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EIN PERSÖNLICHES VORWORT

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Irgendwo im großen Wiener Allgemeinen Krankenhaus stand vor vielen Jahren eine Wartebank vor einer der Ambulanzen in der Klinischen Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin. Auf dieser Wartebank habe ich damals Platz genommen – in der Hand die Überweisung meines Frauenarztes zur „Abklärung der Ursache des unerfüllten Kinderwunsches“. Ich erinnere mich noch genau daran, welche Frauen den Wartesaal damals betreten und schließlich wie die Hühner auf der Stange neben mir Platz genommen haben: direkt neben mir eine Dame im grauen Business-Look, die die ganze Zeit nervös auf ihrem Notebook herumtippte und vollkommen abwesend zu sein schien; neben der Business-Lady eine Ausländerin mittleren Alters mit Kopftuch, die ich als Türkin zu identifizieren glaubte und die leise mit ihrem Mann sprach. So unterschiedlich wir drei waren – die Business-Lady, die Türkin und ich – wir hatten offensichtlich alle drei dasselbe Problem. Irgendwo in unserer Krankenakte tauchte das Wort „infertil“ auf. Wir wünschten uns ein Kind, doch ging unser Wunsch nicht in Erfüllung.

Als ich später zur Entfernung eines Myoms stationär im AKH aufgenommen wurde, lernte ich noch viele andere Frauen kennen, die mir die Augen für die Tatsache öffneten, dass ein unerfüllter Kinderwunsch weder auf ein gewisses Alter noch auf eine gewisse Schicht beschränkt sind. Da waren „mittelalterliche“ Akademikerinnen wie ich; da waren aber auch ganz junge Frauen, Angestellte in leitender und nichtleitender Position, Hausfrauen und Lehrerinnen, Supermarktverkäuferinnen, Pferdeliebhaberinnen aus Bosnien, der Türkei, Österreich und Deutschland. In vielen Gesprächen haben wir damals gerätselt: „Warum klappt es nicht? Was machen wir falsch? Was sagt dein Partner dazu? Wie geht ihr damit um? Wie kriegt ihr das hin mit dem Timing?“ Wer schon einmal Patient oder Patientin in einem Krankenhaus war, der weiß, dass man dort mit völlig Fremden manchmal über sehr intime Dinge spricht. Der Schutz des Nichtwissens voneinander und die gemeinsame Situation, in der man sich befindet, erlaubt eine Nähe, die oft nicht einmal vertrauten Menschen vorbehalten ist. So erfuhr ich allerhand von den Abteilungsgenossinnen: Die eine hatte sich einen Hund gekauft, damit „ich wenigstens etwas zum Kuscheln habe“, die andere ein Pferd; die dritte war beschäftigt, die mit den Untersuchungen anfallenden häufigen Aufenthalte in der Klinik vor ihrem Chef zu verschleiern. Die vierte klagte über die mangelnde Sensibilität ihres Mannes, „dem das alles allmählich auf die Nerven geht“. Und die fünfte berichtete mir schließlich in einer stillen Stunde, dass bereits acht Abgänge hinter ihr lagen, dass sie aber unbedingt weitermachen würde, bis sie endlich das ersehnte Kind in den Armen halten würde. Es war dieses Gespräch zusammen mit einer Beratung bei einem freundlichen und besonnenen Arzt der Abteilung, die mich damals zum Entschluss brachten, die IVF für mich nicht in Anspruch zu nehmen. Ich wusste sehr genau, dass ich den psychischen Belastungen mehrfacher Behandlungszyklen nicht gewachsen sein würde. Aus meiner wissenschaftlichen Lektüre als theologische Ethikerin war ich außerdem über die physische Belastung informiert, welche Frauen bei reproduktionsmedizinischen Methoden in unterschiedlichem Maße erwartet. So verließ ich das AKH um ein Myom leichter, aber natürlich auch ohne Kind. Die Untersuchungen waren ergebnislos verlaufen, ebenso die Untersuchungen meines Mannes.

Wir warteten weiter auf ein Kind, das wir angeblich bekommen konnten, aber nicht bekamen. Kurz nach meinem Aufenthalt entschieden wir uns für eine Inlandsadoption und bekamen nach vierjähriger Wartezeit von der Wiener Magistratsabteilung 11 den ersehnten Anruf: „Wir hätten da ein Baby für Sie!“ Wir zogen mit unserer Adoptivtochter in den Wiener Wald, ich erhielt zwei Jahre später ein Stipendium für meine Habilitation, trat eine Stelle an der Universität Wien am Institut für theologische Ethik an – und stellte fest, dass ich schwanger war. Seitdem toben zwei kleine Mädchen bei uns durchs Haus und verlangen uns ab, was alle Kinder ihren Eltern abverlangen: Geduld, gute Nerven, Zeit und Geld und viele schlaflose Nächte.

