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Umzug und die ersten Jahre im neuen Zuhause

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Ich saß im Zug auf dem nach Hause Weg, neben mir meine Oma, still und traurig. Ich bin gerne mit meiner Oma Helga unterwegs gewesen, aber an diesem Tag lag etwas Bedrückendes in der Luft, sie machte keinen Spaß und ich war ziemlich unruhig. Ich versuchte meine Gedanken zusammen zu fassen, aber mit meinen fünf Jahren gelang mir das ein wenig schwierig. Nach einer Weile sprach ich sie endlich an und fragte:

»Omi, warum kann ich nicht bei meinem Papa bleiben?«

Sie drehte sich zu mir, schaute mich mit ihren Tränen gefüllten Augen an, dann folgten ihre Blicke wieder den am Fenster vorbei rauschenden Bäumen und schwieg weiterhin. Ich überlegte mir, was ich nur Falsches fragte, konnte aber zu dieser Zeit noch nicht ahnen, was in ihr vorgegangen war. Sie war machtlos und hatte versucht, mir ihre Gedanken so zu übermitteln, dass ich auch verstand, was sie zu sa-gen hatte und in nächster Zeit auf mich zukommen würde. Es dauerte einige Zeit, bis sie mich zu sich zog, ihre Hände auf meine legte und sagte:

»André, deine Mama und dein Papa werden sich trennen, und du wirst mit deiner Mama nach Ungarn ziehen, denn sie möchte nicht mehr hier bleiben. Ihr werdet bei der Oma Rosi am Plattensee wohnen. Sei aber nicht traurig, wir sind in Gedanken bei Dir und du kannst uns jederzeit besuchen kommen. Außerdem scheint am Plattensee fast immer die Sonne, die Menschen sind dort ganz lieb und es ist doch schön, im Sommer jeden Tag baden gehen zu können.«

Mir wurde nur klar, dass wir nicht mehr in unserem Haus in Pirna-Mockethal wohnen würden, was das für die Zukunft bedeutete, nahm ich noch nicht wahr. Gut, wir wohnen also erst mal bei der anderen Oma, viele Stunden weit weg von hier. Wird schon nicht viel anders werden, dachte ich. Mehr Sonnenschein und baden in einem See, klang auch nicht so schlimm.

Ich kannte die Mutti meiner Mama kaum, sie besuchte uns kurz nach meiner Geburt, dann waren wir 3-mal bei ihr, sonst nur von Fotos und Erzählungen. Meine Mama nannte sie ,,Édes’’ (Edäsch), was eigentlich ,,süß’’ bedeutet. Zucker oder Schokolade ist ,,édes’’, aber nicht eine Mutti! Doch, in Ungarn schon. Die leiblichen Eltern werden mit ,,Édesanya’’ und ,,Édesapa’’ (Edäschanja/Edäschapa) bezeichnet. Wenn die Mama von ihr sprach, klang das sehr liebevoll, mit viel Wärme und Zuneigung. Im Nachhinein verstand ich, warum alle ihre 6 Kinder sie so riefen. Von mir wurde sie mit ,,Nagyi’’ (Nadji) angesprochen, was so viel heißt, wie Omi. Und Omi hieß übrigens nicht Rosi, sondern Rózsi (Róschi), eine Kurzform von ,,Rozália’’. Sie lebte alleine in ihrer Wohnung, Opa Franz, Franz-Josef Ferdinand - also vom Namen her, wie der Österreich-Ungarische Kaiser (was später in der Schule, bei ausgedachten Geschichtenerzählen, natürlich Pluspunkte einbrachte) - war leider kurz vor meiner Geburt gestorben. Omi hatte aber noch ihre Kinder, die alle, außer der Mama, bis zu diesem Zeitpunkt in der Nähe lebten.

Ich war in keinem Kindergarten, ich konnte zu Hause bleiben, hatte dennoch von der Aufbruch- stimmung meiner Mama und das ganze Vorbereiten der großen Reise nichts mitbekommen. Ich düste weiterhin mit meinem Dreirad durch den Garten, spielte mit den Nachbarkindern im Garten oder auf der Straße und knackte Haselnüsse in meiner Hängematte. Auch unsere dänische Dogge Hasso merkte nichts von allem, und ließ mich, wie so oft, auf seinem Rücken reiten, oder rannte nach meinen geworfenen Gummibällen und Stöcken. Bis eines Tages im Spätsommer, ein weißer Trabi mit himmelblauem Dach und einem Anhänger, vollgeladen mit Kleinmöbel, Haushaltsgeräten und persönlichen Gegenständen, auf der Hauseinfahrt stand. Da wusste ich, es ist so weit. Nachdem ich mich von meinem Papa verabschiedet und bis Bald gesagt hatte, fuhren wir in Richtung Hungaria. Wie lange die Fahrt dauerte und wie wir auf den holprigen Autobahnen bis nach Keszthely (Kästhäj) am Plattensee gekommen sind, wusste ich nicht, denn ich schlief fast nur. Das Einzige, was bei mir hängen blieb, waren die Diskussionen mit den Grenzposten zwischen den einzelnen Ländern, weil keiner wusste, wie man mit uns Heimkehrern umgehen musste.

