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Alles Geld der Welt

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ANDREAS ESCHBACH

»Mann, Alan – du glaubst nicht, was ich grade gehört habe!«

Alan hob die Hände von der Tastatur und versuchte, den Gedanken wiederzufinden, den Robs plötzliches Hereinplatzen vertrieben hatte. »Ich kenn dich halt zu gut, um dir alles zu glauben«, sagte er.

Rob warf sich in den Sessel neben ihn. »Aber das hier wirst du mir glauben müssen. Es geht um deine Tammy. Um Tammy und Martha, um genau zu sein. Unsere Lieblingskonkurrenten.«

Natürlich. Im Informatikbereich des MIT gab es derzeit nur ein Thema, nämlich den großen KI-Wettbewerb, den einer der Silicon-Valley-Giganten ausgelobt hatte. Mehrere Dutzend Teams waren angemeldet, aber nach Stand der Dinge hatten Rob und er, die momentan anerkannt begabtesten Nerds, nur eine ernsthafte Konkurrenz, nämlich Tamara »Tammy« Lyman, die Tochter des Hedgefonds-Magiers und Milliardärs Jesse Lyman, und ihre Freundin Martha Soames. Die anerkanntermaßen beide ebenfalls höchst begabt waren, aber keine Nerds. Vielmehr hatten sie so etwas wie ein Sozialleben. Was immer das sein mochte.

Alan gab es auf, den Geistesblitz zurückholen zu wollen, und wandte sich seinem Freund zu. Rob Mitchell sah überhaupt nicht wie ein Nerd aus, eher wie ein Footballspieler, der sich ins falsche Gebäude verirrt hatte: groß, breitschultrig, topfit, Waschbrettbauch. Nur seine verhangenen Koboldaugen passten nicht recht dazu.

»Also gut«, sagte Alan. »Ich höre dir zu.«

»Tammy und Martha«, wiederholte Rob. »Hast du eine Vorstellung, was die bauen?«

»Du wirst es mir sicher gleich sagen.«

»Einen Poker-Assistenten.«

»Tammy?« Alan lachte auf. »Tammy hat null Ahnung von Poker.«

Rob nickte wissen. »Aber Marthas Bruder dafür ‘ne Menge. Der hat schon professionell gespielt, in Vegas. Und der hat ‘nen Kumpel, Tim. Von dem weiß ich das.«

Alan schüttelte den Kopf. »Und wie soll ich mir das vorstellen?«

»Also, pass auf.« Rob rückte näher, wechselte in den Vortragsmodus. Vorträge halten, das konnte er wirklich gut. »Alles, was sie brauchen, ist eine Kamera, die auf den Spieltisch schaut. Die ist mit der KI verbunden, die sie trainiert haben, und die macht alles Weitere. Die erkennt die Karten, die ausgespielt werden, die weiß, welche Karten, sagen wir, Tammy in der Hand hat, und gibt ihr über eine App auf dem Smartphone Anweisung, welche Karte sie strategisch am besten ausspielt. Wobei das Smartphone in der Tasche bleiben kann, die Anweisung geht akustisch per Bluetooth an ihre drahtlosen Ohrhörer. Damit sieht sie aus wie jemand, der so cool ist, dass er beim Pokern nebenher Musik hört.«

Alan war ganz anders geworden bei dieser Vorstellung. Und zwar ganz anders.

Ihr eigenes Projekt lief unter dem Titel »Automatischer Administrator«. Sie entwickelten eine KI, die Computernetzwerke administrieren sollte, die notwendige Updates entdeckte und selbstständig durchführte, Back-up-Strategien überprüfte, Platten auf Schreibfehler untersuchte, Engpässe in Datenleitungen fand, auf Lücken in den Sicherheitsmaßnahmen hinwies und so weiter.

Entschieden unsexy, verglichen damit.

»Oh, verdammt«, stieß er hervor. »Verdammt, ist das eine geile Idee.« Er sah sich um, war schwer versucht, irgendwas an die Wand zu schmeißen, am besten die Tastatur. »Warum ist uns das nicht eingefallen? Wenn sie das hinkriegen, haben sie den Preis in der Tasche.«

»Es sei denn, wir kriegen was noch Besseres hin«, meinte Rob.

»Vergiss es.« Das machte ihn richtig fertig. »Wir kriegen nicht mal was Vergleichbares hin. Nicht in der Zeit, die uns noch bleibt.«

Rob hob ungerührt die Schultern. »Wir arbeiten einfach vierundzwanzig Stunden pro Tag. Und wenn das nicht reicht, nehmen wir die Nächte dazu. Außerdem, hey – es geht schließlich nur um einen hässlichen Pokal aus Plexiglas.«

Alan spürte, wie Wut in ihm aufwallte, jene hilflose Wut, die ihn seit seiner Kindheit begleitete.

»Du nimmst das nicht wirklich ernst, oder?«, blaffte er seinen Freund an. »Es geht eben nicht nur um diesen blöden Pokal. Es geht darum, dass an dem Sieg in diesem Wettbewerb Fördergelder hängen. Da hängen unsere Karrieren dran, verdammt!« Er warf sich so heftig gegen die Rückenlehne seines Stuhls, dass er ein paar Meter weit über das Linoleum rollte. »Shit– wozu braucht die Tochter eines Milliardärs eine Karriere? Ich brauche eine Karriere! Sie kann später machen, was immer sie will. Aber wenn ich die Kurve nicht kriege, dann dreh ich mit vierzig noch Burger auf dem Grill herum.«

Rob schnaubte unwillig. »Jetzt geh mal bisschen vom Gas, ja? Du bist Alan Cleveland, der Einser-Mann vom MIT. So jemand dreht mit vierzig keine Burger mehr herum, so viel steht fest.«

»Alan Cleveland, der Einser-Mann vom MIT, dreht heute schon Burger herum.« Er spähte auf die Uhr, zuckte zusammen. »Ach, Mist! Ich muss los!«

Er sprang auf, zerrte seine Jacke unter einem Berg anderer Klamotten hervor, vergewisserte sich, dass die Autoschlüssel noch darin steckten, und war im nächsten Moment zur Tür hinaus.

Der Stau unterwegs hielt sich in Grenzen, trotzdem war Alan achtzehn verdammte Minuten zu spät dran, als er mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz von Joey’s Burger einbog. Wie es Vorschrift war, parkte er ganz hinten – die guten Plätze vorne mussten die Angestellten den Kunden lassen: noch einmal zwei Minuten mehr.

Das Gebäude mit dem roten Dach sah aus wie ein riesiger Fliegenpilz, über dem sich ein unsagbar kitschiger Burger aus Plastik drehte, Tag und Nacht und bei Nacht beleuchtet. Der Eingang vorne war immer sauber, der Eingang für die Angestellten nie: Schon die Türklinke fühlte sich fettig und schmierig an, und drinnen lief man über eine in Jahrzehnten gewachsene Schicht abgelagerter Fettdünste.

