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Kapitel 2 Dianas zweiter Sohn

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Samstag, der 15. September 1984 lag noch im warmen, nebligen Morgendämmer, als Diana vom Schmerz der ersten Wehen geweckt wurde. Kurz darauf verließen sie, Prinz Charles und ein stets präsenter Leibwächter Windsor Castle in Richtung London. Das Paar kam um 7.30 Uhr in der Privatstation Lindo Wing des St Mary’s Hospital in Paddington an und wurde in demselben spartanischen Zimmer für 140 Pfund pro Nacht einquartiert, in dem Diana zwei Jahre zuvor Prinz William, ihren ersten Sohn und den Thronfolger, zur Welt gebracht hatte. Das Fenster bot einen trostlosen Ausblick auf den Bahnhof Paddington.

Die Prinzessin von Wales hatte sich dem verweigert, was Generationen von Königsmüttern hingenommen hatten: eine Geburt im Palast. Jahrhundertelang war es Brauch, dass der Innenminister als Mitglied des Kabinetts bei den Geburten zugegen war, um sicherzustellen, dass das Neugeborene auch tatsächlich ein Nachkomme des Königs war und nicht etwa ein Kuckuckskind.

Nachdem Prinz Charles 1948 im Buckingham Palace zur Welt gekommen war, wurde diese Praxis nicht weiter fortgesetzt. Diana befolgte den Rat von Mr. George Pinker, damals der Gynäkologe der Queen und Chefarzt am St Mary’s. Er war der Auffassung, dass man bei der Geburt keinerlei Risiko eingehen solle und das Krankenhaus der beste Ort für Mutter und Kind sei.

Charles wurde zunächst gebeten, einen Krankenhauskittel überzuziehen. Er blieb während der neunstündigen Geburt bei seiner Frau und fütterte sie gelegentlich mit Eiswürfeln. Seine Entscheidung, bei Williams Geburt dabei zu sein, war ebenfalls ein bedeutender Bruch mit dem königlichen Protokoll gewesen und machte den neugeborenen Prinzen zum ersten Nachkommen eines Thronfolgers, der bei der Geburt zugegen war. Dies stand in deutlichem Gegensatz zu Charles’ eigener Geburt. Sein Vater, Prinz Philip, spielte mit einem Freund eine Runde Squash, während die Queen den Geburtsprozess durchlief, und verließ den Court erst, als ihm mitgeteilt wurde, dass sein Sohn auf der Welt war. Ein Palastbediensteter sagte damals: „Es ist an sich Tradition, dass royale Väter mit ihren Freunden Portwein trinken, während sie auf gute Nachricht warten.“

Prinz Charles hatte da andere Vorstellungen. Er sagte zu einem Freund: „Ich bin schließlich der Vater, und nachdem ich das Ganze ins Rollen gebracht habe, will ich auch dabei sein, wenn alles passiert.“

Diana war vor Williams Geburt sehr krank gewesen, was nur teilweise mit der Schwangerschaft zu tun hatte. Sie litt an Bulimie, einer Essstörung, bei der Betroffene übermäßig viel essen und sich anschließend absichtlich erbrechen. Obwohl sie immer noch bulimisch war, war ihre morgendliche Übelkeit bei der zweiten Schwangerschaft weniger intensiv ausgeprägt.

Harry wurde um 16.20 Uhr geboren und wog 3120 Gramm, etwas weniger als William, der 3220 Gramm gewogen hatte. Man vermutete, dass er eine Woche zu früh zur Welt gekommen war, was der Buckingham Palace weder bestätigte noch dementierte. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Charles und Diana sich zum erwarteten Geburtstermin eher im Kensington Palace als in Windsor Castle aufgehalten hätten.

Seine Mutter entschied über den Namen. „Ich wählte die Namen William und Henry, weil die Alternativen Arthur und Albert gelautet hätten“, erklärte sie. „Nein, danke. Es wurde nicht darüber gestritten. Es war ein Fait accompli.“

Unmittelbar nach der Ankunft des königlichen Babys benachrichtigte Prinz Charles über ein eigens auf ihrem Zimmer installiertes Telefon die Queen. Ihre Majestät hielt sich mit der Königinmutter in Balmoral auf, dem schottischen Landsitz der Königsfamilie, auf dem sie traditionellerweise ihren Sommerurlaub verbringt. Danach rief Charles Dianas Vater an, Lord Spencer, der auf Althorp Estate weilte, seinem Domizil in Northamptonshire. Er war hocherfreut und ordnete sogleich an, dass der Union Jack auf dem Dach durch die Spencer-Flagge in Rot, Gelb und Schwarz ersetzt wurde.

Anschließend trat er aufgeregt aus der Tür und erzählte jedem Besucher: „Wir haben einen Jungen bekommen. Diana hat ihren zweiten Sohn geboren. Sie ist wohlauf und das Baby auch. Ich freue mich so, besonders für Prinz William. Er wird begeistert sein. Es wird schön für ihn sein, einen Gefährten zu haben, zum Spielen und zum Streiten. Es ist wunderbar, zwei Jungs zu haben. Ich hoffe, er wird eines Tages Cricket für Gloucestershire spielen. Er ist ein glücklicher kleiner Junge, denn er hat wundervolle Eltern. Er wird einen sehr guten Start ins Leben haben.“ Dann seufzte er. „Ich bin so erleichtert, dass alles gut gegangen ist, ohne Komplikationen.“ Diana hingegen war besorgt, denn sie wusste, dass Charles lieber eine Tochter gehabt hätte. Sie erzählte dem Autor Andrew Morton während seiner Recherche zu dem 1992 erschienenen internationalen Bestseller Diana: Ihre wahre Geschichte, sie habe in der Schwangerschaft auf einem Ultraschallbild gesehen, dass sie einen Jungen erwartete, dies ihrem Mann aber verschwiegen aus Angst, er könnte enttäuscht von ihr sein. Der Stress, den es bedeutet haben muss, eine solche Information monatelang geheim zu halten, sagt viel über ihre bröckelnde, dysfunktionale Beziehung aus. Die „Diana Tapes“, Aufnahmen, die über einige ihrer intimsten Gefühle während jener Zeit Auskunft geben, wurden im Juni 2017 anlässlich des 25. Jahrestages des Erscheinens von Mortons Buch veröffentlicht. „Charles wollte immer ein Mädchen“, sagt sie in einem der Mitschnitte. Als er das Baby das erste Mal sah, habe er gerufen: „Oh Gott, es ist ein Junge … und er hat auch noch rote Haare!“

