war, mit einer Axt Holzstücke zu zerschlagen. Er sah auf weite Sicht tatsächlich aus wie ein Kobold mit seinem runzligen, zerfurchten Gesicht und der Körpergröße eines Kindergartenkindes. Pause glaubte kurzzeitig, er sei in einem Märchen angekommen.

»Moment, ich komme gleich«, rief ihm das kleine Wesen zu, ehe er zu einem weiteren Schlag auf das Holz ausholte. Vor Erstaunen musste sich Pause immer wieder die Augen reiben. Warum sollte dieser kleine, alte Mann mitten im Wald Holz hacken? Wie durch einen Dunstfilter nahm er die ganze, sehr seltsame Szenerie wahr. Vergessen waren alle Gedanken an das vorangegangene Unglück. Er fühlte sich wie in einem Traum.

Der kleine Holzhacker drehte sich um, schlug die Axt in einen Spaltklotz und ging auf ihn zu: »Haben Sie Probleme, junger Mann?« Die Stimme des mysteriösen, runzligen Wesens mit der großen Augenklappe über dem rechten Auge klang freundlich und einladend, was nicht so ganz zu seinem gruseligen Äußeren passen wollte. »Ich kann Ihnen helfen, denke ich. Ich habe bisher noch jedem helfen können.«

Erik Pause empfand die Stimme nun als noch intensiver. »Ich hatte einen Unfall. Glaube ich.« Apathisch gab er zu Protokoll, was ihm Minuten vorher widerfahren war.

»Kommen Sie mit. Ich habe ein Telefon. Ich habe Internetanschluss, Sie können alles benutzen. Wenn ich mir das erlauben darf: Sie sehen fürchterlich aus. Ich hoffe, Sie können den Weg nach oben noch alleine gehen. Ich bin leider zu alt und schwach, um Sie stützen zu können.« Der kleine Mann ging voraus. Taumelnd folgte Erik Pause ihm.

Der Weg kam ihm endlos vor. Am Rand nur Steine und noch mehr Wald. Jede Abzweigung, die zu bewohnten Gefilden hätte führen können, wurde von Erik Pauses Führer gemieden. Äste knarrten unter seinen Füßen. Hin und wieder hörte er den kleinen Mann murren, zu einem Gespräch kam es zwischen den beiden allerdings nicht. Zwischendurch suchte Erik Pause, der langsam wieder zu Sinnen kam, nach seinem Smartphone und seinem Pager. Beides fand er, wie üblich, nicht in den Innentaschen seiner zerfetzten Lederjacke. »Wo gehen wir eigentlich hin?« Er versuchte, eine Konversation zu starten.

»Zu mir nach Hause. Das ist leider ein Stück entfernt. Aber gleich sind wir da«, entgegnete ihm der kleine Mann erklärend.

Plötzlich fiel Erik Pause auf, dass sich die Atmosphäre verändert hatte. Er hörte keine Vögel zwitschern und auch keine Bienen summen. Die zuvor verspürte, leichte Wärme wich nun kühler Frischluft. Nun nahm er seine Umgebung wieder deutlicher wahr. Im Vorbeigehen fiel ihm ein Schild auf, welches er allerdings nicht richtig lesen konnte. Zu getrübt war seine Sicht. »Vlaaa … Wladd …«, nein, er konnte es nicht lesen, so sehr er es wollte.

Die kleine Holztür prangte wie ein Fremdkörper am üppigen Anwesen. Ein Neubau, wenn doch an einer sehr ungewöhnlichen Stelle errichtet: einem Hügel. Ringsherum nichts als Wald. Das Licht schien durch enge Wipfelkronen auf das quietschgelbe Haus hinab. Wie ein zauberhafter Schimmer warf es sich darum und ließ die Stimmung wie in einer Herrensauna erscheinen.

