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1. Beeke

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Die Faust traf sie völlig unerwartet, aus dem Nichts, wie immer. Aber sie hatte gelernt, keinen Ton zu sagen, auf keinen Fall zu schreien, und keine Hilfe zu holen.


Beeke fasste sich vorsichtig an ihr linkes Auge und fühlte das feuchte Blut an ihrer Wange. Schmerzen hatte sie keine, keine körperlichen, die kamen erst später. Die seelischen hatte sie schon lange. Die konnten nicht schlimmer werden.


Warum er das tat? Sie wusste es nicht. Sie hatte auch in den sieben Ehejahren nie ein Muster erkennen können, wann und warum er zuschlug.


Weert sah ihr direkt in die Augen, und Beeke senkte artig ihren Blick nach unten. „Nur nicht auffallen, nur nicht aufmüpfig sein“, dachte sie.


„Schlampe. Siehst aus wie ‘ne Nutte. Warst wieder in der Stadt? Mit dem Flittchen von nebenan? Männer aufgeilen?“


Beeke verletzten die Anschuldigungen.


„Immer diese nuttigen kurzen Röcke. Kann man deinen ganzen Arsch sehen. Geht das nicht etwas keuscher? Oder mal ‘ne Jeans? Wie andere? EH? ANTWORTE!“


Aber ehe sie antworten konnte, ließ er sein Knie hochschnellen und traf genau in ihren Bauch. Dann trat er zu, einmal, zweimal, dreimal. Beeke spürte keinen Schmerz. Wie ein nasser, gefühlloser Sack lag sie inzwischen auf dem Boden vor ihm, hilflos und ausgeliefert.

Dann klingelte es an der Tür.


Weert öffnete die Haustüre. Vor ihm standen zwei Polizisten, nein, ein Polizist und eine Polizistin.


„Wir sind von Nachbarn gerufen worden. Die wollen gesehen haben, dass Sie Ihre Frau geschlagen und getreten haben?“


„WAS? Ich? Meine liebe Beeke? Kommen Sie nur herein, meine Frau ist im Wohnzimmer.“ Damit ging Weert voran und die beiden Beamten folgten ihm.


Im Wohnzimmer lag Beeke inzwischen auf der Couch, in eine Decke gehüllt. Über ihr Gesicht konnte sie nichts legen, das hätte komisch ausgesehen. Die Polizistin kam zu ihr und sah sie an.


Was ist passiert?“, fragte sie besorgt, während ihr Kollege mit Weert über Fußball plauderte.

Nichts. Ach, die Beule am Auge? Ich bin gegen die Tür gestolpert. Nichts Schlimmes.“


Andere Frauen sagen meistens, sie seien die Treppe runtergefallen oder gegen den Schrank gelaufen. Aber wenn Sie nichts sagen, werden Sie es Ihr ganzes Leben ertragen müssen. Er wird NIE aufhören. Ich kenne das. SAGEN Sie was. TUN Sie was.“


Wirklich, Sie irren sich. Die Nachbarn haben angerufen? Meine Freundin wohnt nebenan. Sie sorgt sich dauernd um mich, weil ich schwanger bin. Im vierten Monat. Und wenn mein Kreislauf runtersackt, dann stützt mich mein Mann, und er schreit dann auch ganz verzweifelt, denn wir haben uns dieses Kind sehr gewünscht. Als ich fiel, da habe ich mich an der Tür verletzt. Weert, mein Mann, war so verzweifelt, weil ich mir weh getan hatte.“


Weert kam mit dem Beamten dazu. „Na, alles geklärt? Und du hast Fremden erzählt, dass wir ein Kind erwarten? Sollte doch noch ein Geheimnis bleiben. So, ich bringe Sie jetzt zur Türe. Ist doch alles klar?“


Es war alles klar. Die beiden Polizisten gingen. Weert kam zu Beeke und krabbelte unter ihre Decke.


„Meine Liebe, du bist schwanger? Oh, wie schön, ich freue mich. Endlich mal eine gute Nachricht.“


Er strich ihr zärtlich über das Gesicht, über ihre Lippen, über das verletzte Auge und dann über ihren Bauch.


„Weißt du schon, was es wird? Ein Junge?“

Beeke nickte und er küsste sie jubelnd, überglücklich und ganz zärtlich.


