Читать книгу Hamburg - Deine Morde. Der Lippennäher - Andreas Behm - Страница 6
Prolog
ОглавлениеEndlich war der Tag gekommen, auf den ich so lange hingearbeitet hatte. Ja, ich gebe es zu, der erste Mord war alles andere als ein Vergnügen, es war harte Arbeit. Ich wartete etwa eine Stunde in einer schmalen Gasse, die auf ihrem Heimweg lag. Ich war sehr nervös und dachte mehrmals daran, die Sache abzubrechen. Ich wollte meinen ersten Mord begehen und ich zweifelte, ob ich es schaffen würde. In meinem Kopf kämpften zwei Stimmen.
Hör auf, noch ist nichts passiert, sagte die eine.
Wenn du es heute nicht schaffst, wirst du es nie schaffen. Zieh es durch, oder bereue es den Rest deines Lebens, hielt die andere dagegen.
Im Rückspiegel meines Lieferwagens sah ich sie näher kommen. Komplett eingehüllt in den Schutzanzug, den ich über meiner normalen Kleidung trug, war ich mittlerweile schweißgebadet. Es gab kein Zurück mehr. Ich stieg aus, öffnete auf der Beifahrerseite die breite Schiebetür und beugte mich in das Wageninnere, scheinbar etwas suchend. Sie war fünf Meter entfernt, als ich mich aufrichtete und sie ansprach.
»Entschuldigen Sie, ich glaube, ich habe mich verfahren. Könnten Sie mir helfen?«
Die Frage musste ihr plausibel erscheinen, da ich mein Fahrzeug mit einem auswärtigen Kennzeichen versehen hatte. Sie beachtete weder das Kennzeichen noch meine ungewöhnliche Kleidung und antwortete alles andere als freundlich.
»Nein, kann ich nicht und will ich nicht. Ich muss meinen Bus kriegen«, blaffte sie mich an und ging an mir vorbei.
Ich hatte nichts anderes von ihr erwartet. Ich drehte mich zu ihr um, befand mich nun hinter ihr, setzte den Elektroschocker auf ihre rechte Schulter und drückte den Auslöseknopf. Mit einem leisen Stöhnen sank sie zu Boden. Ich handelte so, wie ich es mir hundert Mal in meiner Phantasie ausgemalt hatte. Ich steckte das Gerät in meine Jackentasche, nahm das Klebeband, legte ihre Hände auf den Rücken, fesselte sie, wickelte Klebeband um die Fußgelenke und stopfte ihr einen Knebel in den Mund. Ich sah mich um und war erleichtert. Keine Zeugen weit und breit, gut so. Ich kletterte in das Wageninnere und zog sie hinter mir her. Das ging einfacher als gedacht. Dann schnell die Schiebetür zugezogen, hinter das Steuer des Wagens gesetzt und losgefahren.
Das Ziel war meine Garage im Industriegebiet. Ich schnaufte atemlos, mein Puls hämmerte in den Ohren und die Beinmuskeln fühlten sich wie Wackelpudding an.
Leise sprach ich mit mir selbst, forderte mich auf, konzentriert zu bleiben, mahnte mich zur Ruhe. Die Fahrt verlief ohne Probleme, abgesehen davon, dass mein Abendessen ständig nach oben strebte.
Nachdem ich das Garagentor von innen verschlossen hatte, wich die Anspannung. Ich musste mich hinsetzen und ein paar Mal tief durchatmen. Den schwierigsten Teil meiner ersten Mission hatte ich geschafft. Zumindest glaubte ich das. Aus dem Wageninneren hörte ich ein leises Scharren. Sie versuchte anscheinend, sich aus den Fesseln zu befreien. Keine Chance!
Später, nachdem ich sie entkleidet und die Plastiktüte über ihren Kopf gezogen hatte, geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Was ich sah, fühlte sich anders als erhofft an. Das Zusehen beim Sterben quälte mich unerwartet heftig. Fast hätte ich ihr die Plastiktüte wieder vom Kopf gerissen. Ich tat es nicht, ich ließ den Dingen ihren Lauf. Als es beendet war, spürte ich kein Triumphgefühl. Ich spürte gar nichts mehr. Ich funktionierte wie eine programmierte Maschine exakt nach Plan. Ich transportierte die Leiche zum Stadtpark, platzierte sie am Wegesrand, arrangierte die Details, brachte den Lieferwagen zurück in die Garage, fuhr nach Hause und legte mich schlafen. Es war unglaublich! Ich schlief so gut wie lange nicht mehr.
Erst am nächsten Morgen begriff ich, was ich vollbracht hatte und mit jeder Stunde, die verging, schwoll das Glücksgefühl in mir an. Ich hatte mich gewehrt, zum ersten Mal in meinem langen Leben!