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Einführung: 1815/1848 bis 1933– Das Jahrhundert der Frauen?

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Ein komplexes Phänomen wie die Frauenbewegung ist nicht einfach zu definieren. Käthe Schirmacher formulierte 1905 kämpferisch: „Von jeher hat der Mann diejenige, die ihm Genossin, Kameradin sein sollte, zu beherrschen versucht. Auf Grund des Faustrechts ist ihm das meist gelungen. Jeder Protest gegen dieses Faustrecht war – ‚Frauenbewegung‘.“ Ähnlich vage, wenn auch weitaus vornehmer, definierten andere den unübersehbaren Aufbruch der Frauen. Die Geschichte der Frauenbewegung ist zumeist als Ideen- und Organisationsgeschichte konzipiert worden, in der einige herausragende Persönlichkeiten und überregional agierende oder bekannt gewordene Vereine als Initiatoren der Frauenbewegung beschrieben wurden. In Lokalstudien und in Stadtgeschichten wird eine weit facettenreichere und differenziertere Geschichte der Frauenbewegung rekonstruiert, die mit der Geschichte der überregionalen Vereine unübersehbar zusammenhängt, aber doch ganz eigene Seiten hat. Und in den Arbeiten, die zu einzelnen Aktionsfeldern dieser Frauenbewegung verfasst wurden, zur Wohlfahrtspolitik, zur Bildungspolitik, zur Jugendarbeit, zu juristischen Fragen und zu einzelnen Berufszweigen, tauchen wiederum andere Aspekte der Frauenbewegung auf. Auch die biografischen Arbeiten zur Frauenbewegung lassen die Vielfalt und das dichte Netz dieser Bewegung aufscheinen, dessen Erforschung noch am Anfang steht.

Die wichtigsten Anstöße erhielt die Frauenbewegung von der Französischen Revolution 1789 und der europäischen Revolution 1848/49. Die Französische Revolution mobilisierte mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte auch die Forderungen nach der rechtlichen und sozialen Gleichstellung der Frau, die zumeist mit einer radikalen Kritik an den bestehenden Verhältnissen verknüpft waren. Die Anfänge der organisierten Frauenbewegung in Deutschland reichen in die Vierzigerjahre des 19. Jahrhunderts zurück. Die Aufbruchstimmung, die Deutschland im Vormärz erfasste, beschränkte sich nicht auf den männlichen Teil der Bevölkerung. Aus vereinzelter Kritik an der Situation von Frauen wurde eine Frauenbewegung, die um die Jahrhundertwende in der Öffentlichkeit unübersehbar an Einfluss und Ansehen gewonnen hatte. Es entstand eine vielfältige, publikumswirksame Vereinskultur mit eigenen Publikationsorganen, Beratungsstellen sowie einem umfangreichen Angebot an Informationsveranstaltungen, Treffen und Kongressen, die nicht nur das jeweilige städtische beziehungsweise regionale Milieu prägte, sondern auch der nationalen und internationalen Vernetzung diente. Da die Frauenorganisationen von Frauen aus bürgerlichen Schichten, zum Teil auch aus dem Adel, gegründet und geleitet wurden, stand die Forderung nach Bildungs- und Berufsmöglichkeiten für (bürgerliche) Frauen sowie die Verbesserung der sozialen Lage der Unterschichten im Mittelpunkt der zahlreichen Bildungs-, Berufs- und Wohltätigkeitsvereine. Aus der Bevormundung durch die bürgerlich geprägte Frauenbewegung lösten sich die Arbeiterinnen, die sich mit der Entstehung der sozialistischen Parteien und der Arbeitervereine zunehmend in Frauenabteilungen oder separaten Interessenvertretungen organisierten und eine Gleichstellung der Frau in erster Linie durch die radikale Veränderung der Gesellschaft zum Sozialismus erreichen wollten.

