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ОглавлениеAngela Hoptich
Die drei Weisen – I
– Von Babylon bis Wunder –
Abend fiel herab auf die Wüste. Man konnte die Nacht bereits riechen, die sich langsam wie ein kühlendes Laken auf den Sand legte, der noch die letzte Hitze des Tages abstrahlte. Eine Karawane verließ die Oase. Man hatte beschlossen, nachts weiter zu reisen, da die Sonne am Tag unerträglich heiß auf die Wüste herunterbrannte.
Im Kamelsgalopp überholte ein berittenes Trampeltier die Karawane und setzte sich neben zwei Pferde an die Spitze.
„Hallöchen, ihr beiden Hübschen. Mann, bin ich froh, dass wir ab jetzt gemeinsam reisen. Findet ihr nicht auch? Endlich hat man mal jemand zum Reden.“ sagte das Trampeltier.
„Eh-he.“ Der Hengst neben ihm war wenig gesprächig.
„Wie hat euch Babylon gefallen? Huh – ich hab ja schon so viel davon gehört... der Pfuhl der sieben Todsünden, blablabla. Also, ich muss sagen, ich fand es toll. So lebendig und bunt, eine Stadt nach meinem Geschmack. Da treffen sich buchstäblich Gott und die Welt. Seht uns an. In keiner anderen Stadt hätten unsere Herren so einfach zusammengefunden. Drei Weise aus drei Ländern, und alle mit der gleichen Berufung und dem gleichen Ziel. Ist das nicht ein Zufall? Ihr könnt es auch Wunder nennen.“
„Eh-he.“
„Ach ja, ich bin übrigens Jamal. Wie darf ich euch beide denn nennen?“
Die schwarzweiße Schecke, die neben ihm ging, war angetan von der eloquenten Gesellschaft und sagte:
„Delilah. Mein Name ist Delilah. Sehr erfreut, Jamal. Du scheinst mir ein interessanter Reisegefährte zu sein.“
Der schwarze Araberhengst war anderer Ansicht. Er sah Jamal abschätzig an und ließ sich dann zu einer knappen Antwort herab: „Azzil.“
Mit arrogantem Schnauben zog er eine Halslänge voraus. Jamal störte das nicht. Die kleine Stute fand er auf den ersten Blick unterhaltsamer und weniger voreingenommen als den hochnäsigen Schnösel. Delilah hatte keinen Blick für Azzil übrig, sondern widmete ihre Aufmerksamkeit dem zweihöckrigen Gesellen. Sie meinte:
„Ich fand Babylon auch großartig. Hast du den legendären Babel-Turm gesehen? Er soll über 90 Meter hoch sein, und ebenso lang und breit. Je höher, desto besser, sagt man, denn dann ist man den Göttern näher. Und nicht nur das, auch den Sternen. Alles dreht sich doch immer um Götter und Sterne.“ Sie sah hinauf in den Nachthimmel, wo inzwischen Millionen kleiner leuchtender Punkte die Dunkelheit erhellten.
„Naja, sieh es doch mal so: Die wichtigste Aufgabe der Priester und Gelehrten ist es, vorauszusagen, wann und wie hoch die Überschwemmungen der Flüsse sind. Davon hängt das Überleben ganzer Völker ab. Ob Nil, ob Indus, Ganges, oder Jordan, egal – alle Welt wartet auf die Wassermassen, die das Land fruchtbar machen. Und die Astronomen und Astrologen scheinen das in den Sternen lesen zu können. Ich muss sagen: Hut ab vor den Gelehrten. Für mich sind Sterne nur schöne, funkelnde Diamanten am Firmament.“ Delilah lachte.
Jamal war höchst angetan von ihrer wohlklingenden Stimme.
„Deshalb haben sie den Turm auch so hoch gebaut. Um besser und mehr sehen zu können als alle anderen. Für die Durchschnittsbevölkerung ist betreten verboten. Zugang nur für Götter und Gelehrte. Allerdings sieht der Turm ein wenig mitgenommen aus, findest du nicht?“
„Naja, das Ding hat mehr als 5.000 Jahre auf dem Buckel, sagt man.“ warf Jamal ein. „Zum Sternegucken wird es wohl noch reichen. Hast du auch gehört, dass ganz oben ein gemütliches Ruhebett stehen soll, doch kein Mann darf die Nacht dort verbringen? Man munkelt, dass der Reichsgott Marduk sich eine Priesterin auserwählt und zum Neujahrsfest dort mit ihr die Heilige Hochzeit feiert, als Symbol der Erneuerung und für die Fruchtbarkeit des Landes.“
„Huh, das hört sich wollüstig an. Ach, ich liebe eine gute Gerüchteküche.“ Die Stute klimperte mit den Wimpern und wieherte erfreut.
