Читать книгу Als Christ die AfD unterstützen? - Andreas Malessa, Helm Stierlin - Страница 5
Vorwort
ОглавлениеNein, ich maße mir nicht an, Ihnen zu sagen, was ein Christ „darf“ und was er „nicht darf“. Wurde ich als Heranwachsender im Oberlehrerton ermahnt, „was ein Christ nicht darf“, dann habe ich es halt mit schlechtem Gewissen gemacht.
Und umgekehrt: Moralapostel ist keine erstrebenswerte Rolle. Bevormunden und belehren liegt mir hoffentlich fern. Ich bin mit keinerlei Amtsautorität ausgestattet. Es wäre lächerlich, wollte ich Ihnen Haltungen und Handlungen verordnen oder verbieten. Selbst meinen Kindern und Freunden kann ich bestenfalls etwas empfehlen oder ihnen abraten. Das allerdings möchte ich tun dürfen.
Ich habe Freunde, die ich als „wertkonservativ“ kenne, die ich menschlich und geistlich sehr schätze, die sagten über die AfD: „Die sind immerhin gegen Abtreibungen!“ Oder: „Die stellen gleichgeschlechtliche Partnerschaften wenigstens nicht der Ehe gleich!“ Oder: „Die sind gegen Gendermainstreaming, das Verwirren der Kinder mit hunderterlei frei wählbarer Sexualidentitäten!“ Oder: „Die tun was gegen schleichende Islamisierung!“
Wenn wir dann über das Programm und die führenden Personen der AfD diskutierten, kam uns (gemeinsam!) eine Metapher, ein Vergleich in den Sinn:
Stellen Sie sich vor, Sie bestellen bei einem Online-Shop ein kleines Flakon Parfüm, 25 ml, kaum größer als ein Lippenstift oder eine Tropfen-Tinktur. Zwei Tage später kriegen Sie ein Paket, mannshoch wie ein Kühlschrank und schwer wie 50 dicke Bücher. Sie reißen, schneiden und wühlen sich durch Berge von Pappe, Plastik, Styropor und giftigen Sondermüll. Den zu entsorgen wird lange dauern, teuer werden und schon jetzt mehr Schweiß kosten, als das kleine Fläschchen je überdecken könnte. Was also „kauft“ man alles mit, wenn man die AfD unterstützt?
Und dann habe ich Freunde und Kollegen, die darüber klagen, dass sie als Katholiken, als landeskirchliche und freikirchliche Protestanten von AfD-Sympathisanten publizistisch vereinnahmt, politisch instrumentalisiert und mit zweifelhaften Verbündeten verbandelt werden. „Unsere Worte und unsere Werte werden gekapert.“ Ich zögerte trotzdem, ob ich die Anfrage des Brendow Verlages nach einem Buch zum Thema beantworten solle. Als ich dann aber Christen kennenlernte, die Werte und Ziele ihres Glaubens ausgerechnet bei der AfD am besten verwirklicht sehen – da entschloss ich mich, tatsächlich was zu schreiben.
Aber keine Sorge: Ich prüfe das Parteiprogramm der AfD nicht auf Bibelfestigkeit, bitte niemanden zum Glaubenstest und spreche AfD-Wählern nicht das Christsein ab.
Bezeichnet sich jemand als „Christ“ und meint damit mehr als die generelle Religionszugehörigkeit oder die formale Mitgliedschaft in einer Kirche, dann nehme ich an, dass dieser Mensch sein Verhalten an der Lehre und dem Leben von Jesus Christus orientiert. Dass er sich als „Schüler“, als „Nachfolger“, als „Glaubender“ Jesu Christi definiert und danach strebt, „dieselbe Gesinnung zu haben wie er“ (Philipperbrief Kapitel 2, Vers 5). Ich gehe ebenfalls davon aus, dass einem Christen mindestens drei Messgeräte zur Verfügung stehen, mit denen er sein Denken, Fühlen und Handeln selbstkritisch prüfen kann: die Bibel, das von Jesus Christus geprägte Gewissen und die Vernunft. So jedenfalls argumentierte Martin Luther am 18. April 1521, zu dem Zeitpunkt noch ein katholischer Mönch, vor den Vertretern von Staat und Kirche.
Darf ich Sie also ermuntern, sich per Evangelien-Lektüre mit Jesus Christus zu beschäftigen? Sich seine Worte und Taten, seine innere Haltung, mit der er Menschen begegnete und behandelte, anzuschauen? Darf ich Sie ermuntern, nicht über die „gefühlte“ Wirklichkeit Deutschlands, sondern über die faktisch bewiesene in Ruhe nachzudenken? Darf ich empfehlen, neben dem Programm auch die Personen der AfD zu beobachten? Und den „Spirit“ zu spüren, den sie und ihre Stimmenbeschaffer verbreiten?
Ein Diktator braucht und will keine mündigen Bürger. Die gewählte Regierung eines demokratischen Rechtsstaates braucht und will sie dringend. Die Freiheit, politisch mitreden und -handeln zu können, bringt die Verantwortung mit sich, es auch zu tun.
Würde mich freuen.
Andreas Malessa