Die Frauenbewegung, die sich im 19. Jahrhundert in den USA und in Westeuropa entwickelte, setzte sich aus verschiedenen Vereinen und Organisationen zusammen, die von Frauen gegründet, geleitet und dominiert wurden und deren Mitglieder mehrheitlich Frauen waren. Diese Frauenvereine engagierten sich auf unterschiedlichen Feldern für eine Verbesserung der Situation von Frauen, mit der sie auch gesamtgesellschaftliche Reformen durchsetzen wollten. Hinter dieser sehr allgemeinen Definition steht eine Vielzahl von Frauenvereinen mit unterschiedlichsten Zielsetzungen, die eine Beteiligung an nationalen Belangen, ein Mitspracherecht in Kommunen und Kirchen, eine Anerkennung der familiären Leistungen von Frauen, bessere Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten für Frauen und die politische Gleichberechtigung forderten. Andere Vereine bemühten sich um die Milderung der Not armer Bevölkerungsschichten, organisierten die Betreuung und Speisung von Arbeiterkindern, engagierten sich für eine bessere medizinische Betreuung von Frauen und Kindern, kämpften gegen schlechte Wohn- und Arbeitsbedingungen sowie gegen staatlich geregelte Prostitution, Mädchenhandel und Alkoholmissbrauch. Während die einen die Anerkennung der Gleichwertigkeit des weiblichen Geschlechts in einer reformierten Gesellschaft erreichen wollten, forderten die anderen gleiche Rechte und gleiche Pflichten in einer revolutionierten Welt. Wie radikal auch immer die Forderungen aussahen: Sie waren an eine Gesellschaft gerichtet, in der die Vorstellung von einer Gleichberechtigung der Geschlechter wenig Akzeptanz fand und ein deutliches Machtgefälle zwischen Männern und Frauen allgegenwärtig war.

Die Vereine und Organisationen der deutschen Frauenbewegung werdenin der Forschung meistunterdem Terminus „bürgerliche Frauenbewegung “rubriziert. Diese Bezeichnung ist, was die Mitgliedsstruktur dieser Frauenvereine betrifft, in der Regel gerechtfertigt. Wenn sich auch Frauen aus anderen Schichten in diesen Organisationen engagierten, so stammte die Mehrheit doch aus bürgerlichen Kreisen: Ute Gerhard schätzt, dass 85 % der Frauen aus bürgerlichen Familien stammten, 10%aus Arbeiterfamilien und 5% aus dem Adel. Problematisch und belastet ist der Begriff „bürgerliche Frauenbewegung“ jedoch dadurch, dass er von sozialistischen Zeitgenossinnen pejorativ benutzt wurde: Mit der Bezeichnung „bürgerliche Frauenbewegung“ grenzten sich Politikerinnen wie Clara Zetkin und Lily Braun (die eine war die Tochter eines Lehrers, die andere stammte aus einer adeligen Familie) von den nicht sozialistischen Vereinen ab, die ihnen die Interessen der Arbeiterklasse zu wenig oder gar nicht zu berücksichtigen schienen. Die innerhalb oder in ideologischer Nähe zur SPD, KPD und den Gewerkschaften angesiedelten Frauenorganisationen werden in der Forschung proletarische oder sozialistische Frauenbewegung genannt, obwohl sich z.B. Clara Zetkin immer davon distanzierte, Arbeiterinnenvereine als Teil der Frauenbewegung zu definieren.Sie postulierte, dass jede Klasse ihre eigene Frauenfrage habe. Da die proletarische Frauenbewegung die Lösung der Frauenfrage in und mit der Entstehung der sozialistischen oder kommunistischen Gesellschaft erhoffte, ordnete sie die Fraueninteressen den Parteiinteressen unter. In dieser Hinsicht waren die hier im Mittelpunkt stehenden Frauenorganisationen der (bürgerlichen) Frauenbewegung autonomer, da sie in der Regeldenliberalen Parteien nahestanden, sich ihnen aber nicht unterordneten.

Neuere biografische, stadt- und regionalgeschichtliche sowie auf die unterschiedlichsten Sachthemen bezogene Arbeiten haben deutlich gemacht, dass die in der Geschichtsschreibung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts übliche Unterteilung der Frauenbewegung in eine „bürgerliche“ und in eine „sozialistische“ oder „proletarische“ Frauenbewegung fragwürdig ist. Nur die „bürgerliche“ Frauenbewegung strebte von Anfang an die Etablierung einer selbstständigen feministischen Organisation an, während die „proletarische“ sich in die sozialistische Arbeiterbewegung eingliederte. Trotzdem verfolgten beide Gruppierungen, in Anerkennung von Geschlechterunterschieden und Hochschätzung von Mutterschaft, entgegen aller politischen Abgrenzungsrhetorik zum Teil gemeinsame Ziele.