Während Alan hastig die Jacke aus- und die Kittelschürze anzog, hörte er das Klappern aus der Küche, die ungeduldigen, bellenden Rufe: Es herrschte Hektik, wie immer um diese Tageszeit. Dann machte er die Tür zur Küche auf, trat ein in die alles durchdringende Wolke aus Bratfettgeruch und wusste, dass seine Verspätung mal wieder Ärger geben würde.

Und tatsächlich – kaum stand er am Grill, schoss Joey schon auf ihn zu, mit hochrotem Kopf, Blutdruck 180.

»Mister Cleveland!«, fauchte er. »Das ist das dritte Mal in diesem Monat, dass du zu spät kommst! Und gleich fast ‘ne halbe Stunde! Im Arbeitsvertrag steht ausdrücklich –«

»Ja, Mister Miller.« Alan hob die Hände. »Sie haben völlig recht, ich hab’s versiebt. Ich, ähm … Das Studium, wissen Sie? Da ist man manchmal so in irgendwas vertieft, dass man alles um sich herum vergisst. Bitte entschuldigen Sie.«

Das nahm Joey ein bisschen den Dampf raus. Er atmete geräuschvoll aus, musterte Alan von oben bis unten, die Hände in die Seiten gestützt.

»Es heißt immer, Studenten seien klug«, grummelte er schließlich. »Du kannst nicht zu blöd sein, um einen Wecker zu benutzen. Also tust du es absichtlich nicht.«

Alan holte tief Luft. Doch, normalerweise stellte er sich einen Wecker – nur heute hatte er es vergessen!

Mist. Er brauchte diesen Job. Besser gesagt, er brauchte das Geld und hatte gerade absolut nicht die Zeit, sich einen anderen Job zu suchen.

Die Tammys dieser Welt mussten sich nie mit solchen Problemen herumschlagen, sondern konnten sich ganz auf ihre Projekte konzentrieren. Kein Wunder, dass sie besser waren und schneller vorankamen! Kein Wunder, dass ihnen richtig geile Projekte einfielen.

Wobei – zu spät dran zu sein, das war sozusagen das Drama seines Lebens. Dass er heute zu spät zu seinem Job kam, war ja nichts verglichen damit, dass sie mit ihrem Projekt für den Wettbewerb zu spät dran waren, viel zu spät!

»Es tut mir leid, Mister Miller«, sagte Alan. »Ich bleibe selbstverständlich dafür nach Schichtende länger. Kein Problem.«

Joey gab ein Grollen von sich, das wie ein fernes Erdbeben klang. »Das nützt mir gar nichts. Jetzt ist Rushhour. Jetzt warten die Leute auf ihr Essen. Nach Schichtende, pff – da ist nichts mehr los. Was hab ich davon, wenn du dann noch dumm herumstehst?«

Er drehte sich um, zupfte einen Bestellzettel von der Klemmleiste und drückte ihn Alan in die Hand. »Hier. Die warten, weil du nicht da warst. Also machst du diese Bestellung jetzt fertig, legst für jeden noch ein Schokodessert dazu und bringst das Ganze an den Tisch. Aber presto, verstanden?«

»Ja, Mister Miller«, sagte Alan und überflog den Zettel. Viermal Chicken Spezial, vier Salate, drei Cola und ein Wasser.

»Und die Desserts zieh ich dir vom Lohn ab, klar?«

Alan seufzte. »Klar.«

Er beeilte sich. Sich beeilen, das konnte er zum Glück gut. Griff ein Tablett vom Stapel, warf vier Chicken-Pattys auf den Grill, röstete die Brötchen vor, ließ nebenher die Getränke in Pappbecher laufen und holte die vier verdammten Schokodesserts aus der Kühlbox. Parallelverarbeitung nannte man das bei Computern.

Und eigentlich wäre das hier auch ein Job für einen Computer gewesen. Für einen Roboter.

Aber jemand wie er war billiger als ein Roboter.

Noch jedenfalls.

Irgendwie bizarr, dass Leute wie er – Studenten der Informatik – im Grunde daran arbeiteten, Roboter immer billiger und besser zu machen. Und waren die Roboter erst einmal billiger und besser, würden in Zukunft Studenten hier keinen Job mehr finden.

Er sägte an dem Ast, an dem solche wie er künftig hätten sitzen können.

Aber das war ein Problem, über das er gerade lieber nicht nachdenken wollte. Letzten Endes war auch das nur eine Frage des Geldes. Wie alles.

Was hatte er Burger früher geliebt! Als Kind war es immer ein großes Fest gewesen, sich einen leisten zu können.

Nicht, dass er nicht froh war über die Erlaubnis, übrig gebliebene Burger mitzunehmen, solange sie es nicht übertrieben. So bekam er auch mal etwas anderes in den Bauch als immer nur Pizza.

Aber wenn er es eines Tages geschafft haben würde … Wenn er eines Tages nicht mehr jeden Cent umdrehen musste, sondern so viel Geld hatte, dass er sich jederzeit einen Besuch in einem richtigen Restaurant leisten konnte …

Dann, das hatte er schon lange beschlossen, würde er nie wieder im Leben einen Burger essen. Nie. Wieder.

Endlich waren die Pattys soweit. Alan machte die Burger fertig, mit dem Dressing, dem Salat und den anderen Zutaten, hurtig, hurtig, wickelte sie in das Papier ein, das aufwendig bedruckt und beschichtet war und in zehn Minuten im Abfall liegen würde, versammelte alles auf dem Tablett und trug es eilig hinaus zu Tisch 4.

An dem vier höllisch aufgetakelte Mädchen saßen, von denen eine niemand anders als Tamara »Tammy« Lyman war.

Die ihn natürlich erkannte.

»Hallo, Alan«, sagte sie verwundert. »Du hier?«

Da er nicht aufwachte und erleichtert feststellte, dass alles nur ein böser Traum war, und sich auch die Erde nicht auftat, um ihn gnädig zu verschlingen, blieb ihm nur eine Strategie übrig: Vorwärtsverteidigung.

»Hallo, Tammy«, gab er also zurück und bemühte sich, so amüsiert-locker wie möglich zu klingen. »Dasselbe könnte ich dich auch fragen. Ja, ich jobbe hier ein bisschen. Scheißjob, denkt man, nicht wahr? Aber es ist interessanter, als es aussieht. Und … man muss jetzt reinschnuppern. Ehe Leute wie du und ich Roboter bauen, die den Job für weniger Geld machen, nicht wahr?«

Damit hatte er ihr zumindest Stoff zum Nachdenken gegeben. Er konnte förmlich sehen, wie es hinter ihren schlauen, rauchbraunen Augen ratterte. Wie sie überlegte, ob das womöglich sein Projekt war. Ein kommerziell verwertbares Projekt, auf das Investoren sofort anspringen würden …

Ja. War sogar eine Idee. Aber keine, die Rob und er in der verbliebenen Zeit noch hinkriegen würden.

