Читать книгу Flüsterwald - Der verschollene Professor - Andreas Suchanek - Страница 7

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Prolog

Schatten tanzten im Kerzenlicht auf dem schwarzen Holz der Regale über Buchrücken, eingerollte Papyri und Steintafeln. Vor dem Fenster tobte wie so oft in den letzten Tagen ein Herbststurm. Blätter wirbelten vorbei, Geäst bog sich im Wind. Vom Schein der Straßenlaternen war hier draußen so wenig zu sehen wie vom Rest des verfluchten kleinen Städtchens namens Winterstein.

Er liebte die unbändige Zerstörungskraft, die dort durch die Gassen tobte und all die nutzlosen Menschen in ihre Häuser trieb. Wenn ein Sturm aufkam, tat er stets das Gleiche. Er brühte einen Tee auf, rauchte eine Zigarre, entzündete Kerzen. Es erinnerte ihn an damals, den Anfang von allem. Er dachte oft an diese Zeit zurück.

Auf dem Beistelltisch neben seinem Sessel stand die Tasse mit dem Tee, die Zigarre lag daneben im Aschenbecher. Rauchkringel stiegen auf, verteilten sich im Raum. Besucher verzogen immer das Gesicht, wenn sie eintraten, doch er mochte den Geruch. Kalte Asche sprach von Vergänglichkeit. Egal, ob es eine edle Zigarre war, die brannte, oder ein Baum. Ein ganzer Wald.

Mit einer energischen Bewegung erhob er sich, trieb die Gier in seinem Inneren zurück in den hintersten Winkel. Noch musste er beherrscht vorgehen, doch bald würden Sträucher brennen, die elenden Bäume aufschreien und Laub verglühen, würde all die Magie wieder ihm gehören.

Mit der Teetasse in der Hand trat er ans Fenster. Es war natürlich kein gewöhnliches Fenster. Das Glas besaß eine solche Reinheit, dass es fast unsichtbar war. Und dazu kamen filigrane Symbole aus Metall, die auf dem Rahmen prangten.

Es klickte, als er das magische Zeichen im rechten Fensterrahmen drehte. Ein Wabern lief über das Glas, dann zeigte es nicht länger die Landschaft außerhalb. Stattdessen wurde das Herrenhaus sichtbar. Hinter den Fenstern brannte Licht. Zweifellos würde es bald erlöschen, die Bewohner sich in ihre Betten begeben.

Wann war es endlich so weit?

Die beiden Kinder hatten sich bereits getroffen, er hatte den Streit beobachtet. Doch seit jenem Abend hatte Lukas Lamprecht den Flüsterwald nicht mehr betreten. Die Tage zogen sich in nutzlosem Einerlei dahin und brachten ihn seinem Ziel nicht näher.

»Geduld«, sprach er in den dunklen Raum. Er lächelte. Es war das Lächeln eines Raubtiers, wie ihm ein alter Feind einmal gesagt hatte. Er trug es stets, wenn ein Plan sich der Vollendung näherte.

Mit einer weiteren Drehung, einem erneuten Klicken, wurde das Glas wieder gewöhnlich. Vor dem Fenster kehrte die vertraute Landschaft zurück. Er sank in seinen Sessel, ließ den Blick in die sturmzerzauste Ferne schweifen und sog genussvoll den Geruch kalter Asche ein.

Flüsterwald - Der verschollene Professor

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