Читать книгу Einssein gelebt! Marie und Maria Magdalena am Weg zur Meisterschaft - Andrea Riemer - Страница 7
1. Materie und Geist: Wer macht den Anfang?
ОглавлениеSo standen die beiden Frauen am Eingang des Labyrinths aus scheinbar zahllosen grünen Hecken in einem großen imaginären Park. Das Wetter war angenehm. Die Sonne schien in dem dem Frühling eigenen zarten, milden Licht; eine leichte Brise ging. Man konnte förmlich riechen, dass es sich um einen Frühlingstag am späteren Morgen handelte. Die Geräuschkulisse aus dem Rascheln der ersten grünen Blätter und aus aufgeregtem Vogelgezwitscher nahm Marie gedämpft war. Sie fühlte sich in einem besonderen Kokon, der durch ihre erweiterte Wahrnehmung entstanden war. Beide Frauen waren nun bereit, das Labyrinth, vor dem sie standen, zu betreten und das Symbolon zu finden – was immer es auch sein mag. Marie war neugierig, gespannt, aufgeregt – fast wie ein kleines Mädchen an der Hand ihrer Mutter. Das war eine ausgezeichnete Voraussetzung, denn so würde sie alles unverstellt aufnehmen, das Maria Magdalena ihr erzählte.
Die Stille der ersten Schritte wirkte dennoch ein wenig unbehaglich auf Marie. Was kommt jetzt? Was soll ich tun? … Sie fasste sich ein Herz … „Wo fängt alles an?,“ fragte Marie zögerlich. Irgendwo musste sie ja beginnen, meinte sie in ihrem Inneren zu verspüren. Da war sie ganz Menschenkind; Menschen müssen immer sprechen; damit übertünchen sie ihre tiefe Angst. Sprechen lenkt ab und nimmt diese Angst. Irgendwie … ja, irgendwie muss ja immer etwas im Äußeren passieren. …
Maria Magdalena ließ einige Momente der Stille vergehen. Dann sprach sie leise, doch sehr klar und eindringlich: „Wir kommen alle aus dem reinen Bewusstsein, einer Form von dem, was man in der menschlichen Sprache mit Leere, mit Nichts umschreiben kann. Damit kann man das Unvorstellbare noch am ehesten ausdrücken. Alles ist dabei Schwingung, reine Energie, formlos und gleichzeitig formseiend. Es gibt jedoch – und das mag widersprüchlich für dich klingen - weder die absolute Leere noch das absolute Nichts. Dieser Widerspruch ist von Beginn an dabei. Er ist mit ein Schöpfungsprinzip. Aus dieser scheinbaren Leere erscheint durch einen göttlichen Impuls der Circumpunkt, der den Beginn markiert. Es ist der Kreis, der weder Anfang noch Ende kennt, in dessen Zentrum ein Punkt liegt. Der Circumpunct ist das Symbol für universelles Bewusstsein, für eine globale gemeinsame Vorstellung vom Göttlichen, vom Großen Baumeister aller Welten.“
Es vergingen wieder Momente. Marie war ein wenig ratlos. Ja, sie hatte vom Circumpunct als universelles Symbol schon gehört. Doch was sollte das jetzt hier? Sollte sie weiterfragen oder einfach abwarten? …
Maria Magdalena griff ihren Gedanken auf.
„Du kannst Bewusstsein sehr vielfältig definieren, doch dies wird deine Erkenntnisse nicht erweitern. Nimm es als gegeben an, als etwas, das ist. Es ist der sehr lebendige Urgrund. Er beinhaltet alles, was ist. Verheddere dich nicht in alleine von Gedanken gesteuerten Diskussionen. Sie bringen dich nicht weiter. Du erhältst über den Kopf-Weg keine Antworten, die dich nähren. Erfühle es mit dem WeisheitsWissen. Dann bist du dort, wo du am Beginn warst und wo du wieder nach Hause kommen wirst.“
Stille stand zwischen den beiden Frauen. Man konnte bloß das leise Knirschen vom Gehen über die Steinchen am Weg hören. Wenn man genau hinhörte, dann war vielleicht noch der Atem von ihnen zu hören. Kein Gewand raschelte, kein Windhauch ging. Es war wahrlich Stille eingetreten, feierliche Stille.