Was tat sie hier? Wollte sie sich mal unters gewöhnliche Volk mischen? Und wo war Martha?

»Die Desserts«, wandte sich Alan an die anderen Mädchen, »hab ich euch dazugeschmuggelt – lasst euch nichts anmerken, okay?«

»Oh, danke!«, flötete eine, eine Blondine mit hochtoupierten Locken und einem Glitzerpullover, der wahrscheinlich mehr gekostet hatte, als Alan in zwei Monaten hier verdiente. »Das ist aber nett.«

»Du hast uns nie gesagt, dass du so nette Jungs kennst, Tammy«, sagte eine andere, die auch auf Fotomodell gestylt war, in vorwurfsvollem Ton.

»Das ist Alan«, erklärte Tammy und musterte ihn mit einem abschätzigen, aber etwas ratlosen Blick: Sie schien auf einmal nicht mehr genau zu wissen, was sie von ihm halten sollte. »Er ist im selben Kurs wie ich. Künstliche Intelligenz.«

»Ah«, machte die Brünette, die bis dahin noch nichts gesagt hatte. Es klang wie: Bitte, Tammy, fang nicht wieder davon an, das interessiert uns absolut null.

Nerds hatten es einfach schwer. Weibliche Nerds womöglich noch schwerer. Selbst weibliche Nerds, die hochbegabt waren und einen Milliardär zum Vater hatten.

Das war das allergrößte seiner Probleme: dass er heillos in Tammy Lyman verliebt war. Obwohl er wusste, dass er keine Chancen bei ihr hatte, absolut keine. Nada, niente, zero.

Und wenn das schon so war, wollte er sich nicht auch noch von ihr in diesem Wettbewerb schlagen lassen!

Wobei … Sie sah ihn immer noch so nachdenklich an. Das gefiel ihm.

Und brachte ihn auf eine Idee.

Er beugte sich über den Tisch, vorgeblich, um die Salzstreuer zu überprüfen, und meinte dabei wie nebenher: »Ach, sag mal, Tammy, wollten wir beide nicht mal zusammen ins Kino gehen?«

»Was?«, schnappte sie verblüfft.

»Am Freitag«, schlug er vor. »Da läuft dieser japanische Film, in dem sich ein Roboter in einen Menschen verliebt. Wir könnten uns amüsieren und hinterher stundenlang drüber reden, was Filmemacher über KI alles falsch verstehen.«

»Der geht ganz schön ran«, kicherte die Blonde mit den hochtoupierten Haaren.

Tammy hatte ihre Fassung wiedergefunden, zeigte wieder ihre übliche, leicht hochnäsige und überaus distinguierte Haltung. Die Alan anzog wie verrückt und zugleich schier wahnsinnig machte.

»Rasend interessanter Vorschlag«, sagte sie. »Aber wir vier gehen am Freitag schon in den … Na, wie heißt er noch mal? Viel Krach und Katastrophe, und die Welt geht unter?«

»Ich weiß, welchen Film du meinst«, erwiderte Alan milde enttäuscht, kam aber gerade auch nicht auf den Titel.

»Er kann doch mitkommen«, schlug das Fotomodell vor. »Dann hättest du jemand, mit dem du Computerslang reden kannst, wenn’s dich überkommt.«

»Ein Date mit Anstandsdamen«, kicherte die Blonde.

»Ja, warum nicht?«, meinte Tammy zu Alans Überraschung. »Falls du keine Angst hast, der Hahn im Korb zu sein …?«

Alan sah sie an. Er hatte nicht damit gerechnet, mit seiner Frage mehr zu erreichen, als sie zu belustigen, und eigentlich hatte er auch absolut keine Zeit, ins Kino zu gehen, aber … Aber jetzt konnte er natürlich nicht mehr zurück.

»Kein Problem«, sagte er also tapfer.

»Aber nicht, dass er uns irgendwas in die Cola mischt, das uns außer Gefecht setzt«, sagte die Brünette und schnupperte demonstrativ an ihrem Becher. »Ich hoffe doch, da hinten gibt es ein Sicherheitssystem, das so was verhindert?«

Auf Tammys ebenmäßigem Gesicht erschien ein wunderbar feines, höchst amüsiertes Lächeln. »Paige, das hätte keinen Zweck«, meinte sie. »Alan knackt jedes Sicherheitssystem.«

Dann sah sie ihn an und nickte hoheitsvoll. »Also gut. Freitag. Wir holen dich um sieben Uhr am Institut ab, okay?«

»Okay«, sagte Alan und konnte es immer noch nicht fassen. »Freitagabend um sieben.« Er deutete nach hinten. »Ich muss wieder. Ihr kennt ja den Slogan. Feed the world. Und jemand muss es schließlich tun. Lasst’s euch schmecken!«

»Danke für die Desserts«, zwitscherte die Blonde.

»Das hat aber lang gedauert«, maulte Joey, als Alan zurück in den hinteren Bereich kam.

»Dafür sind die vier Kundinnen jetzt wieder völlig versöhnt«, gab Alan zurück. »Da musste ich schon ein bisschen meinen Charme spielen lassen.«

»Hmm«, machte Joey, sagte aber nichts mehr.

Alan ging an seinen Grill und kratzte ihn sauber, während das Gespräch von gerade eben in seinem Kopf noch einmal ablief wie eine heimlich mitgeschnittene Aufnahme.

Alan knackt jedes Sicherheitssystem, hatte Tammy gesagt.

Also hatte sie ihn doch schon wahrgenommen, wenn sie das über ihn dachte! Und immer nur so getan, als wisse sie grade mal seinen Namen!

Mädchen!

Er spähte auf den nächsten Zettel an seinem Klemmbord. Zwei Doppel-Cheeseburger. Okay. Er warf vier Pattys auf den Grill, legte zwei noch eingepackte Scheiben Schmelzkäse bereit …

Alan knackt jedes Sicherheitssystem.

Er hielt inne, starrte auf die glühend heiße Fläche des elektrischen Grills und merkte gerade noch rechtzeitig, dass er fast dabei war, die Pattys zu verbrennen.

Alan knackt jedes Sicherheitssystem.

In Windeseile machte er die Cheeseburger fertig, dann wischte er sich die Finger ab, so gut es ging, holte sein Handy aus der Tasche und tippte Rob hastig eine Mitteilung: Um 11 p.m. Im Labor. Ich hab DIE Idee!

Rob war leicht angesäuert. »Ich wollte heute mal früher schlafen gehen.«

»Schlaf wird überschätzt«, erwiderte Alan, während er sich aus seiner Jacke schälte und sich eine lange, heiße Dusche wünschte, um den Bratfettgestank loszuwerden.

