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Die fünf Erben

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Melanie hielt vor dem Haus, in dem alle fünf Erben vor ihrem Verschwinden gewohnt hatten. Sie zog die Handbremse und stellte den Motor ab. Als sie den Schlüssel abzog und den Sicherheitsgurt löste, fiel ihr auf, dass sich Hauser noch nicht gerührt hatte. Stocksteif mit ausgestreckten Beinen, aufgerissenen Augen und festgekrallten Händen drückte er seinen Kopf gegen die Nackenstütze. Als wolle er so weit wie möglich vor allem zurückweichen, was in den letzten acht Minuten vor der Motorhaube aufgetaucht war. »Wir sind da«, bemerkte sie trocken.

Hauser löste mit bebenden Händen den Gurt und öffnete die Tür. Sicher auf dem Gehweg angelangt, betrachtete er den Standort des Wagens: Melanie parkte in zweiter Reihe mit eingeschalteter Warnblinkanlage.

»Keine Sorge, die Strafzettel gehen an meinen Chef.« Offenbar wollte sie ganz sichergehen, dass Schneider ihren Unmut wahrnahm.

»Ich dachte eher an die Unannehmlichkeiten, die wir anderen Verkehrsteilnehmern damit bereiten«, erwiderte Hauser. Dann überquerte er die Straße und stellte sich auf die gegenüberliegende Seite, um die Hausfassade zu betrachten.

Da Melanie nicht wusste, was sie tun sollte oder was er gerade tat, stellte sie sich abwartend neben ihn.

»Anrufen hat wohl keinen Sinn«, sagte Hauser.

»Nein, keiner der fünf ist unter einer der bekannten Nummern zu erreichen. Ich habe es auch per E-Mail und SMS versucht. Kein Erfolg.«

Hausers Blick wanderte von einem Fenster zum anderen. »Also kein Lebenszeichen, seit sie verschwunden sind. Hat keiner von ihnen sein Auto benutzt?«

»Stehen alle vor oder hinter dem Haus.«

»Diese Leute haben nicht das Geld, um ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Zumindest hatten sie es vor ihrem Verschwinden noch nicht.«

»Sie meinen, wir verfolgen hier eine erfolgreiche Tippgemeinschaft?«

»Ausschließen kann ich momentan überhaupt nichts«, sagte Hauser und strich sich nachdenklich über die Enden seines Bartes. »Aber ich liebe Herausforderungen.«

»Dann werden Sie diese hier schwängern wollen.«

»Du hast schon alles an Vorarbeit geleistet, was ein Detektiv an dieser Stelle erledigen würde«, versuchte sich Hauser an einem Kompliment.

»Ich hoffe, damit ist Ihr Repertoire noch nicht erschöpft.«

»Und in den Unterlagen steht auch nichts, was uns weiterhelfen könnte.«

»Woher wollen Sie das wissen? Ich habe viel Arbeit in diese Mappe gesteckt.«

»Sie ist randvoll mit wichtigen Hintergrundinformationen, aber wenn der große Knüller drinstehen würde, dann hätte Schneider es mir gleich als erstes erzählt.«

»Sie haben die Mappe nur schnell durchgeblättert, wie …?«

»Ich lese schnell und merke mir viel.«

»Oho«, machte sie gespielt beeindruckt, »ein fotografisches Gedächtnis also.«

»Ein eidetisches, aber ehrlich gesagt, halte ich das eher für unwahrscheinlich. Wenn ich eines hätte, wüsste ich längst, weshalb mir dieses Haus so bekannt vorkommt. Irgendwo habe ich es schon mal gesehen. Egal, wird mir schon noch einfallen. Übrigens bin ich ein guter Beobachter von Körpersprache. Deshalb kann ich dir auch sagen, dass du keine sexuelle Beziehung mit deinem Boss hast.«

»Das wusste ich schon.«

»Ich wollte es nur erwähnen, weil es ja fast schon ungewöhnlich ist.«

»Das ist ein Klischee«, protestierte Melanie.

»Mag sein. Aber wo wir gerade von Sex mit älteren Männern reden …«

»Das tun wir doch überhaupt nicht!«

»… sollten wir doch nochmal die Nacht im Asbest thematisieren.«

»Nö!«

Hauser nahm die Abfuhr gelassen entgegen und wechselte zum Fall zurück. »Fassen wir mal zusammen. Wir haben ein Ehepaar, er Frührentner, sie Hausfrau. Dann eine Witwe und eine iranische Studentin, sowie einen Postboten. Dieses Haus verbindet sie also. Aber was verbindet sie mit Schneiders Mandanten? Kennst du übrigens seinen Namen?«

»Den hat er mir auch nicht verraten. Ich schätze, er konnte sich nicht schnell genug einen ausdenken.«

