Читать книгу Das Zeitalter der Aufklärung - Angela Borgstedt - Страница 10
II. Überblick
ОглавлениеPerspektiven der Aufklärungsforschung
„Several themes and approaches may usefully find their way into a new general history of the Enlightenment“. In einer künftigen Gesamtgeschichte der Aufklärung, so Fania Oz-Salzberger (46, S. 172), sollten folgende Themen und thematische Zugänge bedacht werden: eine Kartografie ihrer Verbreitungswege, ihrer Affinitäten, aber auch Phobien, eine Darstellung des Spannungsverhältnisses von Vernunft und Empfindsamkeit, schließlich eine Bewusstmachung des eleganten, leichten, populären und vor allem humorvollen Stils der europäischen, ja transatlantischen Epoche. So reizvoll ihre Vorschläge auch anmuten, die Intention der vorliegenden Arbeit ist eine andere und durch den forschungsorientierten und schwerpunktartigen Zuschnitt im Rahmen der Reihe Kontroversen um die Geschichte vorgegeben. Oz-Salzbergers universalem Ansatz steht zudem der von Martin Fontius (23, S. 195) beklagte „Verlust jener universalen Rezeptionsbereitschaft gegenüber ausländischen Werken“ im Wege, die für die deutsche Aufklärung einst charakteristisch war und die Berlin zur Mittlerin zwischen Paris und St. Petersburg hatte werden lassen (114). Dies spricht nicht prinzipiell gegen Oz-Salzbergers Vorschlag, der einen Längsschnitt durch ohnehin kaum mehr zu überblickendes Terrain bieten würde. Im vorliegenden Fall war allerdings eine forschungsbezogene und thematisch begrenzte Arbeit gefragt.
Themenschwerpunkt deutsche Aufklärung
Mit „Aufklärung“ ist hier aus arbeitsökonomischen Gründen die deutsche Aufklärung gemeint, auch wenn die europäische, die kürzlich von Frank Kelleter (29) noch einmal eindrucksvoll unterstrichene transatlantische Dimension von Aufklärung unbestritten ist. Andererseits weist die deutsche Entwicklung Besonderheiten auf, die die vorgenommene Eingrenzung auch inhaltlich rechtfertigen. Sie wird, und damit sollen zugleich die insgesamt sieben Themenschwerpunkte begründet werden, als weniger radikal, erst in der Spätphase dezidierter politisch und insgesamt „staatsorientierter“ beschrieben als die englische, erst recht die französische Ausprägung. „Der Aufklärung in Deutschland fehlten die Extreme der französischen Aufklärung. Statt sich wie Voltaire als glühender Kirchenfeind, wie Rousseau als radikaler Republikaner zu geben, trugen die deutschen Intellektuellen eher bescheidene Kritik an bestehenden Einrichtungen vor und vertraten entweder eine moderate Reichsreform oder eine Emanzipation innerhalb der absoluten Monarchie“ (325, S. 22). Dies galt nicht ausschließlich für den politischen Sektor, dies galt vor allem für Preußen. Hier wähnten sich die „staatsfrommen“ (126, S. 87) aufklärerischen Beamten in Übereinstimmung mit dem „aufgeklärten“, dem neuerdings so bezeichneten „Reformabsolutismus“ des Landesherrn – was sich, so Werner Schneiders, nach dem Siebenjährigen Krieg, erst recht nach dem Tode Friedrichs II. änderte (66, S. 139).