„Das klingt wie ein Nebel. Es ist für mich nicht fassbar. Damit kann ich nur wenig anfangen. Was du beschreibst, ist nicht von dieser Welt.“
Momente des Atmens. Maria Magdalena setzte ihre Gedanken leise und doch sehr klar fort. „Ja – wenn du in deinen alten Vorstellungen, in dem, was dir bekannt ist, was du jemals gelesen, geschaut, erfahren hast, verbleibst, dann bleibt ewiges Bewusstsein für dich unfassbar und nicht von dieser Welt. Doch es gibt nur diese eine Welt im Sinne diesen einen Kosmos. Dein Geist darf sich keiner Idee verschließen, nur weil sie für dich bislang unbekannt war und vielleicht eigenartig klingt. Wenn du also bereit bist, dich zu öffnen und tatsächlich mit dem Herzen zu schauen, dann wird sich dir etwas Unbeschreibliches zeigen. Du wirst erkennen, dass der Urgrund des Seins höchst lebendig ist. Er zeigt dir Ideen als das Geschaute, das Erlebte als geistige Urprinzipien. Du kannst dabei nicht mehr weiter reduzieren, weil ansonsten die Essenz wieder verloren geht.“
Marie fühlte noch immer keinen für sie fassbaren Zugang. „Und doch bleibt es ein Nebel für mich,“ entgegnete Marie leise und ein wenig ratlos. Ihr scharfer Verstand und ihr umfangreiches Wissen erwiesen sich gleich am Beginn des Weges als – scheinbar - großes Hindernis. Das klang nicht besonders erbaulich, war sie doch so stolz auf ihr intellektuelles Wissen. Da war sie Spitzenklasse. Doch die half ihr hier gar nicht. Eine erste Enttäuschung. …
Sie schritten weiter auf dem erstaunlich breiten Kiesweg im Labyrinth. Marie überkam gleich am Beginn ihres gemeinsamen Weges eine tiefe Ungeduld und Unsicherheit. Worauf hatte sie sich da eingelassen? Wo sollte das alles hinführen? Marie zweifelte bereits nach den ersten Schritten im Labyrinth, das ihr unüberschaubar erschien. Sie blieb stehen und sah Maria Magdalena fragend an.
Diese meinte nur: „Folge mir weiter auf unserem Weg. Verzage nicht, wenn du nicht gleich erkennst. Es enthüllt sich alles am Weg, was sich für dich enthüllen soll. Lass dich nicht beirren. Mir erging es am Beginn meines Weges sehr ähnlich. Viel zu viel im Kopf, im Verstand, in der Materie, im Bekannten, im Vertrauten, im Äußeren. Doch im tiefsten, schwärzesten Moment, als ich alles Bekannte losließ, einfach sein ließ, da begannen sich neue Türen zu öffnen und ich begann zu erkennen und zu sehen.“
Marie schwieg und sagte sich innerlich, dass ja dann noch Hoffnung bestünde. Sie setzten ihren Weg langsam fort.
„Wo der Geist ist, da ist der Schatz. Nicht unser Verstand, unser Geist. Unser Geist vermag eine Energie zu erzeugen, die Materie transformieren kann. Das Göttliche ist somit real. Es ist eine geistige Energie, die alles durchdringt. Erst wenn wir begreifen, dass wir als Abbild Gottes und damit Schöpfer sind, unsere Schöpfermacht in die Hand nehmen und verantwortungsvoll leben, dann begreifen wir die Potenziale und erkennen die Türen, die sich für uns öffnen. Dann erst können wir dieses Potenzial nutzen. Wenn der Unendliche nicht gewollt hätte, dass der Mensch weise ist, dann hätte er ihm nicht diese Fähigkeiten verliehen. Wenn wir lernen, unsere wahre Macht zu beherrschen, dann erschaffen und beherrschen wir unsere Realität, anstatt nur auf sie zu reagieren und ihr hinterherzulaufen.“
Marie atmete nach diesen Sätzen tief durch. So viel Neues, so viel Bekanntes in einem für sie neuen Zusammenhang.
„Ja – das mag ja für dich schlüssig klingen. Doch ich brauche für mich Konkretes, Verständliches. Gib mir bitte Beispiele, damit ich auf meinem Weg auch eigene Orientierungsmarken habe,“ kam es noch immer ein wenig ratlos aus ihr. Ohne diese konkreten Beispiele würde sie dies niemals vermitteln können. Sie würde für Menschen in Rätseln sprechen. Gleichzeitig wusste sie, wie fordernd es ist, diese Wahrnehmungen in Worte zu fassen, die auch anderen verständlich waren.
