Читать книгу Dranbleiben! - Andrea Fehringer - Страница 8
ОглавлениеKENNEN Sie einen guten Computertechniker? Nicht, dass ich keinen hätte, aber einer allein ist für mich zu wenig. Zeitweise habe ich den Grundgütigen ja in Verdacht, dass er gar nicht mehr abhebt, wenn ich anrufe. Und ganz ehrlich: Ein bisserl kann ich ihn sogar verstehen. Ich rufe nämlich alle paar Tage an, weil sich bei meinem Laptop dauernd etwas verstellt. Und ist es nicht der Laptop, dann das iPhone oder das iPad. Manchmal kommt mein Freund Michael Balgavy rasch vorbei, um eine Art Erste Hilfe zu leisten. Aber irgendwann wird ihm das natürlich zu mühsam.
Sie merken schon: Ich liebe und verfluche die neue technische Welt und denke mir mindestens einmal am Tag: So, jetzt schenke ich ihn her, diesen ganzen Krempel. Kostet nur Zeit, und dann muss man immer sehr aufpassen, was man postet. Die meisten posten nur schreckliches Zeug. Am allerschlimmsten sind politische Debatten. Was da an Beleidigungen und Hass kursiert, macht mich traurig. Ich selbst halte mich mit politischen Äußerungen zurück. Ich will gut leben in dieser Stadt und mich nicht herumstreiten. Auch bei Interviews rede ich nicht gern über Politisches, obwohl ich immer wieder um meine Meinung gefragt werde. Aber die geht niemanden etwas an.
Was ich an der Social-Media-Welt oft vermisse, sind schöne, inspirierende Bilder. Zum Beispiel Reise- oder Landschaftsfotos, die andere Länder von einer Seite zeigen, die man selbst noch nie gesehen hat. Die meisten Menschen aber machen sich nur wichtig oder posten Belangloses. Jeder fotografiert und postet nur sein Essen. Und da kann ich nicht widerstehen. Da kriege ich andauernd einen Hunger, wenn ich das sehe. Facebook macht dick und süchtig.
Es vergeht fast kein Tag, an dem ich nicht meine Accounts checke. Achtung, Mehrzahl! Sie lesen richtig, ich habe mehrere! Erst einmal rufe ich meine Mails ab. Einladungen und Interview-Anfragen bekomme ich mittlerweile fast nur mehr digital. Dumm ist, wenn mir die Leute Anhänge schicken, die ich nicht öffnen kann. Es gibt fast immer irgendein wichtiges Programm, das man nicht heruntergeladen hat, dann sitze ich da und weiß nicht, ob mir gerade etwas Wesentliches entgeht oder nicht. Aber gut, die Leute können auch anrufen, es hat fast jeder meine Telefonnummer. Durch das Internet ist der organisatorische Aufwand für mich jedenfalls gewaltig gestiegen, weil ich in vielen Verteilern bin. Dadurch entsteht eine Mailflut, die es mir manchmal schwer macht, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Wenn es mir zu viel wird, lösche ich einfach alles, was aber auch nicht unbedingt zu empfehlen ist. Viele müssen mich dann ein zweites Mal kontaktieren.
Auf Facebook habe ich ein Konto, auf Instagram gleich zwei, weil ich einmal mein Passwort vergessen hatte und dann ein zweites eröffnen musste. Am liebsten poste ich Fotos von früher, Filmausschnitte aus alten Hollywood-Schinken oder Musik, die ich gerne höre. Außerdem teile ich sehr gern lustige oder informative Messages. Generell bin ich ein Mensch, der es liebt, zu teilen, wahrscheinlich habe ich auch deshalb so viele treue, liebe Freunde.
Und dann sehe ich online natürlich auch, was meine Freunde alles treiben, bei wem es wieder Nachwuchs gegeben hat – die meisten von ihnen sind schon begeisterte Großeltern –, wo sie auf Urlaub sind und welche Bühnenstücke sie sich angeschaut haben. Da ich viel unterwegs und in letzter Zeit zunehmend in meinem Haus in Portugal bin, sieht man einander oft wochenlang nicht. So aber habe ich trotzdem immer das Gefühl, weiterhin am Leben all meiner Lieben teilzuhaben, und das ist schön. Im Gegenzug halte ich meine »Friends« ebenfalls darüber auf dem Laufenden, was sich bei mir tut.
Auf Facebook bin ich nur mit Leuten befreundet, die ich im echten Leben kenne. Deshalb habe ich dort nur um die 250 Freunde und bleibe weiterhin selektiv. Viele von ihnen freuen sich, wenn sie einen Hinweis auf eine Fernsehshow bekommen, wenn ich Fotos aus Portugal zeige oder ich sie zu den vielen Events, die ich besuche, quasi virtuell »mitnehme«. Seit Jahren steht auf meiner inneren Agenda, verstärkt leisezutreten und nicht überall zuzusagen. Aber dann bereitet es mir so viel Freude, die vielen netten Menschen zu treffen, die mich schon seit Jahrzehnten durchs Leben begleiten, dass mir ein Nein fast nie über die Lippen kommt.
