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3Technik und andere Mittel zum Zweck 3.1No Gearslut!
ОглавлениеAls Gearslut bezeichnet man jemanden, der sich ständig neues, immer hochwertigeres und damit stetig teureres Equipment zulegt. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden. Wir spielen alle gerne mit teurem Spielzeug. Häufig wird aber an den falschen Stellen investiert.
Es mag für die Musikalienhändler hart sein, aber hochwertiges und teures Equipment macht noch lange keinen guten und teuer klingenden Sound! Eigens durchgeführte Tests mit unterschiedlichem Equipment (Preamps, Mikrofone, Kabel, Wandler, …) zeigten, dass der klangliche Vorteil von sündhaft teurem Equipment gegenüber gutem Mittelklasse-Gerät weit geringer ist als der Preis suggeriert. Er steht auf jeden Fall in einem großen Missverhältnis zum Kostenunterschied. In Zahlen gesprochen: 100 % Preissteigerung führt meist nur zu 10 % Klangvorteil!
Zur Verdeutlichung möchte ich dir ein Ranking an klangbeeinflussenden Faktoren über den Produktionsprozess vorstellen. Die Skala reicht von eins bis zehn, je wichtiger ein Faktor ist, umso höher ist dessen Punktzahl:
Raum: 10
Interpret: 10
Mikrofonposition: 9
Monitoring: 8
Mikrofon: 7
Effekte im Mix: 6
Preamp: 5
Wandler: 3
Host-Software: 1
Kabel: unter 1
Wie du siehst: Die wichtigste Basis für professionellen Klang ist immer noch ein guter Musiker in einem gut klingenden Raum, dessen Leistung korrekt aufgenommen und über eine gute Monitoranlage abgehört wird!
Wenn du also Geld in besseren Sound investieren willst, fange bei der Raumakustik, den Mikrofonen und den Monitoren an. Erst wenn du hier das für dich maximal Mögliche rausgeholt hast, brauchst du über weitere Anschaffungen nachzudenken.
Glücklicherweise bietet Recording-Equipment heutzutage schon im unteren bis mittleren Preisniveau eine überraschend gute Qualität. Es lohnt sich also, zu testen und zu vergleichen. Bevor du dich für ein High-End-Produkt zu einem ebenso High-End-Preis entscheidest, solltest du sicherstellen, dass du dessen Klangvorteil überhaupt hören und umsetzen kannst. Denn wie so oft gilt auch hier: Die Aufnahmekette ist nur so gut wie ihr schwächstes Glied.
Hast du bereits in gutes Mittelklasse-Equipment investiert, kannst du dich eigentlich entspannt zurück lehnen. Ab einer gewissen Mindestqualität hängt die Klangbeurteilung eher von deinem persönlichen Geschmack als von objektiven Gesichtspunkten ab. Ein „besser“ oder „schlechter“ gibt es hier nicht mehr. Mit einer Mindestqualität meine ich zum Beispiel:
Großmembran-Kondensatormikrofone ab 500,- EUR
Monitoranlage ab 800,- EUR
Mikrofon-Preamps ab 400,- EUR
Daher habe ich beispielsweise lieber zwei Mikrofone für je 500,- EUR im Pool als ein Mikrofon für 1000,- EUR. Dies heißt nicht, dass Geräte unterhalb dieses Preisniveaus unbrauchbar wären. Wie oben beschrieben, verfügt heute schon günstiges Equipment über eine erschreckend gute Qualität. Aber irgendwo muss man schließlich eine grobe Grenze ziehen, ab welcher wir uns nicht mehr im Einsteigerbereich befinden.
Noch ein paar Sätze zum Reizthema Kabel: Kein Mensch propagiert den Einsatz von Billigstrippen, die ein Werbegeschenk für ein Abo einer Musikzeitschrift waren. Dennoch muss ein Mikrofonkabel von 10 m nicht mehr als 15,- EUR kosten, um hochwertig zu sein.
Ich sage es frei heraus: ich glaube nicht an Kabelklang. Wichtig sind in meinen Augen und Ohren solide verarbeitete und gut geschirmte Kabel mit stabilen Steckern samt Zugentlastung. An den Steckverbindungen finden im Übrigen die größten Verluste statt.
Da man ja nicht in Kabel rein schauen kann, wird in diesem Bereich leider viel Unsinn erzählt. Besonders verdächtig finde ich, wenn Hersteller mit verminderten Skin-Effekten und besonders sauberen Metallkristallen werben oder gar auf Laufrichtungen der Signale hinweisen.
