Читать книгу Die kleine Meerhure - Andrea Pierus - Страница 6

Оглавление

Die Nixe Brusatti

Brusatti ist 16! Ihre Mutter, eine von den frischen Huren der Lagune, betrachtet ihre Jüngste aufmerksam.

»Prächtig, wie gut sie im Futter steht!«

Und da sie darauf erpicht ist, ihre Tochter zu einer Ehrenwerten zu erziehen, kommt sie noch in der Nacht zu einem Entschluss. Am nächsten Morgen steht sie mit Brusatti vor der Türe der Dorfschneiderin, der alten Onda.

»Eine Flosse, eine glänzende Schwanzflosse, grünblau schillernd wie die Wellen des Meeres im Frühling, eine Nixenflosse – widerstandsfähig und gediegen, eine Flosse, die ihre Weiblichkeit bedeckt, braucht sie!«

Onda nickt bedächtig. In Anbedacht der herrlichen Kurven – sie versteht. Sie befühlt Brusattis fabelhafte Schenkel, ihre spitzen Knie. Brusatti wirbelt um ihre eigene Achse und Onda nimmt Maß, eine Maßnahme für künftiges Maßhalten, ein Maßkostüm für Brusatti!

»Nächsten Samstag ist die Flosse zugeschnitten. Ich nähe sie dir direkt auf den Leib, auf den Leib geschneidert bekommst du sie, eng anliegend, ohne Spielraum, ohne Raum für Spiele!«

Brusatti starrt in den Spiegel und nimmt Abschied von ihren langen Beinen. Bis sie 20 ist, muss sie die Nixe geben. Jetzt ist sie die Nixe Brusatti. In der Schule machen alle Augen. Ihr wohlgestalteter Körper kommt in dem hautnahen, schimmernden Nixengewand nachdrücklich zur Geltung – trüglich – als gelte es, die Brusatti jetzt und sofort an den Mann zu bringen. Langsam gewöhnen sich die anderen Mädchen. Furore gibt es erst wieder, als sich die Nixe Brusatti an der Musikhochschule einschreibt. Flötistin möchte sie werden. Die vollen Lippen, die feuchten Lippen, feucht wie die salzige Meeresbrise – und dieser Hintern! Die Professoren geraten in Euphorie.

»Aus dieser hier wird etwas werden«, sagen sie, und die Brusatti weiß es auch ohne die Professoren. Mit diesem Hintern! Sie promeniert keck am Gang.

»Seht nur, dieser kissenweiche, wohlgeformte Hintern«, scheint sie mit jedem Schritt zu sagen.

Und als ob er ihre Worte noch unterstreichen will, arbeitet sich der charmante Hintern mit Geschick aus der im Laufe der Jahre zu klein gewordenen Nixenflosse. Herausgearbeitet steht er da! Er arbeitet für die Brusatti und genießt die stehenden Ovationen. Er erfindet die Geschichten. Natürlich besteht sie alle Prüfungen bravourös, mit diesem Hintern! Die Brusatti zeigt sich gerne. Sie genießt es, sich zur Schau zu stellen.

»Sehen Sie nur«, zwitschert der Hüftschwung, »sehen Sie mich nur an und etwas in Ihrem Leben wird anders. Sehen Sie nur dieses reizende Po-Dekolleté, diese reizenden Mondhügel, sommerfrisch, delikat, samtweich und nachgiebig.«

Die Nixe Brusatti ist berechnend. Rechnen kann sie! Das hat sie von ihrer Mutter. Sie berechnet jeden Hüftschwung, jeden Blick auf ihren Nabel – die Güte kommt erst später. Jetzt berechnet sie ihren Notenschnitt in Relation zur Tiefe ihres Ausschnitts. Sie berechnet ihre Wirkung. Und wenn diese Brusatti, diese unergründliche Nixe, dann die Flöte zwischen ihre Lippen nimmt, bringt sie alle um den Verstand. Dieser feuchte, dieser rote, dieser unschuldige Mund! Viel Fantasie braucht sie da nicht, um die Vögelchen der Professoren zu gewinnen. Saftfrühstück! Das stärkt die Muskulatur, die Mundmuskulatur, die Lippenmuskulatur, die Zungenmuskulatur – es geht ihr einzig um die Muskulatur.

»Gerne, meine Liebe, wenn Ihnen so geholfen ist, wenn es Ihr Flötenspiel weiterbringt. Dieses kleine Opfer für die Kunst, die hohe Kunst«, wispern die Professoren und drücken sich an ihre Lippen, drängen sich an ihre Zunge.

»Dieses unerhört talentierte Frauenzimmer«, sagen sie, »dieser Zungenschlag, dieses Tremolo, dieser Triller, diese Haltung, diese Konzentration, dieses Geschick!

Und dieser Ehrgeiz! Üben, üben, üben, jeden Tag üben!«

An manchen Tagen genießen fünf, sechs, sieben, acht Professoren ihre Künste, ihr Talent. Zweimal die Woche kommt der Direktor persönlich, um sich von ihren Fähigkeiten bezirzen, bezaubern und betören zu lassen.