„Entschuldige, Beeke, dass ich dir weh getan habe. Es passiert manchmal. Du weißt das. Ich will es nicht, aber ich liebe dich so sehr. Und wenn ich dich dann in so einem aufreizenden Rock sehe, dann bin ich sehr eifersüchtig. Du bist doch mein Goldstück, mein Alles. Verzeihst du mir? Ich liebe dich doch so. Dich, nur dich.“

Beeke konnte seine Tränen sehen und streichelte seine wunderschönen Haare.


Der folgende Tag war ein Freitag und Beeke sprang beim Klingelton des Weckers aus dem Bett. Es war erst sechs, aber die Sonne schien schon ins gemeinsame Schlafzimmer. Weert öffnete verschlafen die Augen, sprang ebenfalls aus dem Bett und lachte seine Frau an. „Bleib noch ein wenig liegen, Süße, heute mache ich Frühstück.“ Dabei legte er ihr zärtlich seinen Arm um die Schulter und drückte sie an sich. „Hast du dir verdient. Bist doch meine Beste. Und den Jungen nennen wir Tamme, wie Papa. Gefällt dir doch auch?“


Ausgerechnet den Namen ihres feisten Schwiegervaters? Ihr wurde ganz übel, aber neue Schläge, bevor die alten verheilt waren, wünschte sie sich nicht. Außerdem war sie schwanger. Da war alles anders. Im Grunde glaubte sie ganz fest, dass Weert sich ab jetzt ändern könnte. „Tolle Idee, das mit Papa. Tamme ist ein schöner Name für einen Jungen. So männlich, finde ich“, lächelte sie ihn an. Damit waren diesmal die richtigen Worte getroffen.


Nach dem Frühstück verließ Weert das Haus pünktlich um 7:15 Uhr, denn dann holte Joost ihn ab. Joost und Weert arbeiteten beide beim Optiker Heyen. Müde und traurig schleppte sich Beeke ins Bad, duschte länger als sonst, streichelte ihren Bauch und zog sich mühselig an. Ihre linke Gesichtshälfte tat nun weh und der Stoß in den Unterleib machte sich auch bemerkbar. Aber zum Arzt traute sie sich nicht.


Mit etwas Make Up und Puder kaschierte sie den blauen Fleck im Gesicht und kämmte ihren Pony lässig über ihr Auge. Noch während sie das gelungene Ergebnis bewunderte, klingelte es an der Tür.


Es war Fenna, ihre Freundin. Fenna nahm Beeke in den Arm und versuchte sie zu trösten.


„Ich habe alles mit angesehen, gestern, durchs Fenster. Ich habe auch die Polizei gerufen. War das falsch? Aber du bist schwanger. Willst du, dass er euch beide tot schlägt?“ Fenna schaute auffordernd auf Beeke. „Tu was. Geh in ein Frauenhaus, geh zur Polizei, geh’ zu deinen Eltern, egal, aber TU WAS.“

Insgeheim wusste Fenna, dass Beeke nichts tun würde. Sie liebte diesen Schläger tatsächlich. Wenn man das Liebe nennen konnte.

Während Beeke Tee kochte, wechselten beide das Thema und schwatzen und lachten ganz wie in alten Zeiten.


Es folgten zwei unbeschwerte, wunderschöne Wochen im August, in denen Weert seine volle Aufmerksamkeit auf Beeke und den ungeborenen Tamme richtete. Fröhlich pfeifend kochte er, half ihr sogar beim Putzen am Wochenende, brachte ihr rote Rosen und hielt immer zwischendurch ihre Hände an seinen Mund. Zärtlich berührte er sie mit seinen Lippen und flüsterte liebevolle Worte. Ja, das Kind hatte wohl alles geändert. Ein warmes, sicheres Gefühl durchflutete Beeke.


Im September hatte Weert Urlaub, und beide hatten sich für zwei Wochen Norderney entschieden. Norderney war zwar teuer, aber so schlecht verdiente Weert bei Optiker Heyen nicht, und auf Norderney war immer was los. Beeke hätte gerne auch gearbeitet, aber das hatte ihr Weert streng verboten. „Eine Frau arbeitet im Haus, für ihre Kinder und ihre Familie“, sagte er immer. Und jetzt, wo sie bald Mutter werden würde, da hatte er sogar recht.