Insgesamt finde ich, dass die modernen sozialen Kanäle für uns Ältere ein Segen sind. Erst neulich habe ich in einer deutschen Zeitschrift gelesen, dass 79 Prozent der 60- bis 69-Jährigen und 45 Prozent der über 70-Jährigen regelmäßig online sind. Durch die neuen Medien können auch Ältere mitverfolgen, welche großen gesellschaftlichen Themen gerade bestimmend sind. Wenn ich mich erinnere, wie das früher war: Da hatte man regelmäßig seine Tanten und Onkeln zu besuchen, sonst setzte es was im Familienrat. Heute sieht man einander vielleicht etwas seltener, ist aber trotzdem regelmäßiger und intensiver in Kontakt, weil man sich, so oft man will, schnell und unkompliziert austauschen kann. Die sozialen Medien ermöglichen uns einen besseren Draht zu den Jungen. Wir sehen, was sie denken, wie sie sich kleiden, welche Musik sie hören und welche Filme sie sich anschauen. Das würde man sonst gar nicht mehr mitbekommen.
Heute ist jeder so mit sich selbst beschäftigt. Keiner hat richtig Zeit für irgendetwas. Positive Neugier hält viele von uns »Silver Surfer« jung. So werden wir älteren Internet-User im Fachjargon genannt, habe ich mir sagen lassen. Der Ausdruck gefällt mir, weil der Begriff »Surfer« etwas Dynamisches hat. Und Neugier ist ja auch ein Ausdruck von Lebensfreude. Das Schöne an den sozialen Medien ist, dass sich in der virtuellen Welt die Altersgrenzen völlig aufheben. Keiner fragt mehr nach einer Jahreszahl, entscheidend ist, was man von sich gibt. Diese Möglichkeit, sich über die unterschiedlichsten Themen mit Menschen auszutauschen, die meine Kinder oder Enkelkinder sein könnten, hält mich im Kopf herrlich frisch.
Was mich hingegen am Digitalen überhaupt nicht interessiert, ist Onlineshopping. Ich verstehe nicht, was daran toll sein soll – außer vielleicht, man ist krank oder kann sich aus anderen Gründen nicht aus dem Haus bewegen. Für Menschen mit Mobilitätsproblemen ist diese Erfindung ein Segen, das will ich gar nicht bestreiten. Aber für die anderen? Die Vorfreude, wenn man beschlossen hat, sich etwas Feines zu gönnen, das Gustieren und Überlegen – das alles geht beim Shoppen im Netz verloren! Wenn ich mir etwas kaufe, möchte ich es vorher mit eigenen Augen sehen, es berühren oder anziehen. Ich will mich mit der Verkäuferin unterhalten, von ihr Tipps bekommen und mir ihre Meinung anhören. Hinter vielen Produkten stecken interessante Entstehungsgeschichten, so etwas erfährt man doch gern. Außerdem denken die Leute zu wenig über die Folgen nach, die eine Verlagerung des Handels ins Internet mit sich bringt. Was passiert mit den vielen Menschen, die im Verkauf arbeiten? Wie werden unsere Straßen aussehen, wenn es einmal keine Geschäfte mehr gibt, keine schön dekorierten Auslagen? Alles grau und gesichtslos? Ich mag mir das gar nicht ausmalen.
Und dann diese Selbstbedienungskassen in den Supermärkten, die jetzt wie die Schwammerln aus dem Boden wachsen. Das ist doch in Wirklichkeit eine Augenauswischerei. Entweder funktionieren die Geräte nicht oder sie schnappen die Geldsumme zweimal auf, wenn man den gekauften Gegenstand zum Beispiel zu lange an den Scanner hält. Und will man eine Flasche Wein bezahlen, ist gleich alles aus. Dann steht man wie bestellt und nicht abgeholt vor dieser Selbstbedienungskassa und muss sich erst einmal ausweisen. Das bedeutet warten, warten, warten – bis die arme Dame von der »normalen« Kassa oder ein anderer Mitarbeiter Zeit hat, sich der Sache anzunehmen und zu prüfen, ob man überhaupt alt genug ist, Alkohol einzukaufen. Da ist es gescheiter, man geht gleich zur guten alten Bezahlstelle, wechselt ein paar freundliche Worte mit der Kassiererin und verlässt mit einem guten Gefühl das Geschäft.
