Читать книгу Erlös mich, wenn du kannst - Angela Zimmermann - Страница 10

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Kapitel 5

Es hat keine Stunde gedauert und Amara steht vor unserer Tür.

„Danke, dass du so schnell gekommen bist“, sage ich und bitte sie herein.

„Das ist doch selbstverständlich“, antwortet Amara und ihre Augen fliegen sofort durch den Flur. Ich beobachte sie und bemerke, wie sie alles genau unter die Lupe nimmt.

Ich führe sie in das Wohnzimmer, wo sie mitten im Raum stehen bleibt und etwas finster um sich schaut.

„Was ist? Gefällt es dir nicht?“, frage ich nervös, denn ihr Gesichtsausdruck lässt sich nicht deuten.

„Doch es ist gemütlich, aber die Möbel habt nicht ihr ausgesucht“, entgegnet sie und sieht mich intensiv an.

„Nein, die waren alle noch hier. Alles war abgedeckt und so haben wir sie säubern lassen. Mir gefielen sie von Anfang an und so wollte ich sie auch behalten. Ist das nicht gut?“, frage ich mit zitternder Stimme.

„Wie man es nimmt“, kommt von Amara, die vorsichtig über die Lehne des Sessels fährt. „Wenn man denjenigen gekannt hat, dem sie gehört haben, ist das kein Problem. Aber ihr habt sie von einer fremden Person übernommen. Ich weiß nicht, ob ich das gemacht hätte“, lächelt sie mich etwas gezwungen an und nimmt dann doch in dem Sessel platz.

„Wir wissen wirklich nicht, wer hier gewohnt hat. Nur, dass das Haus fast zwanzig Jahre leer stand. Dafür sind die Möbel noch in einen prima Zustand“, bemerke ich und wundere mich nun auch darüber.

„So lange? Warum wollte es denn niemand haben?“, fragt sich Amara selbst und ihr Blick schweift schon wieder prüfend durch den Raum.

„Das haben wir noch nicht herausbekommen. Aber ich habe dich wegen etwas anderen hergebeten“, schlucke ich und überlege, wie ich es ihr am besten sagen soll.

„Es hängt alles zusammen“, platzt Amara heraus und sieht mich ernst an.

„Wie meinst du das?“, will ich wissen und meine Hände fangen an zu zittern. Schnell verstecke ich sie unter den Oberschenkeln, aber Amara hat es längst bemerkt.

„Was ist los? Warum bist du so neben der Spur?“, fragt Amara mich direkt.

„Ich hatte wieder Visionen“, erwidere ich leise.

„Und nun weißt du nicht, wie die Leute auf dich reagieren, wenn du jemanden hilfst, den du gar nicht kennst“, meint Amara nachdenklich.

„Nein, es ist ganz anders“, beginne ich und muss erst einmal tief durchatmen, weil mein Herz anfängt, schneller zu schlagen. „Die Männer sind schon alle tot“, rede ich weiter und Amaras Augen werden immer größer. Sie sitzt mir ziemlich steif und angespannt gegenüber, was ich nicht von ihr kenne. Ihre Gelassenheit fehlt und das macht mich noch unsicherer.

„Erkläre mir alles von vorn“, fordert sie mich auf und ich tue ihr den Gefallen, obwohl ich dadurch nochmals jedes Detail gedanklich durchleben muss.

Ich erzähle ihr also, wie ich in der Stadt war. Von der Begegnung mit der Frau aus dem Fleischergeschäft und von der netten Frau Büttner vor ihrem Garten. Zuletzt natürlich auch von dem Kuchen, wo ich diese Nachbarin nicht einmal gesehen habe.

„Und du hast sie nur leicht berührt?“, fragt Amara ernst und mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken.

„Ja, und sofort waren die Visionen da. Bei der Letzten reichte sogar nur der Teller von der Frau, um die Verbindung herzustellen“, erkläre ich ihr nochmals und sehe die Bilder schon wieder vor mir.

„Aber warum waren sie denn schon tot? Das ist doch das ganze Gegenteil von deiner Gabe“, spricht Amara leise weiter und ich bemerke, wie es in ihr arbeitet.

„Das ist ja so komisch. Ich konnte immer denjenigen helfen, aber nun stehe ich da und kann mit den Informationen nichts anfangen. Warum soll ich denn wissen, wie die Männer umgekommen sind?“, schüttele ich verständnislos den Kopf.

„Vielleicht hängt es mit dem Haus zusammen“, flüstert Amara vor sich hin.