Als wir in Keszthely bei der Nagyi mit großem Gehupe vorgefahren sind, das war ein unvergessliches Erlebnis. Die ganze Verwandtschaft rannte auf die Straße, zerrte uns aus der Rennpappe, umarmte und küsste uns. Diese ganzen Menschen drückten mich so heftig, als wäre ich vom anderen Stern, was Besonderes. Irgendwie war ich auch sonderlich, denn ich war das kleine, neue Familienmitglied aus Deutschland. Also umklammerten mich alle gleich noch einmal, so fest, dass ich beinahe keine Luft bekam. Auch so konnte ich nur schwer atmen, denn hier war es richtig heiß und trocken. Sie hießen uns Willkommen und boten an, nach dem Ausladen zum Balaton zu gehen, damit ich die schöne Seite der neuen Heimat kennen lerne.

»Aber wie jetzt?!« fragte ich, und legte nach:

»Wir sollten doch am Plattensee wohnen!«

Alle lachten, fanden mich niedlich und erklärten mir dann, dass die beiden Begriffe für das ungarische Meer identisch seien. Ich nickte nur verlegen, begriff aber nicht, warum ein See zwei Namen hat und gleichzeitig auch ein Meer sein kann. Wichtig für mich war nur, dass ich im Wasser wegen der Tiefe nicht gleich verschwinde und jemand mir zeigt, wie ich ein Papierboot basteln kann. Was mich auch noch wunderte, dass alle die gleiche Sprache sprachen, die meine Mama bei uns in Deutschland neben Deutsch verwendete. Irgendwie war es auch logisch, denn sie stammte von hier. Für mich war es somit leicht, all diese Leute zu verstehen, hier musste ich aber überlegen, was ich sagte, nicht wie beim Papa, der kaum was von unseren Gesprächen mit der Mama verstand. Das war oft lustig, nur eben nicht für den Papa. Von den 5 Geschwistern hatte die Mama zwei Brüder, den Feri und den Zoli. Die beiden waren mir am sympathischsten, denn sie unterrichteten mich alsbald im Angeln, nahmen mich mehrmals mit ihren Mopeds zum Eis essen mit, hatten jede Menge Unfug auf Lager und waren durchweg sehr lustig. Am Strand brachten sie mir Fußball Tricks bei, ließen mich bei den Erwachsenen mitspielen und formten mich dabei zu einem echten Kerl. Das gab mir auch Mut und Kraft, gegen die Zigeuner-Jungs auf der Straße, Fußball ohne Regeln zu spielen. Der Einsatz war klar. Bei einem Sieg unserer Mannschaft sollte der Ball in unserem Besitz bleiben. Wir gewannen ständig, bekamen aber statt unserem Leder paar Veilchen aufs Auge. Nach dem dritten Ballverlust spielten wir lieber von Neuem unter uns. Das Schwimmen lernen bereitete mir auch keine großen Probleme, Feri schubste mich einfach vom Steg und schickte mich zum Zoli, der bereits im Wasser wartete. Zoli entfernte sich zwar immer mehr von mir, bot mir aber eine Taucherbrille an, falls ich ihn doch erreichen sollte. Feri gab mir Zeichen, wie ich mit den Armen und Beinen arbeiten sollte, damit ich nicht so ungeschickt abtauchte. Schließlich war ich irgendwie beim Zoli angelangt und fieberte meiner Taucherbrille entgegen, die ich von meinen Onkels erhalten sollte. Die beiden freuten sich darüber, dass ich so schnell alles kapiert hatte und beichteten mir, dass eine Taucherbrille total sinnlos wäre, weil im Wasser kein Durchblick möglich ist. Damit ich wieder lachen konnte, bastelten sie mir mein erstes Boot, aber nicht aus Papier, sondern aus Schilf. Die schwungvollen Blätter bildeten dabei die Segel. Seitdem hatte ich mehrmalig wunde Hände, denn ich wollte eine komplette Flotte von diesen wunderbaren Schiffchen. Aus Schilf entstanden auch meine längsten Angelruten, die ich besaß. Schilf abgeputzt, Angelschnur mit Haken und Schwimmer dran, fertig war ein gutes Stück. Ein Angelschein war für diese primitive Variante des Fischens nicht erforderlich. Auch Jahre später mit einer richtigen Angel konnte diese Leidenschaft ohne Prüfung und einen Haufen Gebühren betrieben werden. Irgendwann hatte ich damit aufgehört, weil ich die Fische nicht einfach aufklatschen konnte, damit sie Ruhe gaben. Zu Hause erzählte ich, das endlos nur Fisch essen langweilig und einseitig wäre. Auch die Platanen Bäume standen manchmal im Wege, beim Werfen nach vorne verhedderte sich die Angelschnur in der Baumkrone. Wenn ich dann Stunden später alles befreit hatte, war ich pappen satt. Dennoch hatte diese Beschäftigung etwas Schönes an sich, denn beim Sitzen und Warten auf den großen Fang, schaute man auf das hügelige Nordufer und auf den für mich schönsten Punkt, den flachen Berg Badacsony (Badatschonj).




