Читать книгу LULUS MISSION - Angelika Schaeuffelen - Страница 3

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Lulu macht sich langsam Sorgen.

Es ist einige Monate her, dass sie hier gelandet ist und was sie bisher erlebt hat, verwirrt sie zunehmend. Zunächst erschien ihr dieser Ort durchaus aufregend angesichts der zahlreichen Möglichkeiten, die sich die Menschen hier geschaffen haben. Aber immer deutlicher merkt sie, dass dabei etwas ganz und gar nicht stimmt.

Lulu sieht es an den ernsten, angespannten Gesichtern, die etwas Gehetztes widerspiegeln. Wie von Geisterhand geführt eilen die Menschen durch die Straßen, ohne dass sich für Lulu erschließt, für wen oder was sie so herumhetzen und welch so wichtige Aufgabe sie in aller Welt hier zu erledigen haben.

Dabei sind die meisten Menschen durchaus freundlich zu Lulu. Sie hat sogar schon einige Freunde gewonnen, was nicht verwunderlich ist, denn Lulu zieht fast jeden, den sie trifft, in ihren Bann. Wenn sie lächelt, schimmert ihr eines Auge grün und ihr anderes türkis. Doch sieht man das - abgelenkt von ihren fröhlich tanzenden roten Locken und ihrem reichlich großen Mund - erst auf den zweiten Blick. Meist trägt Lulu einen knallorangenen kurzen Mantel mit aufgesetzten Taschen, ein Blickfang, da er nicht gerade mit ihren roten Haaren harmoniert. Aber das kümmert Lulu herzlich wenig.

Lulu taucht mal da und mal dort auf und bleibt selten länger an einem Ort. Keiner weiß, wo sie herkommt. Angesichts ihres gütigen Wesens, gepaart mit einem ungewöhnlich tiefen Blick in die Seele der Menschen, haben diese manchmal das Gefühl, Lulu sei nicht von dieser Welt. Deswegen hört man häufig „unsere kleine Fee“, wenn von Lulu geredet wird.

Doch das wirklich Besondere an Lulu ist etwas, was die einen anzieht, die anderen dagegen eher das Weite suchen lässt, wenn sie Lulu begegnen: Lulu blickt hinter die Fassade der Menschen und spricht direkt und unverblümt aus, was sie im Innern ihres Gegenübers fühlt. Deshalb sieht man nicht selten Leute um die Ecke huschen, wenn Lulu erscheint. Denn wer hat schon immer Lust, sich in die Seele schauen zu lassen und sich ungemütlichen Fragen zu stellen.

Wenn Neugierige von ihr wissen möchten, wo sie zu Hause ist, hat sie stets eine ausweichende Antwort auf Lager und lenkt schnell und geschickt das Gespräch in eine andere Richtung.

Selbst Pedro, mit dem Lulu am häufigsten ihre Zeit verbringt, hat bis heute nichts über Lulus Herkunft herausgefunden. Irgendwann hat er aufgehört, sie mit Fragen zu bedrängen, weil er instinktiv spürt, dass er Lulu damit womöglich vertreibt. Und das will er auf keinen Fall, denn Pedro ist ein Freigeist und liebt es, sich mit Lulu auszutauschen. Niemals ist ihm jemand begegnet, der so unbedarft und unvoreingenommen schlaue Fragen stellt.

Pedro ist ein Bücherwurm. Die ohnehin schon kleinen Zimmer seines winzigen, aber äußerst behaglichen Häuschens direkt am Rande des Parks sind entsprechend vollgestopft mit philosophischen Abhandlungen, Märchen, Romanen, Krimis und Abenteuergeschichten.

Auch Lulu liebt Bücher und so sieht man die beiden oft in dem kleinen, etwas verwilderten Gärtchen vor Pedros Haus sitzend, sich gegenseitig vorlesend oder über die Welt und die Menschen philosophierend – jedenfalls am Wochenende. Unter der Woche bleibt dafür wenig Zeit, denn Pedro arbeitet als Programmierer in einer großen Computerfirma, ein Job, der gar nicht so richtig zu ihm passt, findet Lulu.

Die allgemeine Rastlosigkeit der Menschen macht auch vor den Kindern nicht halt. Meist kommen diese erst nachmittags aus der Schule. Dann hetzen sie direkt zum Sporttraining, Musikunterricht oder Nachhilfe. Deshalb gelingt es Lulu nur selten, mit ihnen zusammen ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, nämlich ziellos und zeitlos durch die Gegend zu streifen.