Diese Darstellung der Dinge darf angezweifelt werden. Zwei Monate nach Harrys Geburt gab Prinz Charles eines seiner seltenen Interviews im amerikanischen Fernsehen und beschrieb Harry als „absolut bezaubernd“. Er fügte hinzu: „Es ist interessant mit dem zweiten Kind. Sehr oft – und viele Menschen haben mir das gesagt – ist man als Eltern mit dem Zweiten viel entspannter und deswegen in der Lage, dem Kind eine Atmosphäre größerer Gelassenheit zu vermitteln.“ Als Beweis seiner Theorie führte er an, Harry sei „außerordentlich brav, schläft hervorragend und isst sehr gut“. Dennoch verletzte seine angebliche Reaktion die junge Mutter zutiefst. „Innerlich riegelte ich mich ab“, sagte Diana zu Morton. „Damals wusste ich, dass Charles zu seiner Lady [Camilla Parker Bowles] zurückgekehrt war, aber irgendwie war es uns gelungen, Harry zu bekommen.“

Diana beschrieb die Zeit zwischen den Geburten ihrer beiden Söhne als „totale Dunkelheit. Ich kann mich nicht an viel erinnern. Ich habe es ausgelöscht. Es war eine schmerzhafte Zeit. Harry erschien wie durch ein Wunder. Charles und ich waren einander in den sechs Wochen vor seiner Geburt sehr nah, näher, als wir einander jemals waren und jemals wieder sein werden. Dann, als Harry geboren wurde, ging plötzlich etwas kaputt in unserer Ehe. Das Ganze ging den Bach runter.“ Sie sagte, Charles habe ihr das Gefühl gegeben, „in jeder Hinsicht“ ungenügend zu sein. Sie war froh um Harry, denn durch ihn bekam sie zum zweiten Mal die Chance, bedingungslos geliebt zu werden.

Vor dem Krankenhaus hatten sich mit der Weltpresse rund 300 geduldige und treue Fans des Königshauses versammelt, die jubelten, als ihnen die gute Nachricht überbracht wurde. Anlässlich der Geburt wurden 41 Salutschüsse vom Hyde Park und vom Tower of London abgefeuert. Am nächsten Tag erklang ein feierliches dreistündiges Glockengeläut von der Pfarrkirche St Mary’s in Tetbury, Gloucestershire, nahe Highgrove House, dem Landsitz von Charles und Diana, den Prinz Charles 1980 erworben hatte. Auch in der Kirche des königlichen Anwesens in Sandringham, Norfolk, dem Geburtsort von Prinzessin Diana, läuteten die Glocken. Premierministerin Margaret Thatcher, die das Wochenende in Chequers verbrachte, sandte dem Paar ihre Glückwünsche.

Baby Harry stand an dritter Stelle der Thronfolge und war das vierte Enkelkind der Queen, aber das war für sie kein Grund, ihre Pläne zu ändern. Sie wurde erst am Freitag der folgenden Woche in London zurückerwartet, kurz vor ihrer offiziellen Reise nach Kanada.

Am Tag nach Harrys Geburt besuchten sie, Prinz Philip, die Königinmutter und Prinz Edward jedoch einen Gottesdienst in der Crathie Kirk nahe Balmoral, wo ein Gebet für das Neugeborene abgehalten wurde. Wegen anderweitiger Verpflichtungen in Japan und der Schweiz sah Prinz Philip seinen Enkel erst im Alter von fast vier Wochen zum ersten Mal, als er Highgrove House einen kurzen Besuch abstattete. Damals munkelte man, sein mangelndes Interesse am jüngsten Spross der Königsfamilie habe bereits eine Kluft zwischen ihm und Prinz Charles verursacht.

Die offizielle Bekanntgabe der Geburt von Prinz Henry Charles Albert David wurde um 17.55 Uhr am Tor des Buckingham Palace ausgehängt und erntete großen Applaus. Auch am Tor von Balmoral wurde eine offizielle Mitteilung platziert. Ein Sprecher des Königshauses gab bekannt, das Baby solle zwar auf den Namen „Henry“ getauft, aber „Harry“ genannt werden. Prinz Charles sagte später, Harry sei als Kind nur dann mit Henry angesprochen worden, wenn er „sehr, sehr unartig“ war.

Zwei Stunden nach der Geburt trat Charles mit einem breiten Lächeln durch die Krankenhaustür. Er schüttelte die Hände der Gratulanten, die tapfer hinter der Absperrung ausgeharrt hatten, und verkündete: „Meiner Frau geht es sehr gut. Die Geburt hätte nicht besser verlaufen können. Es ging dieses Mal viel schneller.“ Er fügte hinzu, die Geburt sei eine „wunderbare Erfahrung“ gewesen. Dann fur er nach Hause in den Kensington Palace.

Um 9 Uhr am nächsten Morgen kehrte er mit Prinz William und dessen Nanny Barbara Barnes zurück. William trug rote Shorts, ein weißes, mit roten Stickereien verziertes Hemd und kurze weiße Socken. An der Hand seines Vaters erklomm er voller Begeisterung die Stufen zum Krankenhaus. Die etwa 1000 jubelnden Zuschauer blieben mit der Frage zurück, ob er sich wohl mehr darauf freute, seine Mutter zu sehen oder seinen kleinen Bruder. Diana wusste, dass William auf dem Weg zu ihr war, steckte den Kopf aus der Tür und rief seinen Namen. William warf sich ihr in die Arme. Diana erlaubte ihm dann, die Hand seines kleinen Bruders zu halten. Die Familie verbrachte ein wenig ungestörte Zeit miteinander, bevor die Nanny den Raum betrat, der bereits voller Blumensträuße von der Familie und Freunden war. Sie schaute sich ihren neuen Schützling genau an, und um 10 Uhr verließ sie mit William das Krankenhaus. Sie hielt ihn an der Hand, während er die schwierige Aufgabe meisterte, der Menge zuzuwinken und gleichzeitig die Krankenhausstufen hinunterzugehen, bevor er in den bereitstehenden Daimler kletterte, um zum Kensington Palace zurückzukehren.