„Ja, genau. Klatsch und Tratsch ist doch das einzige, was eine lange Karawanentour aufregend macht. Immer nur Sand und Dünen? Das ist zu langweilig. So, Delilah, jetzt erzähl doch mal, wo kommst du her? Wer ist dein Herr?“
Delilah, erfreut über die Aufmerksamkeit, plauderte sogleich ohne Punkt und Komma los: „Aber gern! Also, wir weilten bereits geraume Zeit in Babylon, bevor wir uns dieser Karawane anschlossen. Ursprünglich kommen wir aus Vorderindien. Ich kann dir sagen, wir waren wirklich, wirklich lange unterwegs. Mein Herr Balthasar, hatte schon viel von Babylon gehört. Es soll einmal die Weltstadt schlechthin gewesen sein. Nabel der Hochzivilisation, sagt man bei uns in Indien. Und Zentrum der Geheimwissenschaften Astronomie und Astrologie. Balthasar war sehr begierig, andere Gelehrte kennenzulernen und Neues zu erfahren. Es gibt ja wohl nur eine Handvoll Männer, die sich auf diesem Gebiet auskennen.“ Sie schnaubte.
„Als wir dann endlich in Babylon ankamen, riefen die Bewohner magoi, magoi und zeigten mit Fingern auf uns. Weil wir so anders aussahen als sie.“
„Ja, ja, das haben sie uns auch zugerufen!“ bestätigte Jamal aufgeregt. Jamal kaute heftig auf dem Zweig herum, den er seit der Oase wie einen Kaugummi bearbeitete.
Azzil, der inzwischen eine ganze Länge vor ihnen trabte, wieherte laut. Er hatte eindeutig dem Gespräch gelauscht, war sich aber zu fein, um daran teilzunehmen. Sein Schweif schlug wie ein Fliegenwedel vor ihnen hin und her. Delilah fuhr fort:
„Zuerst wussten wir nicht, was sie meinten – das Sprachgewirr der vielen Völker in dieser großen Stadt war wirklich beeindruckend –, dann klärte uns ein anderer Reisender auf: Magoi nennen sie jeden, den sie für schlauer halten als sich selbst. Es bedeutet so etwas wie Zauberer und kommt aus dem Griechischen. Es bezeichnet eine hohe Priesterkaste. Im weitesten Sinne ist mein Herr Balthasar tatsächlich ein Zauberer: er ist ein Seher und vor allem ein Atharva-Priester, ein hinduistischer Astrologe. Jahr um Tag beobachtet er die Sterne. Sein Hals ist schon ganz krumm vom Himmelgucken. Dann plötzlich, eines Nachts, packte er seine Sachen und, ehe ich wusste, was geschah, ging die Reise los. Balthasar sprach von einem großen Wunder und davon, dass er entschlossen sei, dem auf die Spur zu kommen.“
Stolz schüttelte sie ihre Mähne und blickte mit Hochachtung auf ihren Reiter. Es war ein kleiner Mann mit goldenem Teint und einem purpurrotem Turban auf dem schwarzen Haar. Die Hälfte seines Gesichtes lag unter einem langen, dunklen Bart verborgen. Seine kleinen Vogelaugen bewegen sich flink über den Sternenhimmel, als suche er nach etwas. Sein Nacken machte tatsächlich einen Bogen nach hinten. Er hatte sich ein Polster an den Kragen seines Umhangs angenäht, um den Kopf darauf abzulegen, wenn er gen Himmel sah.
„Was für ein Wunder meint er denn? Es gibt so viele Wunder auf der Welt.“
Delilah schüttelte die hübsche Mähne und wieherte lachend.
„Nein, nein, da irrst du dich gewaltig. Wunder sind etwas ganz Seltenes. Was du meinst, sind die natürlichen Ereignisse, die man im Rahmen des aktuellen Wissensstandes nicht für erklärbar oder gar möglich hält. Aber echte Wunder sind göttliche, übernatürliche Geschehnisse.“
Und die Karawane zieht weiter...