„Hab noch ein wenig Geduld, meine Liebe. Der Weg in die Einheit durch das Labyrinth, das Wiederfinden des Symbolon, enthüllt sich nicht während der ersten Schritte. Wir alle erhielten am Anbeginn den Entwurf unseres Schicksals als Geschenk und gleichzeitig die Wahlmöglichkeit, dieses Schicksal zu erfüllen – oder auch nicht. Einen absolut freien Willen dafür gibt es nicht. Wir sind alle durch zahlreiche unbewusste alte Muster und Erinnerungen derart stark geprägt, dass nur Bewusstsein hilft, sie zu erkennen, doch nie bis ins Letzte zu erlösen. Daher geht es vielmehr darum, so viel wie möglich zu erkennen, zu wandeln und den Rest anzuerkennen und mitzunehmen. Das Bewusstsein verwandelt die Möglichkeit in Realität. Es ist der wichtigste Faktor bei der Erschaffung unseres Universums. Absicht erlernt man dabei durch Übung. Das Potenzial ist vorhanden. Es braucht Übung, Bewusstsein gezielt und zielgerichtet zu formen. Achtsamkeit kommt einer Bündelung gleich – einer bildlichen Vorstellung und einem festen Glauben. Fokussierung hingegen lässt die zahlreichen Möglichkeiten, die sich spielerisch am Weg zeigen, außer Acht. Achtsamkeit und Fokussierung sind zwei unterschiedliche Zugänge.“
Marie hatte die Worte gehört. Gleichzeitig regte sich Aufbegehren in ihr. „Wenn ich nicht alles erlösen kann, was macht der Weg dann für einen Sinn? Wofür soll ich mich dann mit dem Erkennen von etwas, das ich nicht fassen kann, wie das Bewusstsein, wofür soll ich mich abmühen und auf diesem Weg mir innere und äußere Blasen holen?,“ fragte Marie mit dem Trotz eines kleinen Kindes, das nicht verstand und zur Langeweile neigte.
„Das ist nicht Ziel dieses Weges. Ziel ist die Erkenntnis zu dir selbst, zu deinem Schicksal, zu deinen Möglichkeiten, zu deinen Fähigkeiten, zu deinem Auftrag. Das ist das Ziel des Weges in die Einheit. Es geht nicht um Perfektionismus. Es geht um das Leben und darum, mit diesem Leben anmutig und vertrauensvoll zu tanzen, sich in seinem Rhythmus zu bewegen und gleichzeitig seinen eigenen Rhythmus zu finden und zu leben. Perfektionismus hat nichts mit Leben zu tun. Leben ist immer eine Frage der inneren Haltung und der Sichtweise. Lass dich davon nie abhalten, den Weg der Erkenntnis zu gehen.“
Marie war still geworden. Sie wollte zuhören, mit dem Herzen wollte sie zuhören, frei von Wertungen und Urteilen – auch wenn es ihr anfänglich schwer fiel. Sie atmete tief, da sie wusste, dass der Atem sie wieder in ihre Mitte, in ihr inneres Zentrum bringen würde. Schweigend gingen die beiden Frauen nebeneinander. Marie nahm die bereits grünen, hohen Hecken des Labyrinths wahr. Alles schien grün vor ihr, hoch und grün, erschreckend grün. Sie waren erst einige Schritte gegangen und Marie hatte das Gefühl, nie mehr aus diesem Labyrinth, aus diesem totalen Grün herauszufinden. Sie fühlte sich für Momente Maria Magdalena ausgeliefert. Worauf hatte sie sich da eingelassen?
Ihre Begleiterin spürte Maries Zweifel. „Marie – beruhige dich. Es gibt immer Wege aus einem Labyrinth. Immer. Wir sind am Beginn. Da mag vieles für dich ungewohnt und unklar erscheinen. Atme, atme.“
Marie sog die milde Luft kraftvoll ein. Langsam schritten sie weiter. Marie hörte den Kies unter ihren Füßen leise knirschen. Sie tat sich schwer, sich zu beruhigen. Ihr Herz machte Bocksprünge. Ihr Atem kam gelegentlich stoßweise. Ganz wohl war ihr nicht zumute. Worauf hatte sie sich da eingelassen, fragte sie sich unablässig wie ein inneres Uhrwerk. Marie schien plötzlich kalte Füße zu bekommen, jetzt, wo sich ein großer Wunsch erfüllte. Paradox – und doch sehr menschlich. Das alles im Vorhinein Wissenwollen, das hatte hier keinen Raum. Es wurde ihr zum inneren Hindernis. Marie rang mit sich in diesen ersten Schritten. Sie hatte Angst – jetzt an der Schwelle der Erfüllung eines ihrer großen Wünsche. Nichts erschien ihr klar. So viel zeigte sich und sie konnte es nicht ihr Bekanntem zuordnen. Sie fühlte sich innerlich blind, nein, innerlich orientierungslos, ein wenig ausgeliefert, nicht wissend, ohnmächtig. Nichts, was sie kannte, half ihr hier. Wer Augen hat, zu sehen – ja, das erhielt in diesen Momenten eine völlig neue Bedeutung für Marie. War es so schwer, den Tanz mit dem Leben zu erlernen?