„Was soll denn das Haus damit zu tun haben?“, hake ich nach, denn ich kann keinen Zusammenhang erkennen.

„Stella, ich habe die Karten gelegt, um zu sehen, ob ihr in diesem Haus glücklich werden könnt“, fängt sie an und stützt ihren Kopf in ihre Hände. Sie sieht etwas verwirrt aus, spricht aber weiter. „Ich bin allerdings nicht weit gekommen. Ich habe gesehen, dass die erste Zeit sehr schwer für euch werden wird. Sie haben mir gezeigt, dass ihr kämpfen müsst, um hier dazuzugehören“, erklärt mir Amara vorsichtig und ich verstehe ihre Worte nicht.

„Konntest du gar nichts sehen?“, will ich unbedingt wissen.

„Es sind Dinge, die ich nicht zuordnen kann. Immer wieder kommt mir die Vergangenheit des Hauses in die Quere. Was es aber genau ist, kann ich nicht deuten. Mir scheint es so, als solltet ihr etwas aufarbeiten“, spricht Amara, aber ihre Stimme zeigt mir, dass sie nicht einmal selbst daran glaubt, was sie da sagt.

„Es wäre vielleicht das Beste, wir finden erst einmal heraus, wer hier zuletzt gewohnt hat“, meldet sich Manuel zu Wort.

„Ja, das solltet ihr“, stimmt Amara ihm sofort zu.

„Denkt ihr da gibt es eine Verbindung?“, frage ich ungläubig.

„Das könnte sein. Du weißt bis heute nicht, wer dir das Haus angeboten hat und du behältst die alten Möbel von dieser Person, weil sie dir gefallen. Vielleicht steckt da viel mehr dahinter, als wir jetzt vermuten. Die Visionen können dir auch nur die Vergangenheit zeigen. Du kannst den Männern nicht mehr helfen, weil sie schon tot sind. Außerdem hast du doch keine Beziehungen zu den Frauen, dass schon eine Berührung reicht, um den Grund ihrer Trauer zu sehen. Da muss es noch eine andere Verbindung geben. Die Frauen, die toten Männer, das Haus, was schon ewig leer steht und, und, und...“, Amara wird immer lauter und nervöser, was mir nicht verborgen bleibt.

„Amara, was hast du in den Karten gesehen?“, frage ich sie auf den Kopf hin, weil ich vermute, dass sie mir nicht die ganze Wahrheit sagt.

„Nichts, das ist es eben. Stella, ich konnte nicht tiefer hineingehen. Irgendetwas blockiert mich sobald ich die Karten für euch lege. Es legt sich ein Schleier darüber und den kann ich nicht durchbrechen. Ich kann euch nicht mal sagen, wie das alles weiter geht, nur das ihr am Ende hier sehr glücklich werdet. Mir kommt es so vor, dass ich euch nicht sagen darf, was ihr tun sollt. Ihr müsst es allein herausfinden“, erklärt uns Amara und nun schaut auch Manuel etwas beängstigt in die Runde.

„Puzzlestücke“, platzt Manuel plötzlich wieder heraus.

„Was? Wie meinst du das denn jetzt?“, fahre ich ihn vielleicht zu streng an, denn er weicht ein Stück zurück.

„Wir haben ja schon mal von einem Puzzle geredet“, hilft Amara Manuel. „Alles was du hier erlebst hat einen Sinn. Hier ist etwas, oder jemand, der unbedingt will, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Jeder Schritt hat einen Sinn und führt euch zu eurem Glück“, redet Amara nun wieder leise auf mich ein.

„Jemand?“, piepse ich und fühle mich augenblicklich beobachtet. Gleichzeitig fällt mir ein, wie Amara sich hier umgesehen hat. Weiß sie doch mehr, als sie uns sagen will? Nein, das möchte ich einfach nicht glauben. Sie war immer offen, ehrlich und aufrichtig zu mir.

„Stella, du darfst dich nicht verrückt machen lassen. Du wirst jeden Tag dem Geheimnis etwas näher kommen und ihr werdet es zusammen durchstehen. Ihr müsst nur daran denken, dass ihr hier sehr glücklich werden könnt“, versucht mich Amara zu beruhigen.

„Und wenn wir das nicht schaffen?“, entgegne ich ihr.

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Du musst nur offen sein für das, was auf dich zukommt, auch wenn du es nicht glauben willst“, hält Amara dagegen.

