Читать книгу Fremde Schicksale, fernes Land - Andreas O. Müller - Страница 6

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Prolog

„Warum ich nach Afrika will?“ Paul mußte nicht lange überlegen, wenn er mit dieser stets erstaunten Frage konfrontiert wurde, von Freunden und Kollegen, besonders auch von seiner Frau.

„Weil dort Menschen in großer Not sind, und wir die Verpflichtung haben, zu helfen!“ Das war seine stereotype Antwort gewesen. Aber es ging doch tiefer, mehr vielleicht, als er sich klarzumachen bereit war. Es war nicht auszuschließen, daß verborgen schwelende Unstimmigkeiten in seiner Partnerschaft mit im Spiel waren. Auch Schuldgefühle, deren Ursache er nicht kannte, mochten mitbestimmend gewesen sein.

“Was der wahre oder dominierende Grund für eine Entscheidung ist, weiß man doch eher nicht“, dachte er. Das immerhin war ihm klar. Aber darüber wollte er mit niemandem reden. Das war zu persönlich, zu intim, als daß er es hätte teilen mögen, nicht einmal mit Jasmina, die ihm näher stand als irgend ein Mensch sonst. Eine vollkommene Offenheit bis in den letzten Winkel seiner Psyche konnte sich Paul nicht vorstellen, ganz abgesehen davon, daß er sich dort selbst nicht auskannte. Eine kleine Nische hatte doch jeder für sich alleine bewahrt, einen inneren Ort, ein innerstes Geheimnis, das unteilbar blieb. So jedenfalls sah es Paul, und so verhielt er sich seiner Umwelt gegenüber. Es war eine letzte Zuflucht, wenn alles andere zusammenbrach. Hier hatte er eine sichere Bleibe, auch im schlimmsten Augenblick. So sah er das.

Jedenfalls blieb es eine mehrdimensionale Angelegenheit, in die er da geraten war. Damit beendete er seine zwischenmenschlichen Überlegungen.

Das pelzige Tier mit dem borstigen Schnurrbart, den kleinen, schwarzen Augen und dem breiten Schwanz, der an das Blatt eines Paddels erinnerte, war zu Anfang des letzten Jahrhunderts zum letzten mal in dieser Gegend gesehen und gejagt worden. Seither erinnerte nur der Bach, der das Tal durchquerte, mit seinem Namen an diesen kleinen, fleißigen Holzfäller, der kunstvolle Dämme baute und das Wasser aufstaute, sodaß die umliegenden Fluren überschwemmt wurden und für die Landwirtschaft unbrauchbar waren. Damit hatte sich das tüchtige Nagetier in der ländlichen Region keine Freunde gemacht. Die Bauern ließen sich seine eigenmächtig errichteten Bauten nicht gefallen und rotteten den Übeltäter aus. Es war das Recht des Stärkeren, das da zur Anwendung kam, Naturgesetze, argumentierten sie, seien für alle Lebewesen da, und in diesem Falle seien sie, die Bauern und Jäger, die Gewinner. Es blieb der plätschernde Bach zwischen den Wiesen und Feldern, die jetzt Jahr für Jahr bestellt werden konnten. Und es blieb der Name des Gewässers, der auf Pauls Karte mit „Biber“ angegeben war und so wenigstens die Erinnerung an eine ausgerottet Gattung aufrecht erhielt.

Die langgezogene Senke, durch die er sich schlängelte, hatte seltsamerweise keinen Namen, es hieß weder „Bibergrund“ noch „Biberdamm“ Es schien, als wolle man nicht daran erinnert werden, daß aus Eigennutz einfach eine Tierart ausgerottet worden war. Paul nannte es das „Bibertal“, wobei nicht sicher war, ob er damit den Bach oder das Tier ehren wollte. Vom Frühling bis in den späten Herbst kam er unzählige Male hierher, sofern das Wetter eine Motorradtour erlaubte.

Fremde Schicksale, fernes Land

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