Читать книгу Das Zeitalter der Aufklärung - Angela Borgstedt - Страница 13
a) Die Absolutismusdebatte und der Streit um die Vereinbarkeit von Aufklärung und Absolutismus
ОглавлениеBegriffsgeschichte des „aufgeklärten Absolutismus“
Der Forschungsentwicklung entsprechend ist zumindest in der deutschsprachigen Geschichtsschreibung die Frage nach der Tauglichkeit allgemein des ‘Absolutismus’ wie speziell des ‘aufgeklärten Absolutismus’ als Epochenbegriff wiederholt diskutiert worden. „Kaum ein anderer Begriff der modernen Geschichtswissenschaft ist seit seiner Einführung […] so oft zur Diskussion und in Frage gestellt worden wie der Terminus ‘aufgeklärter Absolutismus’“ (70, S. 223). Erst jüngst verteidigte Peter Baumgart in seiner Würzburger Abschiedsvorlesung beide Bezeichnungen als etablierte und berechtigte Leitbegriffe frühmoderner Staatlichkeit (84, S. 583) gegen das Verdikt einer „begrifflichen Fehlleistung der Historiografie“ (86, S. 104). Allein die Schärfe der zuletzt in der Historischen Zeitschrift respektive der Zeitschrift für Historische Forschung ausgetragenen, von Baumgart freilich als ‘scheinbar’ charakterisierten ‘Absolutismusdebatte’ illustriert die Grundsätzlichkeit einer nun nicht gerade neuen Auseinandersetzung.
Stufenmodell Wilhelm Roschers
Absolutismus wie aufgeklärter Absolutismus sind keine Begrifflichkeiten der Zeit. Wie Rudolf Vierhaus in seinem Lexikonartikel in Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft (80, Sp. 17) zeigt, war ersterer nicht vor Ende des 18. Jahrhunderts gebräuchlich. Peter Baumgart verweist zudem auf seine negative Konnotation als Kampfbegriff und perhorreszierter Zustand der liberalen Staatslehre des 19. Jahrhunderts (84, S. 581). Auch der ‘aufgeklärte Absolutismus’, dies stellen Befürworter wie Kritiker seiner Brauchbarkeit heraus (z. B. 85, 87, 130), ist ein Kunstbegriff des 19. Jahrhunderts. Er ist folglich „in den Quellen der Epoche, die er bezeichnen soll, […] nicht unmittelbar zu finden“ (130, S. 86). In die Historiografie hatte ihn der Nationalökonom Wilhelm Roscher eingeführt, der 1847 in einem Aufsatz Umrisse zur Naturlehre der drei Staatsformen und noch einmal 1874 in seiner Geschichte der National-Ökonomik in Deutschland ein dreistufiges Modell zur Periodisierung absolutistischer Herrschaft vorstellte. Er unterschied einen frühen konfessionellen Absolutismus zur Zeit Philipps II. von Spanien bis zur Regentschaft Kaiser Ferdinands II. („cuius regio, eius religio“), einen klassisch-höfischen Absolutismus, wie ihn Ludwig XIV. mit dem ihm zugeschrieben „l’état c’est moi“ verkörperte, und schließlich einen aufgeklärten Absolutismus, dessen Personifizierung Roscher in Friedrich II. als „erstem Diener des Staates“ sah. Sein Modell wollte Roscher dabei als Stufenfolge und die letzte als höchste Stufe und Steigerung des Absolutismus verstanden wissen, die den aufgeklärten Monarchen in seiner unumschränktesten Macht zeigte (92, S. 148).
„Aufgeklärter Despotismus“?