Diana und Charles hatten sich über die Erziehung ihrer Kinder auseinandergesetzt. Charles wollte seine ehemalige Nanny Mabel Anderson engagieren, an der er sehr gehangen hatte. Diana hielt Mabel für zu alt und zu traditionell. Stattdessen hatte sie Barbara Barnes ausgewählt, die Tochter eines Försters, obwohl sie beinahe doppelt so alt war wie Diana. Sie pflegte einen liebevollen, entspannten Umgang mit ihren Schützlingen und umarmte sie häufig. Barbara hatte keine formelle Ausbildung als Kindermädchen und weigerte sich, eine Uniform zu tragen, aber sie hatte jahrelange Erfahrung und die besten Referenzen. Es dauerte nicht lange, bis der moderne Ansatz, den Diana anfangs noch für ideal gehalten hatte, für Unmut bei ihr sorgte.

Charles verließ das Krankenhaus um 12.35 Uhr zum Mittagessen und kehrte um 14.27 Uhr zurück. Vier Minuten darauf erschienen er und Diana, die ihren neugeborenen Sohn in den Armen hielt, auf den Stufen zum Krankenhaus. Die Zuschauer wedelten begeistert die Nationalflagge und jubelten. Sie wurden jedoch nicht mit dem Anblick von Harrys Köpfchen belohnt, denn er war zum Schutz vor der kühlen Herbstluft in eine Spitzendecke gehüllt. Mehrere lächelnde Krankenschwestern schauten aus den Fenstern der oberen Stockwerke und versuchten, einen Blick auf das royale Dreiergespann zu erhaschen. Diana trug einen scharlachroten, wadenlangen Mantel mit breiten Schulterpolstern und Schuhe in der gleichen Farbe mit niedrigem Absatz. Mit ihrem bauschig gebürsteten Haar sah sie so frisch und glamourös aus wie ein Star aus der US-amerikanischen Fernsehserie Der Denver-Clan, die damals sehr erfolgreich im britischen Fernsehen lief.

Auf den Stufen stehend wandte sie sich ihrem Mann zu, der Ausdruck auf ihrem Gesicht zeigte eine Mischung aus Liebe, Verletzlichkeit und Verlangen. Charles jedoch stand mit den Händen hinter dem Rücken da, eine Haltung, die man bereits von Prinz Philip kannte, und erwiderte den Blick seiner Frau nicht. Selbst an diesem Freudentag schien das Paar seine Differenzen nicht verbergen zu können. Diana nahm auf der Rückbank des blauen Daimler Platz und wurde mit Harry im Arm zum Kensington Palace gefahren. Die Zeiten haben sich geändert. Als die Duchess of Cambridge St Mary’s 2013 mit ihrem Baby Prinz George verließ, stand für ihn eine sicherheitsgeprüfte Babyschale bereit.

Anne Wallace, eine Krankenschwester, die Diana schon nach Williams Geburt zur Seite gestanden hatte, wartete im Kensington Palace. Sie war für die ersten fünf Wochen in Harrys Leben engagiert worden, um Diana zu helfen und die tägliche Entwicklung des Babys zu überwachen. Prinz Charles blieb nicht lange. Er wurde zum Smith’s Lawn in Windsor gefahren, um für das Team von Windsor Park Polo zu spielen. Dort vertraute er dem Platzwart an: „William war mit dem Baby gleich ganz in seinem Element. Es ist ein unbezahlbarer Anblick, wie viel Freude ihm das Baby macht. Ständig klettert er zu ihm ins Bettchen.“ Eine Zuschauerin äußerte sich kritisch über seine Anwesenheit. „Er sollte bei seiner Frau sein“, sagte sie. „Warum muss er jetzt Polo spielen?“ Die Antwort ihres Gatten lautete: „Er hat seinen Teil getan.“ Ein Teenager stellte Prinz Charles eine Frage, die vielen Zuschauern durch den Kopf ging: „Was hält Prinzessin Diana davon, dass Sie heute Polo spielen?“ Charles lachte und sagte: „Oh, das macht ihr nichts aus.“ Nach dem Spiel wurde spontan mit Champagner auf Harrys Geburt angestoßen, äußerst unköniglich kamen hierfür Plastikbecher aus dem Kofferraum eines Land Rover zum Einsatz.

Zu den ersten Besuchern des neugeborenen Prinzen zählten Prinz Andrew, Lady Sarah Armstrong-Jones sowie Dianas Vater mit seiner zweiten Frau Raine, geborene McCorquodale, der quirligen, extravaganten Tochter der Romanautorin Barbara Cartland. Sie tauchten nach einer Stunde wieder auf und verkündeten mit einem breiten Lächeln: „Das Baby ist ganz entzückend!“ Als Harry zehn Tage alt war, brach die Familie nach Highgrove auf, wo sie Hunderte Glückwunschkarten, Blumensträuße und Geschenke erwarteten. Einige Wochen später unternahmen sie auch einen Wochenendausflug zu den Großeltern in Althorp.

Diana war völlig in Harry vernarrt und stillte ihn elf Wochen lang, acht Wochen länger als William. Sie war als Mutter keine Anfängerin mehr, ging sicherer mit dem Baby um und verstand es, ihm ihre Liebe zu zeigen. Von Anfang an war ihr äußerst bewusst, dass die Wege ihrer zwei Söhne sich sehr voneinander unterscheiden würden. William würde einmal König werden, und sein Leben war stark darauf ausgerichtet. Harry konnte experimentieren und seinen eigenen Weg finden. Sie liebte beide Kinder gleichermaßen und war sich mit Prinz Charles darüber einig, dass Harry nie das Gefühl haben sollte, an zweiter Stelle zu stehen.