Aufklärung und Absolutismus
Aufgeklärter Absolutismus, eine nachträgliche Begriffsbildung des 19. Jahrhunderts (Wilhelm Roscher), ist ein noch immer umstrittener Terminus. Als Schlussstein eines dreistufigen Pyramidenmodells des Absolutismus ist er dessen Übersteigerung, die die englische Lehnübersetzung enlightened despotism wohl treffender zum Ausdruck bringt. Zugleich ist dieser Absolutismus der Aufklärungsepoche durch deren zentrale Ideen geprägt: naturrechtliche Legitimierung von Herrschaft statt Legitimierung durch Gottesgnadentum, Vernunft- und Zweckorientierung von staatlichem, vor allem wirtschaftspolitischem Handeln bis hin zur Vorstellung vom Staat als Maschine. Doch worin manifestierte sich dieses „Aufgeklärte“ des Absolutismus? Im Reformhandeln seiner monarchischen Repräsentanten? Reformorientiert regierende Monarchen hatte es, so Günter Birtsch oder Volker Sellin mit Blick auf Friedrich Wilhelm I. und sogar den Großen Kurfürsten, auch in der vor- und frühaufklärerischen Epoche gegeben (87, 130). Birtsch entwarf gar einen Idealtypus des aufgeklärten Monarchen. Während Zeitgenossen wie Melchior Grimm um 1770 etwa 20 Landesherrscher als der Aufklärung nahe stehend klassifiziert hatten, ließ Birtsch allerdings allein Friedrich den Großen als idealtypischen aufgeklärten Monarchen gelten. Dieser jedoch unterschied sich in seinem Reformhandeln nicht wesentlich von seinem Vater, blieb in Einzelmaßnahmen sogar dahinter zurück. Das spezifisch Aufgeklärte des aufgeklärten Absolutismus auszumachen, bleibt demnach schwierig. Je nach Zugehörigkeit zu politisch-weltanschaulichen Lagern oder historischen Diskursen wird dies für sinnvoll oder sinnlos, möglich oder unmöglich erachtet. Ingrid Mittenzweis marxistischem Diktum vom „aufgeklärten Absolutismus“ als Schwindel steht Karl Otmar von Aretins differenzierteres Urteil von einer engen Verbindung, aber auch Abstoßung gegenüber, die am Ende „Wesentliches für das Entstehen unserer modernen Welt“ leistete (83, S. 22). Es war dies selbstverständlich auch ein Plädoyer für die Beibehaltung des zur Disposition gestellten Begriffs.
Aufklärung und Religion
Die deutsche Aufklärung wird sodann, und dies begründet die zweite Schwerpunktsetzung, im Kontrast zur schottischen, englischen und französischen Entwicklung weder als deistisch noch gar antikirchlich, sondern als kirchlich-antikonfessionell beschrieben. Diese Charakterisierung verweist einerseits auf die zunächst wesentlich innerkirchliche, theologische Prägung der deutschen Aufklärung, deren führende Repräsentanten – wie bereits Friedrich Nietzsche konstatiert hatte – evangelische Pfarrer waren oder aus Pfarrhäusern stammten. Mit der Bezeichnung „antikonfessionell“ verweist sie darüber hinaus auf die Besonderheit der Bikonfessionalität des Reichs und die daraus resultierende unterschiedliche Rezeption der Aufklärung im protestantischen Norden und im katholischen Süden. Frühzeitig und noch im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts vollzog sich die Aufklärung an universitären Zentren wie Leipzig und der 1694 begründeten Fridericiana zu Halle. Hier gingen Aufklärung und Pietismus ein vor allem für Beamtenschaft und Militär des aufstrebenden Brandenburg-Preußen folgenreiches Zweckbündnis gegen die erstarrte theologische Orthodoxie ein.
Erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts zerbrach diese Allianz an der zunehmend deistischen Orientierung der Aufklärung. Pietismus und Orthodoxie bezogen fortan eine mehr und mehr gegenaufklärerische Position. Die Aufklärung im katholischen Deutschland war eine verspätet einsetzende innerkirchliche Debatte um ultramontane oder nationalkirchliche Ausrichtung von Episkopat und Kirche, die zumindest in der Habsburgermonarchie als „Josephinismus“ engstens mit dem aufgeklärten Absolutismus verschränkt war. Prägend war hier die Auseinandersetzung mit dem von Frankreich rezipierten Jansenismus und den Schriften des italienischen Aufklärers Muratori, nicht von der Hand zu weisen der Einfluss der „protestantischen Aufklärung“ im Reich. Die historische Forschung hat dezidiert auf die Wiederbelebung von allerdings utopischen Unionsvorstellungen hingewiesen, wie sie vor allem der aufgeklärte Reformkatholizismus hegte. Carsten Zelle prägte gar den Begriff der „ökumenischen Aufklärung“ (150), der sich auch ex negativo auf den „gegenaufklärerischen Schulterschluss“ der jeweiligen Orthodoxien münzen ließ. So stellten sich in den 1780er Jahren exjesuitische Kontroversprediger vom konfessionellen auf den nun gemeinsamen Gegner Aufklärung um, fanden sich protestantische und katholische Gegenaufklärer in der aufklärungsfeindlichen Publizistik zusammen. Eine eigenständige jüdische Aufklärung (Haskala) ist in der nichtjüdischen Historiografie lange Zeit nicht wahrgenommen worden. Selbst ihr bedeutendster Protagonist Moses Mendelssohn galt vornehmlich als Vertreter der Berliner Aufklärung, seine tatsächliche Doppelfunktion als Teil der gesamteuropäischen wie innerjüdischen Aufklärung findet nur allmählich Beachtung (205, 206, 211–213, 215). Die Teilnahme auf zwei Ebenen des aufgeklärten Diskurses rief denn auch zweifachen Widerspruch hervor. Zum einen traf Mendelssohn auf den erbitterten Widerstand rabbinischer Orthodoxie, insbesondere mit seiner Akkulturationszwecken dienenden Pentateuch-Übersetzung in die deutsche Profansprache. Widerspruch kam zum anderen seitens der nichtjüdischen Aufklärer, die in der „bürgerlichen Verbesserung der Juden“ (Christian Wilhelm Dohm 1781) ein Postulat der Vernunft sahen, der rechtlich-politischen Gleichstellung jedoch einen Erziehungs- und Distanzierungsprozess von „vernunftwidrigen“ Frömmigkeitspraktiken vorschalten wollten (149, S. 167). Mendelssohns sicherlich kaum zu überschätzende Bedeutung ist dennoch Gegenstand einer Kontroverse, sieht doch die neuere Forschung zur jüdischen Aufklärung die Haskala allzu sehr auf diese eine dominante Persönlichkeit fokussiert.
Aufklärung und Erziehung
„Nennt man“, schrieb Horst Möller, „das 18. Jahrhundert ein philosophisches Jahrhundert, könnte man es mit kaum geringerem Recht ein pädagogisches Jahrhundert nennen“ (41, S. 133). Aufklärung, Erziehung und Emanzipation sind für die Protagonisten in einen dreifachen Prozess verwoben: den der individuellen, den der kollektiv-gesellschaftlichen und den der menschheitlichen Fortentwicklung. Die Verstetigung dieses Entwicklungsprozesses über das Individuelle hinaus leistete Ulrich Herrmann zufolge zum einen die (Schul-)Erziehung, zum anderen der gelehrte, der lehrreiche Diskurs in Aufklärungsgesellschaften, -zeitschriften, -libelli, -traktaten und -druckschriften. Die Aufklärer, so Holger Böning (222, S. XXXVIII), begannen sich als Lehrer zu verstehen: als Schulmänner, aber auch als Pädagogen des gerne mit einem Kind verglichenen Volks. Schon der Verbreitungsgrad von Jean-Jacques Rousseaus Émile ou de l’éducation (1762) (251), dem Schlüsselwerk des pädagogischen Jahrhunderts, ließ Aufklärung und Erziehung zu quasi Synonymen werden. Dass die zu einem Gutteil von Pfarrern und in Anlehnung an traditionelle religiöse Volkserziehung getragene Volksaufklärung als Charakteristikum und Fortentwicklung speziell der deutschen Aufklärung zum Forschungsgegenstand wurde, ist allerdings eine eher neue Entwicklung. Rudolf W. Keck nennt sie die „Übertragung der Aufklärungsidee vom Bürger auf den Unterbürger“ (238, S. 56). Sie verlief nicht spannungsfrei und tatsächlich verweist der bäuerliche Widerstand gegen die Volksaufklärung auf die im Schlusskapitel dargestellten antiaufklärerischen Strömungen. Der Gegenstand der Popularaufklärung, dazu ihres sozialgeschichtlichen Umfelds wie etwa der Alphabetisierungsforschung, war an sich schon nicht unumstritten und konnte sich erst allmählich innerhalb des Untersuchungsfeldes „Aufklärung“ positionieren.