Erik Pause und sein kleiner unbekannter Begleiter stapften durch eine überwucherte Wiese direkt auf den Höhepunkt des Hügels zu. Dort angekommen, zückte der kleine Mann alsbald auch einen Schlüssel, der eher wie eine Art Chipkarte aussah, und zog diese schnell durch einen an der Tür befindlichen Schlitz.

Während die beiden durch einen langen Hausflur gingen, präsentierte der Gastgeber die Räumlichkeiten mit einladender Freundlichkeit: »Hereinspaziert! Hier wohne ich.« Der Mann warf seine Holzaxt in die Ecke und ging zugleich zu einem der Fenster, um die heruntergelassenen Rollos hochzuziehen.

Erik Pause schüttelte kurz seinen Kopf und gab dem Helfer zu verstehen, dass er sich wieder einigermaßen dazu in der Lage fühlte, die Situation einzuordnen: »Ich denke nun etwas klarer. Also, was ist das hier? Sie können es mir gern erklären, es wird mich auch nicht überfordern, ich verspreche es.« Erik Pauses Kiefer schmerzte beim Sprechen und doch kamen seine Worte nun um einiges prägnanter aus seinem Mund.

»Brauchen Sie ein Telefon?« Die kleine Gestalt machte nicht einmal den Versuch, auf die Frage des jungen Mannes einzugehen.

»Ja, bitte.«

Pause setzte sich auf einen einzeln herumstehenden Sessel. Er versuchte, seine Umgebung vernünftig wahrzunehmen: der Sessel, auf dem er saß, mehrere Türen, die zu irgendwelchen Räumen führten, und ein Geweih an der Wand. Ein Sechsender. Alles in allem ein ganz normales Wohnzimmer. Wenn auch etwas zu imposant im Vergleich zur doch skurrilen Optik der Außenfassade. So sehr er es auch versuchte, aber der Raum ergab für Erik Pause keinerlei Sinn.

Der kleine Mann schien verschwunden zu sein, daher richtete sich Pause wieder auf und ging zu dem Geweih. Aus dunklen, leblosen Höhlen starrte ihn der Hirsch an. Erschossen, nur um mit dem Kopf an einer Wand als Trophäe zu enden. Ein merkwürdiger Grund, zu sterben. Als er gerade seine Hand in Richtung des linken Endes des Geweihs strecken wollte, hörte er hinter sich, dass der vermeintliche Herr des Hauses mit seiner Mission wohl erfolgreich war. »Hier, ein Telefon, Herr … äh …«

»Pause, ich heiße Erik Pause.« Erst wenige Momente später fiel dem jungen Mann aus Calw auf, dass er seinen Namen falsch betont hatte. Hastig griff er nach dem Mobilgerät. »Wie heißen Sie eigentlich?« Pauses Blick wanderte langsam in die Richtung des kleinen Mannes, als er das Handy bediente.

»Bobby. Mein Name ist Bobby.«

»Danke für das Handy. Ich würde gerne schnell meine Eltern anrufen. Und danke für alles.«

Bobby blieb an seinem Fleck stehen, als wolle er abwarten, bis Pause mit seinem Gespräch fertig war und ihn dabei im Auge behalten. Erik drehte sich zur Seite und legte eine Hand über die Tastatur, als hätte er das Gefühl, der fremde Mann könne erbost über die Wahl seiner Nummer sein. Ruf zuerst die Polizei!, fuhr es ihm kurzzeitig durch den Kopf. Dann wechselte er wieder zu seinem eigentlichen Plan, das Haustelefon seiner Eltern anzurufen. Wieder kam ihm der Impuls, doch die kurze Notrufnummer zu wählen, und wieder verspürte er einen Windhauch, der ihm diesen Gedanken entnahm. Poliz… Nein, er musste jetzt erst einmal zu Hause anrufen.

»Ich denke, ich werde zuerst bei der Polizei anrufen.«

Der mysteriöse Winzling trat einen Schritt näher an Erik Pause heran. Die Bewegung erschien Pause als so unangemessen zur Reaktion seiner Aussage, dass er kurz laut prusten musste.