»Nun spuck’s schon aus«, grummelte Rob und machte sich über einen der drei Burger her, die Alan mitgebracht hatte. »Deine Idee.«

Alan legte die Hände zusammen. »Unser Ansatz ist zu langweilig. Eine KI, die Computersysteme analysiert und bewertet und Schwachstellen auflistet – das ist nützlich, aber ungefähr so nerdy wie die Big Bang Theory

»Mmh.« Rob nickte kauend. »Keine Chance bei der Jury. Von denen hat niemand je Big Bang Theory gesehen. Jede Wette.«

»Wir können aber auch nicht mehr von vorne anfangen, dafür reicht die Zeit nicht«, fuhr Alan fort. »Wenn wir jetzt auch noch, was weiß ich, Mustererkennung und Bildanalyse und so weiter dazu nehmen, sind wir in fünf Jahren noch nicht fertig.«

»Meine Rede.« Rob deutete auf die anderen beiden Burger. »Isst du die nicht?«

»Hab schon. Greif ruhig zu.«

Rob griff zu. »Die sind echt nicht übel.«

Alan bahnte sich zwischen Stapeln leerer Pizzakartons, von Büchern, die er längst hätte zurückgeben müssen, und von Kopien, die er längst hätte lesen sollen, einen Weg ans Fenster. »Wir haben unsere KI darauf trainiert, Computersysteme zu analysieren«, resümierte er. »Das haben wir gemacht, weil wir den Vorteil ausnutzen wollten, dass wir es mit einer komplett definierten Umgebung zu tun haben. Tammy und Martha gehen auf die real world los – das heißt, sie müssen sich mit Problemen herumschlagen wie, was sie machen, wenn ihre Bilderkennung ein Karo mit einem Herz verwechselt, oder wenn sie gar nichts erkennt, weil jemand ungewöhnliche Spielkarten verwendet, und so weiter. Die Probleme haben wir nicht, weil es für unsere KI nur andere Computer gibt, Server, Leitungen, Endgeräte und so weiter. Es ist eine komplexe Welt, aber die Anzahl der verschiedenen Elemente ist überschaubar, und jeder Zustand ist definiert.«

»Wie beim Schach«, warf Rob kauend ein. »War mein Argument. Wie du dich erinnerst.«

»Genau. Die von Google haben ihrem Alpha Zero nur die Regeln für Schach beigebracht und ihn dann gegen sich selbst spielen lassen. Und nach vier Stunden … nach vier Stunden! … war die KI besser als der beste bisherige Schachcomputer. Der sowieso schon besser war als der beste menschliche Schachspieler.«

Rob griff nach dem dritten Burger. Wenn er mal Hunger hatte, dann richtig. »Ich merke, du übst schon für den Vortrag vor der Jury.«

»Im Moment denke ich nur laut nach. Und ich denke, wir können zwar unsere KI nicht mehr umtrainieren, damit sie was ganz anderes macht, aber wir können sie so umbiegen, dass sie was Knalligeres macht. Sagen wir, etwas Hollywoodreifes.« Alan breitete die Hände aus. »Und – was machen die in Hollywood gern mit Computersystemen …?«

»Uh-oh«, machte Rob. »Alan! Das ist die Idee …!«

Alan grinste. »Und wenn man’s genau nimmt«, sagte er, »war es sogar Tammys Idee!«

Im Grunde hatte die Idee nahe gelegen: Ihre KI war darauf trainiert, Schwachstellen in Computersystemen zu finden – alles, was noch fehlte, war, ihr als Optimierungsziel vorzugeben, diese Schwachstellen auch auszunutzen. Oder, wie es Hollywoodfilme nannten: sie zu hacken.

Das war in gewisser Weise sogar das einfachere Ziel, denn es gab ein eindeutiges Kriterium für den Erfolg: Entweder, man kam rein – oder eben nicht. Deswegen – und weil die Zeit ohnehin nicht dafür gereicht hätte – gaben sie ihrer KI keinerlei Strategien, Tricks oder Kniffe mit, wie man in fremde Server eindrang, sondern überließen es ihr, selber herauszufinden, wie das ging. Was Alpha Zero mit dem Schachspiel geschafft hatte, nämlich, sich alles selber beizubringen, sollte ihr Programm im Hinblick auf das Hacken von Computersystemen auch können.

Oder es zumindest versuchen.

»Also, angenommen, es klappt und das Programm kommt in einen Server rein«, überlegte Alan, »dann sollte es auch einen Beweis hinterlassen. Nur eine Logdatei zu führen, in der am Ende steht, ›Ich war drin‹, das ist nicht richtig cool.«

Sie würden es zuerst auf das Geflecht der Computernetze des MIT ansetzen. Deren Admins kannten sie, die meisten von ihnen zumindest.

»Spontan hätte ich gesagt, wir kopieren jeweils das Centerfold aus dem PLAYBOY ins Root-Verzeichnis«, sagte Rob. »Aber bei den Architekten sind die Admins Frauen, das käme wahrscheinlich schlecht.«

»Bei den Sozialwissenschaften auch«, meinte Alan. »Aber die Idee ist gut. Pass auf, wir kopieren das PDF mit der Ausschreibung des Wettbewerbs. Das taugt auch als Beweis viel besser.«

Trotzdem wurde die Zeit schnell knapp, denn sie mussten ja nicht nur das Programm ändern, sondern auch die Präsentation ganz neu aufziehen, die Schautafeln für den Ausstellungsraum abändern und die Dokumentation überarbeiten: All das musste pünktlich vorliegen, damit ihr Projekt überhaupt für die Auswahl durch die Jury zugelassen wurde. So wirbelten sie am Dienstag bis nachts um zwei, am Mittwoch bis nachts um vier, und am Donnerstag arbeiteten sie durch und genehmigten sich nur am Vormittag zwei Stunden Schlaf. Ihr Labor, ohnehin noch nie ein Tempel der Ordnung und Sauberkeit, verwandelte sich währenddessen immer mehr in eine Art Notunterkunft.

»Mann, und heute Abend soll ich mit Tammy und ihren Freundinnen ins Kino«, ächzte Alan, als er sich gegen Mittag von dem Matratzenlager in der Ecke hochstemmte. Er schleppte sich zum Waschbecken, um sich mit kaltem Wasser frisch zu machen. »Bestimmt schlaf ich mitten im Film ein.«

»Sag doch einfach ab«, schlug Rob vor.

Alan gluckste. »Du spinnst wohl. Einer Tamara Lyman sagt man doch nicht ab!«

»Also, wenn du mich fragst, lässt man sich mit einer Tamara Lyman erst gar nicht ein«, erwiderte Rob. »Aber was weiß ich schon?«

»Eben. Was weißt du schon.«

Immerhin, ein Dutzend Tassen starken Kaffees später war zumindest das Programm fertig.

»Wie wollen wir sie nennen?«, fragte Rob.

