Читать книгу Inflation - Andreas Tögel - Страница 5
Оглавление„Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.“
Ludwig Erhard (1897–1977)
Einleitung
DIE INFLATION IST GEKOMMEN, UM ZU BLEIBEN
Mittlerweile gibt es beiderseits des Atlantiks kaum mehr einen Konsumenten, der noch nicht bemerkt hat, dass er es gegenwärtig mit einer kräftigen, alle wesentlichen Ausgaben zur Lebenserhaltung betreffenden Preisinflation zu tun hat. Die Menge an Gütern und Dienstleistungen, die für einen Betrag X erworben werden können, wird beinahe täglich kleiner. Verschleierungsmanöver, wie etwa die Verkleinerung von Packungsgrößen bei gleichbleibenden Preisen, oder das Zurückfahren von Rabattaktionen durch den Handel, vermögen daran nichts zu ändern. Die Lebenshaltungskosten steigen gegenwärtig deutlich rascher als die Masseneinkommen. Besonders die stark steigenden Energiekosten (die derzeit allerdings zumindest zum Teil nicht auf die Inflation zurückgeführt werden können), bringen Geringverdiener – besonders solche, die als Pendler auf ihre Fahrzeuge angewiesen sind – in finanzielle Schwierigkeiten. Man müsste heute schon als genügsamer Eremit in der Höhle hausen, um von der allgemeinen Teuerung unberührt zu bleiben.
In einem größeren Zeitraum gesehen, wird die negative Entwicklung noch deutlicher: Der Generation der Babyboomer und deren Eltern war es noch möglich, mit einem einzigen Haushaltseinkommen das Auslangen zu finden. Die Männer sorgten für den Broterwerb, und die Frauen kümmerten sich um den Haushalt und die Kinder. Das Leben war schön. Nicht wenige Familien konnten mit nur einem Einkommen genügend Geld ansparen, das für ein Häuschen im Grünen und für regelmäßige Sommerurlaube reichte. Das ist heute undenkbar. Dieser Tage sind in den meisten Fällen zwei Einkommen nötig, um den Lebensunterhalt auf einem akzeptablen Niveau sicherzustellen. Junge Paare sind, sofern sie nicht von ihren Eltern großzügig unterstützt werden, nur dann in der Lage, Wohnungseigentum zu erwerben, wenn sie sich auf Jahrzehnte hinaus hoch verschulden. Und auch das nur dann, wenn beide arbeiten gehen und – oft genug – auf eigene Kinder verzichten. Bei der Darstellung der „amtlichen Inflationsrate“ fällt dieser wichtige Aspekt völlig unter den Tisch, wiewohl er doch einen schlagenden Beweis für den dramatischen Kaufkraftverfall der zurückliegenden Jahrzehnte liefert. Die Entwicklung der Immobilienkosten wird in die amtliche Teuerungsstatistik nicht miteinbezogen.
Der Einst-und-jetzt-Vergleich der Kosten für bestimmte Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs belegt die Preisinflation mindestens ebenso eindringlich: In den 1960er-Jahren ging man für umgerechnet weniger als einen Euro ins Kino (12 Schilling). Ein Kinderfahrschein für die öffentlichen Verkehrsmittel Wiens kostete umgerechnet fünf Cent (80 Groschen). Ein Stanitzel mit sechs Maroni kostete sieben Cent (einen Schilling), eine Waffel mit einer Kugel Fruchteis 11 Cent (1,50 Schilling). Die Liste ließe sich seitenweise fortsetzen. Unglaublich, um wie viel mehr heute (oft genug das Zwanzigfache und mehr) für dieselben Dinge zu bezahlen ist! Der oft gehörte Stoßseufzer „Das Geld ist nichts mehr wert“ ist demnach mehr als berechtigt.
Dass die massive Verteuerung der Lebenshaltungskosten eine der Hauptursachen für die negative Bevölkerungsentwicklung darstellt, ist kaum zu übersehen. Wer – aus Kostengründen – bis ins Alter von 30 und mehr Jahren gratis im Hotel Mama wohnt, denkt entsprechend spät an die Gründung einer eigenen Familie und setzt, wenn überhaupt, selten mehr als ein Kind in die Welt. Folgerichtig geht die Kopfzahl der autochthonen Einwohner Österreichs (und Europas insgesamt) stetig zurück.
Selbst in der Mainstreamökonomik, die gewöhnlich heute elaboriert zu erklären versteht, warum sie mit ihren gestern abgegebenen Prognosen leider falsch lag (um prompt erneut dubiose Prophezeiungen aus der Kristallkugel zu lesen, die zwei Tage später revidiert werden), reift die Erkenntnis, dass sich bei einer Teuerung von über fünf Prozent langsam aber sicher ein veritables Problem auftut. Denn bei einer fünfprozentigen Preisinflation verringert sich die Kaufkraft einer Währungseinheit binnen zehn Jahren um satte 37 Prozent. Bei einer dreiprozentigen Teuerung immerhin noch um 24 Prozent und bei dem von der Europäischen Zentralbank angestrebten „Inflationsziel“ von zwei Prozent (das – mangelnden Humor kann man den Geldalchemisten der EZB nun wirklich nicht vorwerfen – mit „Geldwertstabilität“ gleichgesetzt wird), beträgt der Kaufkraftverlust immer noch ganze 16,6 Prozent. Was das für jene Sparer bedeutet, die nicht auf verhältnismäßig risikoreiche Veranlagungsformen ausweichen können oder wollen – und das, nur um den Wert ihrer Rücklagen zu erhalten – liegt auf der Hand. Die zusammen mit der Geldentwertung betriebene Nullzinspolitik bedeutet für die europäischen Sparer jährlich viele Milliarden Euro an Vermögensverlusten.
