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2. Schwierige Situationen, Gefühle und Herausforderungen

Schwierige Situationen gibt es nach der Diagnose Krebs viele: den Schock verkraften, Arzttermine wahrnehmen, Termine koordinieren, die passende Therapie finden, Entscheidungen treffen, Familie, Partner, Kinder versorgen, Freundschaften pflegen, sich die Krankengeschichten und Tipps anderer anhören sowie festgelegte Nachsorgetermine einhalten.

Noch unter dem psychischen Schock stehend, ist die Terminmühle bereits in vollem Gange: Untersuchungen absolvieren, Operationen bewältigen, Schmerzen aushalten und lindern, Arztgespräche über Diagnosen, Befunde, schulmedizinische und alternative Behandlungsmethoden sowie deren mögliche Nebenwirkungen führen. Alle Termine und Gespräche sind von Unsicherheiten und Ängsten begleitet, sie kosten Kraft und Energie. Schon die Koordination der Vielzahl von Terminen erfordert ein eigenes Zeitmanagement, damit diese vereinbar bleiben mit Ihrem Familien- und/oder Berufsalltag. Die passende und wirksame Therapie auszuwählen, gleicht der Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen. Groß ist die Informationsflut von allen Seiten, die zu filtern und einzusortieren sind. Mehr zu wissen heißt nicht unbedingt, weniger Angst zu haben oder schneller zu einer Entscheidung zu kommen. Die Materie „Krebs“ ist komplex, die Sprache zunächst fremd und unverständlich. Auch die zu erwartenden Nebenwirkungen der Therapien flößen Angst ein: Narben, Strahlenschäden, Haarausfall, Gewichtszunahme, um nur einige zu nennen. Die Komplexität und einhergehende Zukunftsängste können die Kommunikation mit Ärztinnen und Ärzten sowie mit Angehörigen und Freunden erschweren. Ratschläge, wie „das wird schon wieder“ oder „sei froh, dass du gesunde Kinder hast“ belasten zusätzlich anstatt zu trösten.

Sie müssen mitunter schnelle Entscheidungen treffen. Wenn Sie zum Beispiel vor der Frage stehen ob Sie eine Brust wieder aufbauen lassen wollen und dafür eine Muskel- und Hauttransplantation in Kauf nehmen. Oder ob Sie einer riskanten Operation Ihre Einwilligung geben oder sich mit den Folgeschäden einer Strahlentherapie schriftlich einverstanden erklären sollen. Die Dimensionen dieser Entscheidungen können Ihnen zu schaffen machen und sie haben Folgen für Ihr künftiges Leben. Tage oder Wochen nach der Operation setzt die Gedankenspirale über die Frage „was wäre, wenn ich wieder krank werde“ ein. Diese Frage taucht auch regelmäßig vor Nachsorgeterminen auf. Sie sind strapaziös, weil sie Erinnerungen an eine Zeit wach rufen, die mit Schrecken verbunden ist und die Sie vielleicht gerade erst mühsam bewältigt haben.

Diese Situationen zu meistern, alles im Blick zu behalten, das Heute und Ihre Zukunft, sich selbst und Ihr Umfeld, wird Ihnen bereits kurz nach der Diagnose abverlangt. Aufmerksam zuhören, klar bleiben und wichtige Entscheidungen bewusst treffen, ist für gesunde Menschen schon eine Herausforderung. In Ihrer aktuellen Situation kann es eine Überforderung sein.