Die Fahrt mit dem Auto war angenehm, ein Dauerparkplatz schnell gefunden und die Überfahrt auf der Fähre war kurz und schön. Beeke stand oben und schaute auf das weite Meer. Alle Sorgen fielen von ihr ab. Ihr Baby bewegte sich inzwischen, es hatte die Tritte überlebt, der routinemäßige Ultraschall war ohne Befund und alles wendete sich zum Guten.


Die Ferienwohnung befand sich unterm Dach, aber so dick und unbeholfen war Beeke noch nicht, dass sie Schwierigkeiten beim Treppe steigen gehabt hätte. Weert half ihr, wo er konnte.


Die beiden Wochen vergingen wie im Flug. Die meiste Zeit hatte Beeke am Strand verbracht. Abends waren beide zusammen durch den Ort und über die Insel gezogen, hatten das herrliche Wetter genossen und waren sich so nah wie lange nicht gekommen. Es war alles anders geworden, endlich, endlich.


Dann war es soweit. Samstag gegen Mittag ging es mit der Fähre heim. Inzwischen rundete sich Beekes Bauch immer mehr und manches fiel ihr schwerer. Trotzdem war sie guter Dinge. „Guter Hoffnung“, dachte sie und kicherte in sich hinein.


Zu Hause angekommen packten beide ihre Koffer aus. „Beeke, wo ist mein Troyer?“ Der Pulli war Weerts Lieblingspulli und er trug ihn in seiner Freizeit, wann immer das Wetter es zuließ.

In deinem Koffer?“, fragte Beeke.


Da ist er nicht. Und bei dir?“


Nein, ich hab hier nur meine Sachen. Vielleicht haben wir ihn im Hotel liegen lassen. Wir rufen da mal an, und wenn er dort ist, dann lassen wir ihn uns zuschicken.“


Was glaubst du, was das kostet? Konntest du nicht besser aufpassen? Packen ist Frauen-Sache. Muss immer alles der Mann machen? Kannst du gar nichts mehr in deinem Zustand?“


Noch ehe Beeke ausweichen konnte, traf sie die flache Hand ins Gesicht. „Muss ja jetzt vorsichtig sein. Wegen dem Kind. Ich frage mich allerdings, ob das Balg von mir ist.“ Er stierte sie misstrauisch an, schlug noch einmal mit der Linken zu und drehte ihr dann ihren linken Arm um. Beeke schrie wild auf. „HILFE“ entrutschte es ihr sogar, aber das war falsch, das wusste sie sofort, als Weert ihr mit ganzer Kraft in den Unterleib trat. „Entweder der Balg überlebt, wenn er mein Kaliber ist, oder das Weichei zerplatz“, rief er höhnisch. Beeke krümmte sich vor Schmerzen auf dem Boden und hielt schützend ihre Hände vor das Baby, aber Weert hatte alle Wut verloren, nahm seine Kappe von der Garderobe und verließ das Haus.


*


Fenna war bei dem Hilfe-Schrei ihrer Freundin in den Garten gelaufen. Sie sah gerade noch, wie Weert in sein Auto stieg und wegfuhr. „Wird wohl keine Hilfe holen“, dachte Fenna und rannte zu Beeke ins Haus. Fenna war promovierte Ärztin, machte aber gerade zwei Jahre Baby-Pause, obwohl Tobi ganz oft bei Oma war. Tobi liebte Omi ganz besonders, denn sie ging mit ihm immer in den Zoo, oder in den Wald, ins Spiele-Haus oder sie fuhr mit ihm sogar mit dem Auto an die Ostsee. In Travemünde konnte er im Sand wühlen und im Wasser rumrennen, bis er todmüde war.


Fenna war froh, dass Tobi heute auch bei Oma war. Vorsichtig kniete sich Fenna vor Beeke hin und wusste sofort, dass sie einen Krankenwagen rufen musste. Ohne zu fragen wählte sie die 112 und wenige Minuten später fuhren beide im Krankenwagen ins DRK-Klinikum. Dort arbeitete Fennas Mann in der Notaufnahme. Sie erzählte ihm das Nötigste und setzte sich dann im Flur auf eine Bank und wartete.


