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ОглавлениеKapitel 1
Die reden wenigstens Klartext
Lieber Popularmusik als Populismus
Wenn ich mit Christen spreche, die der AfD nahestehen, sie gewählt haben oder ihr als Mitglied angehören, dann verbitten sie sich meist als Erstes das Attribut „populistisch“. Herablassend sei das, arrogant und diskriminierend.
Das kann ich nachempfinden. Als Teenager hörte ich in meinem Zimmer „She loves you, yeah yeah yeah“ von den Beatles. War sehr populär, wurde aber von unserem Musiklehrer am Gymnasium mit dem Gesichtsausdruck schwerer Zahnschmerzen kommentiert. Meine Eltern hielten eine LP in Ehren namens „Lorin Maazel dirigiert Händel“. War nicht sooo populär, mehr so elitär. Später machte ich mit meiner Band „Popularmusik“ in Kirchengemeinden. Knapp 20 Jahre lang etwa hundert Mal im Jahr. Die elitären Kantoren gaben uns populären Barden nicht mal die Hand, so angewidert waren sie vom Niveauverlust zwischen ihren Kantorei-Motetten und unseren Drei-Akkorde-Liedchen.
Es ist nicht schön, für etwas verachtet zu werden, was man mag.
„Populistisch“ stammt vom lateinischen „populus, das Volk“, meint aber nicht „volkstümlich“ oder „bodenständig“, sondern als „Populisten“ bezeichnet unsere Umgangssprache Leute, die komplexe Sachverhalte stark vereinfacht darstellen. Manchmal so stark vereinfacht, dass die Darstellung schlicht falsch wird.
„Wat isse ’ne Dampfmaschin’“, sagt der Physiklehrer mit Kölner Dialekt im Filmklassiker „Die Feuerzangenbowle“. Der in Schwarzweiß mit Heinz Rühmann, genau. „Also da stellen wir ons ma jans dumm …“, sagt er, und dann ist sie im Wesentlichen ein Metallfass mit zwei Löchern.
„Heiss’ Wasser rin, Dampf raus.“
Politische Populisten nehmen für sich in Anspruch, Ohr und Sprachrohr des „einfachen Volkes“ zu sein. Populisten vereinfachen Themen und Realitäten, um vom „kleinen Mann auf der Straße“ verstanden und als Anwalt gegen „die da oben“ beauftragt zu werden. Wobei diffus bleibt, ob mit „oben“ eine einflussreiche Stellung, eine hohe Bildung oder großer Reichtum gemeint sind. In AfD-Rhetorik können das „die Meinungsmacher“, „die politische Klasse“ oder „die Bessergestellten“ sein. Eine „Elite“ jedenfalls, die ja keine Ahnung hat, was „das Volk“ denkt und fühlt.
In diesem Sinne „populistisch“ war die AfD bei ihrer Gründung wirklich nicht: Konrad Adam, ein meinungsstarker WELT-Korrespondent, 21 Jahre lang Feuilleton-Edelfeder bei der bildungsbürgerlichen Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Bernd Lucke, ein Professor für Ökonomie von der Uni Hamburg. Alexander Gauland, ehemals Leiter der hessischen Staatskanzlei, Jurist und Herausgeber der Potsdamer „Märkischen Allgemeine“. Sie gründeten am 6. Februar 2013 mit 16 Mitstreitern im Evangelischen Gemeindezentrum der Christuskirche Oberursel im Taunus eine neue Partei, der später Multimillionär Hans-Olaf Henkel beitrat. Ein Elite-Gespann erster Güte, verbunden durch ein wirtschaftspolitisches Ziel: Abschaffung des Euro und des Rettungsschirms für Griechenland, Vereinfachung des Steuersystems, unternehmerfreundlichere Tarifpolitik. Ihre frühen Mitgliederlisten waren „genau das, was die AfD heute so erbittert bekämpft: Multikulti. Ihr Milieu war mit ökologisch bewegten Gegnern von Stuttgart 21, ostdeutschen Sozialisten, westdeutschen Libertären und strammen Rechtskonservativen bunter als jeder Ökoladen der Siebzigerjahre.“1
„Wir sind weder rechts noch links“, sagte Bernd Lucke damals.2 Obwohl die frühen AfDler das aggressiv rechts von der CDU/CSU argumentierende Buch „Deutschland schafft sich ab“ des Ex-Bundesbankers Thilo Sarrazin wie eine Bibel lasen und lobten.
Dann aber traten Mitglieder in die AfD ein, die vorher in deutschnational-ultrakonservativen Parteien und Gruppen gewesen waren: „Die Freiheit“, „Die Republikaner“, Fans der Islamhasser-Internetplattform „Politically Incorrect“, ehemalige NPD-Wähler, Aktivisten der muslimfeindlichen „Pro NRW“-Initiative, Burschenschaftler, Mitarbeiter der deutsch-nationalen Zeitung „Junge Freiheit“ sowie allerlei Polit-Obskuranten.