Als ich Badacsony das erste Mal sah, erzählte mir ein Fischer, dass unter dem Berg ein Riese liegt, der den Plattensee mit seinen überdimensionalen Füßen er-schaffen hat, nachdem er Tage lang aus Langeweile nur hin und her gelaufen war. Vor Erschöpfung legte er sich hin und schlief ein. Er wachte nie wieder auf und wurde mit der Zeit überdeckt mit Laub, Erde und Baumrinde. Irgendwann musste ich erfahren, dass diese Geschichte nur erfunden war, um mich zu beeindrucken. Nach der Legende her lebten nämlich vor langer Zeit mehrere Riesen in dieser Landschaft. In den Felsen des Badacsony lebte Balaton, der letzte Riese mit seiner Tochter. Sie hatte einen guten Draht zu den Menschen und sogar eine Freundin zum Spielen. Das Menschenkind wuchs aber rasch heran und hatte sie am Ende verlassen. Das verkraftete sie nicht und starb vor Kummer. Balaton wollte für sei-ne Tochter ein hübsches Grab errichten. Zu seinem Leidwesen stand ein sehr großer Stein im Weg, der von den Nymphen als Altar diente. Als er den Stein anhob, verlor er sein Gleichgewicht und wurde von dem schweren Stein erschlagen. Danach brach überall Wasser hervor, was Tage lang den Weg ins Tal suchte. Als die Menschen sich nach dieser gewaltigen Flut wieder hinaus trauten, sahen sie einen See mit sanften Wellen. Das große Wasser mit seiner grün-blauen Farbe wird seither Balaton genannt.

Ich hatte irgendwann den idealen Ausgleich gefunden, wie sollte es auch sein, wieder durch meine Onkels. Sie weihten mich ins Melonenkernweitspucken ein. Ich konnte lange üben, denn ich hatte eine ganze Menge von Kernen, weil ich übermäßig viel von dieser wunderbaren Frucht gegessen hatte. Nicht selten konnte ich nichts anderes mehr zum Abendbrot essen. Schon der Name ,,dinnye’’ (dinje) war verführerisch, dazu noch diese glänzend grüne, dicke Schale und das rote, saftig süße Fruchtfleisch. Und diese gigantischen Größen! Teilweise konnte ich nur halbierte Melonen tragen, aber zum Glück musste ich mich nicht so lange abschinden, denn das Weitspucken hat nicht lange auf sich warten lassen. Manchmal gab es auch frische Pfirsiche, die auch sensationell schmeckten und fast die Größe von ei-nem Handball hatten. Oft, wenn ich die riesigen Haufen von Melonen sah, die pyramidenförmig und menschenhoch aufgebaut waren, stellte ich mir vor, wie es wäre, eine der Pyramiden in eine Lawine umzuwandeln. Kein Wunder, das ich solche Gedanken hatte, denn dabei fiel mir dauernd die Geschichte ein, die meine Mama aus ihrer Kindheit erzählte. Sie wollten gerne an einem Tag, als sie mit ihren Geschwistern auf dem so gut nach Gewürzen und süßem Obst duftenden Markt unterwegs war, ein Stück Melone kosten. Es war nicht unüblich, dass die Früchte mit einem speziellen Messer vor dem Kauf angebohrt wurden, um dem Käufer eine Kostprobe zu ermöglichen. Manche boten sogar kleine Scheiben an, damit sie ihre schmackhafte Ware noch schneller an den Mann bringen konnten. Dann gab es noch die Händler, die auch mal nur so ein Stückchen verteilten, um den gierig guckenden Kindern eine Freude zu bereiten. Die Geschwisterkinder hatten an diesem besagten Tag kein Glück, denn der grimmige Melonen Verkäufer gehörte zu keinem der beschriebenen Kaufleute. Er war ein unfreundlicher Mensch, der zuerst nach dem Geld fragte, bevor er von der Melone was abgeben wollte. Die Münzen hätten nicht einmal für eine halbe Melone gereicht, daher hatte er auch keine Muse, für jeden einen Bissen zu genehmigen. Außerdem fand er es äußerst anstrengend, für das vorhandene Geld, 3-4 Scheiben von einem angerissenen Stück abzuschneiden, oder sogar eine ganze Melone zu vierteln. Er beschimpfte lieber die Kinder und jagte sie zum Teufel. Daraufhin schmiedete die Mama mit den anderen einen Racheplan. Als der böse Mann sich wieder mit anderen Leuten beschäftigte, stellte sie sich an die Seite, und die Geschwister liefen alle nach unten, wo der Markt an einer steilen Straße endete. Nach dem vereinbarten Zeichen und dem günstigsten Moment, schubste die Mama - die kleinste, aber mutigste von allen - in einem unbemerkten Augenblick mit voller Wucht die am untersten Rand stehende Melone weg. Sie rannte davon und der hohe Turm viel langsam, aber komplett auseinander. Der Händler wusste nicht, hinter welcher Melone er zuerst rennen sollte. Einige konnten von den Marktbesuchern angehalten werden, manche knallten an die seitlichen Mauern des Marktgeländes und sprangen in mehrere Stücke, die meisten aber rollten unter die Verkaufsstände bzw. bis nach unten, wo die Kinder schon warteten. Den schönsten und größten hob der stärkste Bruder auf, danach liefen alle mit lautem Siegesgeschrei in Richtung Strand, wo sie sich auf der Wiese mit einer riesigen Scheibe belohnten und über den Verkäufer mit seinem verzweifelten Blick lachten. Die Gier und Boshaftigkeit des Händlers zahlte sich somit nicht aus, denn er musste mehrere kaputte Früchte wegwerfen und in der verlorenen Zeit auch noch auf ei-nige potenzielle Käufer verzichten. Der Mann wur-de nie wieder gesehen, man munkelte, er hätte nur einen Hänger voll Melonen offiziell auf den Feldern gekauft, den Rest in der Dunkelheit der Nacht, mit dem gleichen Hänger geklaut. Niemand musste ihn somit bedauern und zusätzlich erhielt er noch eine gerechte Strafe, die er mit Sicherheit sein ganzes Le-ben nicht vergaß.

