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STILLS SPRACHE

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Zweifelsfrei sind Stills Sprachgebrauch und Schreibstil äußerst gewöhnungsbedürftig. Berücksichtigt man aber neben den politischen und gesellschaftlichen Umständen, die zu seiner Zeit im sogenannten Wilden Westen Amerikas herrschten, auch seine außergewöhnliche Persönlichkeit, fällt es leichter, die eigentliche Bedeutung seiner Aussagen nicht im unmittelbaren Wortsinn, sondern zwischen den Zeilen zu suchen. Ein Beispiel:

„Gottes Intelligenz ist unermesslich, und es gibt viele Hinweise darauf, dass Wissen zu dem Blutteilchen transportiert wird, bevor es seine Arbeit verrichtet.“ (AB, 84)

Bei einmaligem, flüchtigem Lesen könnte man geneigt sein, diese Äußerung als übertrieben, pathetisch und klinisch wertlos abzutun. Nur im Zusammenhang mit der Kenntnis seines Gesamtwerks wird die eigentliche Bedeutung der Aussage klarer: Still sagt hier die grundlegenden funktionellen Bedeutungen des Immunsystems voraus. Erst seit einigen Jahren wissen wir aus Forschungsarbeiten im Bereich der Psychoneuroimmunologie, dass unsere Abwehrzellen keineswegs ungerichtet durch unsere Gefäße schwimmen, sondern eine ständige zielgerichtete Ausbildung in den sogenannten lymphatischen Organen (z. B. Milz) durchlaufen, bevor sie in die ihnen ‚zugewiesenen‘ Köperregionen wandern.12 Diese Organe wiederum stehen in enger Wechselwirkung mit dem vegetativen Nervensystem und damit auch unmittelbar mit Teilen des Gehirns.

Auch der von Still häufig herangezogene Vergleich von Mensch und Maschine erscheint in einem völlig neuen Licht, wenn man weiß, dass es Mitte des 19. Jahrhundert den Begriff der industrial art, der industriellen Kunst, gab. Hier zeigt sich, was für ein Faszinosum vor allem die Dampfmaschinen und die ersten in industriellem Maßstab genutzten elektrischen Apparaturen jener Zeit waren, die stets nur in Verbindung mit ihrem Erfinder (Erschaffer) und so quasi als ‚beseelt‘ wahrgenommen wurden. Wenn Still also vom Menschen als Maschine sprach, meinte er grundsätzlich eine beseelte Wesenheit, in der sich bis in die kleinsten Bestandteile ihr Erfinder (Schöpfer) widerspiegelt. Der Osteopath – egal wo er seine Hand an den Patienten legt – wird demnach immer versuchen, den ganzen Menschen und die Freiheit der in ihm wirkenden übergeordneten Instanz anhand der Widerspiegelung im Körper wahrzunehmen.

Selbstverständlich sind auch Stills scharfe Antihaltung gegenüber der sogenannten ‚heroischen Medizin‘ und seine kategorische Ablehnung von Medikamenten nur vor dem Hintergrund der damaligen Gegebenheiten zu verstehen. Zudem muss man bei der scheinbaren Allmacht, die er der Osteopathie in seinen Aussagen zuschreibt, berücksichtigen, dass er sich ausschließlich auf funktionelle Erkrankungen (vorrangig Infektionserkrankungen oder Dysbalancen im Bewegungsapparat) und auf die Geburtshilfe, nicht aber auf chirurgische Notfälle bezieht. Auch in dieser Hinsicht kommt es sehr oft zu einer Fehlinterpretation.

Durch die vielen, durchaus beabsichtigten Redundanzen und Wiederholungen – zu jener Zeit übrigens auch ein mächtiges Stilmittel in der Rhetorik des Methodismus und zahlreicher anderer religiöser Bewegungen – zwingt Still den Leser zum genaueren Studium, denn bei nochmaliger und sorgfältigerer Betrachtung entdeckt man in scheinbar gleichen Aussagen Nuancen von Abweichungen, wie man sie bei genauem Hinsehen auch überall in der Natur findet. So sehen beispielsweise die Blätter eines Baumes bei oberflächlicher Betrachtung alle gleich aus. Nur der interessierte und sehr genaue Beobachter erkennt, dass es unter ihnen keine zwei gibt, die sich absolut gleichen. Und nur ihm erschließt sich daraufhin der tiefere Sinn des Studienobjektes.

Der Natur bis ans Ende vertrauen!

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