»Also die Polizei werde ich nun …«

Wieder kam das kleine Männchen mit der Augenklappe auf ihn zugeschritten. Warum tat es das? Warum sollte der Mann, der sich ihm als Bobby vorstellte, bei der Erwähnung der Polizei auf ihn zugehen? Monika. Es roch nach Monika. Wo und warum roch es hier so? Erik Pause bewegte seine Lippen, doch er bekam keinen Ton heraus. Sein Arm mit dem Telefon glitt langsam hinunter. »Was ist hier denn los? Wer genau sind Sie?«

Bobby kam nun wieder einen Schritt näher an Erik heran. Wie in einem bösen Traum, auf dessen Inhalt man keinerlei Einfluss hat, starrte Erik Pause auf die immer näher kommende, kleine Figur. Diese war ihm noch Minuten zuvor wie ein schwächliches Wesen vorgekommen, welches ihm vermutlich wirklich helfen wollte. Immerhin befand er sich in einer ausweglosen Situation.

Wo war Monika? Es roch doch so stark nach ihr, da, wo er sich gerade befand. Sein Blick wandte sich kurz von dem kleinen Mann ab und streifte das Telefon. Ein Smartphone. Ein Smartphone, wie er es schon kannte und schon einmal benutzt hatte. In derselben Farbe und derselben Form. Ein Displayfoto war darauf: ein junger Mann und eine junge Frau – ein Urlaubsfoto von der gemeinsamen Reise nach Osteuropa. Erik Pause fuhr es durch alle Glieder. Die Personen auf dem Bild waren er und seine Freundin Monika.

Ein wuchtiger Stoß sorgte dafür, dass das Handy plötzlich auf dem Boden lag. Pause sah ihm hinterher. Wie in Zeitlupe knallte der Apparat vor ihm auf die Fliesen. Dann verlor er ein weiteres Mal die Besinnung.

»Ja, gut. Der ist gut. Vielleicht ein bisschen fledderig! Aber ich mag ihn.« Vladimir Ivanov machte gerade eine Kreidezeichnung auf einem karierten Block, als er mit halb verächtlichem Blick auf Erik Pause hinunterschaute. »Also, ich mache das kurz, Sie kennen das vielleicht anders. Aber ein innerer Trieb bringt mich dazu, es zu machen. Deshalb ziehe ich es schnell durch. Ich muss Ihnen quasi erzählen, warum ich Sie gleich aufspalten und häuten werde. Mein guter Bobby hilft mir dabei. Also, nicht beim Erzählen, sondern beim Häuten. Oder, Bobby?«

»Ich habe keinen Bock mehr auf den Scheiß!«, fauchte es aus einer Ecke des Raumes zurück.

»Ach ja, der Bobby. Nie Bock. Dabei hat der einen tadellosen Arbeitsvertrag. Der kriegt sogar oft Sonderurlaub genehmigt. Alter Querulant. Aber der macht was her. Seit Jahren ist der da. Und ich auch. Seit Jahren sitz ich also hier, habe versucht, das Haus anständig herzurichten, so, wie ich es im Internet gelesen habe, wie es zeitgemäß aussehen sollte. Ich kann hier nicht weg. Das macht also zwei Flüche: Ich bin für immer an einen Ort gebunden und ich bin dazu verpflichtet, Ihnen zu sagen, warum ich auf der Straße vor Ihnen Krähenfüße ausgelegt habe. Sie erinnern sich vielleicht: der große Knall! Ja, und dann – bumm, bumm, bumm – schleuderte es Sie die Autobahn hinunter.«

Erik Pause stellte fest, dass er sich auf einem kleinen Bett befand und dass der Kerl, der ihn gerade ansprach, wohl direkt neben ihm stehen musste. Doch er konnte ihn nicht sehen.