Alan blinzelte. »Wen?«

»Na, unsere KI! Sie muss irgendeinen coolen Namen kriegen. Einen, der alle Zeitungen heißmacht, ihn zu drucken.«

»So was wie Alpha Zero?«

»Genau.«

»Hmm«, meinte Alan. »Dann nennen wir sie doch Omega. Alpha und Omega, das passt.«

»Omega One«, schlug Rob vor.

»Okay. Omega One.«

Rob hob den Daumen, trug den Namen ein und verkündete dann: »Omega One ist startklar.« Er ließ den Finger über der Entertaste kreisen. »Willst du noch ein paar salbungsvolle Worte sagen, ehe sie losgeht?«

Alan schüttelte den Kopf. »Lass das. Nicht jetzt. Wir starten morgen früh in aller Ruhe.«

Rob verzog enttäuscht das Gesicht. »Haben wir die Zeit?«

»Wir nehmen sie uns«, sagte Alan. »Jetzt heißt es, volle Konzentration auf das Projekt Tammy One

Er ignorierte Robs Augenrollen und ging duschen. Er schaffte es sogar, was Frisches anzuziehen, ehe um sieben Uhr abends das Telefon klingelte: Tammy, die in ihrem schicken roten Sportcoupé vorgefahren war und Alan wissen ließ, er müsse ihnen mit dem eigenen Wagen zum Kino folgen, alle vier Plätze seien besetzt.

»Ich fahr mit«, erklärte Rob kurz entschlossen. »Einer muss ja auf dich aufpassen.«

Das war Alan gar nicht so unrecht. »Können wir dann vielleicht deinen Wagen nehmen? Ich glaube, ich hab nicht mehr genug Benzin.«

»Klar, kein Problem.«

Doch als sie unten waren, fiel Rob ein, dass er noch mal hoch musste, weil er seinen Autoschlüssel nicht dabei hatte. »Flirt’ ein bisschen mit den Mädels«, meinte er. »Ich bin gleich wieder da.«

Auch das noch. Alan schlenderte zu Tammys Wagen hinüber und fragte, um Zeit zu gewinnen, wieso Martha nicht dabei war.

»Die nehmen wir nicht mit«, erklärte die Brünette. »Sonst reden Tammy und sie die ganze Zeit nur über Computer.«

»Martha«, ergänzte die Blonde spöttisch, »ist sowieso eher der Typ, der ins Theater geht.«

Da tauchte Rob endlich wieder auf, klimperte mit den Schlüsseln seines alten, rostigen Hondas und rief: »Auf zum Weltuntergang!«

Der Film war … nun ja, im Grunde genau so, wie Tammy ihn angekündigt hatte: Viel Krach und Katastrophe, die Welt ging unter, aber nur fast, denn der Held rettete sie in letzter Minute und kriegte das Mädchen, und alles war gut.

Alan hingegen kriegte sein Mädchen nicht, denn nach viel Gegacker und Hin und Her kam er am Ende doch nicht neben Tammy zu sitzen, sondern neben der Brünetten, die ihn nicht leiden konnte. Sie hieß Paige und ermahnte ihn gleich zu Beginn, seine Hände bei sich zu behalten, obwohl er weder Annäherungsversuche gemacht hatte noch die Absicht, welche zu unternehmen.

Seine Laune war entsprechend, als sie wieder herauskamen. Es kostete ihn Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Immerhin, die anderen Mädels waren alle mit ihren Freunden verabredet und hatten es eilig, mit ihnen zu verschwinden. Kurz sah es aus, als würde es darauf hinauslaufen, dass er und Tammy am Schluss allein dastanden und sich überlegen konnten, was sie noch unternehmen wollten …

Seine Träume zerstoben jäh, als Rob, anstatt sich ebenfalls vornehm zu verdrücken, plötzlich sagte: »Alan – ich glaube, ich muss dir was gestehen.«

Sie sahen ihn beide verdutzt an, Alan genauso wie Tammy. Er schaute irgendwie bedenklich verlegen drein.

»Es ist so«, druckste er herum. »Ich hab, bevor wir gegangen sind, das Programm einfach mal gestartet. Als ich noch mal oben war. Weil wir doch so knapp in der Zeit liegen. Und jetzt hab ich ein blödes Gefühl deswegen und würde lieber noch einmal ins Labor zurück.« Er spielte nervös mit dem Autoschlüssel herum. »Ich meine, vielleicht kann Tammy dich ja heimfahren -?«

»No way«, unterbrach ihn Tammy. »Du hast eine hochkarätige KI vier Stunden lang unbeaufsichtigt rennen lassen? Das will ich sehen.« Sie holte die Schlüssel ihres BMW-Coupés aus der Tasche. »Fahr voraus. Alan und ich folgen dir.«

Auf den ersten Blick sah alles harmlos aus. Peinlich war nur das Chaos, das Tammy mit anzüglichem Heben der Augenbrauen zur Kenntnis nahm. Auf dem Bildschirm zuckten ein paar Kennzahlen, die Hinweise auf den Zustand der künstlichen Intelligenz gaben.

»Tja«, meinte Rob verlegen, »ich hab offenbar Gespenster gesehen.«

Dann drückte er eine Taste, die den zweiten Bildschirm wieder aufweckte.

Einen Bildschirm voller Text. Sie beugten sich darüber und lasen die Namen von Servern und ihren Standorten, überall auf der Welt. Russische Server. Chinesische Server. Server der NSA, der CIA, des Pentagon. Server großer Konzerne, darunter die Server der Kreditkartenunternehmen. Alle fortlaufend durchnummeriert, und die Nummern waren schon sechsstellig.

Und hinter jedem Namen stand: Zugang verschafft.

»Uh-oh«, machte Rob.

»Sag, dass ich das nur träume«, keuchte Alan. NSA! Zugang verschafft um 10:43:23 p.m.!

Googles Alpha Zero hatte vier Stunden gebraucht, um der beste Schachspieler aller Zeiten zu werden. Ihr Programm hatte weniger Zeit gebraucht, um der beste Hacker aller Zeiten zu werden!

Was immer das über den Zustand der Sicherungssysteme in aller Welt aussagte.

»Auf jeden Fall hat es funktioniert«, sagte Rob bemüht munter.

»Sieht eher aus, als hätte es zu gut funktioniert.« Alan fuhr sich unwillkürlich mit beiden Händen durch die Haare. »Rob – das Programm hat in jedem dieser Server praktisch unsere verdammte Visitenkarte hinterlassen! Wenn auch nur einer von denen zwei und zwei zusammenzählt, dann sind die uns schon auf der Spur! Oder?« Er sah sich nach Tammy um.

Die war ein paar Schritte rückwärtsgegangen. »Jungs«, sagte sie, »ich glaube, ihr ruft jetzt besser eure Anwälte an. Und ich … Ich war nie hier.«

Damit ging sie.

