Читать книгу Burnout und dann: Kloster - Andreas Knierim - Страница 6

Оглавление

Money to burn

Doro

»Denk wie ein Mann«, dachte sie gerade.

Und dann handelte sie gleich auch wie ein Mann: »Meine Herren, ich bitte Sie, mich von dieser Human-Resources-Aufgabe zu entbinden..«

Das war genau das Spiel, was die Männer in dieser Runde so liebten. Sie selbst nannte es in Gedanken das Kleine-Jungs-mit-der-Eisenbahn-Spiel. Sonst zählte sie zu den Gewinnern, aber diesmal wurde ihr Mini-ICE im Mini-Bahnhof vom Mini-Stationsvorsteher gestoppt: »Endstation, bitte alle aussteigen.«

Dorothea Kilian, intern Killer-Kilian genannt, drehte sich um und verließ den Meetingroom. Draußen vor der Tür machte sie eine Übung, die sie vor kurzem erst in einem ihrer Psychoseminare gelernt hatte - den Tag rückwärts laufen lassen und dabei ganz ruhig atmen. Rückwärts in ihr 100-qm-Büro, zurück zum Business-Lunch, mit federnden Schritten wieder ins Büro, wieder ins Morning-Meeting, raus und vorbei an ihren zwei Sekretären, in den Fahrstuhl, in die Tiefgarage, der Chauffeur hält die Türe auf und sie hüpft mit dem Hintern zuerst ins Auto.

Weiter, immer weiter, zurück in die Loft, Espresso in die Tasse spucken, das restliche Wasser verschwindet im Duschkopf und sie liegt endlich wieder in ihrem Himmelbett und träumt den süßen Traum.

»Hallo Doro, aufwachen und denken« erinnerte sie sich ihrer einmaligen Realität, die Konstruktivsten nun einmal haben. Sie zog ihre Pumps aus und lief auf Strümpfen in ihr Büro zurück. In 10-Finger-blind tippte Doro ihre letzte to-do-Liste ins Netbook:

1. Bei der Abfindung soviel rausholen wie möglich.

2. Alle persönlichen Dinge im Büro zurücklassen (kein Pappkarton!).

3. Eine Abschiedsmail in Gedichtform schreiben.

4. Das tun, was ich wirklich, wirklich will.

Unter 1. verbuchte sie einen Porsche Panamera, einhundertdreißig ausbezahlte Urlaubstage und eine Barabfindung von 1,25 Millionen Euro – zahlbar wie üblich auf die Cayman-Islands.

Punkt 2. bedeutete das Zurücklassen von drei photogeshopten Familienbildern mit Fakes von Ehemann und Kindern, 23 potthässlichen Awards aus Stahl und Plexiglas mit zugehöriger Urkunde sowie vier gerahmten Kinderbildern mit dem Vermerk Für Mama - angefertigt von ihrer Nichte Nancy.

Punkt 3. klang so: »Liebe Freunde, es ist soweit, die Doro hat den Schneid. Und sagt Adieu, mon dieu. Streckt euch zur Decke, ihr lahmen Säcke.« Na ja, Dichter würde sie nicht mehr werden.

Punkt 4. gestaltete sich allerdings als äußerst schwierig, denn Doro hatte sich zum letzten Mal mit elf Jahren gefragt, was sie wirklich, wirklich wollte. Dabei war das viele Geld, das sie nun besaß, eher hinderlich. Warum nicht daraus auch ein Spiel machen: Money to burn, das Ausgeben von Geld mit der Bedingung: Nichts bleibt zurück, es werden keine Werte angeschafft, es gibt keine Spendenquittungen und keine Ehrungen in Form von Büsten in Foyers.

Draußen, im Parkhaus, war es erstmal vorbei mit dem Spiel. Und vorbei mit ihren Kräften. Sie sank auf den Rücksitz ihres Panamera und schlief den Schlaf des Gerechten, ganz sanft lag sie da.

