Читать книгу Wie wir Jesus trafen und beinahe im Gefängnis übernachtet hätten - Andreas Neumann - Страница 12

Оглавление

*

Es gibt kein Zurück

Sonntag, 2. Juli 2017

Hamm: Wolken Köln: Regen Porto: Sonne

Hotel 100 Contos 50 € – Essen 24 €

So richtig wohl fühlte ich mich nach dem Aufstehen noch nicht. Keine Urlaubsstimmung. Eher Anspannung. Ich bin ein Mensch, der gerne plant und Listen erstellt, auf denen alles ersichtlich ist. Skipassverteilung, Fixkostenabrechnung, Weihnachtsgeschenke ... Solch einem Abenteuer, bei dem nichts, außer den Flügen sowie Start- und Zielort feststanden, schien ich nicht gewachsen zu sein. Ich brauchte Kontrolle und ich hatte mich dabei erwischt, wie ich dachte, so eine kleine Verstauchung oder auch ein gebrochenes Bein wäre jetzt genau das Richtige, um unschuldig aus dieser Nummer rauszukommen. Ich war ein Feigling.

Doch dann ging es doch um 7:40 Uhr bei allerbester Gesundheit von mir und Melina los. Sabine fuhr uns beide und unseren Sohn Fabian, der zurück nach Edinburgh musste, zum Bahnhof in Hamm. Dort angekommen, wurden noch einmal alle von ihr gedrückt, dann war sie auch schon wieder auf dem Weg nach Hause. Wir aber betraten die Bahnhofshalle.

Jetzt ging es los! Das Ticket am Automaten war ausnahmsweise mal schnell gelöst, die Brötchen und der Kaffee gekauft und der Zug stand auch schon da. Frühstück! Um 8:44 Uhr startete der Gleisexpress. Erst Richtung Flughafen Düsseldorf – dort musste Fabian aussteigen – und dann weiter Richtung Köln Hauptbahnhof.

Während der Fahrt in die Altbierhauptstadt unterhielt ich mich mit Fabian über verschiedene Themen. Melina saß auf der anderen Seite des Ganges, hörte Musik und schlief zwischendurch immer wieder ein. Das fing ja gut an! Schon beim Zugfahren erschöpft! Aber das lag sehr wahrscheinlich daran, dass ihr immer noch der Abiball und der damit verbundene Schlafmangel von vor zwei Tagen zu schaffen machte.

Pünktlich um 10:00 Uhr erreichten wir den Flughafen in Düsseldorf. Wir verabschiedeten Fabian und ich freute mich auf das Wiedersehen mit ihm Ende November in Edinburgh zur Verleihung der Masterurkunde. Für Melina und mich ging der Weg weiter zum Hauptbahnhof nach Köln. Weil wir noch genug Zeit hatten, wollten wir nicht sofort zum Flughafen fahren, sondern uns noch ein bisschen die Beine in der Innenstadt vertreten. Den kurzen Bummel durch Köln hätten wir uns aber eigentlich schenken können, denn gerade in dem Moment, als wir aus dem Bahnhof kamen, fing es an zu regnen.

Aber zwei Ereignisse machten den Kurzbesuch der Domstadt dennoch erwähnenswert. Das erste Ereignis war der Versuch, als Pilger den Kölner Dom zu besichtigen. Dieser Besuch scheiterte an den Security-Mitarbeitern, die uns wegen unserer Rucksäcke nicht hineinlassen wollten. Da halfen auch kein Bitten oder ein Pilgerausweis. Dies alles wäre ja noch nachvollziehbar gewesen bei den ganzen Attentaten, von denen immer wieder in den Medien berichtet wurde, wenn wir beide nicht in die Kathedrale gedurft hätten: Melina mit ihrem 50 Liter Rucksack wäre der Zugang gestattet worden, während ich mit meinem 48 Liter Rucksack keine Chance hatte. Wahrscheinlich doch mehr Gesichts- und nicht Gepäckkontrolle. Den Spruch „Dann müssen wir die Bombe eben umpacken“ habe ich mir verkniffen. Sonst wäre ich den Caminho Português sehr wahrscheinlich nicht gelaufen. Jedenfalls nicht im Juli 2017.

Das zweite Erlebnis nahmen sowohl Melina als auch ich gleichzeitig aus den Augenwinkeln wahr. Wir schauten uns danach beide an und mussten herzhaft lachen. Was war passiert?