»Was können die uns schon tun?«, argumentierte Rob. »Ich meine, NSA, CIA, Pentagon … das sind die größten Cracks in Sachen Computersicherheit, Verschlüsselung und so weiter, oder? Wenn die sich von zwei Studenten hacken lassen, dann sind die doch quasi selber schuld, würde ich sagen!«

Alan lag wie erschlagen in seinem Sessel, starrte die Liste an, die immer noch länger wurde …

130.981 – TUI Zentrales Buchungssystem

130.982 – NASA Back-up Server

130.983 – Rechenzentrum des Europäischen Parlaments

130.984 – Interpol

130.985 – Server Central Disease Control

… und sah sein Leben in die Brüche gehen.

»Es spielt keine Rolle, was du sagst, Rob«, stöhnte er. »Es kommt nur drauf an, was die sagen!«

»Wieso? Wir tun denen doch einen Gefallen! Wir zeigen ihnen, dass ihre Systeme verwundbar sind. Wenn wir die Logs auswerten, das neuronale Netz rückübersetzen, dann kriegen wir vielleicht auch raus, wie …«

»Die werden uns einsperren. Vielleicht nicht in ein Gefängnis, aber ganz bestimmt in eine geheime Entwicklungsabteilung, wo wir für den Rest unseres Lebens nichts anderes mehr machen.«

»Ach was, das ist doch halb so …« Rob hielt inne, ließ die Schultern sinken. »War keine so gute Idee, hmm?«

»Nein. Keine gute Idee.«

»Und was machen wir jetzt?«

Alan merkte, dass er unwillkürlich schon lauschte, ob sich draußen Autos näherten. »Ich weiß es nicht.« Er seufzte. »Tammy hat recht, wir sollten unsere Anwälte anrufen. Ich hab bloß gar keinen. Und erst recht nicht das Geld, einen zu bezahlen.«

»Geht mir genauso.« Rob sah auf die Uhr, deren düster rot glühende Ziffern zwei Minuten vor Mitternacht anzeigten. »Überhaupt ist Freitagnacht der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um einen guten Anwalt zu finden, schätze ich.«

»Vor allem, wenn man ihm gleich sagen muss, dass man kein Geld hat.«

»Vor allem dann, ja.«

Alan fühlte sein Herz rasen. Sein Hemd war schweißnass.

Ein Fehler. Er hatte einen Fehler gemacht. Es gab Fehler, die konnte man nie wieder gutmachen, und das hier, das war so ein Fehler. Genau so einen Fehler hatte sein Vater gemacht, damals, als er stellvertretender Leiter der örtlichen Bank gewesen war und sich hatte überreden lassen, einen Kredit zu gewähren, einen großen Kredit, den er nicht hätte abzeichnen dürfen – aber es war ein guter Freund gewesen, er hatte mit Engelszungen geredet, ein benachteiligter Freund, der Pech im Leben und eine zweite Chance verdient gehabt hatte …

Doch so gut die Absichten auch gewesen waren, der Kredit war eben geplatzt, das Geschäft des guten Freundes, der am Ende kein so guter Freund mehr war, pleitegegangen, und Vater hatte seine Stelle verloren, ohne jede Chance, jemals wieder eine gleichwertige zu finden. Denn von da an war er einer gewesen, der Fehler machte, gefährliche Fehler, und so jemandem gab niemand eine zweite Chance. Er hatte sich mit Jobs durchgeschlagen, einer mieser und schlechter bezahlt als der vorige, und so war es mit der Familie Cleveland immer weiter abwärtsgegangen. Sie hatten das Haus aufgeben und in immer schlechtere Wohnungen ziehen müssen, und Verzweiflung war in ihr Leben gekrochen wie der Schimmel, der winters an den Wänden hochstieg …

Alan ruckte hoch und hieb auf die Taste, die das Programm stoppte. Dann zog er das Netzkabel ab.

»Es war ein Fehler«, stieß er hervor. »Und wir sind so was von am Arsch, da gibt’s überhaupt keine Worte mehr dafür.«

Er ließ sich wieder in seinen Sessel fallen. »Warum muss das uns passieren? Wenn es Tammy passiert wäre … die hat einen Anwalt. Ach was, ein Dutzend wahrscheinlich, die auch an Heiligabend angesprungen kämen, wenn Vaters Töchterlein Mist gebaut hat.« Er fuhr sich übers Gesicht. »Immer das Gleiche. Geld regiert die Welt. Und wer keins hat -«

»Warte mal«, sagte Rob, der auf einmal kerzengerade da saß. »Wer sagt, dass wir keins haben können?« Er wies auf den Computer. »Alan – wir haben eine KI, die in die bestgesicherten Server der Welt eingedrungen ist! Warum sollte die nicht imstande sein, in die blöden Server von Banken zu kommen?«

Alan sah ihn verständnislos an. »Banken?«

Rob rollte vor den Computer, holte den Quellcode auf den Schirm, begann zu tippen. »Zuerst muss sie die Server finden und knacken, über die das Internet mit dem Bankennetz verbunden ist. Dann muss sie in deren Rechner rein, und dann …«

»Rob!«, rief Alan. »Wovon redest du?«

Rob tippte wie ein Irrer. »Ich bin sicher, du kommst noch drauf.«

»Willst du die Banken etwa ausrauben?«

»So kann man’s auch nennen. Ist aber so ein hässliches Wort. Ich würde es gern irgendwie anders nennen, Selbstverteidigung oder so.«

»Rob. Rob! Das können wir nicht machen.«

»Oh, im Gegenteil. Und wie wir das können. Wir gehen in alle Konten, die wir finden, und übertragen die Guthaben auf unsere Konten. Über siebzehn Ecken natürlich, einmal rund um die Welt.«

»Du weißt doch gar nicht, wie das geht, so etwas zu tarnen!«

»Muss ich auch nicht. Ich muss nur unserer KI klar machen, dass sie’s rausfinden soll.«

Alan war schlecht. Und schwindlig. Dabei war es im Grunde egal, sagte er sich. Sie stellten eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar, da fiel ein Bankraub nicht mehr ins Gewicht. Sie würden untergehen, aber wenigstens mit Pauken und Trompeten.

»Ich weiß nicht, ob das reicht, Rob«, gab er zu bedenken. »Die sind wahrscheinlich schon unterwegs hierher.«

»Wir brauchen höchstens eine Stunde, bis alles läuft. Dann springen wir ins Auto und verlassen die Stadt. Ein Kumpel von mir hat eine Jagdhütte in den Wäldern, dort tauchen wir unter.«

»Und der Computer? Meinst du, die kommen her und lassen den rennen?«

Jetzt hielt Rob inne. Er sah sich um, ein triumphierendes Grinsen im Gesicht. »Alan! Wir haben Zugriff auf über hunderttausend Server! Das Erste, was unsere KI tun wird, ist natürlich, sich auf die alle zu kopieren und von dort aus weiterzumachen.«

Sie brauchten keine Stunde. Eine Stunde später waren sie schon halb aus Boston draußen.