Als sie aufwachte, zeigt die erdfarbene Analoguhr am Armaturenbrett 3:03. Sie schlüpfte nach vorn, startete den Motor. Öffnete mit ihrer Chipkarte die Schranke und schmiss diesen Schlüssel zu allen Türen aus dem Fenster.

»Die nächste Begegnung ist immer die Beste«, war einer ihrer Grundsätze. Die Wahl dieser Stätten der Begegnung war von ihr allerdings immer hochmanipulativ gewesen. Sie musste sich eingestehen, auch diese Wahl diesmal dem Zufall zu überlassen. Wobei es Zufälle, das war ihre Lebenserfahrung, eigentlich nicht gab. Also folgendes Experiment: Radio an, beim Traffic-Jingle sofort parken, aussteigen und warten, was passiert.

Es passierte: Nichts. Da war keine Kneipe in der Nähe, kein Mensch auf der Straße, nichts. »Koste jede Sekunde dieses Augenblickes aus«, dachte sie in dieser lauen Mai-Nacht und sang ganz leise I walk the line.

Jeremias

Wenn es einen Gott des Kaffees gab, dann hatte er den Namen Jeremias. Er hatte es geschafft, inmitten von Kälte und ökonomischer Härte einen Ort der Heimat zu schaffen. Zum ihm kamen die Loser und die Gewinner, er behandelte alle gleich. Sein Coffeeshop Peace & Freedom hatte für das Bankenviertel inzwischen den Ruf eines anderen Planeten, auf dem es – richtig geraten - Frieden & Freiheit gab. Und damit gleich zwei Dinge bot, die es im Vokabular eines Börsenmaklers locker zum Unwort des Jahres geschafft hätten. Jeremias verlor nie ein Wort über den Namen seiner Kaffeebude, redete sich schüchtern raus, wenn gefragt wurde. Sein Frieden und seine Freiheit waren das wertvollste in seinem Leben geworden und seine Therapie der Verarbeitung der unverstellbaren Ereignisse gewesen.

Als er mit dem Auto die Straße entlang fuhr, konnte er sich an die Frau, die dort an der Ecke stand, sehr gut erinnern. Es gab keine Zufälle im Leben und so war dieser Mai-Nacht-Augenblick eben auch keiner. Zwei Menschen trafen aufeinander, die verschiedener nicht sein konnten. Und sie kannten einander, wenn auch in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen.

Jeremias hatte Doro fast jeden Tag der Woche »getroffen«, zwischen den beiden die blankgeputzte Theke. Nur am Sonntag nicht, da blieb das Peace & Freedom geschlossen, obwohl er bestimmt genügend Kunden bei den 24/7-Workaholics gefunden hätte. Wenn Doro durch die automatische Tür kam, hatte sie diese besondere Autorität und diese einfachen Wünsche: Doppelter Espresso machiato, kein Zucker – für sie natürlich keinen Zucker. Dazu der klassische Blaubeer-Muffin, den sie beherzt mit drei, vier Bissen verschlang.

Nicht, dass sie für den Espresso länger gebraucht hätte. Nur – sie stand danach nicht auf, sondern blieb sitzen, aufrecht mit ruhendem Blick auf ihm und seiner Arbeit. Das brachte ihn öfter so durcheinander, dass er Bestellungen vergaß oder, noch schlimmer, die falschen Getränke über den Tresen reichte.

Sie hatte ihn einfach im Griff. Und wenn er das Gefühl der vollkommenen Willenlosigkeit spürte, stand sie auf und ging mit raschen Schritten nach draußen, ohne ihre Jacke anzuziehen. Er schaute einen Moment nach unten, um Schaum auf einen Cappuccino zu geben, schaute wieder hoch, und zack, weg war sie schon. Diese Frau, aus der er auch durch genaues Beobachten nicht schlau wurde.