Ich kenne Paare, die einen anderen Weg gegangen sind als wir und die IVF oder andere Methoden der Reproduktionsmedizin gewählt haben – manchmal waren sie erfolgreich und brauchen heute Geduld, gute Nerven, Zeit und Geld und mehr Schlaf. Andere haben sich irgendwann damit abgefunden, keine Kinder zu bekommen. Manche wollen schlichtweg keine und sind sehr glücklich miteinander, auch ohne Kinder. Andere wiederum betreuen Pflegekinder oder haben Patenschaften in Ländern übernommen, wo Kinder jeden Tag ums Überleben kämpfen.

Was ich damit sagen will: Es gibt keinen Königsweg, um mit dem unerfüllten Kinderwunsch leben zu lernen. Letztlich muss jedes Paar einen Weg für sich finden und dieser Weg ist mühsam, verläuft oft abseits der Leistungsbilanzen und den geglückten Karrieren, die einem im Laufe des Lebens so präsentiert werden. Schmerzen gehören dazu, Wut und Trauer, Sprachlosigkeit und Enttäuschung.

Ethische Überlegungen, um die es auf den folgenden Seiten gehen soll, haben hier zunächst – so scheint es – kaum einen Platz. Ethik als „Kopfarbeit am Guten“ erscheint oft als relativ abstraktes Unternehmen, als nüchtern-rationale Abwägung der eigenen Handlungsziele und ihrer Folgen. Im Gefühlsgemenge eines unerfüllten Kinderwunsches verschaffen sich ethische Reflektionen – wenn überhaupt – nur leise Gehör. Das mag daran liegen, dass ethisches Nachdenken immer eine gewisse Distanz zum eigenen Handeln erforderlich macht, eine Portion Rationalität. Allein mit Wut und Trauer im Bauch lässt sich Ethik nicht betreiben, gänzlich ohne sie aber auch nicht. Der Schmerz oder auch der Zorn darüber, dass etwas nicht so ist, wie es sein soll oder wie wir es zumindest gerne hätten, ist ein starker Antrieb ethischer Reflektion. Ohne diese Erfahrung des Schmerzes verkommt Ethik zu einer Ansammlung formaler Rechtssätze, die dann für „ethical correctness“ sorgen, aber auch seltsam leer und blass bleiben.

Die folgenden Seiten sind also aus der Erfahrung des Schmerzes ungewollter Kinderlosigkeit geschrieben. Sie geben keine Auskunft darüber, wie „man ethisch korrekt mit den Angeboten der Reproduktionsmedizin“ umgeht, noch verstehen sie sich als pure Ansammlung reiner Information. Sie spiegeln das Ringen einer katholisch-theologischen Ethikerin wider, die sich einerseits mit dem vielversprechenden Angebot der Reproduktionsmedizin konfrontiert sieht, andererseits vor den ethischen Problemen, die sich mit dieser Technologie ergeben, aber nicht die Augen verschließen will. Das Attribut „katholisch-theologisch“ spielt insofern eine Rolle, als beide christliche Kirchen, insbesondere die katholische Kirche, der Reproduktionsmedizin skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen und gute Gründe dafür haben. Allerdings bleibt deswegen keinem Paar mit unerfülltem Kinderwunsch – ob christlich oder nicht – das eigene Nachdenken und das Ringen um eine eigene Entscheidung erspart. Um verantwortliche Entscheidungen treffen zu können, muss man letztlich „die eigene Stimme“ finden, wie eine schöne Übersetzung für Autonomie in der feministischen Literatur lautet. Dies ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil man mit seinen Entscheidungen ein ganzes Leben lang leben muss. Im Konzert der vielen Stimmen und unter zunehmend liberalen Rahmenbedingungen heute die ureigene zu finden ist allerdings ein mühsamer Weg. Wenn dieses kleine Buch auf diesem Weg ein wenig zum Nachdenken beitragen kann und hier und da im Gefühlschaos ein wenig Innehalten schafft, dann hat es seinen Zweck bereits erfüllt.

Ein Kind um jeden Preis?

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