Der Altersabstand zwischen den beiden betrug 27 Monate, und William, ein freimütiges, ungestümes Kind, war wie viele Erstgeborene mächtig verärgert, dass ein Neuankömmling in sein Hoheitsgebiet eindrang. Er zeigte sein Missfallen anfangs, indem er brüllte, mit den Füßen stampfte und mit dem Essen um sich warf, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Er ließ seinen Ärger jedoch nicht an Harry aus. Stattdessen zeigte er sich instinktiv beschützerisch und wachsam seinem kleinen Bruder gegenüber, der anfangs ein leises, sanftmütiges Baby war – Eigenschaften, die sich bald verlieren sollten.

Diana war stolz darauf, wie liebevoll William mit seinem Bruder umging. Am 20. September 1984, nur fünf Tage nach Harrys Geburt, schrieb sie an Cyril Dickman, einen Butler, der über 50 Jahre lang im Buckingham Palace gearbeitet hatte. Der Brief gelangte im Dezember 2016 an die Öffentlichkeit und zeigt, wie vernarrt William in Harry war. Sie schrieb: „William betet seinen kleinen Bruder an und verbringt die gesamte Zeit damit, Harry mit einem endlosen Vorrat an Umarmungen und Küssen zu versorgen, er lässt die Eltern kaum an ihn heran!“ Sie fügte hinzu, sie und Prinz Charles seien „völlig überwältigt von der Reaktion auf Harrys Geburt“, und dass sie „unter der Masse an Blumen“ schier erstickten. Diana lobte sogar Charles’ Haltung gegenüber Harry. „Charles liebt das Babyalter“, schrieb sie, „und konnte es kaum erwarten, wieder das Fläschchen zu wärmen und all das.“

Tatsache war, dass Diana nun ihre Pflicht getan hatte. Sie hatte die Zukunft der Monarchie zügig und erfolgreich gesichert, indem sie sowohl einen Thronerben als auch einen Reservisten bereitgestellt hatte. Aber verständlicherweise hasste sie es, wenn Harry als „Ersatz“ bezeichnet wurde. Ihr ausgeprägter Mutterinstinkt und angeborener Sinn für Gerechtigkeit führten zu der Entscheidung, dass die Prinzen gleich behandelt werden und beide Platz im Rampenlicht haben sollten. „Auf die königlichen Erstgeborenen fällt vielleicht mehr Ruhm ab“, sagte sie. „Aber die Zweitgeborenen genießen größere Freiheit. Harry wird später schon noch begreifen, wie froh er sein kann, nicht der Ältere zu sein.“ Sie sorgte dafür, dass ihre Söhne so oft wie möglich gemeinsam fotografiert wurden. Dies war ein weiterer der wenigen Punkte, in denen sie und Prinz Charles übereinstimmten.

Es ist für gewöhnlich so, dass ein zweites Kind um die Aufmerksamkeit seiner Eltern wetteifern muss, und der Druck auf Harry, besonders hervorzustechen, war groß und wurde größer, als ihm langsam bewusst wurde, dass William ein zukünftiger König war. Das war schwer zu überbieten. Michael Lewis, ehemaliger Vorsitzender der psychiatrischen Klinik Bowden House, schrieb kurz nach Harrys Geburt darüber, womit Harry seiner Meinung nach konfrontiert war: „Während der entscheidenden fünf Jahre seines Lebens wird Prinz William immer da sein, älter, größer und stärker. Er wird laufen, wenn der jüngere Prinz erst krabbeln kann. Er wird im Kreis um den Jüngeren herumrennen, während der seine ersten Schritte macht. Um seinen großen Bruder einzuholen und seiner überlegenen Haltung etwas entgegenzusetzen, wird Prinz Harry seinen Verstand schärfen, beträchtlichen Charme entwickeln und an seiner Persönlichkeit feilen. Oder sich dem Kampf verweigern und sanfter und zurückhaltender werden. Während der ältere Sohn zu einer Persönlichkeit des Establishments heranwächst und tut, was von ihm erwartet wird, wird sich der jüngere Sohn stets wünschen, ein Nonkonformist und eher ein Spaßvogel zu sein, in dem Wissen, dass es nichts zu gewinnen gibt, wenn er mit seinem Bruder konkurriert. Denn dies ist ein Kampf, den er nicht gewinnen kann. Brüder haben den allergrößten Einfluss aufeinander, mehr noch als die Eltern, denn sie verbringen während der entscheidenden Jahre der Kindheit mehr Zeit miteinander.“

Harry war schon immer emotional verwundbarer und dünnhäutiger als William und gab 2017 an, dass er wegen psychischer Probleme Hilfe in Anspruch genommen hatte. Es wäre unfair, dies nur darauf zurückzuführen, dass er als Zweitgeborener in der britischen Königsfamilie aufgewachsen ist. Aber nimmt man sein dysfunktionales Elternhaus, den Ehekrieg zwischen seinen Eltern und den tragischen und traumatischen Verlust seiner Mutter hinzu, hat dieser Aspekt sein Leben wohl auch nicht gerade einfacher gemacht.

Harrys Taufe fand am 21. Dezember 1984 in der St George’s Chapel in Windsor statt. Der drei Monate alte Prinz sah in seinem 143 Jahre alten königlichen Taufkleid bezaubernd aus und lag zufrieden in den Armen seiner Mutter. Diana war in ihrem marineblauen Kleid mit dem gleichfarbigen, breitkrempigen Hut der Inbegriff von Eleganz und Raffinesse. Sie und Prinz Charles wechselten kaum ein Wort, nur einmal sagte er barsch: „Er tropft“, und sie wischte Prinz Harry schnell das Kinn ab.

