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Ein Doppelzimmer mit Meeresblick, die Sicht auf einen feinen Sandstrand, zu beiden Seiten von romantischen Felsblöcken eingefasst und darüber ein unendlich blauer Himmel ohne ein Wölkchen. Dazu diese warme Mittelmeerbrise, die mich - erfüllt vom endlosen Zirpen der Grillen – sanft einhüllte. Das sollte für die nächsten zwei Wochen unser sein! Melissa und ich schauten uns an und hüpften vor Freude wie kleine Mädchen auf der Terrasse umher. Dann holte ich tief Luft und ließ einen Freudenschrei los. Ich hätte die Welt umarmen können. All das Graue und Raue des Alltags schien wie ausgelöscht aus meinem Gedächtnis.

Was mir gestern noch wie ein weit entfernter Traum erschienen war, hatte sich in die allernächste schönste Realität verwandelt. Hier waren wir nun: Melissa und ich - im Paradies. Wir zogen uns schnell um und machten unseren ersten Spaziergang an den kleinen Strand. Barfuß im Sand zu laufen und sich von den heranschwappenden Wellen die Beine kühlen zu lassen, war ein herrliches Gefühl. Die kleine Bucht war wie der Garten Eden, an der linken Seite war in den Felsen ein kleines Haus mit romantischem Balkon, gebaut, direkt über dem Meer, ein herrlicher Ort. Zur rechten führte eine kleine Treppe hoch zu einer Promenade, an der wir entlang liefen bis wir ins Fischerdorf gelangten. Alles war neu und wirkte doch vertraut zugleich in der Sommerwärme, die uns freundlich umarmte. Hinter dem Hafen entdeckten wir ein schönes Café, es hieß „Arche“. Bei Cappuccino und Croissant genossen wir das Gefühl des Urlaubsbeginns, das uns einen Hauch Unendlichkeit vorgaukelte. Wir blätterten in einem Reiseführer und schmiedeten Ausflugpläne, für die Tage, wenn wir unser Mietauto abgeholt hätten.

Ich stand gerne schon ganz früh auf und schwamm noch vor dem Frühstück im Meer weit hinaus. Dabei tauchte ich immer wieder ein paar Meter. Schwärme von Fischen jagten einander um von Algen und Wasserpflanzen bewachsene Felsblöcke, beschienen vom Licht der morgendlichen Sonnenstrahlen, die die Unterwasserwelt vergoldeten. Melissa schlief gerne etwas länger und mir kam es gelegen, in diesem schönsten Blau ganz allein für mich zu sein, wenn in den Morgenstunden das Meer in einer Klarheit glänzte wie zu keiner anderen Tageszeit. Ich fühlte mich seit langem das erste Mal wieder so frei, ganz ich selbst. Als hätte ich all meine Probleme, die mir zu Hause das Leben schwer machten und wie eine Last an mir hingen, auch in einen Koffer gepackt und abgeschickt – aber in eine ganz andere Richtung.

Auch wenn ich nun schon so lange keinen Urlaub mehr gemacht hatte, war es ganz seltsam. Schon als Lissa und ich das erste Mal am großen Strand in der Nachbarbucht lagen, in der südlichen Hitze, auf unseren Liegen unter einem Sonnenschirm aus Palmwedeln, ein wenig lasen, uns unterhielten und immer wieder in dem wunderbar kühlen Meerwasser erfrischten, hatte ich ein besonderes Gefühl. Es war mir als wäre dieser Zustand der normalste von der Welt, als wäre dies hier, dieses süße Nichtstun umgeben von etlichen Genossen, die das gleiche taten - bzw. nicht taten – so wie wir , das eine, das wirkliche Leben. All die Urlauber, die Eltern und Kinder oder Pärchen, erschienen mir wie die immer gleichen, denen ich begegnet bin, seit ich Ferien mache. Die Szenerie war von einer bekannten Atmosphäre erfüllt wie vor zehn Jahren, als ich als Studentin meinen ersten Urlaub alleine machte, wie in meiner Kindheit, als ich mit meinen Eltern im Sommer immer nach Italien fuhr. Ich hatte das Gefühl, in die exakt gleiche Figuration einzutauchen mit bestbekannten Statisten, die ich mir nicht an einen anderen Ort vorstellen konnte als genau hier am Strand. Menschen ohne Beruf oder ein anderes Leben, einfach nur in Badehose oder Bikini im Hier und Jetzt. Jeder Strand der Welt, egal wo er liegt, bietet dies: Ein herrliches Nomadenleben, kurz werden die „Zelte“ aufgeschlagen und man lässt sich nieder. Das Hab und Gut reduziert auf eine eisgekühlte Wasserflasche, ein Sandwich oder Obst, einen Roman und die Badesachen. Die Kulisse erschallt mit lautem Lachen, Rufen, Kinderschreien. Pärchen spielen Beachball, rennen auf heißem Sand in das klare Wasser. Aus diesem pulsierenden Leben erhebt sich ab und an stakkatoartig das ulkige Rufen eines Strandverkäufers. Irgendwie hörte für mich die Zeit auf zu sein. Wenn ich mich zu Hause in der Freizeit schnell langweilen konnte, bekam ich hier nicht genug von dem Gefühl, dem Nichtstun hingegeben, den Moment zu genießen.