»Eine Möglichkeit wäre, dass der mysteriöse Mandant mal hier gewohnt hat und daher die fünf kennt. Vielleicht gehört ihm das Haus, und sie waren seine Mieter.«

»Ich hätte auch gern einen Vermieter, der mich in seinem Testament bedenkt.« Melanie stieß einen ungeduldigen Schnaufer aus. »Haben wir eigentlich nicht lange genug diese Hauswand angestarrt? Wir könnten doch Ihren Freund bei der Polizei um Hilfe bitten.«

»Ich muss sparsam mit Lessings Gefallen umgehen, weil seine Chefin nicht unbedingt ein Fan von mir ist. Ich warte lieber bis zuletzt, bevor ich ihn um Hilfe bitte.« Unvermittelt ging Hauser los, überquerte die Straße wieder und drückte die unverschlossene Haustür auf. Er trat in den Hauseingang und ließ seinen Blick kurz über die öffentlichen Aushänge an der Wand, die Prospektstapel auf dem Fußboden und die Reihe der Briefkästen schweifen. Ungeniert hob er die Deckel bei allen verschwundenen Mietparteien und linste in die Kästen hinein. »Sie haben keine Post.«

»Liegt wohl daran, dass ihr Briefträger verschwunden ist.«

Er kontrollierte noch zwei andere Briefkästen. »Die anderen Mieter haben Post bekommen.«

»Was schließen Sie daraus?«

»Jemand hat ihre Post abgeholt.«

»Vielleicht haben sie einen Nachsendeantrag gestellt, oder sie lassen ihre Post für bestimmte Zeit in der Filiale sammeln.«

»Möglich«, gab Hauser zu und ging nach draußen. Melanie hob genervt die Arme und folgte ihm. Sie wünschte, er würde diese abrupten Richtungswechsel ankündigen oder – noch besser – ganz unterlassen. »Okay, was jetzt?«, fragte sie, als sie vor dem Haus standen.

Hauser blickte die Straße entlang und entdeckte das Wasserhäuschen an der Ecke. Er bedeutete Melanie mitzukommen.

»Das ist ja wohl nicht Ihr Ernst?«, empörte sie sich und musterte den buntbedruckten Kiosk, auf den sie zusteuerten. »Sind Sie etwa einer dieser dauerbesoffenen Philip-Marlowe-Schnüffler? Ach, was frag ich! Schließlich habe ich Sie in dem Zustand kennengelernt.«

»Ich wünschte, du würdest mich endlich duzen«, rief Hauser über seine Schulter hinweg.

»Das müssen Sie sich erst verdienen.«

Sie näherten sich dem Wasserhäuschen und hörten schon von Weitem die Männer davor.

»Ei wennde schonnema son Zebra midde Hand gefange hast, dann bisde fit!«

»Klappe, Richie!«

»Ei isch hadd doch die Fischvergiftung!«

Die drei Endvierziger befeuerten sich mit Badesalz-Zitaten, als seien dies noch die Neunziger.

»Morgen«, grüßte der Detektiv die Männer, die sich an ihren Bierflaschen festhielten.

»Moin«, antwortete der Besitzer und musterte Hauser misstrauisch.

Der Detektiv wies auf das Haus, auf das man von dem Wasserhäuschen einen hervorragenden Blick hatte. »Ein paar Freunde von mir sind gestern Morgen in den Urlaub gefahren und haben mich irgendwie vergessen.«

Die Männer schauten ihn ausdruckslos an. Sie wollten ihr Interesse an seiner Geschichte nicht zugeben, aber Hauser wusste, dass er sie bereits am Haken hatte. »Also es war ziemlich früh und möglicherweise war ich auch ein oder drei Stunden zu spät am Treffpunkt. Habt ihr die Leute vielleicht wegfahren sehen?«

Der Kioskbetreiber wechselte einen Blick mit seinen Stammkunden. »Wer bistn du überhaupt?«, fragte er, während seine Augen an Hauser herabfuhren.

Der betrunkenere der beiden Gäste nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche. »Du kannst bei uns bleibe, Schätzche, abber der Thomas-Magnum-Schnauzer geht weiter.« Sein Kollege brach in ein Gackern aus, das sich nach wenigen Sekunden in einen Hustenanfall verwandelte.

»Leute, ihr habt das Prinzip falsch verstanden«, erklärte Hauser freundlich. »Ihr könnt euch nicht für sie schönsaufen. Nur sie könnte sich euch schönsaufen, aber die erforderliche Menge würde sie nicht vertragen.«

Für einen Moment herrschte Totenstille an dem Wasserhäuschen. Melanie war bereit, zum Jaguar loszuspurten, doch in diesem Moment brachen die Männer in schallendes Gelächter aus.

