Читать книгу 60 Days in a Row - Andy Rieth - Страница 5
8. Tag – England, London, Dienstag Do you remember?
ОглавлениеDas Wochenende schleppte sich über den Sonntag und auch den Montag verbuchte ich noch als notwendigen Ruhetag nach meinem Erlebnis am Samstag im The George. Es wäre gelogen, wenn ich nicht zugeben würde, die Nachwirkungen der alkoholreichen Nacht noch am Montag gespürt zu haben.
Von meinem Kumpel Daniel hatte ich bisher nichts gehört, doch das war nicht schlimm. Natürlich hatte jemand, der wie er doch deutlich mehr in der Öffentlichkeit stand als ich es tat, nämlich gar nicht, auch noch andere Dinge zu tun. Mehr als eine Bar-Bekanntschaft waren wir ja auch nicht, obwohl ich darüber sehr froh war. Auch wenn mir mein Körper andere Signale gab, tat mir das kleine Trinkspiel im Pub wirklich gut. Ich fühlte mich dadurch in England willkommen.
Mein erster Gedanke jedoch an diesem Morgen galt einer Frau: der geheimnisvollen Unbekannten, die ihn nach seinem Vollrausch vor dem Pub abgeholt hatte. Mich fuchste es immer noch, dass ich mir nicht mehr Mühe gegeben hatte, einen Blick auf ihr Gesicht zu erhaschen, doch noch mehr interessierte mich, wie die Heimfahrt der beiden vonstattenging, denn besonders gut gelaunt war die Frau nun wirklich nicht gewesen. Auch Daniel hatte ja schon zuvor mehrfach angedeutet, dass er wohl Ärger bekommen würde.
Aber auch daran konnte ich nicht lange festhalten. Heut würde Nina kommen, meine Exexexfreundin, die ihre Schwester in London besuchen wollte. Wir wollten uns auf einen Kaffe treffen. Mir war noch allzu geläufig, wie koffeinsüchtig sie war. Würde ich es nicht besser wissen und wäre es nicht medizinisch unmöglich, könnte man vermuten, fünfzig Prozent ihres Blutes bestünde aus Kaffee.
Plötzlich geriet ich ihn Panik. Was wäre, wenn sie mit hierher kommen wollte? Sei es auch nur, um über alte Zeiten zu reden oder um nicht bei ihrer Schwester schlafen zu müssen, wenn sie eventuell etwas zu viel trank. Ich musste also dringend aufräumen, putzen, einkaufen und noch hundert andere Dinge erledigen.
Zuerst ging ich duschen und verrichtete meine morgendlichen Rituale, bevor ich mich anzog. Noch immer konnte ich auf die Kleidung aus meinem Koffer zurückgreifen, doch so langsam wurde es knapp. Es war an der Zeit, sich einen Waschsalon zu suchen, denn eine Waschmaschine oder einen Trockner gab es hier leider nicht. Doch darum würde ich mich ein anderes Mal kümmern. Im Gegensatz zum Wochenende, an dem die Sonne sich von ihrer besten Seite gezeigt hatte, wusste England schon, wie es mich wieder auf den Boden der Tatsachen ziehen konnte: Es war kalt, windig und regnerisch, was meine Laune deutlich trübte. Nach einem genauen Blick aus dem Fenster entschied ich mich erneut, mit dem Auto einkaufen zu fahren und das Risiko eines Strafzettels in Kauf zu nehmen. Bei diesem Wetter widerstrebte mir der Gedanke, draußen ungeschützt rumlaufen zu müssen.