Aufklärung und Gesellschaft
Auch der vierte Themenkomplex verweist auf die praktische Dimension der Aufklärung. Schon früh hat die Soziologie die Geselligkeitsformen des 18. Jahrhunderts im Konnex des Gesamtthemas Öffentlichkeit untersucht (39). Die historische Forschung hat sich des weiteren Feldes der Soziabilitäten, also auch der organisatorisch weniger strukturierten Salons und Kaffeehäuser, speziell aber der eigens so bezeichneten Aufklärungsgesellschaften (Richard van Dülmen) erst im Zuge des sozialhistorischen Paradigmenwechsels in den 1970er Jahren angenommen. In ihnen, so das frühe Forschungsinteresse, vollzog sich entschiedener als in anderen Institutionen der Durchbruch bürgerlichen Denkens und bürgerlicher Kultur (289, S. 251). Inzwischen interessieren Mitgliedschaften nicht nur in einer derartigen Gesellschaft, sondern korrespondierende Zugehörigkeiten zu einer gesamten Sozietätslandschaft (Holger Zaunstöck): zu Akademien, zu den als Nachfolgeinstitutionen der Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts entstandenen Deutschen oder Literarischen Gesellschaften, den patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften, schließlich den Lesegesellschaften, vor allem aber den Arkansozietäten wie Freimaurerlogen, Illuminaten- und bedingt auch Gold- und Rosenkreuzerorden (293, 294). Die personenbezogene Ergründung dieser Vernetzungen und Netzwerke spiegelt nicht zuletzt die Wissenschaftsentwicklung der letzten Jahre hin zu kultur-, alltags- und mikro-, vor allem aber kommunikationsgeschichtlichen Fragestellungen.
Aufklärung und Patriotismus
Einen fünften Schwerpunkt bildet die zuletzt auf dem Münchener Historikertag 1996 und in anschließenden Zeitschriftenbeiträgen ausgetragene Diskussion, ob es einen „Nationalismus vor dem Nationalismus“ des 19. Jahrhunderts gegeben habe oder ob das Jahr 1789 eine Demarkationslinie zwischen dem kosmopolitischen, allenfalls patriotistischen Aufklärungszeitalter und dem nachrevolutionären Nationalismus darstelle. Tatsächlich sind die Kontroverspositionen gar nicht so unvereinbar wie es auf den ersten Blick erscheint: Beider Perspektive ist die jenseits des Zäsurjahrs 1789, beide bejahen einen seitdem eingetretenen qualitativen Unterschied (324). Instruktiv ist der Ansatz des amerikanischen Historikers Matthew Levinger (325), dessen Interesse dem protonationalen 18. Jahrhundert gilt. Entsprechend sieht er nicht die Anfänge des Nationalismus im Patriotismus des 18. Jahrhunderts, sondern die Fortexistenz dieses Patriotismus in einem „aufgeklärten Nationalismus“ (enlightened nationalism) der Reformzeit. In diesem aufgeklärten Nationalismus vereine sich das aufgeklärt-absolutistische Prinzip monarchischer Souveränität mit dem revolutionären Prinzip der Volkssouveränität und Volksnation. Der Diskussion über eine breite, bis in das 19. Jahrhundert hineinreichende Epochengrenze lieferte Levinger damit ein weiteres Argument. Die prinzipielle Auseinandersetzung um Kosmopolitismus, Patriotismus und Nationalgeistrezeption im 18. Jahrhundert ist freilich nicht allein von der skizzierten innerfachlichen Kontroverse, sondern auch zu einem Gutteil von der neueren Literaturwissenschaft (299–301, 348) vorangebracht worden.