Und damit war sie eine Sonderfall der Sonderfälle, denn Jeremias lag selten schief: Sein 10-Sekunden-Blick war präziser als jeder Ganzkörper-Scanner, denn er berücksichtigte auch den wahren Kern des Menschen. In seiner neuronalen Datenbank gab es zu 99 % einen Treffer, der ihm alles über den Menschen verriet. Doro zählte leider zu dem kümmerlichen ein Prozent und lieferte kein Passepartout ihres Innersten.

Jeremias war geprägt durch sein Staunen über die Welt Das hatte ihn schon als Kind begleitet und war bis heute geblieben: Er schaute zu, wie das Leben in seiner Zartheit verstrich und sich zu immer neueren Höhen empor schwang. Er musste genau, dass Sekunden über Aufstieg und Fall in diesem Leben entschieden. Ein intuitive Bewegung, das Hervorschnellen eines Messer und der Treffer ins Herz, hatten das Leben einer Frau beendet und seines fast dazu. Jeremias hatte Buße getan für diese Millisekunden eines vollendeten Fehlers, seine alte Identität begraben und in eine neue geflüchtet.

Jeremiasdoro

Es gab keine Zufälle und deshalb wusste Doro schon lange, wen sie in dieser Nacht vor sich hatte – ihr Handy hatte es ihr verraten. In einem unbeobachteten Moment hatte sie Jeremias im Coffeeshop fotografiert, das Bild zum Server nach Cupertino-Campus geschickt. Die Gesichtserkennung hatte prompt reagiert, fleißig Daten verknüpft und ihr das Profil aufs iPhone zurückgemailt: Jeremias de Montis, 36 Jahre alt, wohnhaft in Frankfurt/M., Link zum Peace & Freedom-Shop und zu Facebook mit aberwitzigen 1.257 »Freunden.«

Die Datenbankabfrage zeigte seinen beruflichen Lebensweg von der Schule über vierzehn Arbeitgeber bis zur heutigen Selbstständigkeit. Eine lückenlose Aufzählung von Lebensstationen, die Doro aufhorchen ließ. In ihrem Leben hatte sie tausende von Lebensläufen gelesen und dieser hier war ganz klar frisiert. Und dieser Friseur war ein Profi gewesen, die zusammengewürfelten Unternehmen waren regelrecht komponiert und tänzelnden um ihren Helden der Virtualität herum.

Nur, das Faszinierende war, dass Doro diesen Peace & Freedom-Jeremias in dieser Nacht nicht wieder erkannte oder, besser gesagt, auch nicht wieder erkennen wollte. Zu sehr hatten die Zweifel an den Menschen ihre Beziehungen zerstört und schließlich zu totalen Einsamkeit inmitten einer riesigen Ansammlung von Humankapital geführt. Natürlich hatte sie, als Meisterin des Futureprofilings, die Prognose von Jeremias errechnet. Die Chancen seines Shops waren im Rating bei starken 5,8, sein persönlicher Geduldskoeffizient bei kümmerlichen 3,1. In jedem Assessment hätte Doro diesen Jeremias de Montis hinter dem einseitig durchlässigen Spiegel eiskalt aussortiert.

Es gab nur eine Möglichkeit, nur ein Wagnis, was sie schließlich eingehen musste, um ihrem nagenden Alleinsein und dem wer-passt-zu-mir-Elite-Partner-Wahn zu entkommen: Jeremias vertrauen, ihre Zweifel über seine Vergangenheit beiseite schieben und ihn so lieben, wie er war. Auch wenn er wahrscheinlich ein Geheimnis hatte, das ihr schaden konnte, das sagte ihr der 8. Sinn des Chief Human Resources Officer. Sie hatte mit allem abgeschlossen, warum nicht gleich auch mit ihrem Leben. Das Risiko war gering, zurück wollte sie sowieso nicht mehr, nie mehr.