Ich kann mich in der Nähe vom Markt an eine alte Zigeunerin erinnern, die mehr Finger als Zähne hatte. Sie war bunt angezogen, dreckig und voll be-hangen mit Goldketten und unechtem Schmuck. Ihr tiefbraunes Gesicht mit den stechend schwarzen Au-gen kamen unter einem fransigen Kopftuch zum Vorschein. So stellte ich mir eine Schamanin oder Hexe vor und wenn sie gesprochen hat, bin ich nur so zusammen gezuckt. Aber ihre, in einer Schale, auf offenem Holzfeuer gerösteten Esskastanien, waren einfach grandios. Dieser eigenartige Duft und Geschmack! Kein Vergleich mit den Maronen auf dem Weihnachtsmarkt. Eine andere Variation von dieser Frucht - die ich auch sehr mochte - war Kastanienpüree mit Schlagsahne, was auf dem Teller aussah, wie graue Spaghetti unter einer weißen Haube.

Überhaupt waren meine Mama und meine Oma glücklich, wenn ich gut gegessen hatte und zu-frieden war. Schwer fiel mir das nicht, denn die Speisen waren sehr köstlich und für meinen Geschmack gut gewürzt. Abermals wünschte ich mir ,,palacsinta’’ (palatschinta › Eierkuchen / Pfannkuchen) mit Marmeladen- oder Vanilletopfen-Füllung und Schokoladen-Soße bzw. ,,pogi’’ (Pogatschen › ein Gebäck aus Kartoffelteig), die ich gleich aus dem Ofen, warm in den Mund und in die Hosentaschen steckte. Kein Krümel blieb übrig. ,,Lángos’’ (Langosch) war auch eine Spezialität von Nagyi, die viel besser schmeckten, als die vom Strand. Schön mit Knobi-Öl, saurer Sahne und geriebenem Käse! Dazu eine Flasche ,,traubiszóda’’ (traubisoda › Traubensaft mit Sprudel), gekühlt und mit einem langen, bunten Strohhalm. Mit Palatschinken hatte ich mich auch selber versucht, denn ich wollte gerne diese köstlichen Teile jederzeit essen können, wenn ich Appetit dazu bekam. Meine ersten Versuche jedoch waren nicht so erfolgreich. Den Teig anzurühren war kinderleicht, man benötigte für 12 Stück 150 g Mehl, 1 Ei, 0,3 L. Milch, 0,1 L. Sprudelwasser (dadurch wurden Sie richtig fluffig), ein wenig Salz und Zucker. Dass schlimmste war aber das Wenden in der Pfanne aus dem Handgelenk. Der erste landete mit viel Schwung auf meiner Schulter, der zweite gleich mit der Pfanne hinter mir. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten hatte ich dann doch noch den Dreh raus und verfeinerte meine Wurfkunst bis zur Perfektion, mit einem doppelten Salto.

Meine Zufriedenheit krönte das Milcheis in allen Variationen im Café am Ende unserer Straße, wo die älteren Herrschaften, neben Wein auch den besten Espresso oder Mokka von Keszthely zu sich nahmen. Kaum war ich zu Hause angekommen, waren die meist zwei Kugeln samt Waffel alle. Nagyi fragte oft, ob ich überhaupt im Café war, oder wieder irgendwelchen Quatsch gemacht hatte. Ich verstand nie ihre Aufregung, Mist baute ich allemal erst nach dem Eis essen. Einmal war sie aber so richtig sauer. Sie hätte lieber ihre silberne Zigarettenspitze und die Kippen wegräumen sollen. Ich stand in aller Ruhe hinter einem Holzhaufen im Garten und die Nachbarn wunderten sich, warum Rauch aufstieg. Es kam nie wieder bis zu meinem 16. Lebensjahr vor, dass ich gepafft hatte, denn ich wollte sie keinesfalls enttäuschen und meiner Mama Ärger einbringen. Außerdem, wie hätte das nur ausgesehen, kurz vor der Einschulung mit einer Zigarette in der Hand.

