Читать книгу Dranbleiben! - Andrea Fehringer - Страница 11

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ICH erinnere mich noch gut, wie verunsichernd die Arbeit an meinem letzten Buch manchmal war. Jedes Mal, wenn Michaela, meine Autorin, und ich ein Kapitel fertig geschrieben hatten, holte ich sofort die Meinung meiner Freundinnen dazu ein. Schließlich wollte ich wissen, was jene, die mich am längsten kannten, von all dem hielten, was wir fabriziert hatten. Ihr Feedback fiel in den seltensten Fällen positiv aus. »Was musst du dich in deinem Alter noch so wichtig machen!«, meinte die eine. Die andere empörte sich: »Du kannst doch nicht diese Bettgeschichte erzählen.« Dabei handelte es sich gar nicht einmal um eine unanständige! Ich hatte doch nur geschildert, wie die Lovestory zwischen Helmut und mir begonnen hatte.

So ging das Woche für Woche, immer wenn wir ein paar neue Kapitel erarbeitet hatten. Irgendwann hat mir Michaela verboten, die Texte meinem Freundeskreis vorab zu lesen zu geben: »So kommen wir nicht weiter, Dagmar. Die sind böse zu dir. Außerdem sollen sie das Buch erst lesen, wenn es fertig ist.«

Michaelas Aufgebrachtheit fand ich rührend. Sie wusste nicht, in welchem Ausmaß das alles Lebensfreunde von mir waren. Seit Jahrzehnten begleiteten sie mich schon treu durch jede Phase. Natürlich nahmen die sich kein Blatt vor dem Mund, wenn sie mit mir redeten.

Oft heißt es, die Menschen würden mit zunehmenden Jahren immer direkter werden. Also unangenehmer. Ich glaube, das ist keine Alters-, sondern eine Charakterfrage. Ich selbst hatte ein wunderbares Negativvorbild: meine Mutter. Sie wurde im Alter richtig böse, war immer grantig und unzufrieden, obwohl wir alle, inklusive Helmut, uns stets um sie kümmerten. Doch nichts war ihr gut genug. Damals habe ich mir geschworen, dass ich es einmal anders machen würde. Jeder kann sich sein Leben schön machen, indem er sich Gutes tut und sich mag.

Um zufrieden zu sein, muss man bereit sein fürs Glück. Ich bin sehr oft allein, aber dann mache ich eben meine CD-Lade auf und hole die schönste Musik hervor. Oder ich wühle in alten Fotokisten, schaue mir Bilder von früher an und bin glücklich. Oder ich gehe zum »Roberto« auf einen Drink. Das ist eine nette Bar, nur ein paar Gehminuten von meiner Wohnung entfernt. Früher galt es für eine Frau als unschicklich, allein etwas trinken zu gehen. Durch die heutige Generationendurchmischung hat sich das Gott sei Dank geändert! Man muss nur den Mut haben, es zu tun. Meist gesellen sich junge Frauen zu mir und wir kommen ins Reden. Die eine sagt: »Ich habe Sie im Fernsehen gesehen. Das war so süß, was Sie da gesagt haben«, die andere: »Wenn ich einmal alt bin, denn möchte ich sein wie Sie.« Ist doch schön, wenn man solche Komplimente bekommt. Im Gegenzug frage ich sie, was gerade angesagt ist oder wo man sich die Nägel oder Wimpern machen lassen kann, ohne dafür ein Vermögen bezahlen zu müssen.

Erzähle ich meinen Freunden von diesen Begegnungen, rollen sie oft nur mit den Augen. Sie sagen es mir nicht immer ins Gesicht, aber ich weiß, dass sie ein solches Verhalten missbilligen. Manchmal werden sie richtig grantig, aber dann schaue ich, dass sie erst gar nicht dazu kommen, ihr Gift rauszulassen. Als Bühnenmensch hat man es diesbezüglich einfach, weil man in der Lage ist, mit der Aufmerksamkeit der Menschen zu jonglieren. Ich wechsle in einem solchen Fall rasch das Thema und widme mich irgendeinem anderen tollen Gebiet, etwa einem Vorfall, der sich gerade zugetragen hat. Oder ich ziehe meine kleine Show ab, von der ich weiß, dass sie jeden unterhält. Viele meiner Freunde und Bekannten leben ja auch ganz gut von Geschichten, die sie von mir erfahren und bei anderen wieder herauslassen. Das ist ein Geben und Nehmen, bei dem es am Ende lauter lustige Gewinner gibt.