»Ich hab kein gutes Gefühl bei der Sache, Rob«, sagte Alan ungefähr ein dutzend Mal, meistens dann, wenn Rob von einer schmalen Straße auf eine noch schmalere Straße abbog.

»Ich auch nicht«, gab Rob zurück. »Wenn du eine bessere Idee hast, nur raus damit.«

»Nein. Hab ich nicht.«

»Siehst du? Also bleiben wir bei dieser.«

Irgendwann mussten sie tanken. Zum Glück kam eine Tankstelle, die zwar so altmodisch und heruntergekommen aussah, als sei die Zeit stehen geblieben, aber es gab Benzin und sie hatte auf, nachts um drei.

Am Fenster hing ein großes, rostiges Schild mit der Aufschrift: We trust in God and in the Dollar. CASH ONLY!

»Ist doch prima«, meinte Rob. »Dann wundert der sich schon nicht, warum ich nicht mit Karte zahle.«

Der Tankwart war ein hagerer, mürrischer Mann, der auch aussah wie aus einem anderen Jahrhundert, genau wie der schwarz-weiße Fernsehapparat, in dem er irgendeine seltsame Show verfolgte. Rob und Alan versorgten sich in seinem kleinen Laden noch mit Proviant: Bohneneintopf, Brot, Butter, ein Glas Marmelade, zwei Sixpack Bier, ein paar Süßigkeiten und dies und das. Der Mann strich die Dollarscheine, die Rob ihm hinblätterte, wortlos ein, nickte ihnen zu und widmete sich wieder seiner Glotze.

Es dämmerte schon, als sie die Waldhütte erreichten. Der Schlüssel lag unter einem Blumentopf, die Tür quietschte wie ewig nicht benutzt, und auch der Staub, der drinnen auf allem lag, verriet, dass der Besitzer der Hütte lange nicht mehr hier gewesen war.

Aber es gab Gas, Feuerzeuge, Pulverkaffee, Zucker und Dosenmilch, die noch nicht abgelaufen war. Und zwei Betten, in die sie fielen, um sofort einzuschlafen.

Als sie erwachten, stand die Sonne hoch am Himmel. Sie frühstückten, ohne auf die Uhr zu schauen. Es gab Kaffee und Brot, das sie über der Gasflamme rösteten und mit Butter und Marmelade aßen, vor der Hütte, mit Blick auf den See, der keine hundert Schritt weiter hinter den Bäumen anfing. Es war unwirklich ruhig. Ein paar Vögel keckerten, hier und da knarrte ein Ast im Wind, das war alles. Als gäbe es den Rest der Welt nicht mehr.

»Ob sie rauskriegen können, wohin wir gefahren sind?«, überlegte Alan. »Mit den ganzen Verkehrskameras und so?«

Rob schüttelte unbekümmert den Kopf. »Glaub ich nicht. In Boston vielleicht. Aber wir haben die Stadt in Richtung New York verlassen – was haben sie davon, wenn sie das wissen?«

»Aber wir sind nicht an den Kameras auf der Interstate 90 vorbeigekommen.«

Rob kaute gemütlich. »Stimmt. Sind wir nicht. Was kann man daraus schließen?«

»Dass wir nicht nach New York gefahren sind.« Alan überlegte. »Es sei denn, über kleine Seitenstraßen.«

»Von denen es Tausende gibt.«

»Okay. Wahrscheinlich wissen sie tatsächlich nicht, wo wir sind.«

»Sag ich doch.«

»Aber«, überlegte Alan weiter, »ewig können wir hier nicht bleiben. Irgendwann müssen wir wieder zurück.«

»Klar. Um nachzuschauen, wie viel Geld uns die KI beschafft hat.«

Alan schlug die Hände vor die Augen. »Rob, das ist doch Irrsinn. Ein Bankraub, bei dem man die Beute aufs eigene Konto überweist! Noch deutlichere Spuren kann man gar nicht hinterlassen!«

»Eben«, meinte Rob ungerührt. »Niemand, der imstande ist, eine KI zu programmieren, würde sich so dämlich anstellen. Also waren wir es gar nicht. Wir waren übers Wochenende weg, ausspannen, und irgendein fieser Konkurrent hat sich an unseren Computer geschlichen und das Programm gestartet. Nur, um uns eins reinzuwürgen.«

»Du denkst echt, wir können uns da rausreden?«

»Ich hab mich schon aus viel peinlicheren Situationen herausgeredet, möcht’ ich meinen.« Rob kratzte sich die Brust. »Und wer weiß, vielleicht ist ja auch gar nichts passiert. Dann kommen wir zurück, der Computer rödelt immer noch, hat’s in keine Bank geschafft, und die Leute vom FBI sind alle im Wochenende, weil keiner was von unserem Eindringen bemerkt hat.«

»Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Amen.«

Rob leerte seinen Kaffeebecher, reckte die Arme wie ein gestresster Familienvater am ersten Tag seines wohlverdienten Urlaubs. Dann sagte er: »Wir wissen es nicht. Stimmt. Im schlimmsten Fall sind heute und morgen unsere letzten Tage in Freiheit. Ich denke, die sollten wir entsprechend genießen, anstatt sie mit Sorgen und Grübeln zu verplempern.« Er stand auf, zog das T-Shirt aus, streifte die Hose herab und sagte: »Wer zuerst im Wasser ist!«

Sie schwammen stundenlang, dösten am Ufer auf der Böschung und sahen den Vögeln zu, wie sie einander jagten. Sie ließen Holzstücke hinaustreiben und warfen mit Steinen danach. Abends machten sie den Eintopf warm, tranken Bier und redeten. Alan erzählte, wie sein Vater lange versucht hatte, alles vor den Nachbarn zu verheimlichen.

»Aber er hatte sich bis dahin alle zwei Jahre ein neues Auto gekauft. Wir waren bis dahin jedes Jahr im Urlaub. Das ging nicht mehr. Meine Mutter hat unsere Klamotten geflickt, aber irgendwann hat man einfach gesehen, dass sie nicht mehr neu waren.« Er kippte den Rest der Dose hinunter. »Aber da konnten wir sowieso das Haus nicht mehr halten und mussten umziehen, und in der neuen Schule kannte mich ja niemand …«

»Das ist ein echtes Trauma bei dir«, diagnostizierte Rob gnadenlos. »Meine Eltern sind zwar keine Millionäre, aber am Geld hat es nie gefehlt. Ich mach mir da echt keine Sorgen deswegen.«

Alan sah hinaus über den See, der dunkel und leer hinter den schwarzen Bäumen lag, erhellt nur vom Licht der Sterne am Himmel. »Hmm, schon seltsam. Ist ja nicht so, dass wir gehungert hätten. Und ans MIT geschafft hab ich’s trotzdem. Es ist einfach nur … der Abstieg, verstehst du? Wenn’s von oben nach unten geht, das ist schmerzhafter, glaub ich, als wenn du unten bist und es nie nach oben schaffst.«

Rob griff sich eine zweite Dose. »Ja, das liebe Geld. War vielleicht doch keine so gute Erfindung. Wie die Atombombe. Wär’ auch besser, die hätte nie jemand erfunden.«

Am späten Sonntagnachmittag beschlossen sie, sich wieder nach Boston zurück zu wagen. Sie waren beide sehr schweigsam, während sie ihre paar Sachen ins Auto packten, die Hütte aufräumten und den Schlüssel wieder unter den Blumentopf legten. Kurz vor fünf erreichten sie die erste geteerte Straße. Es war wenig los.