Vor ihnen erschien an der Biegung zwischen zwei Hecken eine schöne Steinbank. Maria Magdalena lud Marie ein, Platz zu nehmen. „Wir müssen nicht durchlaufen. Wir haben alle Zeit der Welt. Du sollst den Weg in die Einheit erkennen und auch gehen. In deiner Weise, in deinem Tempo. Daran musst du dich in deinem ganzen Sein erst gewöhnen. Es ist ein sich Finden. Das braucht auch Zeit und Geduld. Vertraue mir und nimm doch Platz.“
Marie war irgendwie erschöpft, erschlagen von der ganzen Situation, ratlos und ein wenig blind. „Dann hilf mir zu erkennen. Was geschieht aus dem ewigen Bewusstsein, aus diesem nebeligen Nichts heraus, aus dem Circumpunkt, aus dem Punkt, der von einem Kreis umgeben ist?“
„Du meinst Konkretes?“
„Ja – ich kann mir nichts vorstellen.“
„Du sollst dir auch nichts Konkretes vorstellen. Aus dem ewigen Bewusstsein, der Quelle höchster Kreativität zeigt sich zuerst der Geist. Er ist nicht wichtiger als die Materie, doch er ist zuerst da. Materie entsteht durch die Verdichtung von Leere. Sie ist die niedrigste Bewusstseinsstufe. Lass mich ein wenig ausholen, damit du leichter verstehst.
Der Begriff Nous deutet sehr schön an, worum es in der Essenz der Betrachtung geht. Er bezeichnet das menschliche Vermögen, etwas geistig zu erfassen. Außerdem wird der Begriff auch als alles lenkendes kosmisches Prinzip verstanden. Auch er steht nicht für sich alleine. Er ist dem Menschen innewohnend, zum Beispiel als Intuition, als Beeinflussung dessen, was er wahrnimmt, als Inspiration und als Imagination. Wie du weißt, kannst du nur etwas wahrnehmen, das du als solches kennst. Du kannst also diese Bank, auf der wir sitzen, nur dann als Bank wahrnehmen, wenn du sie als solche kennst. Bewusstsein hat demnach die Macht, die Welt, die uns umgibt, zu beeinflussen und damit auch zu verändern. Dies bedeutet letztlich, dass du als Mensch nicht das arme, hilflose Geschöpf bist, das keinen Einfluss als getrenntes Wesen hat. Vielmehr bist du als Mensch Mitschöpferin und damit in voller Mitverantwortung in Verbindung mit allem was ist. Der Mensch kennt jedoch nur sehr wenig von den Naturgesetzen und den Kräften, die über diese Gesetze wirken. Das Göttliche offenbart sich in der Materie. Doch wirken in der Materie andere Naturgesetze als in der geistigen und der seelischen Welt. So gilt: solange die materielle Welt existiert, sind Bewegung und Veränderung ihre Gesetze. Daraus ergibt sich eine dauerhafte Unruhe. Die kannst du nicht wegmachen. Sie ist in der Natur der materiellen Welt eingraviert.“
Marie fühlte erstmals Boden unter ihren Füßen. Schemen tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. Es war, als ob sie eine Decke erstmals an einer Ecke anhob. Sie sah zwar nicht, was darunter war. Doch sie wusste, dass etwas darunter war.