Mit zunehmendem Alter wurde ich auch zunehmend diplomatischer. Ich musste in meinem Beruf viel Demütigung miterleben, und es liegt mir fern, jemanden kränken zu wollen. Als junge Frau wurde ich selbst oft beleidigt. Später, als Frau des Wiener Bürgermeisters, musste ich in Bezug auf meine Künstlerkarriere viele Kompromisse eingehen. Als junge Frau war ich wesentlich direkter – und habe auch prompt immer die Rechnung dafür serviert bekommen. Der Entzug von Liebe oder Sympathie hat mir dann natürlich weniger geschmeckt.

Zum Beispiel habe ich mir nichts dabei gedacht, älteren Kolleginnen oder Freundinnen zu erklären: »Mit dem Bluserl kannst aber nicht auf die Straße gehen, dafür bist du zu alt.« Entgegnete eine Kollegin dann: »Wie kannst du so etwas behaupten?«, habe ich oft sogar noch nachgelegt: »Na sei doch froh, dass dir wenigstens ein Mensch die Wahrheit sagt!«

Meine Direktheit habe ich nie als Weisheit verkauft. Ich war immer überzeugt, meinem Gegenüber irrsinnig zu helfen. Heute würden mir solche Sätze nicht mehr über die Lippen kommen. Trete ich dennoch in einen Fettnapf, eiere ich mich mit Komplimenten wieder ins Geschehen zurück. Gleichzeitig ist es aber wichtig, sich zur Situation zu bekennen, sonst kommt man gar nicht mehr aus ihr heraus. Ich sage dann etwas wie: »Ich bin jeden Abend mit so vielen Leuten zusammen, das ist mir jetzt herausgerutscht. Es tut mir leid, ich habe ja gar nicht dich gemeint. Entschuldige, entschuldige!« Es bleibt einem nichts anderes übrig, als sich zu entschuldigen, wenn man eingesehen hat, Mist gebaut zu haben.

Manchmal bin ich aber ganz bewusst direkt – dann benenne ich die Dinge immer mit einem Lächeln im Gesicht. Erst kürzlich habe ich zu meiner besten Freundin gesagt: »Zu deinem Brunch komme ich nicht, weil ich halte die alten Leute nicht mehr aus.« Ich habe mich natürlich sofort bei ihr entschuldigt. In Wahrheit fühle ich mich bei ihr so locker wie sonst nirgendwo. Alle, die man auf ihren Events trifft, kennen einander schon ewig, alle haben die gleichen Wehwehchen, die gleichen Probleme. Damit sind ihre Veranstaltungen viel entspannter als viele andere. Das ließ ich sie auch wissen. Aber ich habe halt den Zug, dass ich immer wieder Neues erleben und kennenlernen muss. Das ist mein Motor.

Ich selbst habe es immer sehr geschätzt, wenn mir meine Freunde sagten, wenn ich zu langsam, zu forsch oder etwas seltsam war. Ich mag es, wenn man mich geradeheraus wissen lässt, welche Fehler ich mache. Doch eines ist mir bewusst: Wenn man so diszipliniert und fleißig ist wie ich, werden kritische Töne von den anderen gleich viel härter aufgefasst. Gerade wir Bühnenmenschen sind immer viel zu sehr darauf bedacht, stets top und gut gekleidet und geschminkt zu sein, deshalb wissen wir, was Verletzlichkeit bedeutet.

Rosalia Chladek, eine der bedeutendsten Wegbereiterinnen des Freien Tanzes, hat mich während meiner Ausbildungsjahre zur Tänzerin in der staatlichen Akademie für Musik und darstellende Kunst manchmal so gequält, dass ich daheim geweint habe.