Abends genoss ich es, frischgeduscht, in ein leichtes Sommerkleid und meinen Lieblingsduft gehüllt, mit Melissa zum Essen zu gehen. Bei Pedro, dem Hotelkellner, bestellten wir einen halben Liter weißen Hauswein – vino blanco de la casa. Dann stießen wir mit den kühlbeschlagenen Gläsern an. Zur Vorspeise gab es Brot mit Aioli und einen Salat mit Meeresfrüchten. Unter den anderen Gästen, waren Pärchen, Freundinnen so wie wir, Männergruppen, aber auch einige Familien. Da ertappte ich mich, wie ich immer wieder zu ihren Tischen hinüber schielte.

Im Stillen dachte ich: Werde auch ich einmal verheiratet sein, Kinder haben und so wie diese hier Urlaub machen und glücklich sein? –

Dabei wurde mir kurz bang ums Herz, schließlich war ich schon dreißig.

Doch in den Ferien gab es kein langes Grübeln und beim zweiten Glas Wein und der köstlichen Hauptspeise verflog meine Melancholie schnell wieder. Lissa und ich stießen nochmal an und überlegten, was wir bis zum Discobesuch noch machen würden, denn richtig los ging hier alles erst um Mitternacht.

Als wir später noch in der milden Abendluft auf der Restaurantterrasse saßen, erschien ein gutaussehender Typ in der Tür. Er war ungefähr unser Alter und hatte dunkle Locken. Er blickte sich kurz um und ging dann gezielt zu unserem Tisch.

„Entschuldigung, wisst ihr, ob es hier noch etwas zu essen gibt?“ fragte er. „Ich bin gerade erst angekommen und hier ist die Küche wohl schon geschlossen.“

Melissa schaute etwas verlegen in die dunkelbraunen Augen ihres Gegenübers und antwortete: “Ja, ab halb zehn ist Feierabend.“

An diesem Abend sah sie richtig gut aus! Die Sonne hatte ihre blonden Haare schon um eine aparte Nuance aufgehellt und aus dem zartgebräunten Teint leuchteten ihre blauen Augen noch intensiver als ohnehin.

„Wisst ihr denn, wo man noch was Gutes kriegt? Ich habe einen Bärenhunger. Ich heiße übrigens David“ fügte der fremde Deutsche hinzu.

Nach einem kurzen Gespräch, entschlossen wir uns kurzfristig, ihn in eine der Snackbars an der Strandpromenade zu begleiten. Lissa und ich nahmen einen Drink und David bestellte sich eine Pizza und Bier. Wir erzählten durcheinander, lachten viel und scherzten.

Der Blick auf die Hafenmole von Cala Ratjada war unvorstellbar schön. In der Ferne blinkte in regelmäßigen Abständen das Licht des Leuchtturms.

Plötzlich zeigte David auf das Wasser und rief: „Schaut mal, da…“

Wir blickten zum Horizont und sahen wie aus dem Meer ganz langsam der Mond aufging und bald als riesengroße orangerote Kugel am dunklen Nachthimmel stand. Wäre es nicht die wirkliche Natur gewesen, hätte man es als reinsten Kitsch bezeichnet. In der schwülwarmen Spätabendatmosphäre lag etwas Märchenhaftes, dessen Zauber sich keiner entziehen konnte. So etwas hatten wir noch nie gesehen.




Die Farbe Türkis

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