Roschers „aufgeklärter Absolutismus“ setzte sich zumindest bei deutschsprachigen Historikern gegen den älteren, auf den zeitgenössischen „Despotisme juste et éclairé“ oder „Despotisme légal“ von Diderot (um 1773) beziehungsweise Le Mercier de la Rivière (etwa 1766) zurückgehenden Terminus ‘aufgeklärter Despotismus’ durch (88, 92, 96, 97). Während englisch- und französischsprachige Kollegen den Despotismusbegriff noch immer deshalb bevorzugen, weil er den Abstand Süd-, Mittel- und Osteuropas zur konstitutionellen Realität Englands besonders herausstellt, scheint dieser manchem deutschen Historiker im „Jahrhundert der Diktaturen“ zu negativ besetzt, um ein Phänomen des 18. Jahrhunderts wertneutral zu kennzeichnen. Mit Einschränkungen gilt ihnen dies auch für den Terminus „Absolutismus“.
Roschers Begriff fand Eingang in die historischen Handbücher, habe aber, so Gottfried Niedhart, bald eine solche Fülle von Inhalten angenommen, „dass seine Verwendung als analytische Kategorie höchst fragwürdig geworden ist“ (100, S. 199). Seit dem Osloer Historikerkongress von 1928 und dem Vortrag von Michel Lhéritier stritten und streiten Historiker über Definitionen (87, S. 10, 102, S. 11) und bewerten mal das aufgeklärte, mal das absolutistische Moment höher (100, S. 199 f.). Wie schon für Otto Hintze ist für Walther Hubatsch oder Karl Otmar von Aretin der aufgeklärte Absolutismus die „Vorstufe unseres modernen Rechts- und Verfassungsstaates“. In Anlehnung an Fritz Hartungs These, der aufgeklärte Absolutismus sei eine „von der Philosophie, insbesondere der Staatslehre der Aufklärung stark beeinflusste Regierungsweise“, betonen sie die Differenz zum Absolutismus. Für eine sozialhistorische Forschungsrichtung ist die aufgeklärte Monarchie in Anlehnung an Roschers Modell die übersteigerte Form des Absolutismus. Günter Birtsch, Gottfried Niedhart, mit Einschränkung auch Volker Sellin sehen in ihr die „Strategie zur Wahrung des gesellschaftlichen und politischen Status quo“ (130, S. 87).
Vereinbarkeit von Aufklärung und Absolutismus?
Die auch von Aretin zugestandene fundamentale Zweideutigkeit des aufgeklärten Absolutismus kommt vielleicht am schönsten in Franz Schnabels Kennzeichnung als „Entzauberung der Monarchie von Gottes Gnaden“ (194, I, S. 51) zum Ausdruck. An sie lehnt sich Rudolf Vierhaus’ Interpretation als „späteste Erscheinungsform des Absolutismus“ an, „nicht die höchste und ausgeprägteste, denn theoretisch und auch schon praktisch wirkte er selber mit, das Ansehen der absoluten Monarchie zu erschüttern und sogar von oben her zu ‘revolutionieren’ (Joseph II.)“ (80). Die DDR-Historiografie hat diese Zweideutigkeit als Widerspruch von Unvereinbarem, von reaktionärem ‘Feudalabsolutismus’ und der als grundsätzlich ‘bürgerlich-emanzipatorisch’ definierten Aufklärung interpretiert und als Epochenbegriff grundsätzlich abgelehnt (40, S. 469).
Was heißt „aufgeklärter Absolutismus“?
