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4 – Hinter der Himmelspforte

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Rück sprang von Sternschnuppes Rücken. Auch der alte Mann stieg ab. Gemeinsam liefen die Drei auf eine dicke Wolke zu, die nahe vor ihnen hin und her schwebte.

»Hallo, Wölkchen. Bist du so lieb und schwebst uns zur Himmelsschenke hin?«, bat das Mädchen und tapste mit ihren nackten Füßen auf die dichte Wolke zu.

Die Wolke ließ sich vor ihnen ab, so dass alle drei auf ihr Platz nehmen konnten.

Tannbaum hielt Rück mit den Händen fest, während Sternschnuppe ihre Hände in der Wolke vergrub. Kaum dass sie sicher aufsaßen, schwebte die Wolke auch schon mit ihnen davon. Vor ihr öffnete der Boden sich. Lautes Lachen und Gekicher drang zu ihnen herauf, während die Wolke nach unten sauste und der Boden sich über ihnen wieder verschloss.

Der Weg nach unten ging steil bergab, doch das wussten die Drei. Immerhin war es nicht das erste Mal, dass sie bei der Himmelsschenke einkehrten, um sich für ihre Mission zu stärken.

Das Licht wurde immer heller. Weihnachtlicher Glanz umgab sie.

Die Wolke ließ sie nahe dem Tresen ab, vor dem bereits einige Wichtel auf hohen Hockern saßen und sich mit Weihnachtsbrei vollstopften. Einigen von ihnen tropfte der Brei am Kinn entlang. Wieder andere schoben sich den Brei mit den Fingern in den Mund.

»Wie oft, muss ich euch noch sagen, dass ihr manierlich essen sollt?«, donnerte die Stimme einer dicken Wichtelfrau den Kleinen entgegen.

Verschreckt senkten sie den Blick, dennoch hörten sie nicht damit auf, sich den Brei mit den Fingern weiter in den Mund zu schieben.

»Wichtel sind das. Keine Manieren haben die mehr, heutzutage! Und das auch noch im Weihnachtsland. Schlimm, schlimm ist das«, schimpfte die Frau. Als sie Tannbaum am Tresen gelehnt sah, kam sie zu ihm herüber. »Du schon wieder? Sag nicht, dass ihr auch an Weihnachten ein Kind zu erlösen habt«, wunderte sie sich, die Drei in der Himmelsschenke zu sehen.

»Du weißt doch, dass die Zeit vor nichts Halt macht«, antwortete der alte Mann, und zeigte auf Rück. »Es ist wichtig für ihn, dass er seine Reserven nochmals mit Liebe und Frieden auftankt.«

Die Wichtelfrau quetschte sich über den Tresen und schaute zu dem Tier hinunter. »Meine Güte, wie sieht der denn aus!«, erschrak sie sich, als sie das Tier betrachtete. »Das muss aber ein schlimmer Fall sein, den ihr dieses Mal zu lösen habt.« Sie wusste, da sie die Drei schon oft in der Himmelsschenke bewirtet hatte, dass das Leid ihrer Aufgabe, sich am Körper des Tieres zeigte. Und heute sah Rück schlimm aus. Richtig mitleiderregend.

Eilig hetzte sie um den Tresen herum und beugte sich zu dem Tier hinunter. »Rück, alter Knabe, du brauchst viel Kraft, so wie du heute aussiehst«, sagte sie und legte beide Hände um den Hals des Hundes.

Tannbaum freute sich, dass alleine ihre Berührung schon half, Rück besser aussehen zu lassen; auch wenn er wusste, dass dies nur von kurzer Dauer sein würde, verfügte er aber auch über das Wissen, dass diese kurzweilige Veränderung im Innern des Seelen-Heilers, ihm Kraft spendete. Rück stark sein ließ.

Polternd ging die Tür zur Himmelsschenke auf und der Weihnachtsmann kam herein; umringt von lachenden und tollenden Wichteln.

Zielstrebig lief er auf Tannbaum zu. »Hab schon gehört, dass ihr wieder einmal da seid«, begrüßte er die Drei. Sternschnuppe hielt er einen neuen Stern hin, den ihm einer seiner Wichtel gereicht hatte. Für Tannbaum zog er einen Tabakbeutel aus seiner Manteltasche; nur für das Tier hatte er nichts.

Verwundert schickte die Wichtelfrau einen bösen Blick zum Weihnachtsmann hinüber. »Was ist denn mit dir los, Weihnachtsmann«, blaffte sie Santa Claus an. »Für Rück hast du nichts dabei?« Erbost wandte sie den Blick zu dem Mann, der ruhig neben dem Weihnachtsmann stand und nichts sagte. Selbst den lachenden Wichteln hatte es die Sprache verschlagen, bei dem Donnerwetter, das die dicke Hilde, wie die Wichtelfrau hieß, über den Weihnachtsmann ergossen hatte.

»Knecht Ruprecht, wie kannst du nur dabeistehen und nicht Sorge dafür tragen, dass auch das Tier etwas bekommt?«, blaffte sie den Mann an. »Musst du dich etwa an deinem Stab festhalten«, wetterte sie weiter, als Knecht Ruprecht seinen Stab fester umspannte, »um nicht umzufallen?« In ihren Augen spiegelte sich der blanke Hohn.