Eine statische Einteilung der Vereine in diese beiden Rubriken ist auch deshalb wenig sinnvoll, da Frauenvereine Entwicklungsprozessen unterlagen, in denen sich die Vereinstätigkeit, die Kooperationen und die politischen Einstellungen einzelner Mitglieder oder ganzer Vereine ändern konnten. Die Aktivistinnen der Frauenbewegung bildeten, obwohl sie für unterschiedliche Richtungen vereinnahmt werden, trotz vieler Streitigkeiten, Differenzen und Animositäten immer wieder Aktionsbündnisse, um sich auf verschiedenen Gebieten, mit unterschiedlichen Mitteln und in variablen Koalitionen für eine Änderung der männerdominierten Gesellschaft einzusetzen.

In dieser Darstellung wird von der deutschen Frauenbewegung gesprochen und der Schwerpunkt auf den Dachverband der deutschen Frauenbewegung, den Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) sowie auf die ihm angeschlossenen Vereine und deren Protagonistinnen gelegt. Diese Perspektive soll dazu anregen, die Vielfalt der Frauenvereine, die sich unter diesem Dach versammelten, näher in den Blick zu nehmen und nach ihren Potenzialen zu fragen. Weder vorher noch nachher ist es einer deutschen Frauenorganisation gelungen, ein so breites Spektrum von Frauenvereinen zu mobilisieren, denen nach Schätzungen zuletzt 500 000 bis 1 Million Mitglieder angehörten. Wie bruchstückhaft unser Wissen über diese erfolgreiche soziale Bewegung immer noch ist, zeigen neuere Untersuchungen, die die Überlieferungslücken nicht nur für die Frauenbewegung in Deutschland, sondern für die Frauenbewegungen auf der ganzen Welt verdeutlichen.

Auch wenn es richtig bleibt, dass der BDF sich trotz programmatisch festgelegter Neutralität gegenüber den sozialistisch und pazifistisch orientierten Frauenvereinen ablehnend verhielt, konnte er in vielen Bereichen über die unterschiedlichen politischen Lager hinaus Konsens oder zumindest strategische Zusammenschlüsse herstellen. In Bereichen wie Frauen- und Mädchenbildung, Sozialfürsorge, Frauenberufstätigkeit und politischer Gleichberechtigung von Frauen gelang es dem BDF und den ihm angeschlossenen Vereinen immer wieder, Frauen unterschiedlicher politischer Couleur zum gemeinsamen Einsatz zu bewegen. Nicht die Aus- und Abgrenzungen, sondern die integrativen Bemühungen des Dachverbandes der deutschen Frauenbewegung stehen hier im Mittelpunkt.

Denn trotz der mitunter sehr polemischen Auseinandersetzungen zwischen der BDF-Spitze und den Gruppierungen innerhalb und außerhalb des BDF gab es bis zum Ende der Weimarer Republik noch in fast allen Frauenvereinen die Vorstellung, Frauen könnten als organisierte Gruppe eine Verbesserung der Lebenssituation für Frauen und damit die Grundlage für eine gerechtere Welt schaffen.

Weitgehender Konsens herrscht in der Forschung darüber, dass die Frauenbewegung eine der sozialen und politischen Bewegungen darstellte, die auf die Veränderungen und Herausforderungen einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Modernisierung der Gesellschaft reagierten. Ihre Entstehung und Entwicklung war eng mit der Geschichte der jeweiligen Nationalbewegung und Nationalstaatsbildung verbunden. Die einzelnen Organisationen, die sich der Frauenbewegung zurechneten, verfolgten jedoch teilweise so unterschiedliche Ziele, dass die moderne Forschung inzwischen zum Teil den Plural vorzieht und von den Frauenbewegungen spricht. Während für einzelne Autoren wie Dirk Reder bereits die patriotischen Frauenvereine vom Anfang des 19. Jahrhunderts den Beginn der deutschen Frauenbewegung markieren, sehen andere wie Sylvia Paletschek erst in den freireligiösen Frauenvereinen und in den politischen Frauenvereinen und Frauenzeitungen der 1840er-Jahre die Anfänge der Frauenbewegung. Nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 konnten die Frauenbewegungen durch die restriktiven Vereinsgesetze, die Frauen eine Mitwirkung in politischen Vereinen untersagten, zunächst nur behindert, aber nicht vollständig unterdrückt werden. Zwei Jahrzehnte später formierten sich die Frauenvereine erstmals auch auf überregionaler Ebene und verschafften der sogenannten Frauenfrage in der Öffentlichkeit wachsende Aufmerksamkeit. Im Streben nach Abbau der Diskriminierung von Frauen wurden in den einzelnen Organisationen ganz unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, was jedoch einer partiellen Zusammenarbeit verschiedener Personen und Vereine – besonders auf lokaler Ebene – nicht zwingend entgegenstand. Gerade die weitverbreitete Wertschätzung von Mütterlichkeit und karitativer Arbeit bot zahlreiche Berührungspunkte auch zwischen Frauenvereinen, die sonst keine weltanschaulichen Gemeinsamkeiten hatten.

