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2. Die Biokiste

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Es war erst kurz nach sieben, als das Telefon Tomma aus ihren Träumen riss.

Hallo, hier ist Imme, die Biokiste“, tönte es quietschfidel aus dem Hörer. Tomma riss vor Schreck die Augen auf und war mit einem Male hellwach. Wer war wohl Imme? Und was für eine Biokiste?

Die Saison startet nächste Woche. Du hast ja schon im März bestellt, aber jetzt fängt die Saison erst an.“

Und was genau habe ich bestellt?“, erkundigte sich Tomma verwundert.

Eine mittlere Kiste für 15€, kommt immer freitags. Wolltest du, weil dein Mann zur See fährt und meistens am Wochenende zu Hause ist.“

Das alles hatte sie gesagt? Tomma zweifelte manchmal an ihrem Verstand, wenn fremde Leute ihr Sachen erzählten, die sie gesagt oder gemacht haben sollte, und an die sie sich so gar nicht mehr erinnern konnte. Manchmal waren die Dinge auch grottenpeinlich. Aber sie wusste, dass sie stimmten, und ihr Mann fuhr tatsächlich zur See, auf der Ostsee auf einem Kreuzfahrtschiff.

Hallo? Bist du noch da?“

Warum diese Imme sie wohl duzte? Egal, sie musste antworten, und wie es ihr schien, jetzt sofort.

Na klar, Imme, es bleibt natürlich dabei.“

Suppi, dachte ich’s doch. Es gibt jetzt erst mal Salat, Kohlrabi, Löwenzahn, Mangold und Zuckerschoten. Deine Kontodaten haben wir ja. Wir ziehen dann ein Mal im Monat 60€ ab. Im ersten Monat sind es 70€, weil wir 10€ Pfand für die Kiste nehmen. Die kriegst du wieder, wenn du mal nicht mehr bestellen willst. Alles klar? Ich freu mich.“

Und dann hatte Imme aufgelegt.

Tomma wurde ein bisschen schummerig, als sie an ihr Konto dachte. Neben dem Handy-Vertrag zahlte sie noch den neuen Laptop ab und die Spiegelreflex-Kamera. Dann hatte sie für zwei Jahre ein Fitness-Studio gebucht, war so günstiger. Ach, und das Fisheye für die Kamera. Alles nur kleine Beträge, aber jetzt noch 60€ Gemüse, oh je. Wenn nur Onno nicht böse würde. Er hasste ihre verschwenderische Art, aber es gab immer so schöne Sachen, und Onno verdiente als Restaurantleiter auf dem Schiff nicht so schlecht. Außerdem verdiente sie als Physio-Therapeutin noch dazu, aber trotzdem.

Sie dachte verträumt an Onno, wie er damals gezittert hatte, ob er die Stelle auf der „Dream-Cruise Baltic“ bekommen würde. Dort suchten sie eine flexible Fachkraft mit Führungsqualitäten für den gesamten Servicebereich, also Steuerung und Koordination der Abläufe im Restaurant. Da er Berufserfahrung in gehobener Gastronomie nachweisen konnte und perfekt Englisch sprach, bekam er den Zuschlag. Damals hatten sie zwei Tage durchgefeiert. Onno kochte wunderbar, und auch sonst waren es zwei hoch erotische Nächte gewesen.

Ob Onno wohl Mangold mochte? War Löwenzahn nicht ein Unkraut? Tomma biss sich verzweifelt auf die Lippen. Was hatte sie wieder angerichtet. Und Freitag kam Onno nach Hause, da konnte sie nicht einmal mehr üben mit der Biokiste von Imme.

***

WAS hast du bestellt?“

Eine Biokiste. Mit frischem Gemüse.“

Und das hier auf dem Teller IST das Gemüse? Sieht aus wie Unkraut, und, tut mir leid, schmeckt auch so.“

Aber ...“

Kannst du nicht wie alle Frauen ganz normal kochen? Mit ganz normalen Zutaten? Möhren, Erbsen, ...“

Ja, aber die Biokiste ...“

Lidl und Aldi sind gleich um die Ecke, Edeka nur wenige Straßen entfernt und du lässt dir Unkraut aus der Nähe von Hamburg rankarren.“

Die machen so Touren, und Hamburg ist auch nur 70km weg.“

Bei uns sind es 70 Meter bis zum Laden, und Gemüse kauft man nicht kistenweise, sondern immer frisch in kleinen Mengen. Geht das in dein Spatzenhirn rein? ICH bin hier der Fachmann für Speisen, DU kannst nur Geld ausgeben.“

Schmeckt die Löwenzahn Lasagne denn gar nicht?“

Was hast du bloß mit dem Hack gemacht? Es schmeckt wie kleine Papp-Kügelchen.“

Hack? Ach, du meinst das Soja.“

Soja? Ich esse also Unkraut mit Tierfutter. Für den Soja-Anbau werden tropische Regenwälder am Amazonas gerodet, und du kochst damit diesen Fraß. Ich glaub es nicht. Wenn es wenigstens schmecken würde.