Prinz William, ein schelmischer, energiegeladener Knirps, kam schlecht damit zurecht, nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Er zappelte ununterbrochen und wirkte wütend, weil er das Baby nicht halten durfte. Lord Snowdon, dem früheren Ehemann von Prinzessin Margaret, der als offizieller Fotograf engagiert worden war, machte William es mit seinem Verhalten sehr schwer. Sein Assistent berichtete später: „Jedes Mal, wenn William frech war, brüllten alle vor Lachen. Niemand wies ihn zurecht, er war ein echter Plagegeist.“ Charles versuchte ihn abzulenken, indem er ihm die Geschichte des Taufkleides erzählte. Der Junge verdrehte die Augen, was eher eine instinktive als eine reflektierte Reaktion gewesen sein wird. Diana nahm sein Verhalten nicht ernst und gab ihm den scherzhaften Spitznamen „Ihre königliche Unartigkeit“.

Harry hatte wie William sechs Paten. Es hatte Diana verärgert, Williams Paten nicht auswählen zu dürfen, denn Prinz Charles und die Queen hatten darauf bestanden, dass sie mit einer Ausnahme Verwandte der königlichen Familie oder Aristokraten sein mussten. Bei Harry hatte Diana größeren Spielraum, aber sie musste der Queen ihre Auswahl dennoch vorlegen. Zwei auf der Liste wurden abgelehnt, aber die Ersatzkandidaten genehmigte die Queen. Die Endauswahl umfasste: Lady Sarah Armstrong-Jones (später Chatto), Tochter von Prinzessin Margaret und Lord Snowdon; Prinz Andrew, Duke of York; Dianas frühere Mitbewohnerin Carolyn Bartholomew; Lady Celia Vestey, eine Freundin der Queen; Bryan Organ, ein Maler, und Gerald Ward, beides Freunde von Prinz Charles. Prinzessin Anne wurde weder als Patin gewählt noch kam sie zur Taufe.

Diana, die sich im privaten Umfeld oft deprimiert und einsam fühlte, was auch ihre Bulimie verschlimmerte, konnte ihre Stimmungen verbergen, wenn die royalen Pflichten es verlangten. Später offenbarte sie, dass selbst die Freude an Harrys Taufe ihr durch Charles’ angebliche Taktlosigkeit verdorben wurde. Im Gespräch mit Andrew Morton sagte sie 1991: „Charles unterhielt sich bei Harrys Taufe mit meiner Mutter und sagte: ‚Wir waren so enttäuscht – wir dachten, es würde ein Mädchen.‘ Mummy wies ihn zurecht: ‚Du solltest froh sein, dass du ein ganz normales Kind hast.‘ Seitdem“, fügte sie hinzu, „zeigt er ihr die kalte Schulter – so ist er eben, wenn jemand ihm Widerworte gibt.“

Sie vertraute sich außerdem ihrem Stimmtrainer Peter Settelen an. Seine Aufgabe war es eigentlich, ihr bei Reden in der Öffentlichkeit zu mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen, und es ist ein Zeichen ihrer damaligen Verzweiflung, dass sie ihm viel Persönliches erzählte und ihn die Gespräche aufzeichnen ließ. Die bereits erwähnten „Diana Tapes“ wurden zwischen 1992 und 1993 im Kensington Palace aufgenommen und bildeten die Grundlage der Dokumentation Diana in Her Own Words von Channel 4, die 2017 anlässlich ihres 20. Todestages ausgestrahlt wurde. Sie beschrieb darin ihre Hochzeit als den „schlimmsten Tag meines Lebens“. Auch ihr Sexualleben mit dem Prinzen thematisierte sie. Ihr zufolge gab es „nie ein Bedürfnis danach von seiner Seite – einmal alle drei Wochen, und ich dachte immer, das folgt einem Muster.“ Diana gab auch an, dass sie einander 1987 das letzte Mal „als Mann und Frau nahe gewesen“ seien. Seitdem schlief Prinz Charles in seinem Ankleidezimmer.

Ob das nun der Wahrheit entsprach oder nicht – feststeht, dass die Umstände von Charles’ und Dianas Kindheit ihre Chancen bedeutend verringert hatten, eine gute und erfolgreiche Beziehung miteinander zu führen. Keiner von beiden erfuhr in den prägenden Jahren ausreichend Liebe, Stabilität oder Stärkung des Selbstvertrauens. Das waren ungünstigste Voraussetzungen für die Erziehung der eigenen Kinder. Charles hatte von klein auf um die Anerkennung seiner Eltern gekämpft, aber immer das Gefühl gehabt, sie zu enttäuschen, ganz besonders seinen Vater. Er wusste, dass er zu weich war, um der Sohn zu sein, den sein Vater sich wünschte. An materiellen Dingen mangelte es ihm nicht, aber seine emotionalen Bedürfnisse wurden nicht befriedigt. Die Queen ist nicht dafür bekannt, anderen ihre Gefühle auf dem Silbertablett zu servieren. Der Duke of Edinburgh, der als Kind verlassen worden war, wusste schlichtweg nicht, wie man sich emotional öffnet. Deshalb wurde dem ehemaligen Pressesprecher der Queen, Dickie Arbiter, zufolge „Charles dazu erzogen, seine Gefühle nicht zu zeigen“.

Charles’ Unfähigkeit, eine gute Beziehung mit Diana zu führen, minderte sein Selbstwertgefühl sogar noch, aber es war nicht einzig und allein seine Schuld. Die Prinzessin von Wales hatte auch eine problematische Kindheit gehabt. Ihre Eltern führten eine unglückliche Ehe. Ihre Mutter, Frances Roche, weinte angeblich ständig, und Diana sah mit an, wie ihr Vater Johnnie, der achte Earl Spencer, ihr ins Gesicht schlug. Ein Jahr bevor Diana zur Welt kam, hatte Frances einen Sohn bekommen, der wenige Stunden nach der Geburt verstorben war. Johnnie verzieh ihr das nie, obwohl sie letztlich noch einen Jungen zur Welt brachte, Charles, den derzeitigen Earl Spencer. Frances verließ die Familie, als Diana sechs Jahre alt war, und zog kurz darauf mit Peter Shand Kydd nach Schottland. Diana blieb mit ihren älteren Schwestern Jane und Sarah und ihrem jüngeren Bruder Charles beim Vater. Wie viele Aristokraten der damaligen Zeit widmete er sich nicht der Kindererziehung, sondern engagierte stattdessen ein Au-Pair-Mädchen nach dem anderen.