»Das war ein guter«, sagte der Betreiber, ließ einen Kronkorken durch die Luft kreiseln und stellte eine Flasche vor Hauser. »Geht uffs Haus.«

Melanie schob sich lächelnd vor. »Was mein Vater zu sagen versucht, ist, dass er dringend wissen muss, wann und mit welchem Wagen seine Bekannten abgereist sind.«

»Das klingt fer mich so, als wolle die den net unbedingt dabeihabbe.«

Melanie beugte sich vor und flüsterte: »Bitte, wenn wir sie nicht finden, kann er nicht seinen Urlaub mit ihnen verbringen und dann habe ich ihn die nächsten drei Wochen am Hals. Ich hatte ehrlich gesagt andere Pläne. Ihr würdet mir wirklich einen großen Gefallen tun.«

Die drei Männer sahen sich an, dann zuckten beide Gäste mit den Schultern und der Betreiber beugte sich Melanie entgegen. Allerdings nicht, um ungehört zu bleiben, sondern um ihr nebenbei in den Ausschnitt zu linsen. »Das kann ich verstehe, so ein möcht ich auch net betreue misse. Na jedenfalls, die sind in einem Mini-Van weggefahren. Das wor so gege fünf. Ich bin selbst grod erst kumme und hat Kaffee uffgesetzt.«

»Was für ein Mini-Van war das denn?«, fragte Hauser.

»Die Marke kann ich net sahe. War noch zabbeduuster und die ham uns midde Scheinwerfer geblend.«

»Und besoffe warn mehr auch«, ergänzte einer der Gäste.

»Du scho, aber ich schaff hier«, blaffte der Besitzer, bevor er sich wieder Melanie zuwandte. »Er war silbern.«

»Also kein Taxi?«, hakte Melanie nach.

»Na, sicher silbern. Matt. Das ist alles, was wir wisse.«

»Und dass uff dem Kennzeiche ein Q wor«, ergänzte der weniger betrunkene Gast.

»Joh. Und des«, bestätigte der Besitzer.

»Wie viele Leute sind eingestiegen?«

»Des wor schwer zu erkenne, wesche de Scheinwerfer.«

Der erste Gast hob den Zeigefinger, als habe er gerade eine göttliche Eingebung. »Aber zwo Leut sin vor dem Bus zum Seiteneinstiech gelaafe. Also worn mit dem Fahrer mindestens drei drin.«

»Vielleicht ham die Jungs von de Müllabfuhr mehr gesehe«, sagte der Kioskbesitzer.

»Wieso?«

»Na, der Mini-Van hat denen den Zugang zu nem Rollcontainer versperrt. Erst als die weggfahre sin, konnte die Jungs weitermache.«

»Was auch Stress gab«, erinnerte sich der betrunkene Gast, »weil die zwei Typen in dem Geländewagen net vorbeikame. Was ham die sich uffgerecht, eijeijeih. Ham gehupt un gescholle, in irgendsoner Sprach. Solle sich halt eh klaaner Audo kaufe, dann komme se auch durch.«

»Und wohin ist der Mini-Van dann gefahren?«, fragte Hauser.

Der Besitzer wies beiläufig nach Westen. »Immer weiter strackaus, die Gutleut lang.«

Hauser machte eine anerkennende Kopfbewegung für diese Gedächtnisleistung. »Sonst noch ein Detail?«

Die drei schüttelten gleichzeitig ihre Köpfe, so als würden sie alle mit derselben Schnur bewegt.

»Dann vielen Dank, die Herren.« Hauser reichte einen größeren Schein über Melanies Schulter. Der Besitzer quittierte die Spende mit einem Nicken. Als sie sich vom Kiosk abwandten, schnappte sich der betrunkenere Gast die Bierflasche, die Hauser verschmäht hatte. Mochten auch seine anderen Fähigkeiten durch den Alkohol in Mitleidenschaft gezogen sein, der Beuteinstinkt war ihm erhalten geblieben.

»Ich kenne jemanden bei FES«, sagte Hauser auf dem Weg zum Jaguar. »Meine Bekannte könnte herausfinden, ob ihre Kollegen an diesem Morgen etwas beobachtet haben.«

Melanie machte eine auffordernde Handbewegung. »Nur zu.«

Hauser kramte in seinem Beutel herum und holte ein Handy heraus. Er hatte das Computerzeitalter komplett verpennt und als Anachronist eine Welt durchwandert, in der Informationen überall und für jedermann frei verfügbar waren. Eigentlich traumhafte Zustände für einen Detektiv, trotzdem hatte er sich nie aufraffen können, einen PC anzuschaffen. Es lag mehr an seiner phlegmatischen Grundhaltung als an einer aktiven Verweigerung. Wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, hatte er notgedrungen ein Internet-Café aufgesucht. Aber dann löste er einen Fall innerhalb von dreißig Minuten nur mittels Google und legte sich daraufhin sofort ein iPhone zu.