Was verstanden und verstehen die Historiker unter ‘aufgeklärtem Absolutismus’? Fritz Hartung hatte seine zitierte Definition bereits in einem erstmals in der Historischen Zeitschrift veröffentlichten Aufsatz vorsichtig relativiert. Peter Baumgart wollte sie dennoch als letztlich plausibel akzeptiert wissen. Karl Otmar von Aretin formulierte ähnlich und bezeichnete in Anlehnung an Kant die „Maximen einer neuartigen Philosophie und ihrer Erkenntnis“ als Richtschnur aufgeklärt absolutistischen Handelns, mit dem Monarchen des 18. Jahrhunderts daran gingen „die Welt von Grund auf zu wandeln“ (83). Die Lücke zwischen so definiertem „Programm“ und der Herrschaftspraxis aufgeklärter Despoten wertete er folgerichtig als „System der Widersprüche“. Doch war, so fragte Volker Sellin (130, S. 85), die wie auch immer gefasste Staatslehre der Aufklärung tatsächlich jemals Programm, Handlungsmaxime eines Regenten wie Friedrich II., Joseph II., Markgraf Karl Friedrich von Baden, Katharina II. von Russland, von Ministern wie Haugwitz, Kaunitz oder selbst des Physiokraten Turgot? Suggeriert der Begriff „aufgeklärter Absolutismus“ nicht vielmehr eine „Verschmelzung von Aufklärung und Absolutismus, die vielleicht von keinem der so genannten aufgeklärten Fürsten jemals auch nur annäherungsweise ernsthaft gewollt, sondern allenfalls auf sehr begrenzten Gebieten vereinzelt angestrebt wurde“ (130, S. 85)? Nur dann könne ernsthaft von einer aufgeklärten Regierung gesprochen werden, wenn ihre Handlungen als aufgeklärte gewollt waren (130, S. 90). Seine eigene Analyse der aufgeklärt absolutistischen Herrschaft Friedrichs II. kommt ähnlich wie Günter Birtschs idealtypischer Vergleich des Preußenkönigs mit Joseph II. und Karl Friedrich von Baden zu dem Schluss, dass wohl allein ersterer diesem Anspruch nahe käme. Friedrichs II. autokratischen Herrschaftsstil, der „wenig vom Idealbild des einem ineinander greifenden Räderwerk gleichenden Aufklärungsstaats übrig lässt“, sah aber nicht erst Gottfried Niedhart (100, S. 209) als eigentlich genuin absolutistisch.
Alternativbegriff: Reformabsolutismus
Die Probleme einer Periodisierung des „aufgeklärt-absolutistischen Zeitalters“ sind mit denen der einleitend beschriebenen Datierung der Aufklärungsepoche verwoben und müssen an dieser Stelle nicht vertieft werden. Enge Epochengrenzen setzte Peter Baumgart, der den aufgeklärten Absolutismus im Wesentlichen auf die Regierungszeit Friedrichs II. begrenzte. Hingegen fassten Birtsch und Sellin den zeitlichen Rahmen deutlich weiter. Bereits 1976 zog Volker Sellin die Kontinuitätslinien in die Regierungszeit früherer Hohenzollern wie Friedrich Wilhelm I., ja sogar des Großen Kurfürsten oder anderer deutscher Monarchen des 17. Jahrhunderts wie Karl Ludwig von der Pfalz (130, S. 103). Günter Birtsch (87, S. 11) verwies auf die Schwierigkeit einer Typisierung des vorfriderizianischen Preußen als aufgeklärt, subsumierte jedoch Friedrich Wilhelm I. unter einen modifizierend „pragmatisch“ genannten „(Proto)-Reformabsolutismus“. Reformabsolutistische Kontinuitäten der nachfriderizianischen Zeit sah Birtsch (87, S. 109) hingegen in Einzelmaßnahmen des eigentlich gegenaufklärerischen Strömungen zuneigenden Friedrich Wilhelm II., etwa in der Sanktionierung des Allgemeinen preußischen Landrechts 1794.