Diana war naiv und hatte wenig Selbstvertrauen. An der Schule hatte außer ihr niemand geschiedene Eltern, und mit 14 Jahren sagte sie, sie sei in nichts gut. Als Teenager verschlang sie die Romane von Barbara Cartland (die zufälligerweise, wie bereits erwähnt, die Mutter ihrer späteren Stiefmutter war), in denen attraktive Männer die Herzen von anständigen jungen Damen eroberten und am Ende alle glücklich waren. Sie heiratete Prinz Charles mit gerade einmal 20 Jahren, er war fast 13 Jahre älter, ein Abstand, der sich angesichts ihrer unterschiedlichen Persönlichkeiten als unüberbrückbar erwies. Diana war instinktgetrieben, spontan, unsicher und bedürftig, im Vergleich dazu wirkte Prinz Charles geradezu wie ein Herr im fortgeschrittenen Alter. Er folgte bewährten Routinen und stellte wie seine Mutter die royalen Pflichten über die Familie. Diana war bitter enttäuscht, dass Charles sich nicht wie einer ihrer Romanhelden verhielt. Sie musste bald feststellen, dass die Existenz von Camilla Parker Bowles, Charles’ großer Liebe, über ihr schwebte wie ein gespenstischer Schatten. Außerdem passten ihre jeweiligen Freunde nicht zueinander, und sie hatten keine gemeinsamen Interessen. Sie hätten niemals heiraten sollen.

Williams und Harrys Kindheit war durchdrungen von dieser toxischen Atmosphäre, was ein Grund für Williams unzählige Wutanfälle und Harrys anfängliche Verschlossenheit sein könnte. Das Zusammenleben mit Eltern, die unglücklich miteinander waren und sich immer häufiger stritten, wirkte sich unvermeidlich auf sie aus. Üblicherweise geben Eltern ihr destruktives Verhalten an die nächste Generation weiter, und es stand zu befürchten, dass die Brüder in späteren Jahren ins Stolpern geraten, wenn nicht gar einen Absturz erleben würden. Sehr viel Arbeit und Selbstreflexion waren vonnöten, um die Klippen zu umschiffen, an denen sie hätten zerschellen können, und für Harry war dies besonders schwierig. Es ist ein großes Verdienst der beiden, dass sie sich selbst wohl vor einem vergleichbaren Lebensweg gerettet haben.

Die Queen nahm Harrys Geburt und Taufe als Ausgangspunkt ihrer Weihnachtsansprache 1984. Sie wusste um den traurigen Zustand der Ehe ihres Sohnes, und im Rückblick scheint es, als wollte sie ihm und Diana damals einen sanften Hinweis geben, ihre Beziehung um der Familie willen zu retten. In ihrer Ansprache sagte sie, die Geburt ihres vierten Enkels sei „Anlass für eine große Familienfeier“ gewesen. Sie sprach über das „vorbehaltlose Vertrauen“ der Kinder und ihre „Bereitschaft zur Vergebung“. „Wir sollten von ihnen lernen, so wie sie von uns lernen“, insbesondere was „ihr stabiles Selbstvertrauen und ihre unschlagbare Ehrlichkeit“ angeht. Leider wurde ihr Ratschlag nicht befolgt.

Ein ungeschriebenes Gesetz lautete, dass die königliche Kindererziehung von Distanz und Sachlichkeit geprägt zu sein habe, aber Diana lehnte das gänzlich ab. Ihre eigene Kindheit und ihre Erfahrungen als Kindergärtnerin, bevor sie Charles kennenlernte, ließen sie mit großer Entschlossenheit einen anderen Ansatz wählen. Ihre Jungen sollten nie daran zweifeln, dass sie geliebt wurden. Im Gegenzug konnte sie sich dadurch ein wenig von der Liebe zurückholen, die ihr in ihrer Kindheit und in ihrer Ehe gefehlt hatte.

William war ein lebhaftes, lautes, wildes Kind. Als er sechs Monate alt war, wurde die damals 52-jährige Olga Powell angestellt, um Nanny Barnes zu unterstützen. Sie überdauerte drei weitere Vollzeit-Nannys und wurde schließlich die von den beiden Kleinen sehr geliebte Hauptnanny. Für Nanny Barnes hingegen lief es weniger gut. Es wurde immer offensichtlicher, dass William, der sie Baba nannte, sie anbetete. Er verbrachte auch mehr Zeit mit ihr als mit seiner Mutter und wandte sich, wie kleine Kinder es eben tun, stets an sie als erste Bezugsperson. Diana, die sich bereits von ihrem Ehemann vernachlässigt und allgemein isoliert fühlte, war erschüttert. Sie wollte im Leben ihres Kindes nicht durch eine Nanny ersetzt werden. Eifersucht überwältigte sie. Sie wollte diejenige sein, die ihre Söhne großzog, und so viel Zeit mit ihnen verbringen, wie ihre royalen Pflichten es erlaubten. Sie stimmte ihren Terminplan auf die Kinder ab, während Charles weder Verpflichtungen absagte noch seine Pläne für sie änderte. Inzwischen blieb er ihren Wohnsitzen in London und auf dem Land regelmäßig fern.