Wo ist eigentlich der Kamillentee?“

Welcher Kamillentee?“, fragte Tomma entsetzt. „Du mochtest doch noch nie Kamillentee.“

Eben. Deswegen fehlt er hier. Dann hättest du das perfekte Grusel-Essen für mich zusammengestellt.

Komm, Schatz, nicht traurig sein, war nicht so gemeint. Wir gehen jetzt in die Stadt und essen lecker Pommes mit Currywurst.“

Tomma lächelte verzweifelt und wischte sich heimlich zwei kleine Tränen aus den Augen.

Die Stadt war voll, denn die Sonne schien und es war Freitag. An der Pommes Bude in der Fußgängerzone waren ein paar Stehtische aufgebaut, und die beiden hatten Glück, denn einer wurde gerade frei.

Die Currywurst war echt der Hammer hier an dieser Bude, und Onno haute richtig rein.

„Gibt’s zu Hause nix mehr zu essen?“, kam eine Stimme vom Nachbartisch. Es war Fokko, und er grinste über sein ganzes Gesicht.

„Tomma hat heute mal Unkraut mit Soja gekocht. Gesund vielleicht, aber satt werd’ ich da nicht von, vom Geschmack ganz zu schweigen“, lachte Onno.

Tomma spürte, wie leichter Ärger in ihr hoch kroch. Musste er sie überall lächerlich machen?

„Hey, Mädel, schau nicht so, die wenigsten Frauen können heute noch kochen. Tja, und wer einen Mann aus einem gastronomischen Servicebereich heiratet, der hat dann was zu leiden“, grinste Fokko.

*

Am Sonntag Abend war Tomma zum ersten Mal froh, dass Onno nach Kiel zu seinem Schiff fuhr. Sie wollte in der kommenden Woche tüchtig üben, wie sie ein wirklich schmackhaftes Essen aus der Kiste zaubern konnte.

Bevor die neue Biokiste unterwegs war, musste Tomma noch die alten Gemüsereste entsorgen. Bisschen welk sah alles aus. Schlapp und müde lag der Salat neben den Zuckerschoten. Nur der Kohlrabi wirkte einigermaßen frisch und glatt, aber sie nahm alles unter den Arm und wanderte zu Helge, der nebenan wohnte und dessen Kinder zwei Kaninchen hatten. Denen tat sicher mal was Grünes gut.

Als Helge die Türe öffnete, sah er bestürzt auf Tomma und auf das schlaffe Bündel Grünzeug. „Was hast du denn da unterm Arm, Tomma?“ fragte er skeptisch.

„Wir haben die Biokiste nicht ganz geschafft, und da dachte ich, eure Kaninchen mögen das noch.“ Sie blickte unsicher in Helges lachendes Gesicht. „Komm rein, Tomma, wusste gar nicht, dass dein Mann auf Bio steht.“

*

Pünktlich am Freitag war die nächste Kiste da, diesmal mit neuen Spargel, Kartoffeln, Lauch, Eiern und Bärlauch. Das schien ihr relativ normales Gemüse zu sein. Und Eier brauchte man immer. Onno würde sich wundern, was sie kochen konnte.

Im Internet suchte sie nach Rezepten und fand Spargel mit neuen Kartoffeln und Bärlauch-Rührei schön. Dann las sie noch, dass einst ein Koch seiner Prinzessin die Speise mit der sternförmigen Blüte der Hexenknolle würzte, und sie damit auf den sinnlichen Liebespfad lockte. Damit war Bärlauch gemeint. Vielleicht gelang es ihr mit Bärlauch auch mal wieder, Onno zu verführen.

An diesem Freitag Abend erstrahlte der festlich gedeckte Tisch unter Kerzen, vereinzelten Rosenblüten und kostbarem Rotwein. Onno staunte nicht schlecht, nahm Tomma in den Arm und gab ihr einen zärtlichen Kuss. „Großartig, könnte von mir sein. Spargel, toll. Ich hatte schon Befürchtungen, ich müsste wieder Currywurst essen gehen.“

Tomma sagte jetzt nichts, um die Stimmung nicht zu verderben.

Nach zwei Gläsern Rotwein stand er auf, hob sie vom Stuhl und trug sie ins Schlafzimmer. „So liebe ich das“, murmelte er noch, ehe er sein Hemd öffnete und Tomma langsam auszog. „Mit Bio wär das nicht passiert“, stöhnte er leise, ehe er seine Pflichten routiniert erledigte.