Erst neulich habe ich eine Supermarktverkäuferin gefragt, ob sie denn Angst habe vor all diesen neuen Entwicklungen. Sie hat mich fast ausgelacht und gesagt: »Na gehen S’, Frau Koller, warum sollte ich denn? Wir müssen den Kunden dauernd aushelfen, es kennt sich ja keiner aus.«
Das Gleiche, wenn man auf die Bank geht. Wie oft kommt es vor, dass die Geräte im Foyer außer Dienst sind. Oder dass der Scanner die Zahlscheine nicht richtig einlesen kann. Wie oft hat man wirklich keine Ahnung, welche Knöpfe man diesmal drücken soll, weil schon wieder eine Software-Aktualisierung durchgeführt wurde und alles ganz anders ist als beim letzten Bankbesuch. Ich habe Glück, weil man mich in meiner Bank kennt und mir immer freundlich hilft. Aber oft genug habe ich schon miterlebt, wie verzweifelt ältere Menschen sind, wenn sie sich mit der modernen Gerätschaft herumschlagen müssen. Das ist keine gute Entwicklung.
Und noch etwas kommt dazu, das man nicht vergessen darf: Nicht alle Älteren haben so ein reges Gesellschaftsleben wie ich. Früher gab es Fixpunkte gegen eine mögliche Vereinsamung: den Bäcker, die Trafik, das Blumengeschäft, den Postbeamten, den Bankbetreuer. Wenn all diese Posten im Zuge der Digitalisierung wegrationalisiert werden, wo sollen denn dann die Leute, die sonst niemanden mehr haben, hingehen, um sich zwanglos zu unterhalten? Werden sie dann mit Siri, Alexa oder einer anderen Roboterstimme plaudern müssen? Bei dieser Vorstellung wird mir ganz schummrig.
Aber ich möchte nicht schwarzmalerisch klingen. Man sieht so viele finstere Gesichter auf der Straße, dabei leuchtet das Leben doch gleich viel bunter, wenn man es mit den wissbegierigen, offenen Augen eines Kindes betrachtet. Insgesamt gesehen fasziniert mich die neue Technikwelt sehr. Fortschritt, gesellschaftliche Veränderung, Blickwinkelerweiterung – das waren immer schon Dinge, die mich stark angezogen haben. Deshalb war mein Helmut Zilk so ein toller Mann für mich. Wenn ich zurückdenke, was er in seiner Amtszeit als Wiener Bürgermeister alles für die Stadt geleistet hat, diesen Modernisierungsschub, den er ihr verpasst hat: das Haas-Haus gegenüber dem Stephansdom, den Life Ball, die Belebung des Wiener Donaukanals und so vieles mehr. Wien ist durch seine unkonventionelle Art zu einer weltoffenen, internationalen Metropole geworden. Würde er noch leben, wäre er sicher begeistert von den neuen Technologien. Zukunftsorientiert nach vorn zu preschen, das hat uns stets miteinander verbunden.
Ich selbst schaue, dass ich immer in Bewegung bleibe. Mache Reisen, Turnübungen jeden Tag gleich nach dem Aufwachen. Da lege ich mich rücklings quer übers Bett, lass den Kopf runterhängen, damit mir das Blut ins Hirn fließt, und ziehe dann langsam meinen Oberkörper hoch, um die Bauchmuskulatur zu straffen.
Genauso halte ich meinen Geist fit, denn was nützt mir die tollste Figur, wenn ich im Kopf nicht mehr mithalten kann. Da ist das Digitale natürlich sehr unterstützend. Jeder Zeitungsartikel ist sofort abrufbar, wenn man irgendetwas über ein anderes Land erfahren will, kann man sich auf der Stelle informieren. Und wenn ich einmal etwas nicht weiß, dann google ich einfach, schaue auf Wikipedia nach und bin in der Sekunde eine Portion gescheiter.
Die Welt ist ein Bildschirm.
Sechs Tipps, wie Sie sich am
Internet nicht die Finger verbrennen
Lassen Sie sich nicht ins große Follower-Rennen einspannen. Auf Facebook halte ich es wie im echten Leben: Ich bin nur mit Leuten befreundet, die ich auch wirklich kenne.
Posten Sie nichts Politisches und nichts Polarisierendes, sonst drohen Ihnen Hass-Attacken, wie Sie sie im echten, analogen Leben nie erfahren würden.
Protzen Sie nicht im Internet. Alles, was nach zu viel gutem Leben aussieht, zieht nur Neid auf sich. Das mag zwar in jungen Jahren eine Auszeichnung sein, im Alter aber ist es nur noch anstrengend.
Checken Sie regelmäßig Ihren Mail-Account. Gehen Sie davon aus, dass Ihnen Freunde Nachrichten oder Einladungen schicken könnten. Bedenken Sie, dass fast jeder dazu mittlerweile das Internet verwendet.
Nützen Sie das Internet ganz gezielt, um sich Gutes zu tun. Surfen Sie durch schöne Bilderlandschaften, horchen Sie sich gute Musik an, schauen Sie Filme an, die Sie im Kino versäumt haben. Blättern Sie in Ihrem digitalen Fotoalbum, informieren Sie sich über das Weltgeschehen. Bleiben Sie am Ball!
Und eines dürfen Sie sich nie abgewöhnen: Gehen Sie hinaus, reden Sie mit den Menschen. Es gibt so viel Interessantes zu erleben und zu hören!