Das Gefühlsleben während einer Krebserkrankung gleicht einer Achterbahnfahrt, vorerst ohne die Möglichkeit auszusteigen. Die Diagnose ist gestellt und hat das Leben in ein „davor“ und ein „danach“ geteilt. Im „danach“ gibt es keine Haltestelle und keinen Rückwärtsgang. Das Leben steht nun unter dem Vorzeichen vieler Ängste: vor dem Tod, vor dem Sterben, vor Schmerzen, vor einem langen Siechtum, vor körperlicher Verstümmelung, vor einem Rückfall, vor Metastasen, vor Einsamkeit, vor dem Verlassen werden, und so weiter. Das Gehirn entpuppt sich als regelrechte Angst-Erfindungsmaschine und füttert die Angstliste immer wieder neu. Der Nährboden für die Ängste ist die eigene Ohnmacht gegenüber dem Krebs im eigenen Körper. Zu erleben, wie wenig Sie selbst noch steuern können, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren und sogar den eigenen Gefühlen ausgeliefert zu sein – all dies überfordert. Schuldfragen, Panik, Verzweiflung und Verunsicherung machen sich breit. Der Lebensweg, das Berufsleben, Familienkonstellationen, Lebensentwürfe und Entscheidungen, die bisher als richtig galten, werden in Frage gestellt.

Begleitet werden die Ängste von Wut: auf den Krebs, auf sich selbst und auf das Schicksal. Die Wut treibt Betroffene um, erzeugt innere Unruhe, staut sich an und führt immer wieder zu der Frage „Warum ich?“, „Was habe ich falsch gemacht?“, „Was hätte ich anders machen können?“ und sogar „Für was werde ich bestraft?“. Der Umgang mit der Wut, sie zu spüren oder gar heraus zu lassen, ist für betroffene Frauen schwierig. Wütend und aggressiv sein, ist für Frauen nach wie vor ungewohnt und wenig vertraut. Wege, mit der Wut umzugehen und mit ihr zu leben, müssen erst erlernt werden.

Vertrauter ist Frauen dagegen das Gefühl der Traurigkeit. Deprimiert sein, innerlich leiden und weinen passen besser in das weibliche Rollenverhalten – auch heute noch. Frauen erlauben sich eher zu trauern als zu toben. Traurig sein können Frauen still und heimlich für sich alleine, niemand bekommt ihre Gefühle mit, wenn sie es nicht wollen. Frauen mit Krebs berichten von mehr Todes- als Lebensgedanken, von Selbstaufgabe, Dünnhäutigkeit und Einsamkeitsgefühlen bis hin zu dem Gefühl, nicht mehr vollwertig, gleich berechtigt und keine „richtige“ Frau mehr zu sein. Die Krebsdiagnose ist ein tiefer persönlicher Vertrauensverlust und mündet nicht selten in dem Vorwurf „ich habe ja wohl bisher alles falsch gemacht“. Die Wucht dieser Gefühle und Gedanken können Lähmung und Realitätsverlust hervorrufen. Depressive Verstimmungen, Trauerphasen, Rückzug und Depressionen sind häufige Folgen.

Wie lässt sich mit all diesen Angst-, Wut- und Trauergefühlen umgehen, die durch den Krebs ausgelöst werden? Sie zu verdrängen, wegzudrücken und sich in die Depression zurückzuziehen, hilft Ihnen auf Dauer nicht. Versuchen Sie, Ihre Gefühle im Leben „danach“ wahrzunehmen und wenigstens teilweise zu spüren. Krebs ist keine rein körperliche Angelegenheit und Erkrankung. Ihr Geist und Ihre Seele werden nach der Diagnose voll beansprucht und benötigen für eine Heilung die gleiche liebevolle Aufmerksamkeit wie Ihr Körper.

Zu schwierigen Situationen und Gefühlen gesellen sich noch einige Herausforderungen im familiären, privaten und beruflichen Alltag. Die Welt „draußen“ dreht sich weiter. Familienangehörige und Freunde wollen informiert, aufgeklärt und sogar beruhigt werden. Ihr Partner, Ihre Partnerin schlägt sich mit Verlustängsten herum, benötigt Aufmerksamkeit, möchte Sie unterstützen, Zeit mit Ihnen verbringen und diese Krise gemeinsam mit Ihnen überstehen. Am liebsten so schnell wie möglich. Kolleginnen und Kollegen wollen wissen, ob und wie es mit Ihnen weiter geht und wann sie wieder gesund an Ihren Arbeitsplatz zurückkehren.