Fenna hatte vor Jahren Beeke im OP kennen gelernt. Sie war damals eine prima OP-Schwester, aber als sie dann heiratete, durfte sie den Beruf nicht weiter ausüben. Ihr Mann hatte es ihr verboten. Der Zufall wollte es dann, dass Ubbo, Fennas Mann, eine Villa im Internet gefunden hatte. Nachdem sie umgezogen waren, entdeckte Fenna, dass Beeke mit ihrem Mann in einem Reihenhaus gleich neben ihrer kleinen Villa wohnte. Ubbo war ziemlich entsetzt, als er von dem jähzornigen Ehemann erfuhr. Laute Schreie und blaue Flecke erzählten der Arztfamilie mehr als Worte. „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“, sagte er mal, aber Fenna reagierte wütend.

Sie hatte dann allmählich angefangen, mit Beeke zu reden, aber die blockte alles ab.


Nach langen 70 Minuten kam Ubbo aus dem OP und schüttelte mit dem Kopf. „Das Baby war nicht zu retten. Beeke wird auch nie wieder schwanger werden. Das ist bei dem Mann sicher gut so.“ Dann drehte er sich nachdenklich um und ging.


Langsam erhob sich Fenna und rief die Nummer des Frauenhauses an. Dort schilderte sie die Situation und fragte, ob gerade was frei sei. „In drei Tagen wird eine kleine Wohnung wieder frei“, war die Auskunft. Sobald Beeke genesen war, würde Fenna sie dort hin fahren. Vielleicht konnte Beeke jetzt endlich überzeugt werden.


Eine knappe Woche später war es soweit. Beeke wurde entlassen. Fenna hatte von ihrem Mann erfahren, dass Weert seine Beeke jeden Tag besuchen wollte, aber er wurde nicht vorgelassen. Die Polizei war inzwischen informiert, und alles hing nun von Beeke ab, wie es sich entwickeln würde.


Fenna lief überglücklich auf Beeke zu und schlang ihre Arme um sie. Neben ihr stand Ubbo. „Macht euch einen schönen Tag, zur Eingewöhnung, ihr Lieben“, schmunzelte Ubbo und ging dann wieder auf Station.


Bei einer Latte Macchiato sprudelte Beeke ihren Kummer erstmalig heraus. Fenna erzählte dann zögerlich vom Frauenhaus. Beeke war sofort einverstanden. Der Verlust ihres Babys und die Enttäuschung, dass Weert sich keinen Deut ändern würde, hatten sie endlich soweit gebracht, dass sie auch bei der Polizei aussagen wollte.

Fenna brachte Beeke ins Frauenhaus und verabschiedete sich dann bis zum folgenden Tag.


Frau Groen aus dem Frauenhaus informierte Beeke über alles Wichtige. Sie erklärte ihr, dass Beeke während ihres Aufenthaltes bei rechtlichen, finanziellen und psycho-sozialen Problemen Hilfe erwarten könne. Sie machte Beeke auch glaubhaft klar, dass sie hier vollkommen sicher sein würde und neuen Lebensmut schöpfen könne. Dann war Beeke alleine.


Noch während sie auf dem Bett saß, klingelte ihr Handy. Es war Weert. Er flüsterte von Liebe, entschuldigte sich tausendmal, bat um Verzeihung, ein letztes Mal, es solle NIE wieder vorkommen. Er wolle sich auch beraten lassen. Er wolle sie am Abend unbedingt treffen.


Zunächst war Beeke verzweifelt und unsicher, aber dann stieg in ihr eine ihr unbekannte Wut hoch und ließ sie ganz lieb und ruhig sagen: „OK, Weert, heute Abend gegen 23 Uhr am Tor. Ich schließe dir auf, aber es darf niemand wissen. Versprich mir, NIEMAND, sonst wirst du sofort von der Polizei abgeholt. Und komm zu Fuß, ein Auto würde nachts augenblicklich auffallen.“ Er versprach alles hocherfreut.


Gegen 23 Uhr schlich Beeke ganz vorsichtig, und von der Dunkelheit eingehüllt, zum Tor. Sie sah ihn sofort. Leise winkte sie ihn zu sich. „Lass uns in den Garten gehen, da steht eine Bank, und dort sieht uns keiner.“ Weert nickte stumm und beide schlichen lautlos zu der Bank im Garten.