»Wie sie sich macht, gnädige Frau? Wunderbar macht sich unsere Brusatti, sie ist von ausgesuchter Machart, unsere Nixe!«, bekräftigt er im Brustton der Überzeugung.

Dabei möchte die Mutter doch nur wissen, wieso der Lippenstift der Brusatti abends immer verwischt ist – ob das vom Flötenspiel kommt, möchte sie wissen.

»Natürlich, vom konzentrierten Spiel kommt das, Verehrteste, und Ihre Tochter ist eine Meisterin ihres Faches!«

An ihrem zwanzigsten Geburtstag geht die Nixe Brusatti zur alten Onda, die jetzt schon uralt ist, um sich zu häuten. Mit vorsichtigen Schnitten befreit sie die Brusatti von der meergrünen Schwanzflosse, die ihr wie eine zweite Haut sitzt. Sie schält sie aus den schillernden Schuppen.

»Jetzt bist du frei, meine Kleine! Frei zu tun, was immer du willst!«

»Die Freier warten schon!«, lacht Brusatti und läuft vor die Türe, läuft an den Strand.

Gedankenverloren betrachtet sie die Spuren, die sie im feuchten Sand hinterlässt. Eine Schaumwelle schwemmt ihr ein vermoostes Kästchen direkt vor die Füße. Die Brusatti öffnet es.

»Ein Sternenbuch?«

Das Sternenbuch der kleinen Meerhure! Sie blättert um, mit jeder neuen Seite wächst ihre Neugierde: Datum, Uhrzeit, Tarif, Rufname, Vorlieben im Detail – oben, unten, vorne, hinten – wie er es mag, und in der rechten Spalte sind mit goldenem Nagellack die Sterne eingetragen. Die Brusatti kennt beinahe alle Namen im Sternenbuchverzeichnis – sie sind fast alle aus der Lagune, die Fischer, der Arzt, der Notar, nur die Studenten sind aus der Stadt. Sie ist berauscht. Berauscht von ihrem gerade im Entstehen begriffenen Gedanken.

»Ein Beruf mit Zukunft!«

Die Zukunft ist schon da! Und künftig wird sie selbst ein Sternenbuch führen. Am Heimweg sieht sie den alten Geronimo auf einem Felsen sitzen. Die Brandung kräuselt sich um seine nackten Füße. Wieso ist über ihn nichts im Sternenbuch der kleinen Meerhure zu finden? Sie setzt sich neben ihn.

»Magst du etwas mit mir anfangen? Oben, unten, vorne, hinten – wie es dir gefällt, wie du es am liebsten treibst! Heute ist mein erster Arbeitstag und du bist mein erster Freier. Nächste Woche führe ich schon ein Sternenbuch.«

Der alte Geronimo betrachtet die Brusatti ausgiebig.

»Ich habe schon seit vielen Jahren keine Frau mehr gehabt, Brusatti. Die Frauen sind bezaubernd, von der Ferne sind sie bezaubernd, wirklich bezaubernd und ich erfreue mich an ihrem Anblick, an ihrem Lachen, doch wenn sie näher kommen, nahe kommen, zu nahe kommen, dann gibt es Kummer. So sehe ich sie mir lieber von der Weite an!«

Brusatti kaut nachdenklich an ihrer Unterlippe.

»Geronimo, das hast du dir wirklich gut ausgedacht. Keinen Wodka, keine Autos und keine Frauen. Was glaubst du, wie viel Maßhalten verträgt einer? Wann wird es maligne? Lass doch deine Augen grasen, grasen am üppigen Busen der Onda, an Mius runden Hüften! Nur kein Zaudern, komm zurück ins Leben!«

Sanft aber bestimmt zieht sie Geronimo in den Sand.

»Oben, unten, vorne, hinten – wie willst du beginnen?«

Geronimo weiß es nicht, weiß nicht, wie er sich einer Frau nähern soll und überlässt der Brusatti das Arrangement, sie ist die Dirigentin seiner Lust. Am Anfang klappt gar nichts, weil Geronimo so nervös ist, nervöser als beim ersten Mal! Sein Vögelchen plustert sich aufgeregt, nur um sich gleich darauf wieder zu verstecken, doch die Brusatti lässt ihn nicht entkommen. Als es sich zum vierten Mal versteckt und Geronimo bereits völlig mutlos ist, erwacht die Güte in Brusatti. Sie beruhigt ihn, wie man einen ängstlichen Buben beruhigt, dann nimmt sie sein Vögelchen in die Hand, alles liegt jetzt in ihren Händen, sein Geschick liegt in ihren Händen, und da klappt es auf einmal und der alte Geronimo wird wieder zum Mann, im Rhythmus der Wellen wird er wieder zum Mann.

Die kleine Meerhure

Подняться наверх