Nicht selten gehen mit einer Krebserkrankung körperliche Veränderungen einher, die Sie akzeptieren und annehmen müssen. Dies betrifft Ihr Selbstbild ebenso wie Ihren Umgang mit den körperlichen und den persönlichen Veränderungen. Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und hohe Therapiekosten können zusätzlichen Existenzdruck und finanzielle Sorgen bereiten. Schmerzen und unangenehme Beeinträchtigungen durch die Behandlung des Tumors stehen möglicherweise bevor. Hinzu kommen Nebenwirkungen von Therapien und Medikamenten, die Sie beeinträchtigen.

Betroffene Frauen wollen jeden zusätzlichen Stress und jede weitere Anspannung vermeiden, da sie annehmen, der Stress habe zum Krebs beigetragen und sie müssten ab sofort alles richtig machen. Dies führt zu neuem Druck. Außerdem wollen sie die Krankheit Krebs nicht als Ausrede für eigene Befindlichkeiten benutzen und weiterhin belastbar und stark sein oder zumindest wirken.

Die Diagnose hat Sie aus Ihrer Umlaufbahn geworfen. Jetzt will das richtige Maß der Auseinandersetzung gefunden werden. Dies gelingt, wenn Sie sich auf Ihre Stärken besinnen und sich selbst treu bleiben. Finden Sie die zu Ihnen passenden Strategien, Ihren Körper, Ihre Seele und Ihren Geist ganzheitlich auf dem Weg der Heilung zu unterstützen. Unabhängig davon, wie dieser Weg für Sie aussehen mag, wohin er sie führt und wie lange er andauert. Es gibt nur einen Weg für Sie: Ihren persönlichen Weg der Heilung.

Schock


Die Handlungsfähigkeit betroffener Frauen ist durch den Schock der Diagnose anfangs oftmals eingeschränkt. Der Schock der Krebsdiagnose will zuerst verkraftet sein, ehe Sie mit Blick auf anstehende Operationen, Therapien und Entscheidungen handlungsfähig sind. Obwohl die Krebsraten steigen, rechnet niemand damit, mit dieser Diagnose konfrontiert zu werden. Es sind die mit der Krankheit verbundenen Annahmen, die traumatisierend wirken: „Krebs ist unheilbar“, „wer Krebs hat, stirbt“, „wer an Krebs erkrankt, ist selbst schuld“, „Krebs ist die Strafe für ein bestimmtes Verhalten“, „diejenige hat etwas falsch gemacht“. Auch wenn diese Sätze widerlegt sind und Krebs heute kein Todesurteil mehr ist, beschäftigen diese Botschaften die meisten Betroffenen. Sie können den Schock verkraften, wenn Sie sich bewusst machen, welche Vermutungen Sie über Krebs haben. Gleichen Sie Ihre Vorstellungen mit der heutigen Realität von Krebspatientinnen, mit dem medizinischen Fortschritt und den vielfältigen Therapiemöglichkeiten ab.

Berücksichtigen Sie Ihre individuelle Diagnose und Prognose. Statistiken helfen Ihnen nicht, Ihre Überlebensprognose einzuschätzen. Sie wissen nicht, auf welcher Seite der Tabelle Sie stehen. Gehören Sie zu den 80 Prozent, die Ihre Krebsart überleben oder zu den 20 Prozent, die daran sterben. Selbst wenn Sie zu den 20 Prozent gehören sollten, wissen Sie noch lange nicht, zu welchem Zeitpunkt. Irgendwann sterben wir alle. Dieses Wissen verdrängen wir nur zu gern. Durch den Krebs leben lernen, könnte auch zu Ihrer Devise werden. Denn genau darin liegt das Potenzial einer Krebserkrankung. Ob Sie dieses Potenzial als eine Chance, eine Erlaubnis oder eine Notwendigkeit für die Reflexion über Ihr Leben annehmen, entscheiden Sie. Der Krebs schenkt Ihnen die Möglichkeit dazu. Sie können das Geschenk annehmen und sich fragen: Geht mein Leben in die richtige Richtung? Lebe ich wirklich ein Leben nach meinen Wünschen und Zielen? Wie soll es ab jetzt weiter gehen? Was wünsche ich mir für den Rest meines Lebens? Die Diagnose Krebs ist ein Geschenk, weil wir meist erst an diesem Punkt in unserem Leben spüren, wie wenig wir uns bisher wirklich mit den existenziellen Fragen beschäftigt haben und wie wenig sich unsere Antworten auf diese Sinnfragen in unserem Alltag widerspiegeln. Die Oberflächlichkeit des Funktionierens, des Leistungsdrucks und des materiellen Besitzes hat in unserem Leben meist die Oberhand. Das wissen wir unbewusst. In diese Wunde trifft der Diagnoseschock. Er erinnert Sie an Ihre Lebensaufgabe, Ihren Lebenstraum und Ihre Lebenswahrheit.