Derorganisierten Frauenbewegung gingen viele kurzlebige oder noch wenig erforschte Frauenvereine und Einzelkämpferinnen voraus. Auf diese wird ebenso wie auf die von Männern dominierten Organisationen, die Frauen für bestimmte patriotische, karitative oder bildungspolitische Ziele mobilisierten, nur am Rande eingegangen. Wie die Studien von Elisabeth Meyer-Renschhausen, Christina Klausmann, Kirsten Heinsohn und Nancy R. Reagin zu Frauenvereinen in Bremen, Frankfurt am Main, Hamburg und Hannover zeigen, macht die lokale Perspektive ganz neue Zusammenhänge zwischen verschiedenen Frauenvereinen auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene deutlich. Obwohl die vier genannten Studien städtische Frauenvereine in verschiedenen Zeiträumen und unter unterschiedlichen Fragestellungen behandeln, thematisieren sie alle innerstädtische, regionale und überregionale Netzwerke sowie eine breite Palette von Schwerpunktsetzungen, Intensität und Dauerhaftigkeit der Aktionen und Unternehmungen der Frauenvereine. Die Vielfalt von Koalitionen wird auch in den biografischen Studien zu bekannten Vertreterinnen der Frauenbewegung wie Anita Augspurg, Gertrud Bäumer, Helene Lange, Henriette Fürth, Katharina von Kardorff-Oheimb, Bertha Pappenheim, Alice Salomon, Käthe Schirmacher, Helene Stöcker und Marie Stritt immer wieder deutlich. Weitere Forschungen zur Frauenbewegung sind zu erwarten, da die Digitalisierung eines Teils der Bestände von ca. 40 Frauenarchiven aus Deutschland, Österreich, Luxemburg, der Schweiz und Italien im Vorfeld des Gedenkens an 100 Jahre Frauenwahlrecht im Digitalen Deutschen Frauenarchiv große Fortschritte erreicht hat.

Der Aufbruch der Frauen, der sich in der Forderung nach Partizipation und Gleichberechtigung niederschlug und zahlreiche Vereinsgründungen nach sich zog, lässt sich grob in vier Phasen unterteilen. Die erste Phase des „Jahrhunderts der Frauen“ begann im Vormärz und mit der Revolution von 1848/49. Nach einem kurzen Stillstand, verursacht durch die rigiden Maßnahmen der Reaktion, wuchs die Frauenbewegung in den 1860er-Jahren an und gründete nun überregionale Frauenorganisationen. Abgeschlossen wurde diese zweite Phase durch die 1894 erfolgte Gründung des Bundes deutscher Frauenvereine (BDF), der als Dachverband der deutschen Frauenbewegung fungierte. Dominierten bis dahin noch karitative Themen und die Frage nach den Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten von Frauen die Tätigkeit der Frauenvereine, so war die Frauenbewegung in der dritten Phase bis zum Ersten Weltkrieg von einer zunehmenden Differenzierung und allgemeinen Politisierung geprägt. Diese dritte Phase gilt als Hochzeit der deutschen Frauenbewegung, in der Frauen die Geschlechterhierarchie öffentlichkeitswirksam infrage stellten und die Medien den Kongressen, Petitionen und Publikationen der Frauenbewegung zunehmend Aufmerksamkeit schenkten. Auf nationaler und noch zahlreicher auf regionaler und städtischer Ebene entwickelten sowohl karitative, bildungspolitisch engagierte, kirchlich und parteilich gebundene Frauenvereine als auch Berufsorganisationen vielfältige Aktivitäten, die bei weitgehender Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Status quo eine Verbesserung der Lage der Frauen erreichen wollten, während radikalere pazifistische und sozialistische Frauenorganisationen auf eine grundlegende Änderung der Gesellschaft zielten. Auch der Höhepunkt der internationalen Vernetzung fällt in die beiden Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg. Einer effektiven Bündelung der Frauenbewegung in nationale (z.B. Allgemeiner Österreichischer Frauenverband 1893, Bund Deutscher Frauenvereine 1894, Union nationaliste des femmes françaises 1901, Consiglio Nazionale delle Donne Italiane 1903) und internationale Dachverbände (International Council of Women 1888, International Woman Suffrage Alliance 1904), die beeindruckend hohe Mitgliederzahlen erreichten, standen jedoch zunehmende Divergenzen entgegen. Soziale, politische, nationale und regionale Differenzierungen stellten dabei die beschworene Frauensolidarität vor immer härtere Proben. Bei Kriegsausbruch 1914 betonten die meisten Frauenorganisationen ihre nationale Loyalität und gaben ihre internationale Orientierung weitgehend auf.