Dabei dachte er an Fraya, die Stewardess an Bord. Seine Hände wurden eine Spur erregter, als Tomma sich in Fraya verwandelte und er sich ganz hingeben konnte.

Sonntag Abend war Tomma etwas traurig, weil Onno fuhr. Es war so wunderbar gewesen. Das hatte alles der Bärlauch gemacht, frohlockte sie. Allerdings war ihr gleich danach etwas übel geworden. Die Übelkeit kam immer wieder und störte sie doch sehr.

Am Dienstag endlich war es so schlimm, dass sie zum Arzt ging. „Herzlichen Glückwunsch“, strahlte Dr. de Buhr, „Sie sind in der 14. Woche schwanger. Haben Sie denn gar nichts bemerkt?“

Tomma war in solchen Sachen recht nachlässig. Die Zeit zwischen den Wochenenden ging auch so schnell rum, und da hatte sie an so etwas gar nicht gedacht. War das nun eine gute Nachricht? Ob Onno sich wohl freuen konnte? Und überhaupt, dann musste sie auch noch Geld für Kindersachen abzweigen. Auf jeden Fall wollte sie Onno zunächst nichts von dem Kind erzählen.

„Hallo, Frau Janßen, noch anwesend?“ fragte der Arzt.

*

Auf dem Schiff galt Onnos erster Blick Fraya. Sie sah umwerfend aus in ihrem kurzen Rock, den Highheels und der engen Bluse mit dem weiten Ausschnitt. Darunter verbargen sich ihre Brüste, die er nur zu gut kannte und die er immer von links nach rechts zu kleinen braunen Türmchen auflutschte, ehe er sie ganz eroberte. Fraya liebte das. Tomma eher nicht. Schade, dass Fraya gleich die Uniform tragen musste. Aber auch darin sah sie beneidenswert verführerisch aus. Tomma war eben Hausfrau, und Fraya eine sinnliche Verführung. „Wie ein Dinkel-Keks neben einer Praline“, kicherte Onno bei dem Vergleich.

Hätte er einen Wunsch frei, er würde Tomma wegzaubern. Aber das gab es nur in Märchen. Also musste er selbst Hand anlegen. Da kam ihm die Idee mit der Biokiste sehr gelegen.

Er griff zu seinem Handy und simste Tomma, dass ihn der Bärlauch so erregt hätte, und ob sie wohl in der Gegend etwas Bärlauch pflücken könne. Da wuchs überall was, das wusste er wohl.

Bevor er Freitag nach Hause kam, hatte er ein Maiglöckchen-Blatt besorgt. Nachdem er das tolle Essen von Tomma bestaunt hatte und die Schälchen neben den Tellern mit dem Bärlauch-Salat und der Rauke sah, bat er noch um etwas Cayenne Pfeffer. Er nutzte Tommas Abwesenheit, um ihr klein geschnittenes Maiglöckchen-Grün in den Salat zu mischen.

Nach dem Essen schlug er zunächst einen Verdauungs-Spaziergang vor. Noch bevor sie wieder zu Hause ankamen, wurde Tomma übel. Onno stützte sie liebevoll und schleppte sie die letzten Meter ins Haus. Dort übergab sich Tomma mehrfach. Später setzte furchtbarer Durchfall ein und ihr Herz raste wie wild.

Mit gespielter Sorge in der Stimme rief Onno den Krankenwagen und begleitete seine Frau bekümmert ins Krankenhaus. Dort wartete er, wie es sich gehörte, im Vorzimmer auf das Ergebnis.

Es dauerte fast zwei Stunden, und Onno hatte gute Lust, einfach zu verschwinden, aber der Anstand gebot es, durchzuhalten.

Dann endlich kam der Arzt und berichtete ihm, dass das Kind leider nicht mehr gerettet werden konnte, aber Tomma sei in Ordnung.

Mit vorgespielter Verzweiflung warf Onno seine Hände vor sein Gesicht. Dabei dachte er, dass ein Kind ihm gerade noch gefehlt hätte. So ein schreiendes Blag, das immer nur futtern wollte oder nach Scheiße stank. Warum Tomma wohl nichts gesagt hatte? Na, schade wär’ auch nicht gewesen, wenn Tomma gleich mit ihrem Blag ins Jenseits abgedriftet wäre.

Der Arzt riss ihn aus seinen Träumen. „Sie können jetzt zu Ihrer Frau.“

Noch bevor Onno das Zimmer betrat, dachte er an die Herbstzeitlose, die sah wie die Maiglöckchen dem Bärlauch zum Verwechseln ähnlich. Fünf Blatt waren schon tödlich, und es gab kein Gegengift. Schöne Aussichten für diesen Sommer.

Meine Miesen Morde

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