„Heißt das, dass aus dem Bewusstsein Geist vorhanden ist, der hilft, etwas über den Menschen zu erschaffen und in die Materie zu bringen?“
„Genauso ist es. Unser lebendiges Bewusstsein, unsere Rolle als teilnehmender Beobachter, der Vorgänge beeinflusst und Dinge ins Sein manifestiert, ist richtungsweisend. Die Macht der Absicht eines jeden einzelnen ist genauso wahr, wie auch das Wissen der dir bekannten Meister. Sie mögen unterschiedliche Techniken benutzen, so bleibt doch allen etwas gemeinsam. Der Mensch ist Schöpferin und Schöpfer von Materie. Wenn du erkennst, was sich in deinem Blickfeld befindet, dann wird das dir scheinbar Verborgene offensichtlich werden. Geist kann man nicht tun, sondern Geist kann man nur sein. Der Mensch selbst ist immer die Kraftquelle seines Seins. Nicht irgendwer und irgendwas im Äußeren. Das ist wieder einmal die berühmte Trennung, die große Fiktion unseres Seins.“
Marie hatte aufmerksam zugehört. Etwas geriet in ihr in Bewegung. „Heißt das, dass ich mit meinem Bewusstsein, konkret mit meiner Klarheit und Absicht, meiner Bedeutungszuschreibung und meiner Entscheidung etwas gestalten kann und damit aus meinem Geist heraus Materie erschaffen kann?“
„Die innere Klarheit und Absicht,“ so Maria Magdalena weiter mit leiser Stimme, „sind beides Ausdruck von Bewusstsein und Erkenntnis. Sie sind, gemeinsam mit der Entscheidung, starke Treiber dafür, dass etwas in Erscheinung treten kann. Klarheit und Absicht, kombiniert mit der bewussten Entscheidung – das sind sehr gute Voraussetzungen, dass etwas, das du dir wünschst, in Erscheinung in deinem Leben treten kann. Es sind jedoch nicht nur die Gedanken, die zur Schöpfung von Materie führen. Es ist vor allem deine Grunddisposition, mit der du das Leben betreten hast. Die kann – vereinfacht – Liebe oder Angst heißen. Alles andere leitet sich davon ab. Willst du also etwas verändern, dann musst du zur Quelle des Seins, zum ‚großen Beginn‘ gehen und dort sehen, in welchen Fluss du bei deiner Geburt bewusst und unbewusst gestiegen bist. Gehe noch weiter zurück zum Anbeginn des Menschseins, zur Trennung vom Göttlichen. Dann bist du insgesamt richtig. Dort stelle die Verbindung in deinem Inneren wieder her. Auch das ist ein Erkenntnisprozess mit einer bewussten Entscheidung. Du kannst zudem diesen Fluss, in den du unbewusst bei deiner Geburt in dieses Leben stiegst, jederzeit wechseln. Das ist alles eine Frage von Bewusstsein. Wer nicht entsprechend bewusst ist, erkennt das hohe Wissen nicht. Wenn du es ihm gibst, kann er damit nicht umgehen. Es ist wie Perlen vor die Säue werfen. Zudem ist es gefährlich, weil der Unbewusste nicht abschätzen kann, was er mit dem hohen Wissen anrichten kann. Für die unwissende Masse bleibt das hohe Wissen immer unverständlich. In uneingeweihten, unbewussten Händen bringen die wiederentdeckten Wahrheiten Unheil. Symbole dabei zu verwenden und Zauberworte nachzuahmen, sind kraft- und wirkungslos. Es sind leere Zeichen einer einst kraftvollen und machtvollen Quelle. Schweigen ist daher oft die beste Antwort. Das Geheimnis von Leben und Tod – lächle und schweige.“
Marie atmete wieder durch. Sie war bereits etwas erschöpft vom Gehörten. So viel Unfassbares. Sie dachte immer wieder, wie sie all das Gehörte anderen Menschen vermitteln konnte. „Das klingt illusorisch und magisch zugleich. Wie kann ich das tun?“
„Sehr einfach. Erkenne deine göttlichen Fähigkeiten in dir. In der tiefen Wahrheit gibt es keine Trennung von der Quelle. Die Trennung erfolgte auf einer ganz anderen Ebene. Die Seele will Erfahrungen machen. Das ist nur über eine Trennung möglich. Doch so paradox es ist – gleichzeitig bleibst du immer mit der Quelle verbunden. Das mache dir innerlich immer gewahr. Es mag für den Verstand ein Widerspruch sein, doch auf höherer Ebene ist dies kein Widerspruch. Verbinde daher Talent mit Disziplin und Hingabe – das ist wahre Kunst. Werde Künstlerin in der wahren Kunst – der kunstlosen Kunst. Indem du in deinen Heiligen Raum gehst, in deinen ureigenen Quantenraum des Bewusstseins und dir zeigen lässt, wo du am Anbeginn eingestiegen bist, machst du deine ersten Schritte. Danach wechselst du den Fluss, der für dich stimmiger ist: Liebe oder Angst. Mache es so, als ob du ein Fortbewegungsmittel wechselst.“
„Das klingt mir zu einfach.“
„Du kannst alles kompliziert haben – doch die tiefen Wahrheiten sind einfach. Vielleicht übst du diesen Wechsel einige Male und dann hat sich auch dein Unterbewusstsein auf den neuen Fluss eingestellt. Und im Alltag magst du immer wieder in Situationen geraten, die dir zeigen, dass du zumindest auf den alten Fluss hinblickst. Dann mach dir das bewusst. Sag danke für die Erkenntnis, sei bewusst in deinem neuen Fluss und lasse dich von ihm weitertragen.“
Marie ließ das Gesagte in ihr wirken. Es erschien ihr noch immer zu einfach. Doch sie war bereit, es aufzunehmen und weiter wirken zu lassen.