Problematisch erscheint die Epochenbezeichnung des aufgeklärten Absolutismus schließlich hinsichtlich ihrer Generalisierbarkeit. Keiner der beiden Termini taugt zur Darstellung der staatsrechtlichen Realität im England oder Polen des 17. und 18. Jahrhunderts (95, S. 287). Weder lassen sich die absolutistischen Tendenzen der Stuartdynastie ernsthaft mit dem gleichen Begriff belegen wie die Herrschaftspraxis im Frankreich Ludwigs XIV., noch lässt sich die konstitutionelle Monarchie nach 1689 in „aufgeklärt absolutistische“ Zusammenhänge pressen. Schweden erlebte im ausgehenden 17. Jahrhundert eine allerdings kurze absolutistische Phase, unter Gustav III. Ende des 18. Jahrhunderts eine Blüte des aufgeklärten Absolutismus. Von einem aufgeklärt-absolutistischen Frankreich ist ernsthaft nie die Rede gewesen, die kurzfristigen, vor allem finanzpolitischen Reformversuche unter dem physiokratischen Minister Turgot dienen weit mehr der Illustration des Scheiterns jenes letztlich mitteleuropäischen Phänomens (130, S. 102). Günter Birtsch deutete den „aufgeklärten Absolutismus“ gar als einen streng genommen einzig auf das Preußen Friedrichs II. gemünzten und deshalb nicht generalisierbaren Begriff (87, S. 46). Exzeptionell sei der Preußenkönig, weshalb Kant in seinem berühmten Aufsatz „Was ist Aufklärung?“ vom ‘Jahrhundert Friedrichs’ und eben nicht vom ‘Jahrhundert der Aufklärung’ geschrieben habe.
Alternativbegriff: Barock
Wie für den übergeordneten Epochenbegriff so sind auch für den aufgeklärten Absolutismus begriffliche Alternativen diskutiert worden. Einer strukturgeschichtlichen Geschichtsschreibung scheint der kürzlich erneut von Heinz Duchhardt vorgeschlagene Ersatz des Absolutismus durch den aus Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft entlehnten Barockbegriff die metapolitische Ebene der Zeit besser zu fassen. „‘Barock’ hätte den Vorteil, die herrschaftsbezogene Sicht […] aufzuheben, hätte den Vorteil, von Nachbardisziplinen der Geschichtswissenschaft weitgehend akzeptiert worden zu sein, hätte den Vorteil, als primär kultur- und sozialgeschichtliche Kategorie […] zu einer ganzheitlichen Sicht der Epoche verhelfen zu können“ (88, S. 120). Gerade die Übernahme des Alternativvorschlags aus Kunst, Musik und Literatur, der sich nicht einmal hier stringent als Epochenbezeichnung, geschweige denn zur Charakterisierung der Staatsverfassung des 17. Jahrhunderts eignet, wurde von Historikern wie Peter Baumgart entschieden abgelehnt. Nicht anders erging es den Ersatzvorschlägen ‘Reformabsolutismus’ (Birtsch) oder „vollentwickelter Absolutismus“ (Hartmut Lehmann). Wollte Günter Birtsch mit seinem Vorschlag auf Kontinuitäten zwischen „pragmatischen“ und „aufgeklärten“ Reformern (Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., Maria Theresia und Joseph II.), aber auch auf die „Brechung und Instrumentalisierung aufgeklärter Impulse durch die Wirklichkeit der Staats- und Gesellschaftsverfassung“ (86, S. 109) verweisen, so sahen seine Kritiker in diesem wie dem Ersatzbegriff Lehmanns keinen spezifischen Bezug zur Herrschaftsrealität des 18. Jahrhunderts. „Insbesondere“, resümierte Peter Baumgart, „führt der weite und vage Leitbegriff ‘Reformabsolutismus’ nicht weiter, der kein Spezifikum des späteren 18. Jahrhunderts war“ (84, S. 589). „Wo liegen die Kriterien für spezifische Reformen des Aufgeklärten Absolutismus?“ fragte jüngst auch Helmut Reinalter. „Birtsch hat sie jedenfalls nicht entwickelt“ (102, S. 18). Letztlich mag Baumgarts Prognose für den Ausgang der Kontroverse zutreffend sein, weil die schon wiederholt zur Disposition gestellten Epochenbegriffe eben mehr als nur zählebig sind (103, S. 1). Der als „griffig“ und auf den ersten Blick „einleuchtend“ (86, S. 107) etablierte aufgeklärte Absolutismus wird sich wohl behaupten, nicht nur, weil auch die Alternativvorschläge nicht wirklich überzeugen.