»Ihre Freundin war schon tot. Ich leide derzeit an so etwas wie einer Schreibblockade, daher muss ich mir verkrampft irgendwelche Showelemente ausdenken. Ich war nicht besonders einfallsreich, aber die Idee mit dem Mobiltelefon aus dem ausgerissenen Arm Ihrer Freundin ist jetzt nicht die allerschlechteste, wie ich finde. Es tut mir leid, Herr Pause. Aber ich muss das machen. Ich hab auch schon versucht, es den einzelnen Menschen, die ich hier hatte, im Detail zu erklären. Das brachte nichts. Was auch? Sie sind nachher tot und mein Gewissen … na, das gibt es nicht.«

Der Mann hob Eriks Kopf an, was eine plötzliche Verbesserung dessen Sehzustandes nach sich zog. »Was ist das hier?« Eriks Worte zischten durch zerschlagene Zähne wie ein leichter Windstoß durch ein paar morsche Zweige.

»Also. Ich bin ein Vampir. Ja. Buh! Ein Vampir und die gibt es wirklich. Ich bin das schon immer gewesen. Vladimir Ivanov ist mein Name und ich lebe hier. Auch schon immer.«

Der junge Mann aus Calw ermittelte mit seinem kaum funktionierenden Sehvermögen, dass Ivanov nach einer Spritze griff.

»Das läuft immer so ab. Ich bin dazu da, dass Leute verschwinden und totgeschunden wieder auftauchen. Niemand weiß erst mal, was los ist. Dann werden rationale Lösungen gesucht und auch gefunden. In Form eines Serienmörders und nicht eines unsichtbaren Hauses im Wald. Jaahaaa. Unsichtbar. Wie albern, werden Sie jetzt denken. Dazu noch die flotte Farbe an der Außenwand. Das eine ist der Versuch, sich mit Mitteln zu verstecken, die für den menschlichen Verstand nicht zu begreifen sind, das andere ist einfach nur geschmackvoll, wie ich finde.«

Das Bett bewegte sich nun, nur war es Erik selbst, der es zum Rütteln brachte. Panisch versuchte er, auf dem Bett herumzurobben, doch er war gelähmt.

»Das geht nicht. Also, wie gesagt, ich bin ein Vampir. Laut Internetrecherchen der einzige, den es gibt. Also bin ich wohl Dracula. Zumindest ist das so für mich zu erklären. Ich habe den Auftrag, dafür zu sorgen, dass es nach wie vor Geschichten um mich gibt. Leider kann ich niemandem davon erzählen. Ich habe es probiert. Das schwöre ich. Ich bin nach draußen. Nachts, weil es anders einfach nicht geht. Ich weiß, dass es den Tag gibt, ich war schon einmal früher wach. Doch das war mehr eine Dämmerung. Im Internet habe ich meinen Standort gegoogelt. Leider nicht Transsylvanien, aber immerhin Österreich. Wenn ich nachts nach draußen gehe und mit den Menschen reden möchte, dann besitze ich keine innere Kraft über das, was ich Ihnen gerade offenbarte, zu sprechen. Auch all meine anderen Fähigkeiten gibt es da draußen nicht.«

Der Stich war für Erik Pause kaum spürbar in den rechten Oberarm vorgenommen worden.

»Ich möchte das nicht tun, Erik. Es tut mir leid.«

Zum ersten Mal klang die Stimme von Vladimir Ivanov nicht spitz, sondern verständnisvoll und voller Klagen. Wie ein angeschossenes Reh, welches sich seinem Jäger ergibt, diesen aber zum selben Zeitpunkt eine Klippe hinunterstößt.

»Ich möchte es so tun, dass du nichts davon merkst. Ich verspreche es dir. Bobby, schau mal schnell etwas im Internet für mich nach …«

Erik Pause dämmerte davon. Seine Finger wurden steif und das Letzte, was er hören konnte, war der Motor eines mechanischen Arbeitsgeräts.

Drakula gegen Dracula

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