Absurd, wo doch jeder Schüler ab der Oberstufe weiß, dass Metall kein kristalliner Stoff ist und die Leitungs-Elektronen frei im Metallgitter umher wandern können. Zudem sind praktisch alle analogen Audiosignale Wechselspannungen und können daher gar keine Laufrichtung haben!
Zu den Skin-Effekten ist zu sagen, dass sich diese messbar nur im Ultrahoch-Frequenzbereich bemerkbar machen, also ab ca. 1 Mhz. Unabhängig davon, dass dies keine Monitoringanlage und kein AD/DA-Wandler abbilden kann, sind dies Frequenzen, die mehr als 15 Oktaven über dem Band liegen, das wir Menschen überhaupt hören können.
Ebenso blumig werden auch besondere Netzkabel beworben, welche die Verbindung zwischen Steckdosen und deinem Equipment optimieren sollen. Bei der Bewertung über Sinn oder Unsinn dieser Produkte sollte man sich vor Augen halten, dass der Netzstrom Hunderte von Kilometern über ungeschirmte Hochspannungsleitungen und Trafostationen zurücklegt, bevor er in die Jahrzehnte alten Verteiler deines Wohnbezirks gespeist wird. In deinem Haus angekommen, wandert er durch Stromzähler, Sicherungskasten und über mehrere Stockwerke durch ebenfalls ungeschirmte Hausstromleitungen. Wie sich die letzten 1,5 m von der Steckdose zum Verbraucher dann noch auswirken sollen, entzieht sich meinem Verständnis.
Letztlich kann und soll das jeder sehen, wie er will. Messtechnische Relevanz hin oder her: Wenn du dich mit sogenannten High-End-Kabeln besser fühlst und dieses gute Gefühl in gute Produktionen umsetzt, ist es sicher kein Schaden, in diese Kabel zu investieren. Bevor du aber an die Anschaffung solcher Sahnehäubchen denkst, sollte wie gesagt der Rest der Kette (Raum, Klangerzeuger, Mikrofon, Preamp) schon absolut perfekt sein!
Wichtig bleibt in jedem Fall eine gesunde Skepsis gegenüber solchen Klangwundermitteln. Meist ist euer Geld an anderer Stelle viel besser investiert.
Ich habe selbst einige Tests mit High-End Kabeln für Netzspannung und Audiosignale gemacht. Ich wollte (!) in der Tat einen Unterschied hören, schon alleine wegen der toll aussehenden Kabel. Gehört habe ich trotzdem nichts und habe daher meine alten Beipackstrippen für die Geräte behalten und nutze für die Audioverbindungen hochwertige Massenware oder selbst Konfektioniertes.
Berichte zu Tests anderer rund um Kabel lesen sich meist amüsant. Dort wurde häufig festgestellt, dass die Tester nicht einmal den Unterschied zwischen einer mittelmäßigen mp3-Datei und der Urdatei erkannten.
Besonders lustig waren dabei sicher die Tests, in welchen den Testern zwar die Änderungen in der Verkabelung angesagt wurden, in Realität aber stets das selbe Musikstück ohne jegliche Veränderung des Setups vorgespielt wurde. Wie zu erwarten war, hörte die Testgemeinde trotzdem große Unterschiede. Wir hören das, was wir hören wollen und somit war logischerweise das teurere Voodoo-Kabel deutlich besser: Strafferer Bass, präzisere Mitten und kristallklare Höhen, das ganze getoppt durch die lebendigere Stereoabbildung! Lachhaft! Vor dem Hintergrund wird ein Klangunterschied zwischen technisch gleichwertigen Kabeln absurd.
Daher mein finaler Tipp zum Thema Kabel: Nutze die mitgelieferten Netzkabel deiner Geräte und investiere lieber 50,- EUR in eine Lötstation. Mit bewährter, voodoo-unbelasteter Meterware und soliden Steckern lötest du deine Audiokabel einfach selbst. Diese Kabel sind dann billiger als vorkonfektionierte, haben immer die passende Länge und genügen selbst professionellen Ansprüchen ohne Weiteres!
Fazit: Es klingt fast schon esoterisch, aber befreie dich von der Equipmenthörigkeit!
Investiere in deinen Raum und in einige wenige, wirklich gute Geräte. Diese müssen nicht High-End sein, aber solide und bewährt. Und dann: Mach einfach Musik und produziere mit deinem Gerätepool mit den richtigen Methoden tolle Aufnahmen.
Du wirst es dann selbst merken, wenn dir dein Preamp nicht mehr genügt, oder ob ein weiteres Mikrofon nötig wird. Wichtig ist aber, dass du es eben selbst merkst und dich nicht nach jeder Musikmesse und Werbeeinblendung im Netz zum Kauf von neuem Gear genötigt fühlst.