Aufklärung und Geschichte
Sechstens ist in einen Abriss von Kontroversen um die Geschichte das Verhältnis der Aufklärung selbst zur Geschichte aufzunehmen sowie dessen unterschiedliche Bewertung durch die Geschichtswissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert. „Geschichte“, hatte 1804 ihr Exponent August Ludwig Schlözer die Aufklärungshistorie charakterisiert, „ist nicht mer blos Biographie der Könige, chronologisch-genaue Anzeige von Thron Veränderungen, Kriegen und Schlachten, Erzählung von Revolutionen und Allianzen. Dies war der Geschmack fast aller AnnoDomini Männer im Mittelalter; und in diesem erbärmlichen Geschmack schrieben wir Deutsche noch vor einem halben Jahrhundert, ehe uns Briten und Franzosen durch bessere Beispiele weckten“ (zit. nach 370, S. 163). Schlözers Zitat zählte die wesentlichen Merkmale der Veränderung im Umgang mit der Geschichte auf, die zur Etablierung als eigenständiges, nicht länger propädeutisches Fach im universitären Kanon beitrug. Die historistische Geschichtswissenschaft hatte die Innovationsleistung der Aufklärungshistorie jedoch bestritten. Lange Zeit dominierte ihr Verdikt des 18. Jahrhunderts als dem „unhistorischen Jahrhundert“, dessen Verhältnis zur Geschichte als rein gegenwartsorientiert, utilitaristisch, bar jeder methodischen oder theoretischen Fundierung beschrieben wurde. Zweitklassige Nachahmer der genannten Briten und Franzosen – gemeint waren Hume, Robertson und Voltaire, allesamt keine genuinen Historiker – hatten die Pauschalverurteilung der Aufklärungshistorie erheblich erleichtert (370, S. 167). Von diesem Klischee (Rüsen) ist die historische Forschung nur sehr allmählich und in kontroverser Auseinandersetzung abgerückt.
Eine thematisch begründete Affinität zur Aufklärungshistorie entdeckte seit den späten 1970er Jahren der sozialwissenschaftlich orientierte Zweig der Historiografie. Schien es doch, dass die „vorhistoristische“ Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts längst jenen „Paradigmenwechsel“ vollzogen hatte, den die „nouvelle histoire“ nun einforderte: Abkehr von personen- und rein ereignisorientierter Perspektive, vom Primat der Diplomatie und Außenpolitik und Einführung eines erweiterten Geschichtsbegriffs der „histoire totale“. Aber auch der „konventionelle“ Zweig der Historiografie entdeckte die Aufklärungshistorie und arbeitete Verbindungslinien zum Historismus heraus, so die bereits im 18. Jahrhundert verfeinerte und von Ranke perfektionierte philologisch-kritische Methode sowie den Einfluss der Jurisprudenz auf die Geschichtsschreibung. „Die Aufklärungshistorie“, ist in einem eigenen Artikel in Reclams Lexikon Geschichtswissenschaft zu lesen, „hat die Bedeutung der Parteilichkeit für den historischen Erkenntnisprozess entdeckt und in einer ‘Sehe-Punckt’-Theorie (Johann Martin Chladenius) theoretisch begründet“ (7, S. 36). Ihre Aufnahme unter die „Hundert Grundbegriffe“ belegt zudem, dass nicht nur die dichotomische Gegenüberstellung mit dem Historismus keine Rolle mehr spielt, dass vielmehr die Historiografie der Aufklärungsepoche zu einem Gegenstand sui generis innerhalb der Geschichtswissenschaft geworden ist.