„Du sagtest, der Geist kommt aus dem Bewusstsein, ist so etwas wie Intuition, Erfassungsvermögen, eine Art von Erkenntnisfähigkeit. Was ist nun Materie?“
„Materie ist verdichtete Energie und Schwingung. Da alles auf der kleinsten Ebene immer in Bewegung ist, lösen sich die Verdichtungszustände immer wieder. Daher löst sich Materie immer wieder. Es ist ein dauerndes Werden und Vergehen. Leben und Tod gehören daher untrennbar zusammen. Die Polarität ist das Wesen unseres Seins als Mensch. Es ist ein dauerndes und unaufhörliches Streben nach Ganzheit und nach Einheit. Die äußere Form, dein Körper ist nur die Hülle für dein inneres Wesen. Kennst du dein inneres Wesen, dann ist deine äußere Form dir Hilfe. Doch du bist damit nicht identifiziert. Dein Körper ist dein Kleid, doch du bist nicht das Kleid. Die Materie kann daher nur einseitig sein. Die Einseitigkeit, die Un-Ganzheit, die Trennung entsprechen dem Wesen von Materie. Wenn sich beide Seiten vereinen, dann kommt es zur Entkörperung und zum Aufgehen im Geist. Dematerialisierung ist die Folge von Vereinigung. Die ganze Natur offenbart uns den Kreislauf aus Leben und Tod. Der Tod ist die andere Seite von Leben. Du erkennst etwas nur, weil es getrennt ist. Das Herausfallen aus der Einheit ermöglicht erst Erkennen. Erkenntnis ergibt sich also aus dem Vergleich von zwei getrennten Seiten. So ist die Trennung eine Voraussetzung für Erkenntnis. Gott kannst du nie erkennen, weil er immer Einheit ist. Gott kannst du nur sein. Solange du im Äußeren suchst, bist Du in der Trennung. Du wirst nichts finden, das dich ganz macht und in die Einheit führt. In der Materie findest du nie die Ganzheit. Es ist das Wesen von Materie, die Trennung zu sein. Nur über die Trennung lässt sich die Verdichtung von Leere als Materie erfahren. Ohne Unterscheidungsvermögen für diese Grundzusammenhänge bist du daher für den Großen Plan unbrauchbar.“
Maria Magdalena hielt kurz inne und blickt Marie an. Hatte sie erfasst, nein – nicht verstanden – hatte sie das Gesagte erfasst? War Maria Magdalena klar genug in ihren Ausführungen?
„Die Polarität, das Werden und Vergehen ist mir sehr vertraut,“ meinte Marie. „Das ist ja mein tägliches Leben. Damit kann ich etwas anfangen. Das ist fassbar für mich. Tag und Nacht, kalt und warm, Liebe und Angst, Licht und Schatten.“ Endlich wurde es konkret für Marie. Sie schöpfte Hoffnung, wieder mit ihrem klugen Verstand dabei sein zu können.