»Schwer vorstellbar, dass sie mit Blaulicht und Polizeihunden auf uns warten«, meinte Rob.

»Stimmt«, sagte Alan. »Eine Staffel Hubschrauber ist das Mindeste.« Die zwei Tage im Wald, stellte er fest, hatten ihm gutgetan. Er nahm seine Ängste nicht mehr ganz so ernst wie noch Freitagnacht.

Sie hielten an derselben Tankstelle wie auf dem Hinweg, tankten und kauften noch zwei Flaschen Cola. Als sie an der Kasse standen und ihre letzten Scheine und Münzen zusammenwarfen, fiel Alans Blick auf das grau-weiße Bild, das der Fernseher zeigte: Ein Mann war zu sehen, der erregt auf eine Reporterin einsprach und der Alan bekannt vorkam.

Dann schob sich ein Textbalken unter ihn: Jesse Lyman, Hedgefonds-Manager.

»Hey«, entfuhr es Alan. »Das ist Tammys Vater!« Er wandte sich an den hageren Tankwart. »Können Sie das bitte laut machen?«

»Hmm«, brummte der, drehte den Ton aber auf.

»… albern, das eine Krise zu nennen«, erregte sich der teuer gekleidete Mann. »Das ist eine Katastrophe unglaublichen Ausmaßes! Und es ist ein Skandal, dass nichts getan wird. Geld ist das Blut der Wirtschaft, und wie es aussieht, verbluten wir gerade!«

»Vielen Dank, Mister Lyman, für diese Einschätzung der Lage«, sagte die Reporterin mit beflissener Professionalität. Sie wandte sich der Kamera zu. »Das war ein Stimmungsbild von der Wall Street. Damit zurück ins Studio.«

Rob und Alan sahen einander an.

»Uh-oh«, machte Rob.

»Danke«, sagte Alan, an den Tankwart gewandt.

Dann machten sie, dass sie weiterkamen.

Es warteten tatsächlich weder Polizeihunde noch Wagen mit Blaulicht auf sie, als sie wieder am Institut ankamen, und es kreisten auch keine Hubschrauber am Himmel.

»Nicht ein einziger Typ mit Sonnenbrille«, stellte Rob fest. »Enttäuschend.«

»Keine flachen Witze jetzt, bitte«, bat Alan nervös. »Lass uns einfach nur nachschauen, was los ist.«

Auch im Labor wartete niemand auf sie. Als sie die Tür aufschlossen, war alles, was sich dahinter bewegte, der Bildschirmschoner auf dem Monitor.

Alan schaltete den Fernseher ein und zappte die Programme durch, Rob setzte sich an den Computer und nahm sich das Logfile vor.

In den Nachrichten gab es nur ein Thema. Sie nannten es Krise der Zahlungssysteme: Man konnte an Automaten kein Geld mehr abheben, die Banken konnten keine Überweisungen mehr tätigen, die vielen Finanz-Apps und Buchungsprogramme funktionierten alle nicht mehr, und so weiter.

Ein verschwitzter ITler erklärte einem Reporter, sie hätten schon zum dritten Mal die Back-ups eingespielt, aber es nutzte nichts. »Sobald das System wieder hochgefahren wird, passiert genau dasselbe wieder«, sagte er mit bebender Stimme. »Es ist, als gäbe es im Netz ein schwarzes Loch, das alles Geld ansaugt und verschwinden lässt.«

»Rob«, sagte Alan mit einem ganz unguten Gefühl, »sag mir bitte, dass wir damit nichts zu tun haben.«

»Hmm, hmm«, machte Rob.

»Rob!«

Rob seufzte abgrundtief, rollte mit seinem Sessel ein Stück von der Tastatur weg und sagte: »Also … Wie es aussieht, hat unsere KI schon wieder ein bisschen zu gut funktioniert.«

»Was heißt das? Hat sie eine Bank geknackt oder nicht?«

»Nicht eine Bank«, sagte Rob. »Alle

Alan fiel fast der Kinnladen herab. »Alle.«

»Alle.«

»Und dann?«

»Die KI hat alle Konten gefunden und alles Geld, was darauf war, auf unsere beiden Konten transferiert.« Rob hob die Hände in einer hilflosen Geste. »Alles Geld der Welt, sozusagen.«

Alan spürte seine Beine schwach werden. Er ließ sich in den anderen Sessel fallen. »Und was heißt das in … in Dollar? Sind jetzt Billionen auf unserem Konto? Trillionen? Fantastilliarden? Oder was?«

»Tja«, meinte Rob seufzend, »das Problem ist, dass Datenfelder nur eine bestimmte Länge haben, auch die für die Höhe des Kontostands. Es ist eine großzügig bemessene Länge, die auch für Bill Gates, Warren Buffett und arabische Scheichs ausreicht, aber eben nicht für alles Geld der Welt.« Er wies auf den Monitor. »Mein Konto zeigt nur Sternchen. Das Zeichen für Überlauf.«

»Überlauf!«, wiederholte Alan fassungslos.

»Wird bei deinem genauso sein.« Rob hüstelte. »Und jedes Mal, wenn die IT-Leute bei den Banken die Back-ups einspielen, transferieren die hunderttausend Kopien unserer KI, die sich in all die Systeme eingenistet haben, das ganze Geld noch einmal auf unsere Konten. Ohne dass wir was davon hätten, weil es dann natürlich wieder genauso weg ist.«

Alan schüttelte langsam den Kopf. »Das heißt …?«

»Das heißt, wir haben praktisch das Geld abgeschafft. Die Banken. Schecks. Konten. Derivate. Hedgefonds. Alles weg. Wir haben alle Vermögen vernichtet und alle Schulden annulliert. Und die Chancen, das je wieder repariert zu kriegen, stehen ziemlich schlecht.«

Sie sahen einander mit großen Augen an.

»Und jetzt?«, fragte Alan.

Rob wiegte den Kopf. »Man darf gespannt sein.«

Wie künstlich ist Intelligenz?

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