Ich freute mich lieber auf den großen Tag, endlich mit meinem Schulranzen aus Leder loszuziehen und die 44 Buchstaben des ungarischen Alphabets zu lernen. Im Ungarischen zählen - im Gegensatz zum Deutschen - auch die Buchstaben wie Ő und Ű neben Ö und Ü (der Unterschied liegt in der kurzen oder langen Betonung) sowie die Digraphen (cs, dz, gy, ly, ny, sz, ty, zs) und der Trigraph (dzs) als eigener Buchstabe. Zum Nachzählen:


A, Á, B, C, CS, D, DZ, DZS, E, É, F, G, GY, H, I, Í, J, K, L, LY, M, N, NY, O, Ó, Ö, Ő, P, Q, R, S, SZ, T, TY, U, Ú, Ü, Ű, V, W, X, Y, Z, ZS.


Als eine Besonderheit in der Rechtschreibung gilt die Regelung, dass Substantive nicht groß geschrieben werden (wie im bisherigen Textverlauf schon vorgekommen und zu sehen war). Was aber noch interessanter erscheint, könnte die Tatsache sein, dass die ungarische Sprache vermutlich annähernd so viele Fälle hat. Sprachwissenschaftler meinten, dass die Anzahl der Fälle nicht einmal der Teufel errechnen könnte, einigten sich aber schließlich auf 23 und gaben gut klingende Namen, wie Instrumental, Delativ, Essiv, Inessiv, Elativ, Illativ, Terminativ, temporaler Distributiv usw. Die Fallbeschreibungen wurden hinterlegt in einem Buch mit dem Titel ,,Ungarisch ohne Mühe’’. Hier wird auch beschrieben, dass es noch weitere Fälle gibt, die eigentlich gar keine echten Fälle, sondern nur Orts-, Zeit- und Modalbestimmungen sind. Wertet man dennoch die Umstandsbestimmungen nach Art und Weise als Fälle, haben wir die 40-er Marke überschritten. Wenn jemand jetzt noch an das Fachbuch ,,Un-garisch ohne Mühe’’ glaubt, der sollte sich lieber ärztlich untersuchen lassen, oder nebenbei mit Chinesisch anfangen. Die Zahlen kannte ich mittlerweile, denn mein Eiskonsum erhöhte sich bis dahin drastisch und ich musste ja irgendwie meine Bestellung abgeben können. Ich sollte in die Klasse 1z kommen. Z stand für ,,zene’’, also Musik. Bis dahin spielte ich nur Luftgitarre oder trommelte auf Omas Einweckgläser. Daher sollte ich lieber was Richtiges mit Musik lernen, bevor wir alle sauren Gurken vom Boden auflesen mussten.

Kurz vor der Einschulung erhielt ich eine Postsendung vom Papa, mit Anziehsachen, Buntstiften und einem anderen Paket, voller Süßigkeiten. Ich futterte fast das ganze Naschen mit meinem Freund aus der anderen Straße auf, zur Freude meiner Mama. Sie war trotzdem nicht böse, im Gegenteil, sie amüsierte sich über uns, weil wir mit dem bunten Karton, wo die Süßigkeiten drin waren, abwechselnd auf dem Kopf rumrannten und uns dabei wie Ritter benahmen. Kurz danach klärte sie uns auf, wir hätten meine Zuckertüte ruiniert. In Ungarn gibt es aber keine Zuckertüte, dieser Brauch ist unbekannt, daher war unsere Aktion halb so wild und wir gaben auf dem Klassenfoto ein gutes Bild ab.

Die große Familie hielt getreu zusammen und alle versuchten den Kontakt so oft, wie es nur ging zu pflegen. Zu Geburtstagen, Weihnachtsfeiern und Silvester trafen sich alle, die konnten, bei der Omi Rózsi oder bei einem der Geschwister, und reisten an mit der ganzen Kinderschar. Weihnachten war nicht so mein Ding, obwohl es reichlich Geschenke gab. Ich hatte Angst vor dem Krampus und nicht einmal der Weihnachtsmann konnte nach all den Jahren meinen größten Wunsch erfüllen. Mein Papa sollte auch mit unter dem Weihnachtsbaum sitzen, ein Buch vorlesen, mit uns spielen, oder einfach eine Kerze anzünden - für diejenigen, die nicht mit uns feiern konnten oder nicht mehr unter uns waren - und still den Abend genießen. Der Krampus war eine Teufelsgestalt, in Begleitung des heiligen Nikolaus, wie auch in vielen Ländern (Österreich, Süd-tirol, Norditalien, Kroatien). Während der Nikolaus die braven Kinder beschenkte, wurden die Rüpel vom Krampus mit der Rute bestraft. Er ähnelte somit in der Funktion des Helfers vom Weihnachts-mann, dem sonst bekannten Knecht Ruprecht. Meine Angst war somit berechtigt, denn brav war für mich eher ein Fremdwort.