„Nun denn. Ich will fortfahren. Alles ist mit allem verbunden. Nichts existiert an sich, sondern ist immer in Beziehung gesetzt. Wir leben in einem Netz aus Beziehungen. Wenn wir wachsen, so kehren wir – scheinbar – an den gleichen Ort zurück, doch wir sind ein Stück weit gewachsen. Stelle dir eine Spirale vor. Sie macht Leben, Wachstum und Entfaltung am besten deutlich. Wir sind dabei in einem Raum außerhalb der Zeit. Formloses und Formseiendes hängt also untrennbar zusammen. Trennung ist Ausdruck der Seele, weil sie Erfahrungen sammeln will. Trennung an sich gibt es nicht. Sie ist letztlich menschengemacht. Sie ist nicht gut und nicht schlecht. Sie ist. Ohne Trennung könnte sich die Seele nicht erfahren. Liebe das Leben. Es ist Ausdruck des Göttlichen in seiner unendlichen Vielfalt. Schätze das Leben als Ausdruck des ewigen Seins. Das irdische Leben, die Materie ist eine Reise zwischen der Geburt und dem Tod des Körpers und den verschiedenen Selbsten in jedem Lebewesen. Du musst dabei in die Trennung gehen, denn ohne Widerstand ist keine Schöpfung möglich.
Wesentlich ist, wie du die Trennung empfindest, wie du mit ihr umgehst und wie du den Weg zurück in die Einheit gehst. In der Einheit kannst du nichts als Seele erfahren. Da bist du schlicht, im Federbett des Seins. Doch irgendwann ist das auch langweilig. Dann bricht die Seele durch und will sich erfahren. Dies ist eben nur in der Lösung, in der Trennung möglich. Wenn der Mensch dabei Schmerz und Leid empfindet, dann ist es Ausdruck von Vorstellungen, die krank sind. Es ist Mangel an Imagination, weil die vom Menschen verwendete Vorstellung schlicht krank ist. D.h. bereits das Formlose ist krank. Daher muss auch das Formseiende krank sein. Die kranken Vorstellungen sind zur zweiten Natur geworden und zeigen sich im Äußeren. Das Relative wird zum Absoluten gemacht und das Absolute zum Relativen. Damit sind Verstand und Gefühl krank und das Herz kann sich nicht finden. Die Seele hängt jedoch nur ganz wenig vom körperlichen Sein ab.“
Marie begriff das erste Mal im Ansatz, dass dieser Weg in die Einheit eine ziemliche Herausforderung war. Sie musste alles, was ihr so vertraut war, hinterfragen und gegebenenfalls über Bord werfen. Sie musste alle bekannten Rucksäcke ausräumen und sehen, was sie davon tatsächlich noch brauchte, geschweige denn mitnehmen wollte. Sie atmete wieder tief durch.
„Das heißt, es gibt gar keine Trennung in Geist und Materie? Warum machen wir uns dann auf diesen Weg? Ist alles nur eine Illusion?“
„Ja und nein – es ist eine Illusion, wenn du in deinen alten, auf negativen, traumatischen Trennungen basierten Kategorien denkst und die Wahrnehmung mit dem Herzen beiseitelässt bzw. ihr zu wenig Raum gibst. Dann bleibst du in der dir so bekannten alten Trennung hängen. Dort ist Mangel, dort ist Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Schmerz. Doch das Polare ist das Wesen des Menschen. Wie er damit umgeht, ist eine Frage seiner Erkenntnisfähigkeit und damit seines Bewusstseins. Das Wesen der Materie ist Mangel, was vorerst schlicht ist. Wenn wir uns jedoch mit der Materie identifizieren und sie zu unserem Gott machen, dann tritt Leid ein. Wenn du deine Wohnung bist, deine Arbeit bist, deine Kleidung bist, dann beschwerst du dich und dein Sein. Reichtum ohne Weisheit endet oft im Unglück. Frage dich immer wieder ‚Bringt mir mein Tun etwas oder entfernt es mich von meinem Sein?‘ ‚Ist das Tun Ausdruck von Entfernung, Unterdrückung, Vergessen und Verfaulung?‘ All das lässt sich über das Bewusstsein erkennen. Es geht um einen Akt der Präsenz, des Gewahrseins. Unwissenheit, Unbewusstheit und Identifikation hindern dich am stärksten an einem geglückten und erfüllten Leben. Identifikation ist reines Habenwollen. Du darfst alles und musst gleichzeitig gar nichts. Du fällst aus der Harmonie, wenn über einen längeren Zeitraum ein Pol bevorzugt wird. Dann kommt die Angst, den anderen Pol zu lange vernachlässigt zu haben. Du flüchtest in den dir bekannten Pol und stellst den anderen ins Dunkel. So lange, bis er aus dem Dunkel herausbrüllt und der andere Pol völlig überfordert ist.