Irgendwann hat meine Mutter sie gefragt: »Was tun Sie mit meiner Tochter?«

Und sie bekam zur Antwort: »Dieses Mädchen ist dermaßen begabt, dass ich nur aus ihr etwas rausholen kann, wenn ich sie drille.«

Auf diese Art wird beim Ballett der Ehrgeiz geweckt. Als Elevin möchte man ja, dass die Lehrerin irgendwann nicht mehr kommt und einem das Bein verbiegt.

Geweint habe ich nie vor meiner gnadenlosen Professorin, und wenn sie mich noch so gedemütigt hat. Dann habe ich sie halt zornig angeschaut und bin weggegangen.

Als schwierig empfinde ich es bis heute, wenn ich Premierenpartys von Aufführungen besuchen soll, die mir nicht gefallen haben. Ich tat mir immer schon schwer, Kollegen zu bejubeln, wenn mir das Stück oder ihre Arbeit nicht gefallen hat.

Nachdem Helmut 1983 Bundesminister für Unterricht und Kunst geworden war, erlebten wir etliche solcher Situationen, die für mich eine Qual waren. Einmal erwischte uns Susi Nicoletti, die Grande Dame der österreichischen Schauspielkunst, nach einem völlig misslungenen Abend, als wir gerade dabei waren, uns möglichst unauffällig aus dem Staub zu machen. Sie stellte sich uns in den Weg und meinte: »Kommt doch gar nicht infrage! Und wenn einer der Mitwirkenden von euch wissen will, wie es euch gefallen hat, dann sagt ihr einfach: Gratuliere, gratuliere!«

Dieses wertvolle »Gratuliere, gratuliere!« wende ich bis heute in den unterschiedlichsten Situationen an. Auf diese Weise muss ich nicht lügen und bleibe mir trotzdem treu. So klingt hohe Diplomatie.

Für die Künstler meiner Generation spielt nämlich noch etwas eine wichtige Rolle: das Alter. Aus eigener Erfahrung weiß ich, was es bedeutet, in einer Hauptrolle auf der Bühne zu stehen, und welche Probleme sich manchmal ergeben können, einfach weil man keine dreißig, vierzig oder fünfzig mehr ist. In solchen Momenten lüge ich so gekonnt, dass alle glücklich sind. Weil ich Respekt vor der Arbeit habe. Ich kann lügen, dass sich die Balken biegen! Interessant ist, dass man mit zunehmenden Jahren sensibler wird und nicht abgestumpfter.

Die gepflegte Ehrlichkeit.
So bleiben Sie sich selbst treu, ohne andere zu verletzen

Wenden Sie einen Klassiker der Psychologie an: Sprechen Sie in Ich-Botschaften, wenn Sie Ihrem Gegenüber etwas Kritisches vermitteln wollen. Am besten, Sie machen sich schon im Voraus selbst so klein, wie sie oder er es durch Ihre Worte womöglich gleich werden.

Erinnern Sie sich noch an folgende Tugend aus dem Vor-Social-Media-Zeitalter? Nicht alles, was gedacht werden kann, muss auch gesagt werden. Also: Besser einmal zu oft auf die Zunge gebissen, als dem Visavis ins Gesicht gespuckt.

Fragen Sie einen Mann niemals, ob er zugenommen hat. So etwas trifft ihn härter als jede Frau. Begrüßen Sie ihn einfach mit den Worten: Gut schaust du aus!

Ein kluger Satz zum Thema Ehrlichkeit, der mir bei der Lektüre von Die Kunst des guten Lebens von Rolf Dobelli untergekommen ist: »Menschen werden respektiert, weil sie halten, was sie versprechen, nicht weil sie uns an ihrem inneren Monolog teilhaben lassen.«

Und noch eine Weisheit: Es heißt immer: »Schönheit liegt im Auge des Betrachters.« Denken Sie einfach, dass Sie vielleicht nicht der richtige Betrachter sind, bevor Sie Ihre Freundin wegen eines zu kurzen Rocks, einer zu weit geöffneten Bluse oder einer falsch gewählten Kleiderfarbe maßregeln.

Bedenken Sie immer: In einer Welt der wachsenden Unsicherheiten kann es nicht genug Lob geben. Quittieren Sie daher jede Art von Leistung immer mit einem »Gratuliere, gratuliere!« So müssen Sie nicht lügen und bleiben sich trotzdem treu.

Dranbleiben!

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