Das „einfache Volk“ war tatsächlich gekommen. Fand aber die „Professoren-Partei“ viel zu elitär.
Bernd Lucke hätte gern durchgesetzt, dass Mitgliedschaft in der AfD unvereinbar ist mit rassistischen, antisemitischen und rechtsextremen Gesinnungen3, aber da hatte sich die Gesinnung der Basis längst radikalisiert: Man organisierte sich innerhalb der AfD zur „Patriotischen Plattform“ mit Andre Poggenburg, zur Gruppe „Der Flügel“ mit Björn Höcke und als „Christen in der AfD“ mit der katholischen Anti-Abtreibungsaktivistin Beatrix von Storch. Als die fürs Erste ein Verbot der Homo-Ehe forderte, bildete sich „Kolibri“, ein Arbeitskreis der Homosexuellen in der AfD. Die heutige Bundesvorstandsfrau Alice Weidel z. B. bekannte sich dazu, lesbisch zu sein.
Kurzum: Die Partei drohte zu zerbrechen. Im Sommer 2015 traten rund 20 % ihrer Mitglieder aus4, meist die Wirtschaftsliberalen, darunter Hans-Olaf Henkel („ … immer mehr Einfluss der Krachmacher und Intoleranten. Nur Protest, Pöbeleien, Vorurteile. Diese Leute führen die AfD in eine NPD-im-Schafspelz“5) und zum Schluss Bernd Lucke selbst: „Zunahme islam- und ausländerfeindlicher Ansichten; eine antiwestliche, pro-russische Orientierung und die Tendenz, bezüglich unserer parlamentarischen Demokratie die Systemfrage zu stellen“, seien seine Austrittsgründe, sagte er. Er habe die Menge derer unterschätzt, „die die AfD zu einer Protest- und Wutbürger-Partei umgestalten wollen“6.
Solche „Wutbürger“ waren inzwischen ganz ohne Zutun wirtschaftsliberaler Professoren und gebildeter Feuilletonisten in Dresden auf die Straße gegangen, um als „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“, kurz „Pegida“, ihre Stadt gegen Muslime zu verteidigen, die es dort kaum gibt.
Bevor nun aber rechts neben der „Alternative-für-Deutschland“ eine Alternative zur Alternative entstehen konnte, traf die Partei am 4. Juli 2015 in Essen eine Richtungsentscheidung: Nicht mehr so komplizierte Dinge wie Währungs-und Wirtschaftspolitik, Steuerreformen und Tariflöhne sollten zentrale Anliegen der AfD sein, sondern „Widerstand gegen Gender-Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit und die weitere Aushöhlung der Souveränität und Identität Deutschlands“7. Der nordrhein-westfälische AfD-Landeschef Markus Pretzell begrüßte die Parteitagsbesucher als „Pegida-Partei“8, und die trafen dann eine Personalentscheidung: Frauke Petry und Jörg Meuthen wurden Parteivorsitzende. Immer noch mehr „Elite“ als „Volk“: Ein katholischer Professor für Finanzwirtschaft und eine promovierte, evangelische, preisgekrönte Chemikerin, deren Firma zur Herstellung von Reifendichtmitteln aber Ende 2013 in Leipzig-Plagwitz pleitegegangen war.
Unweit davon, in Leipzig-Gohlis, protestierte zeitgleich zu Frauke Petrys Insolvenz gerade eine Bürgerinitiative gegen den Bau einer Moschee und stellte aufgespießte Schweineköpfe aufs Grundstück. Auf der Homepage der Aktivisten warnte AfD-Mitglied Achim Solbach vor einer „Flutung Europas durch orientalische und negroide Stämme“ und fürchtete „Kulturvernichtung durch Kulturvermischung“9. Trotz solcher rassistischen Ausfälle bekam die AfD nach ihrem Rechtsruck plötzlich Unterstützung von einer für sie selbst vermutlich ganz unerwarteten Seite:
„Frauke Petry ist mit 40 noch jung, geht auf andere zu, versucht, alle Flügel einzubinden. Die promovierte Chemikerin und Mutter von vier Kindern bekam bereits 2012 von Bundespräsident Gauck die Verdienstmedaille der Bundesrepublik, auch für ihr kirchliches Engagement. Als es ihr gelang, die erst 2013 gegründete Partei schon ein Jahr später in einen Landtag (und das mit fast 10 %!) zu führen, meinte ein hoher CDU-Politiker: ,Die gehört eigentlich zu uns. Es war ein Riesenfehler, ihr Talent nicht zu nutzen‘ … Die neue Vorsitzende – die sich schon mit 15 als Organistin und Chorleiterin ausbilden ließ – steht religiös und ethisch für eindeutige Positionen: gegen Genderismus, Sterbehilfe, die Gleichstellung der Ehe mit homosexuellen Partnerschaften, gegen den von Kanzlerin Merkel mehrfach betonten Satz ,Der Islam gehört zu Deutschland‘, für eine Verminderung von Abtreibungen, für die Förderung von Mehr-Kinder-Familien sowie für eine gesteuerte Zuwanderung.“10
Selten werden Wahl-Empfehlungen so enthusiastisch formuliert, wie in der Evangelischen Wochenzeitschrift „idea Spektrum“. Katholiken, die Papst Benedikt besser fanden als Papst Franziskus; Protestanten, die mit dem Kurs ihrer EKD hadern; Freikirchler, die sich ihre Gemeinde ethisch rigoroser wünschen – ihnen allen sollte ausgerechnet die AfD als Hoffnungsschimmer aufleuchten? Zwischen den Zeilen erfuhren sie außerdem: Die genannten Programmpunkte sind bei Angela Merkel schlecht aufgehoben. Dass Frauke Petry im Herbst 2015 ihren Ehemann Sven verlassen hatte und zu ihrem Lebensgefährten Markus Pretzell gezogen war, hinderte dasselbe Blatt nicht daran, sie weiterhin als „Pfarrfrau aus Sachsen“ vorzustellen.11 Joachim Gaucks „wilde Ehe“ mit Daniela Schadt hatte da weniger Milde erfahren.