Die vierte Phase der ersten Frauenbewegung in Deutschland reichte vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933. Nach Erhalt des Frauenstimmrechts im November 1918 herrschte einerseits in manchen Vereinen große Unsicherheit über die weiteren Ziele der Frauenbewegung, andererseits nutzten Frauen die neuen rechtlichen Möglichkeiten und engagierten sich nun zunehmend außerhalb der Frauenvereine für unterschiedlichste politische, soziale und berufliche Ziele. Die Zäsur 1933 zwang die Frauenvereine zur (Selbst-)Auflösung oder zur Unterordnung unter NS-Organisationen und bedeutete damit das jähe Ende der ersten deutschen Frauenbewegung.

Periodisierung der ersten Frauenbewegung:
Phase I1815/1848–1865 Anfänge der deutschen Frauenbewegung
Phase II1865–1894 Konsolidierung und Anwachsen der organisierten Frauenbewegung, überregionale Vernetzung
Phase III1894–1917 Differenzierung und größte Erfolge der Frauenbewegung Die internationale Orientierung wird durch die Nationalisierung der Frauenbewegung 1914 weitgehend aufgegeben
Phase IV1918–1933 Differenzierung der Frauenbewegung, Wiederaufnahme der internationalen Kontakte 1933 Auflösung der Frauenvereine, Unterordnung unter NS-Organisationen

Um in die Lebenswelt des 19. Jahrhunderts einzuführen, ist das erste Kapitel dem bürgerlichen Geschlechtermodell gewidmet, das zwar heute noch die Welt prägt, dessen damalige Bedeutung im auf Androgynie hinsteuernden 21. Jahrhundert inzwischen jedoch nicht nur unverständlich, sondern weitgehend unbekannt sein dürfte. Die ältere Forschung, die in der „neuen Frauenbewegung“ nach 1945 ihre Wurzeln hatte, widmete diesen historischen Umständen, in denen die erste Frauenbewegung agierte, nur wenig Aufmerksamkeit. Von dem Zeitgeist der 1968er-Jahre inspiriert, wurde damals der Unterschied zwischen einem größeren „gemäßigten“ und einem kleineren „radikalen“ Flügel der ersten deutschen Frauenbewegung betont und gerne ein Sonderweg der deutschen Frauenbewegung hin zum Nationalsozialismus postuliert. Neuere Forschungen haben deutlich gemacht, dass die Forderungen der sogenannten Gemäßigten für die damalige Zeit äußerst radikal waren und eine strikte Trennung nach Personen und Vereinen, die entweder die ausschließliche Betonung der Differenz der Geschlechter (Stichwort: „geistige Mütterlichkeit“) oder aber die Egalität der Geschlechter gefordert hätten, nicht aufrechtzuerhalten ist. Die Arbeiten von Ann Taylor Allen, Gisela Bock, Marilyn J. Boxer und Jean H. Quataert, Karen Offen sowie von Sylvia Paletschek und Bianka Pietrow-Ennker haben darüber hinaus gezeigt, dass die deutsche Frauenbewegung bis 1933 durchaus zur Avantgarde der internationalen Frauenbewegungen zählte und bei Weitem mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede zu der amerikanischen und den westeuropäischen Frauenbewegungen aufwies. Die polarisierende Einordnung der verschiedenen deutschen Vereine und Protagonistinnen sowie deren Aktivitäten hat den Blick auf Entwicklungslinien und Berührungspunkte zwischen den Organisationen und Personen weitgehend verstellt. Hier wird dafür plädiert, erst einmal die Aktivitäten und Entwicklungen der Frauenrechtlerinnen und Frauenvereine im historischen Kontext genauer zu untersuchen, bevor sie in verschiedene Rubriken eingeordnet werden. Ältere Darstellungen haben zum Teil Beurteilungen vorgenommen, die sehr statisch ausfielen und wenig Wert auf die Erforschung von Prozessen und Veränderungen legten. Obwohl diese polarisierenden Differenzierungen im Lichte neuerer Forschung längst fragwürdig erscheinen, werden sie dennoch oft weitergeschrieben.