Melanie musste eine ganze Weile dem Geschäker zwischen Hauser und der Frau zuhören und bekam auch nur seine Hälfte des Gesprächs mit. Aber die reichte aus, um sicher zu sein, dass die beiden nicht nur eine berufliche Vergangenheit hatten. Endlich kam Hauser auf den Punkt und erzählte von einem Freund, der an besagtem Morgen mit seinem Mini-Van von dem Müllwagen touchiert worden sei. Die Frau ermittelte über ihr System den betreffenden Fahrer und kontaktierte ihn. Hauser schenkte Melanie ein aufmunterndes Lächeln, dann war seine Bekannte wieder in der Leitung. Er hörte eine Minute zu und beendete das Gespräch mit einem weiteren fünfminütigen Geplänkel aus Lob, Dank und Versprechungen für ein baldiges Treffen in einem Lokal mit Cocktail-Happy-Hour.

»Der Fahrer des Müllwagens kann sich an den Mini-Van erinnern, bestreitet aber den Unfall. Sie mussten wegen des Mini-Vans einen Moment warten und als er schließlich aus der Hofeinfahrt herauswollte, die er blockierte, ist er noch rückwärts gegen den Rollcontainer gefahren, zu dem die FES-Leute wollten. Dabei hat er sich das rechte Rücklicht eingedrückt. Anschließend gab es noch einen Streit mit zwei Kerlen in einem protzigen Hummer, die es unglaublich eilig hatten. Die haben sie natürlich extralange warten lassen. Jedenfalls hat der Fahrer des Mülllasters Leute aus dem Haus in den Mini-Van steigen und wegfahren sehen. Wahrscheinlich zur Auffahrt Westhafen und auf die A 5. Beim Westhafen kann man nur Richtung Norden auffahren. Falls der Fahrer nicht am Nordwestkreuz gedreht hat oder abgefahren ist, wissen wir jetzt, in welcher Richtung wir suchen müssen.«

»Ich weiß nicht, ob es schon als Erfolg gelten kann, wenn wir die Suche auf die obere Hälfte Deutschlands begrenzen können.«

»Keine Sorge, es geht gleich weiter.«

***

»Hier ist euer Guido, live bei F-Xpress, eurem Gute-Laune-Sender für Frankfurt und Umgebung, ich … und das ist mein Handy, tja Leute, das ist live und deshalb erstmal die Black Eyed Peas mit I got the feeling. Bis gleich.«

Während die Hörer von F-Xpress der Musik lauschten, musste sich Moderator Guido eine ganz andere Geschichte anhören.

»Mensch, Hauser, ich kann doch nicht öffentlich zur Suche nach einem bestimmten Auto aufrufen. Die Besitzer könnten mich verklagen.«

»Es handelt sich möglicherweise um eine Entführung, du würdest ein gutes Werk tun. Mach ein Gewinnspiel daraus, das fällt doch nicht besonders auf.«

Der Moderator kämpfte schwer mit sich. Er machte diesen Job jetzt seit fünf Jahren und eigentlich gefiel er ihm. Zuvor hatte er als Web-Designer und Neo-Spiritualist eine Menge Kohle verdient und auch eine Menge Leute genervt, aber mit seiner momentanen Stelle gelang es ihm, in beiden Disziplinen neue Höhen zu erreichen und neue Tiefen auszuloten.

»Mit dem Gefallen wären wir quitt«, köderte Hauser ihn und der Mann schien nur auf dieses Angebot gewartet zu haben.

»Na, unter diesen Umständen ist es natürlich ein Schnäppchen, lass mich mal machen.«

Die Black Eyed Peas wurden von Lady Gaga abgelöst, dann war der Moderator wieder auf Sendung.

»Und nun kommen wir zu einem besonderen Schmankerl, bei dem unsere frühen Pendler garantiert die Nase vorn haben werden, denn wie heißt es so schön: Dem frühen Vogel ist der Wurm egal, denn er ist auf der Jagd nach dem F-Xpress-Goldtransport. Die Regeln sind denkbar einfach: Wir beschreiben euch ein Fahrzeug und nennen einen Buchstaben oder eine Zahl des Kennzeichens sowie die ungefähre Gegend. Dann seid ihr dran und dürft euch das Hirn zermartern, ob, wann und wo ihr unseren Goldtransport gesehen habt. Bereit? Okay. Die geheimen Goldreserven von Radio F-Xpress wurden diesmal in einem silbernen Mini-Van transportiert. Die Marke wollt ihr wissen? Ha, Fehlanzeige. Mal ehrlich, dann wäre es ja so einfach, wie Thunfisch aus der Dose zu angeln. Dann hätten wir ja gleich F-Express auf die Seite schreiben können. Aber ein kleiner Hinweis sei euch gewährt, wir sind schließlich keine Unmenschen. Achtung: Unser Goldtransport hatte ein kaputtes Rücklicht auf der rechten Seite. Wer also gestern Morgen auf der A 5 ein weißes Licht vor sich sah, keine Sorge, das war kein Geisterfahrer. Nehme ich jedenfalls an, man weiß ja nie, wer sonst noch unterwegs war.« In seinem leutseligen und seltsam aufgeputscht klingenden Vortrag zählte Guido alle bekannten Informationen zu dem Fahrzeug auf. »Ruft uns unter folgender Nummer an …«