Ich war in der Schule gut, hatte keine Probleme, mich zu verständigen oder zu lernen. Die anderen Kinder waren kontaktfreudig, alle wollten wissen, warum ich einen französischen Namen habe, den es in Ungarn nicht gibt und woher ich komme. Für meine Erzählungen gab es manchmal ,,túrórudi’’, eine kleine, feste Quarkspeise im Schokomantel auf die Hand. Ich hatte es richtig gut, wurde verwöhnt. Nur beim Fasching hatte ich nie Glück, wenn die schönsten Kostüme prämiert wurden. Kein Wunder, denn jeder Junge in der Klasse war als Cowboy gegangen, nur ich tanzte aus der Reihe. In der 2. Klasse war ich ,,Teknöc Ernö’’, eine Schildkröte aus einem ungarischen Trickfilm. Aber bitte schön, welche Schildi hat eine kurze bayrische Lederhose, Augen aus Tischtennisbällen und Ohren aus Watte, unter einer bemalten Strumpfhose. Als bekloppter Bankräuber hätte ich wahrscheinlich gewonnen.

Die gleichen Geschichten meiner Herkunft konnte ich bald erneut vortragen, denn meine Mama lernte Géza kennen und wir zogen mit Ihm in den Sommerferien nach Balatonboglár, so dass ich die 3. Klasse schon im neuen Wohnort beginnen konnte. Nagyi war nicht weit weg, ca. eine drei viertel Stunde Autofahrt entfernt. Wir besuchten sie oft und auch Ostern und Weihnachten feierten wir im Kreise der Großfamilie. Dieser Zusammenhalt war schön und hat mir sehr geholfen, mich nicht alleine zu fühlen.

Die folgende Zeit war schwerer, aber voller Überraschungen. Als neue Spielplätze entdeckten wir die Maisfelder mit unendlichen Weiten, wo wir uns sehr gut verstecken und gegenseitig mit Maiskolben bewerfen konnten. Auch Boglár lag am Balaton, also war das Wasser noch da. Ich lernte Ruderboot und Fahrrad fahren, und dass man Maiskolben nicht nur als Wurfgeschoss benutzen, sondern auch als Speise verwenden kann, nämlich weich gekocht und gesalzen. Eine sehr leckere Zwischenmahlzeit. Am Strand fuhren dauernd Räder mit einem Metallbehälter vor dem Lenker oder einem Anhänger hin und her, vollgepackt mit ,,fött kukorica’’.

In der Schule erfuhr ich immer mehr, wie schwer, aber vielfältig die einheimische Sprache ist. Ungarisch gehört zum finno-ugrischen (auch finnugrischen oder ugro-finnischen) Zweig der uralischen Sprachfamilie und zählt somit nicht - wie die meis-ten europäischen Sprachen - zur indogermanischen Sprachfamilie. Sie ist im südmitteleuropäischen Raum verbreitet und wird von ca. 15 Millionen Menschen gesprochen. Ungarisch ist nicht nur wegen seines Wortschatzes andersartig. Von der Struktur her sind die Wörter nicht selten eine erstaunlich lange Kette aus Elementen, die logisch geordnet aneinander geheftet werden. Wirklich gute Beispiele, die sich zum Üben hervorragend eignen, befinden sich auf den Ortsschildern am Straßenrand, wie ,,Mosonmagyarovár’’, ,,Balatonmáriafürdö’’, ,,Török-szentmiklós’’ oder ,,Nemesboldogasszonyfa’’. Letzteres könnte vom Sinn der Wörter her (Adelsglückfraubaum) bedeuten: eine adlige Frau, die glücklich war, schenkte der Siedlung bei der Gründung einen hübschen Baum, woraufhin die Einwohner einen Ortsnamen erfanden, der sie für alle Zeit ehrte. Für Anfänger gibt es natürlich auch Ausnahmen, dabei reden wir hier tatsächlich von Ortsnamen und nicht von Abkürzungen oder chemischen Elementen: Ág, Bö, Ör, Sé. Das schönste ist aber, im Ungarischen gibt es kein grammatisches Geschlecht, kein ,,Sie’’ und ,,Er’’. Außerdem, in welcher Sprache findet man schon Sätze, die vor- und auch rückwärts gelesen werden können. ,,Géza kék az ég’’ bedeutet: ,,Géza, der Himmel ist blau’’. Von rechts nach links gelesen hat dieser Satz nach wie vor die gleiche Bedeutung und ist kein Wort-Wirrwarr, einfach genial. Wenn wir den Satz ,,utca végén sarok’’ (Am Ende der Straße ist eine Ecke) mit zwei Fingern festgehaltener Zuge ausgesprochen hatten, klang es sinngemäß: ,,Am Ende der Straße kacke ich’’, denn aus dem ,,s’’ (deutsch ,,sch’’) wird ein ,,sz’’ (deutsch ,,s’’). Auch etliche Wörter, mit oder ohne Strich auf manchen Konsonanten, oder ähnlicher Aussprache, haben völlig andere Bedeutungen, höchste Achtsamkeit ist geboten und sehr empfehlenswert!