Wir waren kurz vor einer Bäckerei, die in der Auslage zur Fußgängerzone jede Menge frisch gebackener Berliner anbot. Im selben Moment, in dem wir das leckere Fettgebäck bestaunten und der Speichelfluss im Mund wie durch Zauberhand auf enorme Weise zunahm, liefen drei Jogger im Sportlerdress und mit Pulsarmband augenscheinlich wahrnehmungsfrei daran vorbei. Doch dann stoppten sie – für uns völlig unerwartet – zehn Meter weiter abrupt ab, tauschten Blicke aus, gingen gemütlich auf die Berliner zu und verschwanden im Backshop. Welches Trainingsprogramm dort wohl absolviert wurde? Da der Regen zunahm, ging es für uns kurz danach wieder zurück zum Bahnhof und mit der S-Bahn dann zum Flughafen Köln/Bonn. Die restliche Wartezeit haben wir gut in einem amerikanischen Fast Food-Restaurant bei einem kleinen Snack und Sudoku abgesessen.

Vor dem Einchecken hatte ich dann noch die Aufgabe, meinen Rucksack in Frischhaltefolie einzuwickeln. So war er gut genug gegen Schmutz und Beschädigungen geschützt und die Walkingstöcke waren fest verstaut. Die durften auf keinen Fall verloren gehen, denn sie waren, wie sich im Laufe unserer Reise zeigte, eine große Hilfe beim Wandern.

Nachdem Melina sich dann noch frühzeitig für die Reise in der Flughafenbuchhandlung ein Buch gekauft hatte, ging es direkt weiter zum Sicherheitscheck. Dort prüfte man mich intensiv, sogar nach Sprengstoff wurde mit einem ganz speziellen Papiertuch an meinem Körper und in meinen Sachen in der Plastikschale gesucht. Da ich nicht davon ausgehe, dass die Security vom Kölner Dom Gedanken lesen konnte und recht zügig die Kollegen vom Flughafen informiert hatte, wird es wohl eine reine Routineuntersuchung gewesen sein.

Das Einchecken ohne Bordgepäck war sehr angenehm, ebenso der Flug. Schwierig wurde es erst wieder, als wir am Airport in Porto Tickets für die Metro kaufen mussten, um vom Flughafen nach Porto zu gelangen. Es gab sechs unterschiedliche Automaten, aber nicht bauartbedingt, sondern rein bezahltechnisch. Das wussten wir aber zu dem Zeitpunkt unserer Ankunft noch nicht. Der erste Versuch nach etwa fünf Minuten Wartezeit schlug fehl, da lediglich Kartenzahlung akzeptiert wurde. Aber nicht mit Kreditkarte, sondern mit so etwas wie einer Geldkarte, die man vorher aufladen musste. Beim zweiten Versuch warteten wir zehn Minuten, um dann festzustellen, dass nur Kleingeld angenommen wurde. Bravo!

Wir standen nun etwas hilflos herum und die eigens für die Betreuung der Automatenkunden abgestellte Mitarbeiterin der Metro konnte nur eine Sprache: Portugiesisch. Ja gut, wir waren in Portugal, aber es flogen nicht nur Portugiesen von und nach Porto. Bei einer Gruppe von Asiaten versuchte ich es auf Englisch und bekam dann in lupenreinem Deutsch mit badischem Dialekt die Antwort. Sachen gibt’s. Der junge Mann studierte in Baden Württemberg. Danach stellten wir uns am richtigen Automaten an, zogen unsere Tickets und machten uns auf den Weg zum Bahnsteig.

Leider war unsere Metro nun weg – nächste Abfahrt in vierzig Minuten. Das konnte ich nicht glauben. Okay, dass bei uns zu Hause in ländlicher Umgebung der Bus nur alle sechzig Minuten fährt, verstand ich. Aber hier am internationalen Flughafen Aeroporto Francisco sa Carneiro?

Doch warum störte mich das eigentlich? Ich hatte doch kein Vorstellungsgespräch, zu dem ich pünktlich erscheinen musste. Ich wollte entschleunigen. Warum ging ich sonst zu Fuß? Ich glaube, das war an diesem Tag eine wichtige erste Lektion. Wir fanden auch vierzig Minuten später unser Hotel 100 Contos noch.