War ein Mitarbeiter, Freund oder Verwandter erst einmal bei Diana in Ungnade gefallen, was von einem Tag auf den anderen geschehen konnte, gab es selten ein Zurück. Nanny Barnes war ein ahnungsloses Opfer von Dianas Wankelmut. Die Prinzessin untergrub ihre Autorität, indem sie verlangte, dass die Nanny jedes Fehlverhalten der Kinder zunächst mit ihr besprach, bevor sie mit ihnen schimpfte. Das brachte sie in eine unmögliche Lage. Ken Wharfe hatte zunächst zwei Jahre lang als Williams und Harrys und anschließend als Dianas Leibwächter gearbeitet und Harrys Entwicklung im Alter von zwei bis neun Jahren miterlebt. In seinen Augen war offenkundig, dass Barbara Barnes William mehr Aufmerksamkeit schenkte als Harry. In seinem Buch Diana: Closely Guarded Secret berichtete er: „Barbara zog William Harry vor, was bei Diana nicht gut ankam. Ich erinnere mich an einige Fahrten nach Highgrove mit Barbara, als Harry sehr klein war. Er wurde weitgehend ignoriert, und zwar so weit, dass es gleichgültig war, was mit ihm geschah. Ihm wurde im Auto schnell übel, und wir mussten mehrmals anhalten, weil der arme Kerl sich übergeben musste. Ich sagte: ‚Vielleicht solltet ihr deswegen mal zum Arzt gehen.‘ Und sie sagte nur: ‚Oh, mit ihm ist alles in Ordnung. Es geht ihm gut.‘“

Nanny Barnes war nicht die Einzige, die Dianas und Charles’ Wunsch nicht nachkam, Harry und William gleich zu behandeln. Sogar die Königinmutter lud – vielleicht aus Taktlosigkeit – nur William zu einem Besuch bei ihr in Clarence House ein, Harry musste zu Hause bleiben. Nanny Barnes deutete die Zeichen richtig und kündigte am 15. Januar 1987. Es war Williams erster Tag an der Wetherby-Vorschule in London. Er war am Boden zerstört, Harry nicht. Diana versäumte es, den Prinzen alles zu erklären. Für die beiden war die Nanny einfach verschwunden. Kinder geben sich oft selbst die Schuld, wenn geliebte und vertraute Menschen sie verlassen. Es war das erste Mal, dass sie sich verlassen fühlten, doch es sollte nicht das letzte Mal sein.

Auf Nanny Barnes folgte Ruth Wallace. Sie hatte die Kinder von Prinz und Prinzessin Michael von Kent betreut, die sehr artig waren. Charles hatte Prinzessin Michael gefragt, wie sie zu solch wohlerzogenen Kindern kam, und sie hatte dies auf ihre „wunderbare“ Nanny zurückgeführt. Also überredete Diana sie, bei ihnen anzufangen. Ihr fiel die schwierige Aufgabe zu, William zu bändigen, der ihrem Eindruck nach verwöhnt war. Sie blieb drei Jahre, kündigte dann aber, weil sie die vergiftete Atmosphäre zwischen dem königlichen Paar zu belastend fand. Zum Zeitpunkt ihres Weggangs hatten sich Williams Wutanfälle gelegt, und Harry war aus seinem Schneckenhaus hervorgekommen. Die Queen äußerte angesichts der hohen Fluktuation der Kindermädchen Bedenken, denn dies störte ihrer Meinung nach die für die Erziehung notwendige Beständigkeit.

Alle von Diana angestellten Nannys waren altmodisch in dem Sinne, dass sie großen Wert auf bestimmte Routinen, Ordnung und Höflichkeit legten. Die einzige konstante Bezugsperson für William und Harry war Hauptnanny Olga Powell. Sie hatte sofort erkannt, dass Diana eifersüchtig wurde, wenn sie das Gefühl bekam, William und Harry seien ihrer Nanny zu nahe. Ein ehemaliges Mitglied des Hofes sagte: „Diana vertraute ihnen einfach nicht genug, um sie ihre Arbeit anständig erledigen zu lassen. Das sorgte für große Unruhe bei den Kindern.“

Einer der wenigen normalen Aspekte im Leben der Prinzen war ihre Ernährung. Als Kinder aßen sie am liebsten Rice Krispies zum Frühstück, Hackbraten oder Fischstäbchen zum Mittagessen und Baked Beans oder Spiegelei auf Toast zum Abendessen. Schokolade und zuckerhaltige Getränke gab es nur zu besonderen Anlässen. Die Wochenenden verbrachten sie normalerweise in Highgrove House, wo sie ein weiteres Kinderzimmer hatten. Es war mit Kiefernholz ausgekleidet statt wie der Rest des Hauses mit Mahagoni, und das Treppenhaus war mit grünem Netz umspannt für den Fall, dass William üben wollte, die Treppen herunterzuspringen.


Der königliche Sommerurlaub dauert von August bis Oktober, und traditionellerweise versammeln die Familienmitglieder sich jeweils unterschiedlich lange in Balmoral. 1985 begann der Urlaub einen Monat vor Harrys erstem Geburtstag mit einer Fahrt auf der königlichen Jacht „Britannia“ von Southampton rund um die Äußeren Hebriden. Die Sicherheitslage war in Southampton besonders angespannt, denn die Polizei hatte kurz zuvor Pläne der IRA für einen Anschlag auf die Stadt aufgedeckt. Die Jacht legte an einem nassen und windigen Sommertag ab. Harry, ein sensibles Kind, störte sich an dem Wind, der ihm in seinen roten Haarschopf fuhr, und blieb dicht bei seiner Mutter. Auch die lauten Salutschüsse der königlichen Marine erschreckten ihn.

Nachdem die Familie im Oktober in den Kensington Palace zurückgekehrt war, erhielt Alastair Burnet als erster Journalist die Gelegenheit, ein Fernsehinterview mit dem Prinzen und der Prinzessin von Wales zu führen. Obwohl es fast keine Interaktion zwischen dem Paar gab, stach ihr gemeinsames Unglück nicht sogleich ins Auge, vor allem weil die beiden jungen Prinzen ihnen die Schau stahlen. William trug rote Shorts und ein langärmeliges, rot-weiß kariertes Hemd, weiße Socken und rote Sandalen. Harry, gerade einmal ein Jahr alt, verträumt und noch etwas wackelig auf den Beinen, trug einen weißen, mit Rüschen besetzten Strampelanzug. Besonders bezaubernd war der Versuch der Kinder, Klavier zu spielen. Offensichtlich machte es ihnen enormen Spaß, auf die Tasten einzuhämmern, und William, der das Piano „the pano“ nannte, lachte lauthals, als es Harry gelang, lange genug aufrecht zu stehen, um einige Töne zu spielen. Als William gebeten wurde, Harry einen Kuss zu geben, küsste er ihn auf den Kopf und wischte sich danach mit seinem Ärmel den Mund ab. Währenddessen hielt Prinz Charles sich ein blütenweißes Taschentuch vor das Gesicht und spielte Guck-guck, um Harry vor der Kamera zum Lächeln zu bringen. Die Sendung brach alle Zuschauerrekorde, und der anschließende Buch- und Videoverkauf brachte eine Million Pfund für wohltätige Zwecke ein.