Melanie sah auf das Radio. »Das ist unorthodox.«

»Echt?«, fragte Hauser überrascht. »Ich fand das eine völlig naheliegende Vorgehensweise.«

»Wie sind Sie an den Job als Privatdetektiv gekommen? Sie erwecken nicht den Eindruck eines ehemaligen Polizisten, der sich selbstständig machen wollte.«

»Ja, ich bin wohl ein Quereinsteiger. Genaugenommen hat es drei Jahre gedauert, bis ich mir eingestanden habe, dass ich ein Detektiv bin.« Hauser hatte nie die Absicht gehabt, Detektiv zu werden. Seine Interessen und Fähigkeiten waren so vielfältig, dass es ihm schwerfiel, sich auf einen Beruf zu beschränken. Also schrieb er seine herausragenden Talente auf ein Blatt Papier und suchte nach einer Tätigkeit, die die meisten von ihnen einschloss. Es entstand eine kurze Liste von Berufen, die er anschließend nach bestimmten Kriterien abklopfte. Er wollte lange Arbeitszeiten und enge Personalbindung ausschließen, ebenso Teamwork, strenge Kontrolle seines Tagesablaufs und eine zu geringe Bezahlung. Als Privatdetektiv bekam er nicht alles davon erfüllt, aber doch mehr als in den anderen infrage kommenden Berufen.

»Was haben Sie vorher gemacht?«, fragte Melanie.

»So dies und das. Alles, was man so als schlechtbezahlte Nebenjobs kennt, habe ich irgendwann mal ausprobiert. Aber ich war schon immer gut darin, Dinge und Leute zu finden. Anfangs haben mich andere Privatdetektive beschäftigt, wenn sie in einem Fall nicht weiterkamen. Das hat sich rumgesprochen und so wurde ich Spezialist für die hoffnungslosen Fälle. Im Laufe der Zeit zählten erst Rechtsanwälte zu meinen Klienten, dann kamen durch Mundpropaganda die Polizei und die Staatsanwaltschaft dazu.«

Hausers Ambitionen, sich in Frankfurt einen Namen als Detektiv zu machen, durften als bescheiden bezeichnet werden. Die großen Detekteien hatten ihn umworben, weil seine Erfolge sie aufhorchen ließen. Aber die drei Bewerbungsgespräche über eine gemeinsame Zukunft wurden ausnahmslos zum Fiasko. Heutzutage musste ein Detektiv auch immer ein Teamplayer sein. Eine Mischung aus Manager, Ermittler, Psychologe und Softwarespezialist. Hauser saß den Headhuntern ratlos gegenüber, war auf die üblichen Bewerbungsfragen nicht vorbereitet gewesen und wollte auch nicht so gern von sich erzählen. Seine Gesprächspartner vermuteten, dass es sich wohl um eine Verwechslung handelte und sie an den falschen Hauser geraten sein mussten. Hauser dagegen verbuchte die drei kostenlosen Mittagessen als Gewinn und dachte nicht weiter über die Gespräche nach.

»Klingt so, als hätten Sie jede Menge zu tun.«

Hauser zuckte mit den Achseln. »Na ja, ich habe einen Weg gefunden, die Anzahl der Aufträge einzuschränken.«

»Und wie sieht der aus?«

»Ich verlange ein unverschämtes Gehalt.«

»Raffiniert.«

»Nicht wahr? Die meisten suchen sich daraufhin einen anderen Detektiv, das sortiert die leichten, sprich langweiligen Fälle aus. Erst wenn die Kollegen an einem Fall scheitern, kommt man zu mir zurück und zahlt meinen grotesk überhöhten Stundensatz. Und ich weiß dann, dass ich mich nicht langweilen werde.«

»Was hat Sie denn an diesem Fall gereizt? Außer, dass er wie schlecht ausgedacht klingt.«

»In erster Linie du.«

Melanies Gesicht zog sich zu einem Fragezeichen zusammen. »Wie soll ich das denn verstehen?«