Um es einer Frau etwas angenehmer zu machen, benötigte man Verschiedenes, das ein Mann wohl nur selten kaufen würde: frische Tomaten, Salat – davon schrumpft der Bizeps –, Radieschen, Karotten und Gurken waren meine erste Wahl. Obwohl es schon so lange her war, erinnerte ich mich daran, dass Nina keinen Fisch und auch eher wenig Fleisch aß. Also versuchte ich mich auf diverse Variationen einzustellen und besorgte noch Hühnchen, Nudeln, Reis und Kartoffeln nebst Zutaten für jeweilige Soßen. Ich wusste ja nicht, ob wir in meinem kleinen Apartment essen würden, doch ich wollte vorbereitet sein. Stilles Wasser, Duftkerzen – die natürlich einen kaffeeartigen Geruch absonderten, was mir normalerweise zuwider gewesen wäre –, ein paar frische, türkisblaue Handtücher und eine Fußmatte. Obwohl es mir im Herzen wehtat, so viele unnötige Dekorationen zu kaufen, kam ich nicht umhin, es damit wohnlicher zu finden. Es gab eine Art angenehmen Flairs und außerdem roch es durch die Kerzen deutlich besser in der kleinen Wohnung. Nicht dass ich unordentlich oder gar unsauber war, jedoch sonderten die alten Möbel und das benutzte Bett einen ganz eigenen Geruch ab, der gerne übertüncht werden durfte.
Wir waren für 18:00 Uhr verabredet, ich hatte demnach noch eine Menge Zeit, um mich fertigzumachen. Auf ein aufwendiges Mittagessen verzichtete ich, um am frühen Abend noch etwas essen zu können. Für einen Film wäre noch Zeit, sagte ich mir, griff nach meiner kleinen Blu-Ray-Sammlung und zog den zweiten Teil der Hobbit-Trilogie heraus. Herr der Ringe und eben auch die drei Teile der Vorgeschichte waren einige meiner absoluten Lieblingsfilme und zumindest jeden der drei älteren Filme hatte ich nicht weniger als 20 Mal gesehen. Es war bereits 14:00 Uhr als ich meinen Laptop mit der Disc fütterte, mich zurücklehnte und mit dem Bildschirm auf dem Schoss begann, in die mysteriöse Welt von Mittelerde einzutauchen.
Die epochale Meisterleistung internationaler Filmkunst, so würde ich es bezeichnen, faszinierte mich sehr. Was Autoren und Regisseure hier erschaffen hatten, zeugte von wahrer Liebe zu Film und Buch. Am sympathischsten war mir Tauriel, ein Mitglied der Wache vom Volk der Waldelben, welche den Düsterwald ihre Heimat nannten. Und natürlich der Meisterdieb Bilbo. Etwas zu erleben und aus seinem normalen Leben, der gefahrlosen Gegend und der Gewohnheit herauszubrechen, um etwas zu erleben, war genau das, was auch ich hier zu versuchen glaubte. Natürlich ohne Schwert und Schild, auch saß mir kein schattenartiges Feuerwesen im Nacken. Doch zumindest als kleines Abenteuer konnte man es bezeichnen.
Beinahe drei Stunden später, ich besaß die Special-extended-Version des Streifens, beendete ich meine kleine Filmschau und machte mich fertig: duschen, Haare waschen, anziehen und so weiter. Ich ließ mir Zeit. Grund zur Hatz gab es nicht. Würde ich um Viertel vor sechs das Haus verlassen, blieben mir noch ganze 15 Minuten Zeit, um zum Kingʼs College und damit zur verabredeten Bar zu gelangen. Mehr würde ich dafür sicherlich nicht brauchen.
Etwa um 17:30 Uhr stand ich geschniegelt und gestriegelt, parfümiert und mit hochgegeelten Haaren bereit, um auszugehen. Eigentlich hätte ich ein wenig nervöser sein sollen, als ich es war, doch das Treffen mit Nina war eher eine willkommene Freude als ein peinliches Wiedersehen.
Pünktlich verließ ich das Haus, genau wie ich es geplant hatte, und nach einem kurzen Fußweg erreichte ich auch schon das Kingʼs College, auf dessen Gelände am südlichen Ende die Waterfront Bar zu finden war. Als ich dort ankam stand Nina schon vor der Tür und wartete auf mich, rauchend und offenbar etwas zittrig.