Die Überprüfung dieser Fragen benötigt Zeit, die Sie kurz nach der Diagnose vielleicht nicht haben, und sie ist der Anfang eines längeren Prozesses. Die Anzahl der Termine zu Beginn einer Krebserkrankung ist meist hoch und erlaubt nichts anderes, als zu funktionieren, einen Termin nach dem anderen zu überstehen und Neuigkeiten und Informationen immer wieder zu sortieren. Dass Sie keine Zeit zum Nachdenken haben, kann auch gut für Sie sein. Ihre Lebensfragen können Sie später reflektieren.

Um jedoch den Schock zu verkraften, sollten Sie sich zumindest Zeit nehmen und sich mit Ihren Annahmen über Krebs auseinander setzen. Die meisten Frauen ereilt die Schuldfrage spätestens, wenn sie mit der gesamten Gefühlspalette von Angst, Wut und Traurigkeit konfrontiert sind. Beschäftigen Sie sich mit den eigenen Gedanken und Bildern über Krebs. Gewöhnen Sie sich an Ihr neues Selbstbild einer „Krebspatientin“ – auch wenn Ihnen das schwerfällt. So können Sie sich aus der durch den Schock entstandenen Lähmung wieder heraus bewegen. Besinnen Sie sich auf Ihre bisherigen Überlebens-Strategien. So werden Sie wieder handlungsfähig und können im Laufe der Zeit die Diagnose Krebs annehmen.

Die Diagnose zu akzeptieren, Ihre Situation anzunehmen wie Sie ist, kann Ihre Heilung frühzeitig unterstützen. Der Brief einer Krebspatientin an ihren Therapeuten bringt dies auf den Punkt:

„In der Zeit zwischen Diagnose und Operation war ich einige Male bei Ihnen und ich habe sehr, sehr lange Zeit davon gezehrt. Sie waren es, dem es gelang, dass ich meine Krankheit akzeptieren konnte. Ein ganz wichtiger erster Schritt zur Heilung, denn ich ging mit positiven Grundgedanken in die Klinik und war fest von meiner Heilung überzeugt. Ich war so stark, dass ich selbst meine Bettnachbarin noch mitziehen konnte. Ich hatte später noch oft Gelegenheit, mein Verhalten und meine Einstellung mit der anderer Frauen zu vergleichen und stellte fest, dass ich vielen weit voraus war. Während Andere noch mit der Frage ‚Warum gerade ich?’ haderten, habe ich mir zum einen diese Frage nie gestellt und zum anderen bereits an meiner auch seelischen Genesung gearbeitet. Den Startschuss hierfür und vor allem für meine positive Grundeinstellung zur Krankheit habe ich von Ihnen erhalten. Das war die Basis für alles, was danach kam. Ich bin glücklich (auch wenn ich jetzt, aufgrund der Rückschau, weinen muss). ... Ich sende Ihnen ganz herzliche Grüße verbunden mit einem großen Dankeschön für Ihre Arbeit an meiner Seele!“

Das Lebenslust-Prinzip

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