„Wie meinst du das denn wieder? Weißt du mehr als du uns sagen willst“, zische ich nun auch Amara an und bereue aber sofort mein Verhalten nicht unter Kontrolle zu haben.

„Bleib ruhig“, sagt Manuel und greift nach meinen Händen.

„Ich kann dir nur sagen, dass alles von diesem Haus ausgeht. Lass es auf dich zukommen. Es wird sich alles zum Guten wenden“, betont Amara noch einmal, aber mir fällt es schwer, mich damit abzufinden.

„Dann ziehen wir eben wieder aus“, bricht es aus mir heraus und in dem Moment schlägt die Terrassentür zu, die ich offengelassen habe. Amara zuckt zusammen und schaut mürrisch in die Richtung der Tür.

„Was ist hier los?“, stottere ich und starre ebenfalls dahin.

„Es wird wohl nichts bringen wieder auszuziehen. Es wird dich immer wieder einholen und so wird es besser sein, du nimmst diese Aufgabe jetzt an“, flüstert Amara, steht auf und hat wohl im Sinn, auf dem schnellsten Weg von hier zu verschwinden.

„Uns will jemand hier festhalten. Kannst du mir nicht helfen?“, schaue ich sie entsetzt und flehend zugleich an, aber sie schüttelt nur mit dem Kopf.

„Nein, ich darf anscheinend nicht und ich könnte es auch nicht. Eins ist aber sicher, du bist nie in Gefahr. Dir wird nichts passieren, du sollst nur etwas in Ordnung bringen. Was es ist, kann ich dir jedoch nicht sagen, ich weiß es wirklich nicht“, kommt von Amara und sie zieht mich in ihre Arme.

„Ich werde dir helfen. Du bist nicht allein, egal wer oder was hier ist“, sagt Manuel im Hintergrund und seiner Hilfe kann ich mir absolut sicher sein. Wird sie jedoch reichen? Darf er mir überhaupt zur Seite stehen? Betrifft es allein mich und er wird auch blockiert. Dann ist er am Ende vielleicht ebenso außer Stande mir zu helfen.

„Du schaffst das. Du musst versuchen dich abzulenken“, murmelt Amara ganz nahe an meinem Ohr und reißt mich so aus den Gedanken, die wieder anfangen zu kreisen.

„Wie soll ich das denn machen?“

„Was ist eigentlich mir deiner neuen Schmuckkollektion?“, fällt Amara im nächsten Moment ein und bewegt sich immer weiter zur Tür. Sie will einfach nur noch weg, was ich jedoch gar nicht mehr so richtig mitbekomme. Dank ihr habe ich plötzlich etwas ganz andres im Sinn. Die Schmuckstücke, die ich schon lange entwerfen und kreieren wollte.

„Dazu bin ich noch gar nicht gekommen“, gebe ich nachdenklich, aber ehrlich zu.

„Na, dann hast du doch etwas zu tun. Mach dich an die Arbeit und lasse die düsteren Gedanken hinter dir“, lächelt Amara aufrichtig.

„Du hast Recht. Ich werde mich in die Arbeit stürzen. Bestellungen gibt es bestimmt auch schon wieder“, schmunzele ich zurück und öffne Amara die Tür, vor der wir schon längst stehen.

Ich winke Amara noch einmal zu und dann sind auf einem Mal die Bedenken wegen des Hauses und was so auf mich zukommen könnte wie weggeblasen und in meinem Kopf gehe ich schon alles durch, was die neue Kollektion betrifft. Das wird sehr viel Arbeit und eigentlich bin ich darüber froh, denn das wird mich wohl wirklich ablenken.

Amara hat mir noch einmal gesagt, dass ich jeder Zeit anrufen kann, auch wenn kaum Möglichkeiten bestehen, mir weiterzuhelfen. Aber ein beruhigendes Telefonat vermag schon Wunder zu bewirken.

Ich schließe die Tür und Manuels Arme schlingen sich um meinen Körper. Ich lasse es zu und falle regelrecht an seine Brust.

„Wir schaffen das schon, egal wer oder was da ist“, flüstert er mir so leise ins Ohr, dass es niemand anders hören kann.

„Hm“, kommt nur von mir, zu mehr bin ich nicht fähig.

Der Gedanke, dass sich irgendetwas hier im Haus befindet, was unser Leben beeinflusst, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich werde es herausfinden und versuchen, mich dem entgegenzustellen, aber es ist schon angsteinflößend, wenn man nicht weiß, was alles auf einen zukommen könnte.

Erlös mich, wenn du kannst

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