»Na ja, da steht ja noch diese Sache zwischen uns. Wir sollten vielleicht noch einmal über den Abend im Asbest reden. Du scheinst mir deswegen immer noch angesäuert zu sein und das wirkt sich nicht positiv auf unsere Zusammenarbeit aus.«

»Sicher nicht, aber ich möchte auch jetzt nicht darüber reden.«

Hauser setzte seinen erprobten Dackelblick auf. »Könntest du mir nicht wenigstens einen Tipp geben? Ich versuche mich nämlich schon die ganze Zeit daran zu erinnern, was vorgefallen ist, aber es gelingt mir einfach nicht.«

»Wir werden noch darüber reden und es stört mich überhaupt nicht, wenn Sie bis dahin noch ein bisschen leiden.« Melanie drehte sich zu ihm. »Aber wenn Sie nur meinetwegen hier sind, halten Sie dies hier also nicht für einen spannenden Fall?«

»Nicht so sehr das Aufspüren der fünf Personen, aber die Geschichte hinter der Geschichte, die dein Boss uns beziehungsweise mir aufgetischt hat.«

»Dann ist es Ihnen also auch aufgefallen?«

»Na, das mit den Erben ist doch wohl Blödsinn. Eigentlich sollte es mich kränken, dass er mir so einen Quatsch zu verkaufen versucht. Glaubst du, es steckt etwas Illegales dahinter?«

Melanie schüttelte den Kopf. »Davon lässt er die Finger. Er hat zu viel zu verlieren, um es für krumme Touren zu riskieren.«

»Ist meist nur eine Frage der Summe, um die es geht. Aber im Zweifel für den Angeklagten. Nehmen wir an, es ist etwas Harmloses. Vielleicht eine peinliche Angelegenheit für ihn oder für den Klienten, den er vertritt.«

Nach einer Stunde und zweimaliger Wiederholung aller bekannten Informationen, meldete sich Guido auf Hausers Handy, nachdem er die Anrufer aussortiert hatte, bei denen der Mini-Van nach Süden gefahren war. Vier Anrufer hatten ihn von der A 5 auf die A 661 abbiegen sehen, wodurch auch die beiden Anrufer, die ihn am Gambacher Kreuz und auf dem Gießener Ring gesehen haben wollten, aus dem Spiel waren. Von den verbliebenen vier behaupteten drei, er sei nach Westen gefahren und einer wollte ihn in Richtung Bad Vilbel gesehen haben. Letzterer war raus. Von den übrigen drei war nur einer mit auf die A 661 abgebogen und als er selbst in Bad Homburg abgefahren sei, fuhr der Mini-Van noch weiter. Dort endete die Spur.

Zweimal wiederholte Guido den Aufruf, dann machte ihn in einer Werbepause sein Programmchef zur Schnecke und er musste die Aktion wohl oder übel beenden. Er verkündete einen erfundenen Gewinner. Name und Wohnort hatte er vorsichtshalber gegoogelt, um keine böse Überraschung zu erleben. Wie zum Beispiel, das diejenige Person wirklich existierte. Im Anschluss gab Guido die Erklärung ab, dass Radio F-Xpress dieses Gewinnspiel leider nicht mehr wiederholen könne, da es angesichts des hohen Gewinns den Sender unweigerlich in den Ruin treiben würde.

»Ich bin‘s, Guido. Ich habe noch einen Hinweis … ich rede so leise, weil ich vom Klo aus anrufe. Wenn mein Boss mitbekommt, dass ich … egal, ein Rentner hat beim Gassigehen den Mini-Van gesehen. Vor einem Hotel in Oberursel. Tag und Zeit kommen hin.«

Hauser bedankte sich für die Information und versprach mehrfach, nie wieder einen solchen oder ähnlichen Gefallen einzufordern. Er gab Melanie die Adresse.

»Das war wirklich beeindruckend«, musste sie zugeben.

»Findest du? Dabei ist das Prinzip simpel: Man muss nur erst einmal alles ignorieren, was andere tun würden. Gegen das, was niemand tun würde, sichert sich auch keiner ab.«

Melanie war nicht sicher, ob Hauser mit Absicht diesen chaotischen Eindruck hinterließ. Es brachte ihm auf jeden Fall den Vorteil, dass ihn niemand richtig ernst nahm. Wenn die Leute merkten, was in ihm steckte, dürfte es meistens schon zu spät sein. Aber dieser Erfolg konnte auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Chaos ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner Persönlichkeit war.

»Dann mal los«, sagte sie und ließ den Motor des Jaguars an.