Hinter allen materiellen Erscheinungen in deiner sichtbaren Welt verbirgt sich die Urkraft des Seines. Es geht immer um das Streben nach dem Zurück in die Einheit. Zwei einander ergänzende Kräfte manifestieren durch Anziehung diese Einheit. In der Materie zeigt sie sich zeitweilig. Im Gefühl zeigt sie sich zeitweilig. Es ist dieses immanente, dauernde Streben, in diese Einheit zu gelangen. Geist ist das Leben. Die Materie ist Widerstand. Beides ist wichtig. Beides ist Teil der Schöpfung. Der Geist strahlt Selbstlosigkeit und Geben aus. Die Materie steht fürs Nehmen, fürs Zusammenziehen, für Dichte.“
Marie erkannte umgehend einige Beispiele aus ihrem Leben, wo Maria Magdalena lauter Treffer im Schwarzen landete. Wie oft war sie mit übermäßiger Arbeit, mit Diäten, mit totaler Zurückgezogenheit etc. aus der eigenen Harmonie gefallen? Jede Übertreibung führt zu einem Herausfallen aus der Harmonie.
„Es geht letztlich um das bewusste Erkennen des Formlosen und des Formseienden und um die Harmonie zwischen beiden. Das ist die Grundbedingung und Ausgangsposition für den Weg in die Einheit. Es geht ausdrücklich nicht darum, sich selbst zu geißeln, zu bestrafen, zu verdammen. Nein – das ist völlig verkehrt. Keiner will das von dir. Erkenne, sei bewusst und verändere. Es geht dabei um eine ganzhafte Einheit, die in den inneren Frieden und die Integrität führt. Du als Mensch bist eine Brücke, ein Teil eines längeren Weges. Wer geht, ist gesund und glücklich. Es ist die Bewegung, die Entfaltung ermöglicht. Es gibt eine Straße, doch zahlreiche Wege. Damit gibst du deinem Urwunsch des Menschen nach - die Allverbundenheit, die Rückkehr in die Verbundenheit mit dem Universum.“
Als Marie vor allem den letzten Worten lauschte, durchrieselte sie ein warmer Schauer. Ja – es ist diese Rückkehr nach Hause, in die innere Einheit. Sie wusste, dass sie den Weg weitergehen wollte. Sie wollte noch mehr erkennen, denn sie wusste, dass diese Erkenntnisse ihr erst den Weg zeigen würden. Einmal nach Hause kommen, um wieder weggehen zu können … und wieder nach Hause kommen … und so weiter … im endlosen Sein.
„Ich schenke dir fünf Zeichen, die dir auf deinem Weg helfen. Die Krone für die Königin, die du werden kannst, wenn du nur willst. Den Stern für den Himmel, der deine Bestimmung festgelegt hat. Die Sonne für die Erleuchtung deiner Seele. Die Laterne für das Licht menschlichen Begreifens. Den Schlüssel für das fehlende Teil.
Zudem will ich dir fünf Leitlinien mitgeben. Weißt du nicht, dass du eine Göttin bist! Du bist eine Göttin! Gott schuf dich als Mensch nach seinem Abbild. Das Königreich liegt in dir. Erkenne dich selbst.
Der einzige Unterschied zwischen Gott und dir als Mensch ist der, dass du als Mensch vergessen hast, dass du göttlich bist. Mit dieser Erkenntnis darfst du achtsam und bewusst umgehen.“
Marie hatte aufmerksam zugehört. So viele Botschaften, so viel Erkenntnisse gleich auf der ersten Etappe ihres gemeinsamen Weges. Ihr wurde bewusst, dass sie sich eine höchst anspruchsvolle Führerin auf ihrem Weg ausgesucht hatte. Doch Marie war auf ihrem Weg bereits so weit vorangekommen, dass sie diese Herausforderung gerne annahm.
Wenn sie die Erkenntnisse dieses ersten Abschnitts durch das Labyrinth zusammenfasst, dann …
Der Circumpunkt unseres Seins als Menschen ist ewiges Bewusstsein. Nenne es Gott, nenne es Universum, nenne es Energie in Bewegung. Es ist gleich-gültig. Aus diesem Circumpunkt entsteht Geist. Er erschafft Materie, die nichts anderes als verdichtete Energie ist. Es ist ein laufendes sich Bewegen, das unsere Realität entstehen lässt.
Der Mensch ist dabei die Brücke.