Eigentlich bestand keine Gefahr, dass jemand sie sah, denn nur die hinteren Wohnungen zur Straße hin waren belegt, und das Personal hielt sich nachts nicht im Gebäude auf. Aber sicher war sicher. Weert setzte sich siegesgewiss auf die Bank und stammelte seine eingeübten Sätze vor sich hin. Beeke wusste genau, dass er nur die Anzeige abwimmeln wollte. Deshalb hatte sie auch die Riesen-Pfeffermühle aus der Küche vor einer Stunde hinter der Bank versteckt. Während sie hinter ihm stand und ihm liebevoll Abschied nehmend mit der linken Hand durch seine Haare fuhr, nahm sie mit ihrer rechten Hand die Pfeffermühle und schlug sie ihm voller Wucht und Hass auf seinen ungeschützten Schädel. Sie schlug und schlug und schlug, bis sie sich erbrach. „Ob Weert sich wohl genauso gefühlt hatte, wenn er sie schlug?“, fragte sie sich. Sie konnte kaum aufhören vor Wut und seelischen Verletzungen. Dann schaute sie auf ihren blutüberströmten Mann, dessen Gesicht nicht mehr als solches zu erkennen war. „Selbst Schuld“, murmelte sie leise.


Dann wurde es aber Zeit für den Spaten. Der stand gleich neben dem kleinen Gerätehaus hinter der Bank. In Sichtweite der Bank konnte sie ein kleines Blumenbeet entdecken, wie gemacht für ein Grab. Da war die Erde auch sicher schon vorgelockert. Und richtig, es war relativ leicht, eine Grube auszuschaufeln. Fast ein Drittel hatte sie schon geschafft, da stieß sie plötzlich auf etwas Hartes. Es knackte ganz ekelhaft. Eine Taschenlampe hatte sie nicht dabei, aber ihr Handy. Damit leuchtete sie in das Loch. Fast hätte sie laut aufgeschrieben, denn sie hatte eine Hand abgehackt. Da lag schon einer. Sie war nicht die Einzige mit solch einer Idee gewesen. „Gut zu wissen“, dachte sie, „das beruhigt.“


Voller Ekel nahm sie die Hand aus der Erde. Es war eine leicht verweste Männerhand mit Ehering. Widerwillig zog sie den Ehering vom Finger und las: „Eske 19.05.1979“.


Behutsam steckte sie ihrem Weert den Ring an den Finger. Etwas zu groß, aber egal. Vielleicht würde man ihn dann gar nicht identifizieren können. Sie hoffte insgeheim, er würde für Jahre verschollen bleiben.


Tja, aber dieses Grab war leider schon belegt. Also alle Erde wieder drauf, Hand nicht vergessen und Blümchen wieder schön festtreten. Schredder aus dem Sack im Gerätehaus drüber und fertig. Als wäre nie etwas gewesen. Aber wohin jetzt mit Weert? Dass er auch immer eine Extrawurst wollte.


Im Dunkeln gestaltete es sich extrem schwer, eine geeignete Grabstelle für den ermordeten Ehemann zu finden. Sie wanderte den Garten ab. Der Platz zwischen der Hecke am Grundstücksende und den Büschen davor gefiel ihr. Fast drei Stunden brauchte sie, um das Grab zu schaufeln. Dann ging sie zu Weert und prüfte, ob er auch wirklich tot war. „Das wär’s noch, wenn er wie im Horrorfilm plötzlich hinter mir stünde und auf mich einprügelte“, feixte sie. Danach wühlte sie in Weerts Taschen, bis sie sein Handy fand. Es war schon fast halb vier. Was schreibt man da? Sie verfasste eine SMS an sich selbst.


Liebste Beeke, verzeih mir. Ich werde mich ändern, ich verspreche es. Ich werde mich gleich morgen in Behandlung begeben. Wenn ich gesund bin, melde ich mich wieder.

In Liebe.

Dein trauriger Weert


Genau das würde ihr helfen, glaubhaft sagen zu können, sie habe auf kein Lebenszeichen gewartet oder gehofft, und auch außer der SMS auch keines erhalten.


Mit ganzer Kraft zog sie ihren Mann zur Hecke und buddelte ihn dann ein. Sein Handy wollte sie später irgendwo entsorgen. Es hätte wenig Sinn gemacht, wenn später einmal der Ring an Weerts Hand gefunden würde und eine andere Identität vortäuschen sollte, das Handy in seiner Tasche aber nachweislich ihrem Mann gehörte.