»Ich nehme den Zug.«

»Machen Sie sich nicht lächerlich, das kostet Sie Stunden. Alles vergeudete Lebenszeit.«

»Ich bin überzeugt, dass mich jede Sekunde in diesem Wagen auf lange Sicht gesehen mehr Lebenszeit kostet. Dein Fahrstil senkt meine Lebenserwartung proportional zur zurückgelegten Strecke.«

»Ich fahre langsam. Versprochen.«

»Ich kann den RMV kostenlos nutzen. Auf Lebenszeit. Warum sollte ich also ein Risiko eingehen.«

»Kostenlos auf Lebenszeit?« Melanie hatte noch nie von einem solchen Tarifangebot gehört.

»Eine lange Geschichte. Der Magistrat hat sich dadurch für meine Hilfe erkenntlich gezeigt.«

Melanie legte die Hand aufs Herz und sah ihn mit feierlicher Miene an. »Ich schwöre, dass ich von nun an eine defensive und vorausschauende Verkehrsteilnehmerin sein werde und sofort anhalte, wenn Sie den Wunsch äußern, aus diesem Fahrzeug auszusteigen.«

Hauser sah sie prüfend an. »Glaub ja nicht, dass ich davon keinen Gebrauch mache.«

Während der folgenden Fahrt entspannte sich Hauser zusehends, denn sie fuhren – wie versprochen – in einem moderaten Tempo auf der rechten Spur nach Norden. Melanie und der Jaguar wirkten dabei recht ungeduldig, da sie weit unter ihren Möglichkeiten bleiben mussten. Sobald Melanie zum Überholen die Spur wechselte, um an einen LKW vorbeizuziehen, spürte sie, wie bei Hauser die Anspannung stetig zunahm, bis sie wieder eingeschert war.

Als sie endlich Oberursel erreichten, fühlte sich Melanie ähnlich angespannt wie ihr Fahrgast. So vorbildlich war sie seit ihrer Führerscheinprüfung nicht mehr gefahren.

Sie parkte den Jaguar auf dem Parkplatz des Hotels. Weit genug vom Eingang entfernt, um durch Bäume und Sträucher verdeckt zu sein, aber mit genügend Einsicht, um die Zufahrt im Auge behalten zu können. Das Gebäude war ein recht unscheinbarer Neubau. Die Kundschaft bestand sicher zum größten Teil aus Geschäftsleuten und Montagearbeitern. Niemand verbrachte in einem solchen Hotel einen einwöchigen Liebesurlaub.

»Ob die hier ein geheimes Logentreffen haben?«

»Keine Spur von dem Mini-Van«, sagte Melanie.

»Ich gehe davon aus, er hat die fünf nur abgesetzt und ist weitergefahren.«

»Wie gehen wir vor? Sollen wir an der Rezeption nach ihnen fragen?«

Hauser schüttelte den Kopf. »Zu riskant. Wir müssen jemanden unbeobachtet abfangen. Jemand, der sich im Hotel auskennt und anfällig für gute Taten ist.«

»Verstehe ich nicht.«

»Bei Bestechung können sich Menschen entrüsten und ablehnen. Bei einer guten Tat dagegen, die weder Kosten noch Mühen verursacht, lehnen die wenigsten ab.« Hauser nahm die fünf Fotos, die Melanie von den Verschwundenen beschafft hatte. »Wir brauchen nur eine positive Bestätigung. Also suchen wir uns denjenigen heraus, zu dem uns die rührseligste Geschichte einfällt und dann darfst du dein Schauspieltalent unter Beweis stellen.«

Hauser blickte auf seine Uhr. »Es ist gleich 13 Uhr. Das Hotel hat laut Homepage Check-in ab 15 Uhr, die Reinigungskräfte sollten also bald mit den Zimmern fertig sein. Suchen wir die Parkplätze für das Personal.«

Sie wählten das Foto eines jungen Mannes aus, der nur wenig älter als Melanie war. Die Geschichte, die sie sich gemeinsam überlegten, würde auch ein versteinertes Herz in Magma verwandeln. Während Hauser und sie sich die Bälle zugespielt hatten, um ein geeignetes Szenario zu entwerfen, war ihre Fantasie über das Ziel hinausgeschossen und sie hatten beide ein schlechtes Gewissen bekommen, dem unwissenden Mann ein solch niederträchtiges Verhalten anzudichten. Allerdings diente diese Show einem guten Zweck. Melanie rieb sich die Augen, bis sie eine deutliche Rötung zeigten und strich sich Speichel in die Augenwinkel, um sie zum Glänzen zu bringen.

Dann machte sie sich auf den Weg zum Personaleingang und wartete. Es dauerte nicht lange, bis eine ältere Frau in Uniform aus der Tür trat, um eine Zigarettenpause zu machen.

Die Reinigungskraft wollte an Melanie vorbei, zögerte aber, als sie das bebende Schluchzen bemerkte. Besorgt fragte sie die junge Frau, was los sei und im nächsten Moment brach es aus Melanie heraus. In knappen, stockenden Sätzen erzählte sie eine dramatische Geschichte über Verrat, Betrug und Täuschung. Hauser konnte aus der Entfernung nicht verstehen, was sie im Detail erzählte, musste aber zugeben, dass sie auch ohne Ton überzeugend wirkte.