Geht das so einfach: den Wegfall wirtschaftsliberal FDP-geneigter Wähler durch den Zuzug von evangelikal CDU/CSU-geneigten Wählern kompensieren?
Nein. An der Basis, gerade unter Evangelikalen, folgte man den ausnahmslos flüchtlings- und ausländerfreundlichen Grundsatzpapieren der Kirchen- und Gemeindebund-Oberen.
Einzelne Kirchengemeinden, z. B. in der Rheinischen Landeskirche, hatten sich schon vor dem AfD-Parteitag in Essen von allzu rechtsnational agierenden Ehrenamtlichen getrennt12, wenn ihre „Werte nicht vereinbar sind mit dem christlichen Gebot der Nächstenliebe“13.
In der Grundordnung der evangelischen Landeskirche von Berlin-Brandenburg-Schlesische-Oberlausitz steht zum Beispiel, dass Mitglieder von Parteien oder Organisationen, die menschenfeindliche Ziele verfolgen, nicht für kirchliche (Ehren-)Ämter und Gremien kandidieren können, wenn also neue Kirchengemeinderäte, sogenannte „Presbyter“, gewählt werden sollen.
Als Bischof Markus Dröge dies im Rundfunk Berlin-Brandenburg, im „rbb“, Mitte Februar 2017 bestätigte, hielt ihm der Berliner AfD-Landesvorsitzende Georg Pazderski entgegen, das sei aber mit Artikel 3 des Grundgesetzes unvereinbar, demzufolge niemand wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt werden dürfe. Die „Christen in der AfD“ drückten es einfacher aus: „Das ist skandalös und absurd.“14 Schließlich hatte Thüringens AfD-Chef Björn Höcke doch schon früher gesagt: „Der gläubige Christ weiß: Jesus sitzt nicht zufällig zur Rechten Gottes!“15 Eben drum. Also „Jesus wäre heute mehr in der AfD beheimatet“, so der AfD-Abgeordnete Steffen König.16
Das sind einfache Sätze, die man sich merken kann. So einfach zu merken, dass nur ganz Bibelfeste merken: Jesus sagte von sich, er sei nirgendwo auf Erden beheimatet (Matthäus 8, Vers 20).
Apropos „Heimat“: Auf die journalistisch knallharte Frage „Deutsche fühlen sich in Deutschland zunehmend fremd. Geht es Ihnen auch so?“, antwortete AfD-Gründer Konrad Adam: „Ja, wenn ich in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin. Da höre ich viele Sprachen, aber nur wenig und meist schlechtes Deutsch“.17
Ob die U-Bahn-Fahrenden hier geboren sind, hier arbeiten und Steuern zahlen, ob sie hier wohnen und Miete entrichten, ob sie einen deutschen Pass besitzen, ein Auslandsjahr an der Uni absolvieren, Geschäftsreisende, Au-pair-Mädchen, Projektmitarbeiter ausländischer Firmen, Kriegsflüchtlinge oder schlicht Touristen sind – alles egal. Zum Unwohlsein genügt ihm schon, dass Mitreisende im Zug eine un-deutsche Physiognomie und Phonetik haben.
Ist vielleicht nicht das Attribut „populistisch“ an sich diskriminierend, sondern nur der Zusatz „rechtspopulistisch“? „Rechts ist heute, wer einer geregelten Arbeit nachgeht, seine Kinder pünktlich zur Schule schickt und der Ansicht ist, dass man den Unterschied zwischen Mann und Frau mit bloßem Auge erkennen kann.“18
Dann wäre aber doch „rechtspopulistisch“ kein Grund zur Wut aufs Attribut, oder?