Erste Lichtstrahlen machten sich bemerkbar, als sie fertig war. So konnte sie noch einmal alles abschreiten, kleine Spuren beseitigen, Schredder auf das Grab verteilen und die Pfeffermühle mitnehmen. Die war leider zu Bruch gegangen. Da würde sie gleich eine neue kaufen und in die Küche bringen. Hoffentlich aß morgens nicht irgendwer aus dem Frauenhaus schon Eier mit Pfeffer.


*


Fenna konnte in der Nacht nicht schlafen. Was Beeke jetzt wohl machte? Sie grübelte und grübelte, bis sie endlich aufstand. Ubbo öffnete die Augen. „Ist was? Mit Tobi?“


„Nein, ich kann nicht schlafen. Ich glaube, ich gehe ein paar Schritte im Garten. Falls Tobi aufwacht, hörst du das ja. Aber nach dem Tag bei Oma schläft der sowieso durch.“


Dann zog sie sich an, nahm ihre Taschenlampe und ging zum Frauenhaus. Es war kurz nach drei, als sie dort ankam. Alles dunkel. Beruhigt wollte sie gerade wieder gehen, als sie schlurfende Geräusche hörte. Sie kamen aus dem Garten des Frauenhauses. Fenna kniete sich nieder und horchte aufmerksam. Ihre Taschenlampe mochte sie nicht benutzen, aber sie wollte hören, was da war. Sie konnte sich nämlich gut vorstellen, dass Weert so lange gequatscht und gesäuselt hatte, bis er Beeke besuchen durfte.


Eine ganze Weile wartete Fenna an der Hecke, dann hörte sie ein leises Schippen, so, als wenn jemand Erde auf etwas wirft. Fenna wartete geduldig weiter, obwohl ihr alle Gliedmaßen weh taten von der gebückten Haltung. Allmählich wurde es heller und Fenna sah durch eine lichte Stelle in der Hecke Beeke umherwandern. Sie beäugte eine kaputte schwarze Pfeffermühle von enormer Größe, holte etwas aus dem kleinen Häuschen, das Fenna schemenhaft erkannte und kam dann fast direkt zu ihr an die Hecke. Dort streute sie etwas auf den Boden und kicherte irre in sich hinein. „Ruhe sanft, du Monster“, zischte sie zwischen ihren Zähnen hervor. Dann ging sie durch den Garten, offensichtlich ins Haus.

Fenna traute ihren Augen nicht, aber insgeheim bewunderte sie ihre Freundin, endlich mal gehandelt zu haben. Hatte sie selbst ihr nicht dazu geraten, endlich etwas zu tun?

Wie auf Knopfdruck vergaß Fenna alles, was sie gesehen hatte und ging beschwingt nach Hause zu ihrem Ubbo.


*


Drei Jahre später hatte Beeke ihren Kummer fast vergessen. Die Polizei hatte die SMS bei Beeke gelesen, hatte Weert gesucht, aber nicht gefunden. Eine Weile hatte man geforscht und gesucht, aber leider erfolglos. Bald schon ging alles wieder seinen gewohnten Gang, bis ...., ja bis Fenna eines abends früher als erwartet nach Hause kam. Sie arbeitete inzwischen seit fast zwei Jahren wieder, weil Tobi in einer Kita war, und ihr tat die Arbeit gut. So sah sie ihren Mann auch tagsüber häufig in der Klinik. Alles war prima.


An diesem Tag ging Fenna über den Garten ins Haus. Die Gartentür war im Sommer meistens offen. Fenna hatte starke Kopfschmerzen und wollte nur ins Bett, aber das Ehebett war besetzt. Beeke und Ubbo wälzten sich vergnüglich juchzend und völlig unbekleidet darin herum.


Fenna sah nur kurz in die entsetzten Augen ihrer besten Freundin und in die ihres Ehemannes. Dann fuhr sie hämisch grinsend zur Klinik, betrat ihr Büro, fuhr den PC hoch und schrieb einen Brief an die Polizei, anonym natürlich. Sie schrieb alles auf, was sie in jener Nacht gesehen und gehört hatte, fügte noch ein paar von ihr erfundene, gemurmelte Sätze wie „Das geschieht dir recht, du Schwein“ dazu und brachte den Brief zur Post.

„Wie geil ist das wohl, wenn man erfährt, dass man mit einer Mörderin Sex hatte?“, dachte sie und lachte verzweifelt in sich hinein.

Meine Miesen Morde

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