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Claudius

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Claudius ist der Bösewicht, an dem sich Hamlet rächen soll: Er hat einen Brudermord begangen, um seine Machtgelüste zu stillen, und seine Schwägerin geheiratet. Er hatte keine Bedenken, seinen Bruder »unaneled« (›ohne letzte Ölung‹, I,5, V. 77) zu töten, und begeht also Seelenmord, eine zu Shakespeares Zeiten besonders verabscheuungswürdige Tat. Er ist auch ohne weiteres dazu bereit, seinen Neffen Hamlet töten zu lassen, als dieser ihm durch seine Andeutungen und seine Gewaltbereitschaft gefährlich wird. Er benutzt Laertes in der Absicht, Hamlet zu beseitigen. Claudius stirbt am Ende durch Hamlets Schwert; dieser rächt sich somit an seinem Onkel.

Der Geist bezeichnet Claudius zwar als »wretch« (I,5, V. 51), dessen natürliche Gaben im Vergleich zu den eigenen ärmlich seien. Doch alles spricht dafür, dass Claudius die Staatsgeschäfte in Claudius – ein guter König?höchst kompetenter Weise zu erledigen versteht. Seine erste Rede vor dem versammelten Hof (I,2, V. 1–39) ist ein Glanzstück der Rhetorik und lässt den souveränen Herrscher erkennen. Seine erste Handlung nach der Krönung, die Entsendung der Botschafter nach Norwegen zur Entschärfung militärischer Spannungen, ist ein voller Erfolg für den dänischen Staat. Auch im Umgang mit seinen Untertanen nimmt man einen souveränen Herrscher wahr.

Bei aller Achtung für sein politisches Können darf man nicht vergessen, mit welcher Kälte und welchem Zynismus er die Menschen um ihn herum manipuliert. Sein Umgang mit Laertes ist hierfür ein gutes Beispiel (siehe hierzu die ausführliche Analyse von IV,7 in Kapitel 6: »Interpretationsansätze« dieses Lektüreschlüssels, S. 116–126).

Die oben genannten positiven Eigenschaften machen Claudius zu einem Ein komplexer Antagonist komplexeren Bösewicht, als es die meisten Schurken sind, die es auf der Bühne zu sehen gibt. Sein Charakter gewinnt dadurch an Tiefe, dass er ein Gewissen hat. Das von Hamlet veranstaltete ›Spiel im Spiel‹ (III,2, nach V. 136 – V. 265) konfrontiert Claudius mit seiner Tat. In der darauffolgenden Szene ringt er mit sich selbst und mit seiner Schuld in glaubwürdiger Weise. So sind die Sympathien der Zuschauerinnen und Zuschauer, wenn auch für kurze Zeit, unter Umständen bei Claudius. Nur die (sehr menschliche) Einsicht, dass in seiner Lage die Reue nicht möglich ist, da er so sehr an den Früchten seines Verbrechens – seiner Macht und seiner Frau – hängt, lässt ahnen, dass er seinen Weg fortsetzen, seine Tat nicht gestehen wird. Trotzdem bleibt es für das Genre der Rachetragödie eher ungewöhnlich, dass in dieser Ausführlichkeit ein Einblick in die Gedankenwelt des Bösewichts gewährt wird. Hamlet, dem tragischen Helden, wird gewissermaßen ein zweiter tragischer Held gegenübergestellt. Hierin sind auch die Gründe dafür zu suchen, dass so manche Kritikerinnen und Kritiker bei Ablehnung des unerträglichen und schwachen Prinzen die positiven Eigenschaften seines umso stärkeren und durchsetzungsfähigeren Onkels hervorheben und schätzen.4 Die Tatsache, dass er seine Frau im fünften Akt nur sehr zaghaft vom Trinken des Gifts zurückzuhalten versucht, sie lieber sterben lässt, als seinen Verrat auffliegen zu lassen (V,2, V. 276 f.), ist allerdings ein gewichtiger Grund, diese Figur doch in erster Linie als ruchlosen Bösewicht aufzufassen.

Hamlet von William Shakespeare: Reclam Lektüreschlüssel XL

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