Spricht Lulu die Menschen darauf an, warum sie es bei allem, was sie tun, so furchtbar eilig haben, sind diese nicht einmal erstaunt. Sie wissen sogar genau, was Lulu meint. Dann nicken sie wissend mit dem Kopf, lächeln etwas müde und sagen mit einem Gesichtsausdruck, den Lulu nicht deuten kann, dass sie nun mal tausend wichtige Dinge zu erledigen hätten und dass diese Tätigkeiten durchaus erfüllend seien. Lulu brauche sich wirklich nicht um sie zu sorgen.

Doch für Lulu scheint es, als plätschere das Leben so für die Menschen dahin. Sie sind - gefangen in dem, was sie stets meinen, erledigen zu müssen - weder glücklich noch unglücklich. Immerhin gönnen sie sich ab und zu etwas Schönes für ihre Sinne, mal einen Saunaabend, einen Besuch im Theater oder Kino oder ein paar Stunden Lesen bei angenehmer Musik. Lulu spürt, wie wohltuend dies für die Menschen ist.

Doch eines Abends, nach einem Klavierkonzert, welches die Zuhörer tief berührte, geschieht etwas Sonderbares.

Wie Lulu spazieren die Leute, noch von der Musik beseelt, zu dem großen Parkplatz vor der Konzerthalle.

Lulu will sich gerade auf ihr Fahrrad schwingen, als sie erstarrt. Ohne ersichtlichen Grund ändern die Konzertbesucher - eben noch zu ihren Autos unterwegs - ihren ursprünglich eingeschlagenen Weg und eilen, wie von unsichtbarer Hand gezogen, alle in dieselbe Richtung.

Es ist, als gäbe es da einen Magneten, der die Menschen unwiderstehlich anzieht. Diejenigen, die ihr Auto gestartet hatten, nehmen sich nicht mal Zeit, den Motor wieder abzustellen, sondern steigen direkt aus und reihen sich in den Menschenstrom ein. Das Ganze geschieht in einem militärischen Gleichschritt, der Lulu einen Schauer über den Rücken jagt.

Zutiefst erschrocken widersteht Lulu nur mit Mühe dem Drang, ebenfalls ihren Blick in die Richtung zu wenden, in die alle so gebannt marschieren. Sie ahnt, dass sie ansonsten ebenso diesem merkwürdigen Sog erliegen würde.

Voll damit beschäftigt, ihr Fahrrad durch die einzig freie Lücke Richtung Ausfahrt zu lavieren, übersieht Lulu das von rechts kommende Auto Pedros. Dieser, selbst abgelenkt von dem Chaos auf dem Parkplatz, erblickt Lulu erst in letzter Sekunde. Er reißt das Lenkrad herum, verpasst Lulu nur um Haaresbreite und prallt gegen einen Parkpfosten. Durch den Aufprall schlägt er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe. Als er verwirrt aufschaut, folgt sein Blick automatisch den Menschenmassen. Ehe Lulu irgendetwas unternehmen kann, steigt Pedro aus seinem Wagen und reiht sich im Gleichschritt in den Menschenzug ein. Das verzweifelte Rufen von Lulu scheint er überhaupt nicht zu hören.

Lulu ahnt, dass sie Pedro nicht helfen kann, ohne auch in den Sog zu geraten. Schweren Herzens verlässt sie den Parkplatz.

Doch dort draußen wird es nicht besser. Die ganze Stadt hat sich in Bewegung gesetzt. Und es erscheint Lulu, als wäre sie die Einzige, die vor diesem Sog flüchtet.

Dem Menschenstrom entkommen, fährt sie durch leer­gefegte Straßen und fühlt sich plötzlich einsam. Traurig setzt sie sich an den Straßenrand und schaut die verlassene, dunkle Gasse entlang. Ob sie doch den Menschen hinterherlaufen sollte, um zu sehen, was sie so anzieht?

Noch während Lulu diesem Gedanken nachhängt, überfällt sie tiefe Müdigkeit und sie schließt erschöpft die Augen. Kurz vor dem Eindämmern, im Zustand zwischen Wachen und Schlafen, fühlt Lulu sich plötzlich mit einem mächtigen Sog in einer Spirale nach oben gezogen. Dies geschieht in so rasender Geschwindigkeit, dass sie das Bewusstsein verliert.

LULUS MISSION

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