Doch leider war alles verriegelt. Zum Glück gab es auch hier freundliche Nachbarn, die dumme Pilger nicht einfach so vor verschlossenen Türen stehen ließen. Und nach einem Hinweis checkte ich meine E-Mails und fand tatsächlich eine Nachricht vom Inhaber des Hotels – und darin war ein Code enthalten, den man nur an der Tastatur an der Eingangstür eingeben musste. Ich schaffte es trotz mehrerer Versuchen nicht, das Portal zu öffnen. Irgendetwas machte ich falsch. Melina bekam die Tür dann beim ersten Versuch auf.

Das Zimmer war einfach, aber sauber und, das war mir an diesem Nachmittag noch nicht klar, im Vergleich zu den noch folgenden Unterkünften in den nächsten zwölf Tagen der reinste Luxus. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es 18:15 Uhr war. Um 19:00 Uhr schloss die Kathedrale. Jetzt aber los, denn wir brauchten heute noch den Stempel, weil wir morgen früh loswollten. Eine wilde Suche durch die Innenstadt von Porto begann. Zum Glück kannte sich Melina mit der Navigationsapp besser aus als ich. Irgendwie erinnerte mich unsere Suche nach der Kathedrale unter Zeitdruck an eine Unterhaltungsshow von früher mit Günther Jauch als Außenreporter, die sich Rätselflug nannte. Die Innenstadt von Porto hatte es in sich – es ging bergauf und bergab. Immer wieder sahen wir hier und da mal die tollen Sehenswürdigkeiten, wie die historischen Straßenbahnen, die Porto zu bieten hat.

Als wir die Kirche um 18:50 Uhr erreichten, war ich fix und fertig und nassgeschwitzt. Der erste Härtetest für das Merinoshirt. Wir stellten uns im Touristenbüro für einen Stempel an, um dann im Gespräch mit der Mitarbeiterin zu erfahren, dass es den eigentlichen Stempel nur in der Kathedrale selbst gab.

Gerade noch kurz vor – sprichwörtlich – Toresschluss schafften wir es in die Kirche und bekamen mit einem nicht gerade freundlichen Blick als letzte Besucher den heiß ersehnten ersten Abdruck in unseren Pilgerpass. Alle weiteren Besucher wurden an der Pforte freundlich, aber bestimmt abgewiesen und auf den nächsten Tag vertröstet. Glück gehabt.

Als Belohnung gab es ein Abendessen im Restaurant DeGema. Beim Betreten des Restaurants roch es herrlich nach gebratenem Fleisch. Die bestellten Burger waren saftig und die besten, die wir bis dato gegessen hatten. Dazu ein leckeres Super Bock vom Fass und als Nachtisch ein Eis. Vergessen waren die ersten Strapazen des Tages und ein wohliges Gefühl stellte sich ein. Ich merkte, wie ich in den Entspannungsmodus wechselte. Sehr schön.

Auf dem Heimweg zum Hotel, diesmal in aller Ruhe, sahen wir uns noch kurz die Vorstellung einer Tanzschule im Rahmen ihres Unterrichtes auf einem öffentlichen Platz an. Sehr beeindruckend, wie diese Schüler den Tango beherrschten.

Wieder im Hotel angekommen, war an Schlaf nicht zu denken. Direkt auf der Straßenseite gegenüber saß eine ältere Frau mit ihren Einkaufstüten auf dem Gehweg und führte Selbstgespräche. Und zwar in der aus unserer Sicht für Südländer typischen Weise. Voller Emotionen und lautstark stritt sie sich mit ihrem imaginären Gegenüber.

Ich hätte gerne gewusst, was sie ihm oder ihr an den Kopf warf. Nach einer Stunde war der Spuk vorbei und wir konnten endlich die Augen zu machen. Die Frau war von alleine weitergezogen. Nicht ein Nachbar hatte sich bei ihr wegen des Lärms, den sie zu später Stunde verursacht hatte, beschwert. In Deutschland wäre mindestens schon zweimal die Polizei vor Ort gewesen. Mein vollster Respekt gehört den geduldigen und hilfsbereiten Nachbarn der Rua De Miguel Bombarda 100.


Wie wir Jesus trafen und beinahe im Gefängnis übernachtet hätten

Подняться наверх