Aufklärung und Gegenaufklärung
„Zur Aufklärung gehörten immer auch ihre Gegner“, schrieb Rudolf Vierhaus, „immer auch ihre Trivialisierer und bloß räsonnierenden Mitläufer“ (63, S. 159). Dass die Aufklärung von Anbeginn Widerspruch auslöste, ist geradezu ein Gemeinplatz. Darrin McMahon hat in einer jüngsten Studie die Antiposition des französischen Klerus zur Aufklärung aufgezeigt, wie sie ihm symbolhaft Voltaires „Écrasez l’infâme“ verkörperte (400). Trotz ihrer weit weniger radikalen Position erfuhr auch die deutsche Aufklärung anfänglich vor allem religiös begründeten Widerstand, nämlich seitens der jeweiligen Orthodoxien. Aufklärungsgegnerschaft, wenngleich von Klerikern, etwa den Angehörigen des verbotenen Jesuitenordens, prononciert, war keine primär kirchliche Angelegenheit. Selbst einstige Anhänger wandten sich unter dem Eindruck ihrer Radikalisierung von einer nun von der „wahren“ unterschiedenen „falschen“, in die Revolution mündenden Aufklärung ab. Sehr früh hatte Franz Schnabel (194) das politische Potential dieser Aufklärungsgegnerschaft erkannt, die er als konstitutiv für die Ausprägung des konservativen Denkstils erachtete. Die Konfrontation mit der Aufklärung und nicht erst mit den Folgen der Französischen Revolution benannte auch Fritz Valjavec als Ursache für die Entstehung des Konservativismus, aber auch der übrigen politischen Strömungen. Valjavec (411), vor allem aber Isaiah Berlin (383) stehen freilich erst am Anfang der schließlich siebtens bearbeiteten „Kontroversen um die Gegenaufklärung“. Ein Problem stellt noch immer die fehlende begriffliche Trennschärfe dar. Sollte der Terminus „Gegenaufklärung“ allein auf politische Strömungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts Anwendung finden? Oder war er weiter im Sinne von antirationalistischer, esoterischer, heute wertend so bezeichneter pseudowissenschaftlicher Strömungen zu fassen? Robert Darnton sah im Mesmerismus, dem „animalischen Magnetismus“, die Schnittstelle zwischen den Antipoden Aufklärung und Gegenaufklärung (387). Ähnliches konnte Horst Möller auch für die Freimaurer konstatieren (401). Hier lag nicht nur der Berührungspunkt zwischen Illuminaten und Rosenkreuzern, hier trafen Geheimwissen und Arkanpraxis, der Willen zur Menschheitsbeglückung und Volksaufklärung aufeinander, Indizien der Widersprüchlichkeit der Epoche. Der britische Aufklärungshistoriker Roy Porter sah jedoch gerade in dieser Widersprüchlichkeit ein Element, das das 18. Jahrhundert den Menschen des 20. Jahrhunderts nahe bringe (48).
Ein letztes konzeptionelles Problem liegt in der Anlage als Kontroversdarstellung. Die Aufklärung insgesamt wie viele ihrer Aspekte waren bereits unter den Zeitgenossen umstritten. Erst recht avancierte sie nach 1789 zum Kampfbegriff, eine Polarisierung, die sich auch in der historiografischen Bearbeitung niederschlug. Die Wandlung zum weltanschaulichen Terminus erleichtert nun aber gerade nicht die Darstellung anhand einzelner Kontroversen. Besteht doch hier die Gefahr, zwei diametrale Positionen lediglich in thematischer Variation zu wiederholen, die sich letztlich auf den Gegensatz von „Modernisten“ und „Antimodernisten“, im Bereich der Geschichtswissenschaft auf den Streit zwischen Ereignis- und Strukturgeschichte reduzieren ließe. Mitunter ist die Erforschung längst über das Stadium der Kontroverse hinausgegangen, während sich bestimmte Aspekte als nie umstritten gar nicht in das polare Raster fügen lassen. Zielgruppe der Kontroversen um die Geschichte sind angehende Historiker, weshalb der Zuschnitt dieses Bandes trotz der Universalität des Themas primär historisch-politisch ist. Damit ist der im Zeitalter der Aufklärung so bedeutenden philosophischen Dimension ein marginaler, der nicht minder wichtigen Literatur und Literaturtheorie der Aufklärung kein Platz eingeräumt. Dass eine solche Schwerpunktsetzung mit gutem Grund angreifbar ist, ist evident, doch hatte bei der Konzeptionierung der Bedarf der Prüfungskandidaten im Fach Geschichte Vorrang.