Diese Erfahrung musste selbst mein Papa machen, als er mich mal besuchte. Wir waren zusammen in Keszthely die Verwandtschaft besuchen und saßen gemütlich in einem Café am Strand. Mein Pa-pa wollte für uns Getränke bestellen. Zwei Kaffee, eine Cola und Weinschorle für die anderen. Ich ging mal kurz um die Ecke und als ich zurückkam, standen statt zwei, sieben Tassen Kaffee auf dem Tisch. Nach diesem Malheur hatte er beschlossen, mich als seinen persönlichen Dolmetscher bei sich zu haben, wenn er in Ungarn war. Ich fühlte mich wohl dabei und wie ein kleiner Diplomat. Mein nächster Einsatz als Übersetzer ließ nicht lange auf sich warten, denn meine beiden Onkels legten meinen unwissenden Papa ganz schön rein. Er fragte mich irgendwann, als wir unterwegs waren, warum die Leute eigentlich nicht antworten, wenn er sie freundlich begrüßt. Ich erklärte ihm dann, dass diese Art von Begrüßung nicht für die zarten Ohren eines Achtjährigen wäre, weil die Bedeutung eine mittelschwere Beschimpfung sei (vergleichbar mit dem heutzutage gängigen ,,f... you’’) und daher bei weitem nichts mit ,,Hallo’’ zu tun habe. Beim nächsten Treffen mit den Übeltätern war aber alles wieder gut, sie lächelten zwar verschmitzt, erklärten jedoch meinem Papa ihre Freundschaft:

»Mücke, Du guter Schwager, wir Frainde, ja?

Du nicht böse, oder?«

Aha, Mücke mit knapp 190 cm und weit über 100 kg. Das war meine erste Lektion in: ,,Die Ungarn übertreiben ein wenig’’. An dieser Stelle sollte ich mal erklären, dass die Ungarn vieles verniedlichen und abkürzen, siehe auch bei den Namen. Vati wurde somit neben Mücke auch zu Wolfi, aus Wolfgang, wie soll es auch anders sein. Ein sehr schönes Beispiel zur Entstehung eines Kosenamens ist der Name meines Cousins István (Ischtwan). Aus István entstand Isti, da aber István sehr verbreitet ist und somit jeder Isti heißt, leitete man daraus Pisti ab. Weil mein Cousin seit der Geburt an klein war, entwickelte sich daraus Istike (also der kleine Isti). Letztendlich nannten ihn alle Stike (einfach das ,,I’’ vorne weg gelassen) weil er die Bezeichnung ,,Der Kleine’’ nicht prickelnd fand.

Ich wollte übrigens auch gern anders, als André gerufen werden, weil ich dauernd den Namen erklären musste. Andi wäre doof gewesen, weil, Andi aus Andrea kommt, somit weiblich ist. In Österreich hätte Andi vielleicht eine Chance gehabt, eher als Andy, aber so, nee. Mir blieb also nichts anderes üb-rig, als meine halbe Lebensgeschichte immer wieder neu zu erzählen und mich wegen meiner erheblichen Vorliebe für Haselnüsse als ,,mókuska’’ (mokuschka › kleines Eichhörnchen) bezeichnen zu lassen. Später, nachdem ich einen kleinen Bruder bekam, wurde ich der große Bruder. Dieser Begriff lautete ,,testvér’’, abgekürzt ,,Tesi’’. Dieses Wortspiel könnte man mit der englischen Definition ,,Brother’’ erklären: aus ,,Brother’’ wird ,,Brodi’’. Wenn ich bei meinen Ferienbesuchen von diesen Sachen erzählte, hörten alle spannend zu und da ich in Ungarn andauernd Tomaten und Paprika aß, wollte ich bei Oma und Opa nur noch Gurken bekommen. Weil ich davon jeden Tag zwei ganze vertilgte, gab mir Opa Heinz sinngemäß den Spitznamen Gurki.

Auch der deutschsprachige Einfluss in Ungarn hinterließ Spuren. Gerne wurden deutsche Wörter in ungarischen Redewendungen verwendet, oder mit ungarischen Wörtern vermischt bzw. witzige Sprüche entstanden, die auch wir gerne bei einer Begegnung eines Touristen anwandten. Mein Lieblingsspruch war, wenn ich deutschen Urlauberkindern be-weisen wollte, dass ich auch ihre Sprache beherrsche:

»Ancik, cvancik, segged látszik!«

(Einzig, zwanzig, dein Arsch guckt raus!). Das hierbei die Zahl ,,Einzig’’ - was gar nicht existiert - für die Zehn steht, ist nebensächlich. Vieles wird auch sehr umfangreich beschrieben, was normalerweise mit wenigen Worten zu erklären wäre, aber dann könnten die Leute, die gerade erzählen, nicht so viel gestikulieren. Beide Arme werden dabei ständig benutzt, manchmal könnte man denken, die Erzähler machen Karate oder wollten eins von Millionen der stechenden Biester fangen. Die Magyaren (Madjaren) sind zwar nicht so laut, wie die Italiener, aber die Körperhaltung, die Blicke und der Gesichtsausdruck je nach Befinden, betonen außerordentlich das Gesagte. Gemein mit den Italienern sind auch die Farben der Flagge: rot, weiß, grün. Als Eselsbrücke las-sen sich die Anordnung der Farben wie folgt merken: Bei Ungarn waagerecht, wie die Wellen des Ba-latons, bei Italien senkrecht, wie die Richtung beim Eis lecken. Meine Onkels hatten natürlich ihre eigene Version:

,,Piros, fehér, zöld, ez a magyar föld! Piros, fehér, fekete, ez a magyar feneke!’’ Übersetzt: ,,Rot, weiß, grün, ist das ungarische Land! Rot, weiß, schwarz, ist des Ungars Hintern!’’

Die Verabschiedung von einer Feier bzw. in der Gaststätte wird nicht einfach mit einem kurzen ,,Tschüss’’ oder Kopfnicken abgegolten, wer geht, sagt in die Runde: ,,Köszi-hello-sziasztok!’’ (Danke- tschüssi-macht’s gut!). Auch ein einfaches ,,igen’’ für ,,ja’’ reicht nicht aus. Um eine bessere Betonung zu erreichen, wird daraus ,,igen-igen’’ (ja-ja) und damit auch die Wirkung nicht verfehlt wird, entsteht: ,,igen, persze, hogyne, kérlek!’’ (ja, klar, natürlich, ich bitte dich!). Die höchste Stufe der Staffelung erreichen die Ungarn aber beim Fluchen. Das klingt wie eine Erzählung, wenn jemand beschimpft wird, hat aber meistens nur eine Bedeutung und soll auf den Betroffenen einwirken. Dieser soll ganz klein werden und auch nicht zu Wort kommen. Es wird nicht nur diese eine Person beschimpft, sondern auch seine Mutter, sein Gott, sein Hund, und sogar die osmanischen Besetzer des Landes vor vielen Jahren.

Mit diesem überdimensionalen Wortschatz und meinem Sonderstatus - was mich zum Anführer unserer Clique machte - wurde ich bald zum Schrecken der Schule. Nicht nur mit Worten, auch mit meiner Faust teilte ich aus. Ich musste immerhin die Ehre meiner Mutter verteidigen und mich als ,,Andi’’ zu nennen (bin doch kein Mädchen!) ließ ich auch nicht zu. Manchmal musste ich auch meine Tennisbälle zurückerobern, denn die waren Gold wert. Vor allem von Tennisspielern aus Deutschland oder Österreich, denn die waren besser und einfach schöner. Wenn ich dann auch noch die Büchsen zum Aufbewahren, vielleicht noch mit der Aufschrift Slazenger und dem Logo des schwarzen Panthers erhielt, weil ich so ein braver Balljunge war, fühlte ich mich wie der Größte. Mehrfach bekamen meine Gegner Gras-büschel statt ,,dinnye’’ in den Mund, mussten aus dem Fahrradständer oder vom Kletterhäuschen befreit werden und hatten blau Flecken überall. Das ich zu Hause durch die strengen Erziehungsmaßnahmen

in ähnlichen Farbtönen erstrahlte, war mir egal.

Mehr oder minder wurde mir ,,te pici betyár’’ (tä pitsi bätjar) gesagt, was mich stolz machte, weil ich gerne ein kleiner Rüpel war. Betyaren waren im 19. Jahrhundert als Volkshelden angesehen, obwohl sie eigentlich als Banditen auftraten, so ähnlich, wie in Irland die Highwaymen. Sie nahmen alles, teilten aber gleichzeitig. Welche Behauptungen richtig oder falsch waren, konnte ich nie herausfinden. Jedenfalls war ich gerne ,,Tesi betyár’’, der Robin Hood vom Balaton. Niemand durfte mich beleidigen oder als Schwächling betiteln. Anerkennung einer anderen Art konnte ich jedoch durch mutige Aktionen einheimsen. Ich schaute nie weg, wenn meine schwächeren Mitschüler Ärger bekamen. Ich musste als Beschützer der ,,Kleinen’’ auftreten, was sogar die Lehrer an mir schätzten. Dennoch war ich nicht in der Lage, es zu vermeiden, dass ich in der 5. Klasse mit 13 Eintragungen (2 davon vom Direktor höchstpersönlich) nach Hause ging. Keiner verstand, wieso ich trotz meiner Wildheit in 10 Fächern von 12 nur Einsen hatte. Es folgten Hausarrest, Beschlagnahmen der Autokarten und Matchboxes, sowie stundenlange Aussprachen. Zum Schluss waren wir alle einig, ich sollte als Ausgleich Sport treiben. Wie ich nachträglich erfuhr, hatte diese Freizeitbeschäftigung für mich eine befreiende Wirkung.

Paprika, rot-weiß-grün.

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