Gespartes Geld resultiert aus Arbeit, die wiederum unter Einsatz von Lebenszeit geleistet wurde. Da Zeit aber das einzige nicht vermehrbare Gut auf Erden ist, bedeutet Inflation de facto den Diebstahl von Lebenszeit und damit ein kapitales Verbrechen.
„Durch einen anhaltenden Prozess der Inflation können Regierungen, heimlich und unbemerkt, einen namhaften Teil des Vermögens ihrer Bürger konfiszieren.“
John Maynard Keynes (1883–1946)
Das von Christine Lagarde, der Chefin der unter der Bezeichnung Europäische Zentralbank (EZB) firmierenden Inflationierungsbehörde, abgegebene Ehrenwort, bei der momentanen Teuerung handle es sich um eine „vorübergehende Erscheinung“ und die Lage werde sich schon demnächst wieder normalisieren, stammt insofern aus erster Hand, als die Frau es sich ganz offenkundig aus dem Finger gesogen hat. Allenfalls das Prinzip Hoffnung lässt sich zur Begründung ins Treffen führen. Alle wirtschaftlichen Basisdaten (wie die Steigerung der Großhandelspreise, die bislang noch nicht an breiter Front an die Konsumenten weitergegeben wurde), deuten nämlich vielmehr auf eine weitere Verschärfung der Geldentwertungstendenz hin.
Das ist beileibe auch kein Wunder, denn ein wachsendes Geldangebot muss – unter sonst gleichen Bedingungen – notwendigerweise zu einem allgemeinen Anstieg der Preise führen. Das ist keine Raketenwissenschaft und sollte daher jedermann einleuchten. Da die Zentralbanken dieser Welt seit Jahrzehnten das Angebot an Liquidität wesentlich stärker steigern, als die Produktion von Gütern und Dienstleistungen zunimmt, ist gar nichts anderes zu erwarten, als ein Verfall des Geldwertes pro Geldeinheit.
Zwischen der Waren- und der Geldmenge besteht ein zunehmendes Missverhältnis, das der kontrafaktischen Annahme geschuldet ist, dass ein größeres Geldangebot automatisch auch ein höheres Wohlstandsniveau mit sich bringt. Um den dieser Annahme innewohnenden Fehler zu erkennen, braucht man kein studierter Ökonom zu sein. Gesunder Hausverstand, wie er in den Tintenburgen der in einer surrealen Parallelwelt lebenden Eurokraten und ihrer Symbionten im Bankenwesen allerdings kaum zu finden ist, reicht dafür vollkommen aus.
Ganz nebenbei bemerkt: Mit Madame Lagarde ist eine der wichtigsten Positionen im Hinblick auf die Geldpolitik der EU erstaunlicherweise nicht mit einem Wirtschaftsexperten besetzt. Lagarde verfügt nämlich über keine ökonomische Ausbildung. Sie ist Juristin. Während in Deutschland in Militärfragen unbedarfte Hausfrauentypen zu Kriegsministern ernannt werden, wird in der EU eine Amateurin zur obersten Währungshüterin erkoren. So etwas kann kein Romancier erfinden, ohne seine Geschichte damit unglaubwürdig zu machen.
Wenn die rechtskräftig wegen des fahrlässigen Umgangs mit öffentlichen Geldern verurteilte (aber aus unerfindlichen Gründen straffrei gebliebene) Christine Lagarde über ihre Lieblingsthemen Gleichstellungspolitik und „Green Deal“ schwadroniert, von denen sie viel zu verstehen meint, vermittelt sie einen durchaus selbstbewussten und sattelfesten Eindruck. Indessen manifestieren sich ihre massiven Wissensdefizite bei so gut wie jedem ihrer öffentlichen Auftritte auf unübersehbare Weise in ihrer Körpersprache, sobald es um Fragen der Ökonomie im Allgemeinen und in Sachen Geldtheorie im Besonderen geht – also genau das, wofür sie engagiert wurde. Sie wirkt dabei stets zögerlich und unsicher. Das ist deshalb nicht ganz unbedeutend, weil das Vertrauen des Publikums in den Euro nicht unwesentlich von der Glaubwürdigkeit abhängt, mit der die „Währungshüter“ vor Kameras und Mikrophonen agieren. An dieser Stelle soll keinesfalls Lagardes Vorgänger Mario Draghi unverdienterweise gelobt werden. Aber seine Auftritte vermittelten wenigstens den Eindruck, dass er weiß wovon er spricht, und dass er es mit seinen Absichtserklärungen ernst meint („Whatever it takes.“).