Und sie, die sich früher noch nicht einmal getraut hatte, das Synchronisieren ihres iPods zu unterbrechen, sie zog jetzt einfach den Stecker. »Let`s go, lass dich fallen, meine Freundin« war der einzige Gedanke, der noch zählte. Und sie war sich ganz sicher, dass sich die grenzenlose Schönheit in ihrem ganzen Körper ausbreiten wollte.

Dorojeremias

Sie gingen Hand in Hand die Straße entlang, Adam Smiths invisible hand führte sie schließlich ins Bankenviertel und zum Peace & Freedom, der schon von weitem zu leuchten schien. Sie tauschten die Rollen, er setzte sich auf ihren Platz und sie ging wie selbstverständlich hinter den Tresen, band sich eine Schürze um und setzte die Cappuccino-Maschine in Gang. Er beobachte sie dabei, verglich ihre Bewegungen mit den seinen, belichtete das Bild doppelt und sah in seinem Film nur noch die Doro-Jeremias ein Profi im Licht der Neonleuchten.

Dorothea hatte viele Jahre im Laden genau aufgepasst und diesen Augenblick exakt vorbereitet. Nur ihm wollte sie jetzt gefallen, mit ihm und seinen Bewegungen verschmelzen. Es gelang ihr auf so eine einmalige und schöne Art, dass Jeremias sofort die Tränen in die Augen schossen. Er zwang sich, seine Tränen laufen zu lassen, den Kloß im Hals wegzuatmen und die Reinheit des Momentes fast schwerelos zu genießen. Er steckte in einem Raumanzug und hörte nur seinen gleichmäßigen Atmen – aus, ein, aus, sein. Nichts gab es mehr zu verpassen, keine verpassten Gelegenheiten mehr zu bedauern. Jetzt war alles eins, herrlich und klar im Jetzt des Unmöglichen.

Und da war natürlich noch das viele Geld zum Verbrennen, big money to burn. Dunkel erinnerte Doro sich an einen Schokoladeneinkauf am Züricher Flughafen. Die Tafel sah aus wie ein Bündel 1000-Franken-Scheine (mit Goldprägung!), sie hatte sie gleich in der Flugzeugtoilette aufgegessen. »Ach, wie herrlich, wenn der alte Greenpeace-Spruch keine Gültigkeit mehr hätte«, dachte Doro, » und man herausfinden würde, dass man Geld doch essen kann!« Vom Volumen her ein lockeres 40-Gänge-Menü wie bei elBulli oben in den katalanischen Bergen, molekular aufbereitet, mit Liebe von den besten Kellern der Welt serviert und ratzfatz aufgegessen. Sie sollte sich ans Telefon hängen und ihren alten Kumpel Ferran anrufen, der sicher gerade wieder über neuen Kreationen brütete.

Doro hatte schon seine kindliche Freude vor Augen, wenn er die Kosten von Schweizer Franken in Euros, besser noch in Peseten, am Holztisch in seiner Küche umrechnete. Und dann würde er lachen und lachen und lachen.

Epilog

Die weggeworfene Chipkarte fand übrigens ein Hund namens Perle. Sein Frauchen musste nur eins und eins zusammenzählen, wo dieses Ding passte. Sie bediente sich noch in der Nacht großzügig: zwei Beamer, eine Jura Impressa und ein Paar ulkige Pantoffeln mit Smiley-Gesichtern aus der IT. Der Security-Mann hatte - filmreif - gerade nicht auf seinen Bildschirm geschaut, als sie die Chipkarte gescannt hatte. Ein Fehler, der sich nur durch Löschen der Festplattenaufzeichnungen aus der Welt schaffen ließ.

»Echt, Chef, in diesem Moment gab es einen Harddiskcrash, Zufälle gibt es, die gibt es gar nicht.« Sprach's und ward gefeuert.

(2010)

Burnout und dann: Kloster

Подняться наверх