»Hör auf, Hilde«, lenkte der Weihnachtsmann ein. »Nicht alles, was man sieht, ist ein Geschenk.« Er strich sich über den Bart, und Sternschnuppe sah, dass er gutmütig lächelte. Der Weihnachtsmann streifte sich den Handschuh von der Hand und legte sie auf Rücks Kopf. Schweigend stand er da.

In der Himmelsschenke war’s mit einem Mal mucksmäuschenstill geworden. Keiner sagte mehr auch nur ein Wort. Beinahe war es, als hätten alle sogar das Atmen aufgehört. Sogar die dicke Hilde hielt an sich und schwieg; nur auf ihren Wangen bildeten sich rote Pusteln. Jeder, der die dicke Hilde kannte, wusste, dass sie innerlich vor Zorn kochte. Rote Pusteln auf ihren Wangen waren immer die ersten Anzeichen davon.

Rück saß da und genoss es, vom Weihnachtsmann berührt zu werden.

Mit der freien Hand machte der Mann im roten Mantel dem Wichtel Manfred, der neben ihm stand, Zeichen; und sofort sprang der Wichtel auf und rannte zur Himmelsschenkentür hin. Er kniete sich auf den Boden und lugte unter dem Türspalt hindurch. Gleich darauf hastete sein Blick zum Weihnachtsmann hin. Der Wichtel nickte.

Erneut gab der Weihnachtsmann Manfred ein Zeichen, woraufhin der Wichtel die Tür zur Himmelsschenke öffnete.

Die Augen aller lagen gespannt auf Manfred.

Was macht er da nur?, fragten sich alle.

Manfred eilte hinaus. Kurz darauf kam er hereingeritten. Auf dem Rücken eines schneeweißen Einhorns sitzend. Seine kleinen Hände hielten sich an der Mähne des Einhorns fest. Gemeinsam steuerten sie auf den Weihnachtsmann zu.

Doch der Eindruck täuschte!

Nicht der Weihnachtsmann war das Ziel des magischen Tieres, sondern … Rück!

Das Einhorn schritt auf das Tier zu. Wiehernd stand es vor ihm.

Manfred sprang in einem ausholenden Satz von seinem Rücken. Er eilte zu Rück und packte ihn am Ohr. Sanft zog er ihn zum Einhorn hin, das sich vor dem Tier niederkniete.

Schweigend standen sie sich gegenüber.

Plötzlich berührte das Einhorn Rück mit seinem Horn. Der Staub der Liebe rieselte vom Horn ab und bestäubte Rücks Fell. Der Liebesstaub wühlte sich durch das Fell des Tieres.

Rück stand nur still da und genoss das Gefühl der Liebe und der Freundschaft.

Das Einhorn erhob sich, und Manfred führte es wieder hinaus. Dieses Mal hockte er dabei auf dem Horn des weißen Tieres und rieb sich die Reste des Liebesstaubs ins Gesicht. Sofort fühlte er die Wärme der Liebe, und wie sie sich in ihm breitmachte. Ein wahrlich tolles Gefühl war das, erst recht zur Weihnachtszeit!

Als sich die Tür hinter dem Einhorn schloss, raunte Erstaunen durch die Schenke.

»Ein Wunder«, flüsterten die Wichtel sich gegenseitig zu. »Santa Claus hat ein Wunder geschehen lassen.«

»Die Magie des Einhorns …«, staunte die dicke Hilde, »hast du für Rück gehabt.«

Der Weihnachtsmann nickte. »Hast du tatsächlich geglaubt, dass ich Rück nicht bei seiner Mission unterstütze?«, fragte er die dicke Frau, die vor Verlegenheit erneut rot anlief. Ihre Pusteln allerdings waren verschwunden.

»Hab ich«, antwortete sie, kaum verständlich.

»Hilde, ich muss mich doch sehr über dich wundern. Wir kennen uns nun schon so viele Jahre, und da traust du mir tatsächlich so etwas zu?«

»Wird nicht mehr vorkommen«, versprach sie. »Ich war in Sorge, dass du für Rück nichts hast, wo er doch bei seiner Mission, viel Kraft braucht.«

»Wer könnte ihm mehr an Kraft und Liebe spenden, als es das Einhorn kann?«

»Du, Weihnachtsmann?«, fragte sie, doch der Weihnachtsmann winkte ab. »Meine Liebe, Hilde, hat er bekommen. Eine Berührung von mir, reicht dafür aus.« Santa Claus beugte sich zu Rück hinunter. »Du wirst es packen. Du wirst dafür sorgen, dass der kleine Jo bald wieder lachen kann, und sich von Herzen wieder wohlfühlt. Das weiß ich, Rück.« Er wandte sich von dem Tier ab. Bei Tannbaum und Sternschnuppe verabschiedete er sich mit einem Handschlag. Danach verließ er mit seinen Wichteln die Himmelsschenke. Begleitet wurde er dabei wieder vom ausgelassenen Lachen seiner Wichtelbande.

»Auf, auf, ihr Wichtel! Wir haben noch ein wenig zu tun, bis der Heilige Abend vor der Tür steht.« Der Mann hab den roten Mantel an, wuchtige schwarze Stiefel kamen darunter zum Vorschein.

Die Wichtel stolperten ihm zwischen die Füße, einige von ihnen krallten sich an der weißen Plüschborde seines Mantels fest und ließen sich von ihm auf diese Art, wippend hinaustragen. Dabei kicherten sie ausgelassen.

Kurz darauf war es auch für Tannbaum, Sternschnuppe und Rück Zeit, zum Aufbrechen.

Rück

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