Ein weiteres Problem für die Geschichtsschreibung stellt die bewegungseigene Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts dar. Helene Lange und Gertrud Bäumer gelang es erfolgreich, ihre Sicht auf die Entwicklung der Frauenvereine, die wichtigsten Akteurinnen und Themen sowie die bedeutsamsten Erfolge der deutschen Frauenbewegung für die Nachwelt zu sichern. Zum einen schrieben sie selbst zahlreiche Texte, in denen sie Eingrenzungen und Ausgrenzungen vornahmen, zum anderen gaben Langes und Bäumers Schülerinnen und Anhängerinnen die Narrative der beiden gerne und kritiklos weiter. Wie Sylvia Schraut zeigt, waren die Frauenrechtlerinnen und Frauenvereine außerhalb Preußens dagegen weniger erfolgreich, ihre Entwicklung und ihre Aktivitäten für die Nachwelt festzuhalten und zu überliefern. So gilt für die Geschichtsschreibung zur Frauenbewegung ebenso wie für die Historiografie zu Deutschland, dass beide oft auf Preußen beschränkt bleiben.

Die Forderungen und Aktionen der Frauenbewegung an den gesellschaftlichen Verhältnissen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu messen, kann der ersten Frauenbewegung nicht gerecht werden. Forderungen, die in unseren Augen „zahm“ erscheinen, waren für die damalige Zeit nicht selten unerhört und revolutionär. Als Ende des 18. Jahrhunderts Olympe de Gouges die Ausdehnung der Menschen- und Bürgerrechte auf Frauen forderte, sollte sie das 1793 den Kopf kosten. Seitdem wissen Frauen, dass die Forderung nach gleichen Rechten ihren Preis hat. Dies mag eine Erklärung dafür sein, dass die Emanzipation der Frauen nur langsam vorankommt und bis heute von herben Rückschlägen begleitet wird. Betrachtet man die Frauenemanzipation unter dem Gesichtspunkt von Gewinnen und Verlusten, so stellt sie sich weitgehend als ein Nullsummenspiel dar. Der Soziologe Reinhard Kreissl hat 2000 (ironisch) festgestellt: „Wir sind in das Jahrhundert der Frauen eingetreten. Das vermelden die einschlägigen Medien. Frauen sind auf dem Vormarsch. Steigende Frauenanteile allerorten.“ Seit 2005 wird die Bundesrepublik Deutschland nun von einer Kanzlerin regiert, was zunächst in den Medien großes Aufsehen erregte. Nur selten wird bei den Erfolgsmeldungen von Frauen in Spitzenpositionen danach gefragt, ob nicht ein Zusammenhang zwischen dem Aufstieg einiger Politikerinnen und dem sinkenden Prestige und Einfluss von Politik besteht.

Wird, um mit den Worten von Simone de Beauvoir zu sprechen, das „andere Geschlecht“ aufgrund solcher Dynamiken immer das „zweite Geschlecht“ bleiben? Das ist eine Frage an die Zukunft. Für die Vergangenheit ziehen sich Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen wie ein roter Faden durch die Geschichte. „Die grausamen Zyklen von Wiederholungen“, so hat Gerda Lerner festgestellt, „durch die Frauen sich als einzelne zu einem höheren Bewusstsein haben durchringen müssen, indem sie wiederholten, was Frauen in früheren Jahrhunderten bereits mehrmals versucht hatten, sind nicht nur ein Symbol der Unterdrückung der Frauen, sondern ein realistischer Ausdruck ihrer Situation.“ Besonders deutlich wird das am Beispiel der nach 1968 entstandenen „neuen Frauenbewegung“, die erst mit großer Verspätung die Geschichte der ersten Frauenbewegung entdeckte. Der Nationalsozialismus hatte deren Existenz so gründlich zerstört, dass viele ehemals bekannte Vertreterinnen der ersten Frauenbewegung bis heute nur noch wenigen Expertinnen geläufig sind. Dass die Jahre von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ein „Jahrhundert der Frauen“ waren, kann man bejahen und muss gleichzeitig registrieren, dass nur mehr wenig hierüber in der Öffentlichkeit bekannt ist. Dieses Buch soll dazu beitragen, der ersten Frauenbewegung und ihren vielfach in Vergessenheit geratenen Vertreterinnen einen sichtbaren Platz in der Geschichte einzuräumen.

Für die Unterstützung bei der Überarbeitung dieses Buches bedanke ich mich bei Christina Ewald, Diana Morgenroth, Yves Müller und Lena Volkmann.

Frauenbewegung in Deutschland 1848-1933

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