»Hast du es noch immer nicht aufgegeben?«, begrüßte ich sie in Anspielung auf die Zigarette, umarmte sie und küsste sie auf beide Wangen.
»Öhm … ja, hallo … ich«, stotterte sie überrascht, fing sich aber schnell wieder. »Nicht so stürmisch, mein Junge.«
»Gut siehst du aus«, überging ich ihre Bemerkung.
Und tatsächlich sah sie wirklich hübsch aus. Ihre langen braunen Haare trug sie offen den Rücken hinunterfallend. Ein offener, schwarzer Mantel umhüllte einen für einen solchen Anlass vielleicht etwas zu überzogen schicken Nadelstreifenhosenanzug, unter dem sie eine weiße Bluse trug. Dazu schwarze Pumps, der Absatz gerade noch niedrig genug, dass er nicht nuttig wirkte.
»Du hast dich ja ganz schon rausgeputzt. Wie komme ich zu der Ehre?«
»Wieso glaubst du, ich hätte mich ausgerechnet für dich so angezogen?«, antwortete sie spitz, lächelte aber dabei.
Ihr Humor hat mir gefehlt. Es war eine Mischung aus offensichtlichem Sarkasmus gepaart mit ein wenig Ironie. Schwer zu verstehen, aber wenn man es mal herausbekommen hatte, konnte man hin und wieder den Spieß umdrehen, um sie zu verunsichern.
»Bist du fertig?«, fragte ich mit Blick auf ihren Glimmstängel. »Es ist kalt.«
Sie nickte, zog ein letztes Mal an ihrer Lucky Strike, warf sie eher achtlos auf die Straße und hängte sich bei mir ein.
Zu unserer Verwunderung war die Bar bereits ziemlich voll. Eine Vielzahl an Studenten mit Laptops, aber auch welche, die sich zum Date oder einfach so hier getroffen hatten, saßen bereits an den zahlreichen Tischen, aßen, tranken und unterhielten sich. Sofort fühlte ich mich an eine Kantine erinnert. Eine große Buffettheke und die teilweise unbequem wirkenden Stühle bekräftigten meinen ersten Eindruck. Im Großen und Ganzen war die Ausstattung aber auf einem sehr guten und modernen Stand. Nur mit den Farben hatten sie es wohl nicht so recht, was auch Nina sofort ins Auge stach.
»Gelbe Stühle, weiße Tische und dunkelbraune Knopfledersessel – der Innenarchitekt war wohl betrunken, als er sich dafür entschieden hat.«
»Wohl wahr«, pflichtete ich ihr bei. Es war wirklich eine seltsame farbliche Kombination.
Nina hatte reserviert, was ich ihr so gar nicht zugetraut hätte. Für jegliche Planungen war in unserer Beziehung stets ich verantwortlich gewesen. Ein Kellner brachte uns an einen Fenstertisch mit zwei dieser braunen Sesseln.
Ich ließ mich sogleich hineinfallen. »Wow, die sind echt bequem. Das musst du probieren«, freute ich mich und wippte einige Male auf und ab.
Sie verzichtete jedoch und ließ sich sanft ins Polster gleiten. »Coke Light, please«, sagte sie an den Kellner gewandt, der offenbar schon wieder gehen wollte und dann etwas irritiert seinen Block zückte, um zu notieren.
»Coke light? Ernsthaft? Wollen wir hier nicht ein bisschen feiern und unseren Spaß haben?«
»As I said«, wiederholte sie.
»Heineken, please.«
Sogleich verschwand der junge Mann, kaum älter als 20 Jahre, kopfschüttelnd in Richtung Theke.
