Читать книгу Der Geschichten-Adventskalender - Angelika Röbel - Страница 10

5. Dezember Ein ganz besonderer Wunsch

Оглавление

Nach einer wahren Begebenheit

Die 90-jährige Ururoma saß in ihrem Sessel und dachte darüber nach, wie sich doch im Laufe ihres Lebens das Weihnachtsfest verändert hatte. Ihre Gedanken gingen viele, viele Jahre zurück; zurück in ihre eigene Kindheit. Der Vater war noch nicht aus dem Krieg heimgekommen und die Mutter hatte kein Geld, um irgendetwas Süßes für die Kinder zu kaufen oder selbst zu backen. Und trotzdem erinnerte sie sich gern an dieses Weihnachtsfest. Wie glücklich und zufrieden sie war, als sie am Heiligen Abend ihren alten zerzausten Teddybären sah, mit dem bereits ihr Vater als Kind gespielt hatte. Er saß auf dem kleinen Tisch und hatte einen neuen gestrickten Pullover und eine selbst genähte Hose an.

Ihre Gedanken machten einen großen Sprung in die Zeit, als sie selbst Mutter zweier Kinder war. Und wieder war es das Nachkriegsjahr, in dem es an allem mangelte. Es war damals schwer für sie, den Kindern ein schönes Weihnachtsfest zu bescheren. Mit wenigen Mitteln und viel Fantasie gelang es aber schließlich doch.

Und heute? Aus den Kindern, Enkeln und Urenkeln sind fleißige und geachtete Menschen geworden. Aber das Weihnachtsfest ist schon lange nicht mehr das, was es einmal war. Eine hektische und gestresste Adventszeit geht dem Fest voraus. Und der Heilige Abend selbst? Die Geschenke sind hübsch verpackt und in fünf bis zehn Minuten ist alles vorbei. Nein, so hatte sie Weihnachten nicht in Erinnerung.

Es stimmte sie jedes Jahr traurig, wenn sie gefragt wurde, ob sie sich zum Weihnachtsfest etwas wünsche. Ja, sie hatte einen Wunsch! Sie wollte mit ihren Lieben ein ganz besonderes Weihnachtsfest feiern, das vielleicht sogar ihrer kleinen Ururenkelin Lisa-Marie in Erinnerung bleiben würde! Schon öfters hatte sie diesen Wunsch geäußert, war aber immer liebevoll angelächelt worden.

„Oma, die Zeiten haben sich geändert. Versteh das doch!“

Nein, sie wollte es nicht verstehen. Wie viele Weihnachten würde sie noch erleben? Mit Sicherheit waren diese gezählt, also musste schnell gehandelt werden. Zuerst benötigte sie schöne alte Weihnachtslieder, die alle, zumindest von der Melodie her, kannten. Sie schrieb die Texte auf und bat einen Nachbarn, diese auf dem Computer abzuschreiben und auszudrucken, denn in Gedanken hörte sie schon die Enkel sagen: „Oma, deine Schrift können wir nicht lesen.“

Dann war es so weit. Die Urenkelin lud ihre gesamte Familie zum Weihnachtsfest ein. Die kleine Lisa-Marie hatte vor Aufregung ganz rote Bäckchen. Als alle anwesend waren, wurde die Tür zum Wohnzimmer geöffnet. Ein festlich geschmückter Weihnachtsbaum leuchtete in seiner ganzen Pracht. Darunter lagen viele Päckchen mit kleinen Namensschildern. Ihre Urenkelin schaltete das Radio ein. Es kamen gerade der Wetterbericht, der Straßenzustand und die Blitzermeldungen, danach folgten ganz normale Schlager. Die Ururoma schüttelte kaum merklich den Kopf und verdrehte die Augen. Zur gleichen Zeit griff die Urenkelin nach dem ersten Päckchen. Ein zweites hatte sie auch schon in der Hand. Die Ururoma hörte in Gedanken, wie es all die anderen Jahre gewesen war: „Das ist für Peter, das hier für Gabi und das ist für …“

„Stopp“, unterbrach sie ihre Urenkelin. Alle schauten sie fragend an. „Ich möchte es in diesem Jahr anders machen“, erklärte sie leise. Es hörte sich fast entschuldigend an. „Bitte, Kinder, nur dieses Jahr. Wenn es euch nicht gefällt, dann macht ihr es im nächsten Jahr wieder anders.“ Sie griff in ihre Tasche und holte die zusammengefalteten Zettel mit den abgedruckten Weihnachtsliedern hervor. „Setzt euch, sucht euch einen bequemen Platz, denn es wird ein Weilchen dauern. Und bitte, schalt das Radio aus.“

Die meisten schauten gespannt, manche sogar vorwurfsvoll zur Ururoma. Unbeirrt nahm sie ein Päckchen in die Hand und las auf dem Zettel: Für Silke. Hoffentlich sträubt sich meine Tochter nicht dagegen, dachte sie etwas zweifelnd.

Silke kam und wollte das Päckchen öffnen. „Nein!“, stoppte die Ururoma ihr Tun. „Zuerst singst du uns ein Lied.“ Und bevor Silke etwas Negatives erwidern konnte, erklärte sie der restlichen Familie: „Und wer nicht singen kann, dem helfe ich natürlich und singe mit! Ihr könnt aber auch ein Gedicht aufsagen. Die bekanntesten Weihnachtslieder stehen hier auf den Zetteln. Ich dachte mir, dass es für euch einfacher ist, wenn ihr den Text ablesen könnt.“

Silke griff nach dem Zettelbund und suchte sich ein Weihnachtslied aus. Sie sang „Alle Jahre wieder“. Dann erst durfte sie ihr Päckchen öffnen. Alle schauten zu und bestaunten den Inhalt. Dann griff die Ururoma erneut in den Päckchenstapel und las den nächsten Namen vor!

Nach zwei Stunden waren die Päckchen alle. Die Ururoma schaute sich in der Runde um. Sie bemerkte betroffene und zugleich strahlende Gesichter. Bei einigen war sogar ein feuchter Glanz in den Augen zu erkennen. Andreas, ihr Schwiegersohn, stand auf und sagte: „Ich glaube, das war das schönste Weihnachtsfest, das ich jemals erlebt habe. Schade, dass du dich nicht schon viel früher durchgesetzt hast. Danke!“

Jeder drückte das alte Mütterchen für den gelungenen Abend.

Ja, endlich, endlich hatte sie es geschafft, mit ihren Lieben ein Weihnachtsfest nach ihren Vorstellungen zu feiern. Natürlich waren dabei alle reichlich beschenkt worden. Diese Menge an Geschenken hatte es in ihrer Kindheit natürlich nicht gegeben.

Aber es waren ja auch andere Zeiten!

Der Geschichten-Adventskalender

Подняться наверх