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OSTEOPATHIE – EINE HERAUSFORDERUNG!

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Wenn Sie dieses Buch unvoreingenommen lesen, wird es Ihnen vor allem eines zeigen: Im Sinne ihres Entdeckers praktizierte Osteopathie ist weit mehr als nur eine manuelle Behandlungsform. Obwohl immer wieder der Versuch unternommen wird, sie zu definieren, ist dies eigentlich nicht möglich. Neben rein quantitativ wissenschaftlichen Dimensionen repräsentiert und umfasst sie auch philosophische und spirituelle Elemente, die eher auf Gefühlsebene als im kognitiven Kontext ihre Entsprechung finden. Ähnlich wie die Quantenphysik oder neuerdings die String-Theorie birgt auch die Osteopathie wichtige Aspekte, die sich jedem rein verstandesmäßigen Zugriff scheinbar magisch entziehen. Aber eben dieses nicht-konkretisierbare, nicht-festlegbare Element schafft erst jenen Freiraum, in denen die Wahrnehmung de Individualität und Gesamtpersönlichkeit eines einzelnen Patienten möglich wird. Selbstverständlich birgt dieser Aspekt aber auch enorme Gefahren des Missbrauchs und der willkürlichen Interpretationen mit sich, die gerade in einer Zeit, wo eine oft zweifelhafte Esoterik zahlreiche Blüten treibt, besonders verlockend erscheinen.

Osteopathie in Stills Sinn sollte nie nur als reine Medizinphilosophie oder ergänzende Methode betrachtet werden, sondern weit darüber hinaus als eigenständige, gelebte und praktizierte Weltanschauung. Dies erfordert aber seitens des Behandlers nicht nur eine hohe Bereitschaft zur Selbstkritik, sondern auch den Mut zu einer intimen und damit unausgesprochenen Spiritualität, eine zutiefst humanistische Grundüberzeugung und den Verzicht auf reißerische, den Personenkult fördernde Außendarstellungen. Wer den Pfad der Osteopathie beschreitet, darf nur ein einziges Ziel haben: die Genesung der Patienten. Jedes durch Eitelkeit, Neid, Ängste, innere Unausgeglichenheit usw. verursachte Abweichen be- oder verhindert das freie Gehen auf diesem Pfad.

Ein zentrales Anliegen in der Osteopathie ist auch das Entstehenlassen und Erfahren einer in die Tiefe gehenden menschlichen Beziehung zwischen Patient und Behandler, die in unserer schnelllebigen Zeit wie die Quelle einer neuen Art von Medizin erscheint. Und genau hier sieht sich die moderne Osteopathie mit einem ihrer großen Probleme konfrontiert: Ihr Anspruch, eine anerkannte Wissenschaft im ganzheitlichen Sinn zu sein, widerspricht einer naturwissenschaftlich orientierten Welt, die ihren Fokus immer noch viel stärker auf quantitative als auf qualitative Aspekte richtet. Wenn die Mentalität ‚Auswertung vor Einsicht‘ bzw. ‚Standardisierung vor Individualisierung‘ weiterhin um sich greift und sich die osteopathische Wissenschaft nicht einer neuen wissenschaftlichen Sprache bedient, wie sie bereits in der psychosomatischen Medizin zu finden ist, wird die Osteopathie in Europa mittelfristig wohl ähnlich ‚entschärft‘ werden, wie dies im Gründungsland USA bereits seit mehreren Generationen der Fall ist: Sie wird zur symptomorientierten Fragmentmedizin mutieren, in der die Hand – das wichtigste medizinische Instrument des Menschen – so gut wie nicht mehr zum Einsatz kommt.

Die vorhin erwähnte, tiefgehende Beziehung zwischen Patient und Behandler hat aber noch eine weitere bedeutende, für das menschliche Ego aber zumeist unbequeme Konsequenz: Sie verlangt die Überwindung eines gerade im deutschsprachigen Raum schon fast unbewusst gelebten Hierarchie-Denkens. Für den Behandler bedeutet, er muss sein therapeutische s Selbstverständnis als ‚Heiler‘ bzw. ‚Gesundmacher‘ überwinden und sich in allen Ebenen auf Augenhöhe mit dem Patienten – sei es nun ein Säugling oder ein Greis – begeben.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass Still denen, die klassische Osteopathie in seinem Sinne praktizieren wollen, enorm viel abverlangt:

• Exzellente Kenntnisse in den medizinischen Grundfächern, vor allem in Anatomie und Physiologie.

• Grundsätzlich vorhandene, durch langjährige Schulung trainierte und immer weiter zu vervollkommnende manuelle Fähigkeiten.

• Grundmotivation Wissensdurst.

• Hohe Bereitschaft zur Selbstkritik sowie zur Überwindung von hierarchischem Denken, Opportunismus, Konformismus, Eitelkeit, Anerkennungssucht und Statusdenken – die Selbstenthronung als ‚Heiler‘ und ‚Gesundmacher‘.

• Akzeptieren des Spirituellen als eine vollkommene, dem Menschen übergeordnete, allpräsente Instanz, die nur bei bescheidener Zurücknahme der eigenen Person therapeutisch wirksam wird.

Und allem voran:

Das bedingungslose Vertrauen in die Natur!

Der Natur bis ans Ende vertrauen!

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