Als Kontrapunkt zu ihrem Leben in schwelgerischem Reichtum entschied Diana, die selbst aus einer wohlhabenden Aristokratenfamilie stammte, ihren Kindern einen möglichst breiten Einblick ins Leben zu ermöglichen. Sie sorgte dafür, dass sie verstanden, wie weniger Begünstigte lebten, und auf Menschen trafen, die geringere Chancen im Leben hatten. Dies stellte einen bedeutenden Wandel in der königlichen Erziehung dar. Diana wollte ihnen auch nicht vorenthalten, wie andere Kinder zum Märchenspiel oder ins Kino zu gehen. Sie wird nicht geahnt haben, welch starken und nachhaltigen Einfluss sie auf das Leben der beiden Prinzen hatte. Zweifellos wird Williams Herrschaft davon geprägt sein, wenn er König wird, und auch für Harry ist die Erziehung, die er genossen hat, ein enormer Motor.

Im Juli 1987, kurz bevor Beginn von Harrys Kindergartenzeit, besuchten er und William ein Zentrum für Kinder arbeitender Eltern im Londoner Stadtteil Holborn, das vom Bezirksrat Camden betrieben wurde. Die Brüder wurden unangekündigt mit ihren Nannys und zwei Leibwächtern dort abgesetzt. Sie spielten etwa eine Stunde lang mit den anderen Kindern und wären vielleicht unerkannt geblieben, wenn der fünfjährige William nicht mitbekommen hätte, wie sein Leibwächter einem neugierigen Jungen sagte, Williams Name sei Roger. „Nein, das stimmt nicht“, rief der Prinz. „Ich heiße William.“

In der Weihnachtszeit nahm die Prinzessin die Kinder zweimal in die berühmten Londoner Kaufhäuser Harrods und Selfridges mit, um den Weihnachtsmann zu besuchen. Der Termin bei Harrods fand außerhalb der regulären Öffnungszeiten statt. Die Prinzessin von Wales wurde persönlich von Mohamed Al-Fayed begrüßt, dem das Haus damals gehörte. Zunächst machten sie bei den Weihnachtselfen halt. Harry erzählte ihnen bereitwillig, dass er sich Kuchen als Geschenk wünschte, während William sie würdevoll wissen ließ: „Ich sage euch nicht, was ich mir zu Weihnachten wünsche. Ich rede nur mit dem Weihnachtsmann.“

Al-Fayed geleitete sie dann in die Spielwarenabteilung im vierten Stock, wo die Prinzessin zwei Kindermotorräder entdeckte. Harry fuhr Runde um Runde, rief aber, damals schon furchtlos, seiner Mutter zu: „Ich will mit was Schnellerem fahren!“ Sie blieben eine Dreiviertelstunde und verließen das Warenhaus beide mit einem Teddy im Arm. Drei Tage später nahm Diana sie mit zu Selfridges, wo die Belegschaft nicht über den royalen Besuch informiert worden war. Also mussten die Prinzen wie alle anderen Schlange stehen, um den Weihnachtsmann zu sehen, obwohl sie bereits um 9 Uhr da waren. Harry verließ das Warenhaus wieder mit einem Teddy, der diesmal fast so groß war wie er selbst.

Beide Prinzen besaßen eine Menge Spielzeug. Als sie klein waren, mochten sie Teddys und Quietschtiere am liebsten. Sie hatten auch jeder ein Schaukelpferd, Williams war schwarz, Harrys war etwas kleiner und weiß. Später spielten sie mit Rennautos, Spielzeughubschraubern und -panzern. William mochte Gesellschaftsspiele und Puzzles, Harry konnte sich ununterbrochen mit seinen Spielzeugsoldaten beschäftigen. Als Haustiere hatten sie ein Kaninchen und eine Rennmaus. Sie schauten gern zu, wenn der rote Wessex-Hubschrauber abhob, um einen oder beide Elternteile zu einem ihrer Termine zu bringen, und Harry war ganz besonders fasziniert von den regelmäßigen Militärparaden.

Auf dem sechs Hektar großen Anwesen Highgrove bevorzugten sie Aktivitäten im Freien. Harry durchstreifte den Garten gern an der Hand seines Vaters, der ihm die verschiedenen Pflanzen und Blumen zeigte. „Harry liebt Tiere und Pflanzen“, berichtete Prinz Charles. „Ich erkläre ihm alles, auch dass sie Gefühle haben und man ihnen nicht wehtun darf.“

Die Königsfamilie verbringt Weihnachten traditionell in Sandringham House in Norfolk. Ein besonderer Höhepunkt war ein Ausflug ins Theater. Einmal nahm Diana die Prinzen als Teil einer 14-köpfigen Gruppe mit, um sich die Matinee von Cinderella im Princess Theatre in dem kleinen Küstenort Hunstanton anzusehen, wo sie begeistert jubelnd in ihrer Privatloge gesehen wurden.

Für die Prinzessin von Wales waren dies ein paar Sternstunden in einer zunehmend düsteren Zeit. Sie weigerte sich, das Protokoll zu befolgen, nicht zuletzt, um die höherrangigen Royals für ihre Ignoranz und mangelnde Unterstützung zu strafen. Ihre Beziehung zu Charles hatte sich ebenfalls verschlechtert. Manchmal ertrugen Charles und sie es nicht einmal, sich im selben Raum aufzuhalten. In der Folge verletzte sie sich regelmäßig selbst, erlitt Essattacken und übergab sich.

Harry - Gespräche mit einem Prinzen

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