Die Stimmung schien etwas unterkühlt, doch ich ließ mich davon nicht entmutigen. »Wie geht es dir denn? Ist so weit alles okay? Wie geht es der Kleinen?«
Und sofort begann sie zu erzählen. Offenbar hatten sie schon längere Zeit Probleme gehabt. Hauptstreitpunkt war eigentlich immer seine Arbeit gewesen. Lukas, so hieß Ninas derzeitiger Ex-Freund, war ein recht erfolgreicher Geschäftsmann mit eigener Firma, Schwerpunkt In- und Export. Aus diesem Grund war es für ihn unabdingbar, oft zu reisen. Dementsprechend selten war er zu Hause und konnte auch nur sehr wenig Zeit mit seiner Tochter verbringen. Immer weiter hatte er sie dazu bringen wollen, ein Hausfrauen- und Mutterdasein zu führen und ihre berufliche Karriere at Acta zu legen. Doch Nina war nie ein Mensch, der sich etwas hatte befehlen lassen, und schon gar nicht, wenn es um ihre berufliche Zukunft ging. Immer häufiger gab es deshalb Streit, denn der Unmut, den Nina hegte, ballte sich immer in den langen Zeiträumen, in denen Lukas auf Reisen war. Letztlich hatte sie es wohl nicht mehr ausgehalten und war ausgezogen. Zurück zu ihren Eltern. Marie, so hieß ihre gemeinsame Tochter, hatte sie mitgenommen. Lukas hätte auch unmöglich permanent auf sie aufpassen können und eine Fremde als Kindermädchen kam für Nina absolut nicht infrage.
Inzwischen war der Kellner zurück und brachte uns unsere Getränke. Sofort nahm ich einen großen Schluck meines kühlen, frisch gezapften Bieres und hörte ihr weiter aufmerksam zu. Etwas zu essen bestellten wir vorerst nicht. Auf die Frage winke Nina direkt ab, obwohl es mir nicht gerade unrecht gewesen wäre, eine Bestellung zumindest einmal aufzugeben. Immerhin rechnete ich bei der hohen Besucherzahl mit gut einer halben Stunde Wartezeit.
»Du wirst schon nicht verhungern«, keifte sie sofort. Sie hatte meinen wehleidigen Gesichtsausdruck richtig interpretiert.
Auch ich erzählte ihr meine Geschichte. Einige Details ließ ich aber zu meiner Sicherheit aus. Ich wollte nicht, dass sie mich für verrückt hielt.
Nachdem wir dann auch endlich etwas zu essen bestellen konnten und die ersten Cocktails unsere Kehlen hinuntergelaufen waren, wurde die Stimmung ausgelassener, mitunter auch durch die lauter werdende Discomusik, welche von allen Seiten des Raumes aus großen Boxen ertönte. Wir ließen die letzten Wochen hinter uns und begannen in Erinnerungen zu schwelgen. Die lustigsten und peinlichsten Situationen wurden heraufgekramt und wir lachten und hatten einfach eine gute Zeit.
Mit steigendem Pegel sank auch die Hemmschwelle und nach etwa vier Bier, zwei Cocktails und einem Schnaps forderte ich Nina zum Tanzen auf. Ich war absolut kein begnadeter Tänzer. Ich würde mich nicht einmal als nur schlechten Tänzer bezeichnen. Doch wie heißt es so schön: Nüchtern bin ich so schüchtern, aber voll da bin ich toll. Dieses Lied trällernd schnappte ich mir Ninas Hand und zerrte sie auf die Tanzfläche; im Prinzip einfach in die Mitte des Raumes, wo auch alle anderen Feierbiester ihrem Bewegungsdrang freien Lauf ließen. Normalerweise war ich wirklich ein schüchterner Mensch, oft in sich gekehrt, eher überlegt und logisch. Doch hier in London, 1500 Kilometer weg von jedem den ich kannte und dazu noch angetrunken, warf ich alle meine Prinzipien über Bord und hatte einfach nur Spaß.
Ich würde gerne noch weit mehr über diesen Abend berichten, denn zumindest über die Augenblicke, an welche ich mich noch erinnere, gab es absolut nur Positives zu sagen, doch ab etwa 22:00 Uhr kann ich mich nur noch bruchstückhaft erinnern und jede Aussage dazu wäre im besten Fall nur gut geraten …