»Gehen Sie nur«, sagte Melanie und zog die Nase hoch, »Ich bin selbst schuld und hab es nicht anders verdient.«

Die ältere Frau, der solches Männerverhalten offenbar nicht fremd war, widersprach ihr heftig. Sämtliche Bedenken wegen ihres Jobs zählten nicht mehr. Solch rationale Zweifel waren eigenen schmerzenden Erinnerungen gewichen. Melanie erhielt von ihr nicht nur die Zimmernummer des »Schufts«, sondern erfuhr auch, dass er nie sein Zimmer verließ und es außerdem noch vier weitere Gäste dieser Art gab. Die Frau wünschte Melanie zum Abschied viel Glück und für die Zukunft ein besseres Händchen bei der Männerwahl. Ohne ihre Zigarette angerührt zu haben, ging sie ins Hotel zurück, mit der festen Überzeugung, etwas Gutes geleistet zu haben.

Melanie war auf der Rückfahrt guter Laune und fuhr deshalb besonders langsam. Hauser konnte nicht sagen, ob ihre gehobene Stimmung mit dem raschen Erfolg oder der schnellen Beendigung ihrer Zusammenarbeit zu tun hatte. Wenn ihre erzwungene Partnerschaft bereits nach einem halben Tag endete, stellte dies für sie wohl wirklich einen Anlass zur Freude dar. Sie hatte schließlich keinen Zweifel daran gelassen, wie sehr ihr die Gesellschaft von Hauser gegen den Strich ging.

Melanie hielt vor seinem Haus und stellte den Motor des Jaguars ab. Das Einzige, das sie an dem schnellen Erfolg störte, war, dass ihr Chef wahrscheinlich noch nicht einmal den Verlust seines geliebten Wagens bemerkt hatte. »Ich wünsche Ihnen noch ein schönes Leben und viele interessante Fälle«, sagte sie ohne jeden Sarkasmus.

»Wir könnten noch gemeinsam einen Kaffee trinken, dann erzähle ich dir von vergangenen interessanten Fällen. Immerhin hast du ja vorhin so was wie ein biografisches Interesse an mir gezeigt.«

Melanies Freude nahm stark ab. »Dabei ging es nur um Ihre berufliche Qualifikation. Ich habe kein Interesse daran, noch mehr über Sie zu erfahren. Was ich bisher erfahren habe, ist für meinen Geschmack schon viel zu viel.«

»Es war eine schöne Zusammenarbeit«, sagte Hauser.

»Das Schöne an unserer Zusammenarbeit war die Kürze ihrer Dauer.«

Hauser ließ sich von ihrem Kommentar nicht entmutigen. »Wir haben die fünf in Rekordzeit gefunden, das wäre doch ein Grund zu feiern.«

Ihr Gesicht versteinerte sich. »Sie wissen doch noch, was das letzte Mal passiert ist, als wir gefeiert haben.«

»Du weißt genau, dass ich mich nicht mehr erinnern kann.«

»Seien Sie froh. Ich hoffe, dass ich auch irgendwann soweit bin. Jetzt freue ich mich erst einmal auf einen neuen Arbeitstag in meinem alten Job.«

»Gib zu, dass es ein bisschen Spaß gemacht hat.«

Melanie überlegte und suchte nach einer Formulierung, die den Detektiv nicht völlig vernichten würde, gleichzeitig aber auch nicht als Ermutigung ausgelegt werden konnte. »Es war nicht so schlimm, wie ich es mir ausgemalt habe.«

»Na, das ist doch schon mal ein Anfang«, sagte Hauser grinsend.

»Und gleichzeitig auch das Ende. Wir werden uns nicht wiedersehen, jedenfalls nicht absichtlich und falls es zufällig geschieht, dann tun Sie doch bitte so, als hätten Sie mich vergessen. Andererseits vergessen Sie ja öfters Dinge, deshalb sollte ich mir vielleicht gar nicht so viele Gedanken machen.«

»Autsch«, sagte Hauser. »Das war ja eine heftige Ansprache.«

»Es steht Ihnen jederzeit frei zu gehen«, gab sie ungerührt zurück.

»Das werde ich wohl mal.« Er verkniff sich jede der üblichen Abschiedsfloskeln, weil er ihre Erwiderung darauf fürchtete. Um ein reflexhaftes Winken zu verhindern, schob er nach dem Aussteigen seine Hände in die Hosentaschen.

Der Jaguar hob sofort von der Bordsteinkante ab und erreichte in Rekordzeit das Ende der Leipziger Straße.

HAUSER - IMMER FESTE DRUFF!

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