Читать книгу So oder so ist es Mord - Anja Gust - Страница 17

Ganz schön nassforsch

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3 Tage später …

„Jetzt nicht!“, schrie Uwe Lindholm, als es zaghaft klopfte. Da es aber wiederholt geschah, jetzt sogar kräftiger, sprang er wütend auf und eilte zur Tür. Mit einem Ruck riss er sie auf und hatte schon einen deftigen Spruch auf den Lippen, als ihm Frau Schneider, seine Vorzimmerdame, mit einem älteren, überaus pedantisch wirkenden Herrn zu ihrer Linken gegenüberstand.

Dieser drehte nervös seinen Hut in den Händen und wich den Blicken des Hausherrn aus. Der Umstand, dass der Besucher unangemeldet erschien, deutete auf ein Problem hin.

„Tut mir leid, Herr Lindholm. Aber ich habe alles versucht. Doch dieser Herr …“, entschuldigte sich die sichtlich verwirrte Sekretärin, ohne den Satz zu Ende zu bringen.

„Worum geht es?“, blaffte Uwe den Unbekannten an, der vor lauter Verlegenheit so etwas wie eine leichte Verbeugung andeutete. Dann jedoch straffte sich seine Haltung und er zog eine überaus bedeutungsvolle Miene.

„Guten Tag, Herr Parteivorsitzender“, erwiderte jener auf den ersten Blick so wunderliche Besucher. „Mein Name ist Bohnsack, Anton Bohnsack. Ich komme vom städtischen Finanzamt. Hier ist meine Karte.“

„Ja und?“, fragte Uwe, nachdem er diese flüchtig gesichtet hatte.

„Es gibt da ein paar Unstimmigkeiten bezüglich Ihres Vertrages mit der Fa. Roland & Boelke“, verdutzte der ungebetene Gast den Politiker, dessen Puls sofort merklich stieg. Handelte es sich doch hier um eine Scheinfirma, über welche einige Werbeverträge seiner Partei liefen. Woher wusste dieser Kerl davon? Ein diffuses Unbehagen kroch Uwe in den Nacken.

Auch Frau Schneiders Augen quollen auf. Diese überaus vorsichtige, für gewöhnlich harmlose Person, war sichtlich verblüfft. Nachdem sie die Sprache wiedergefunden hatte, wies sie Herrn Bohnsack pikiert auf die Regel einer Terminvergabe hin.

„Schon gut, Lisa. Das geht schon in Ordnung“, wimmelte Uwe sie ab und vergrößerte damit ihre Konfusion. Rasch bat er den Herrn herein und verschloss die Tür. Zuvorkommend führte er den Besucher zur prachtvoll ausgestatteten Gästeecke mit den beiden Ohrensesseln und dem dunkelbraunen Mahagonitisch.

Auf diesem stand mittig ein Onyx Marmor-Ei auf sechs in Gold gefassten ionischen Säulen. In einer rückwärtig beleuchteten Glasvitrine funkelten die Kristalle mehrerer Swarovski Figuren, was jedoch nicht die geringste Beachtung durch den Gast fand. Lindholm bot ihm einen Gin Tonic an. Aber selbst diesen lehnte er aus Gründen der Diensttreue ab.

„Verstehe, einmal Beamter, immer Beamter, korrekt und unbestechlich!“, witzelte der Hausherr anerkennend, aber irgendwie behagte ihm dieser Mensch nicht. „Ich nehme an, dass die Art Ihrer Kontaktaufnahme eine besondere ist. Warum sonst dieser Umweg, wenn der Sachverhalt doch klar erscheint?“

Der Beamte lächelte daraufhin süßlich und senkte verschämt den Blick. „Nun ja, immerhin sind Sie ein bekannter Politiker und stehen im Blickpunkt der Öffentlichkeit“, flötete dieser unterwürfig. „Ich muss gestehen, Herr Lindholm, ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Partei. Mit Begeisterung habe ich Ihre letzte Rede gehört, in der Sie einigen Herren von der Landesregierung ordentlich eingeheizt haben. Es wird Zeit, dass den Etablierten mal jemand auf die Finger klopft – frischer Wind, verstehen Sie? Selbst meine Frau hat gesagt …“

„Schon gut, schon gut“, würgte Lindholm ihn ab, der so etwas jetzt nicht hören wollte. „Also, wo drückt der Schuh?“

Der Besucher stieß einen langen Seufzer aus. „Nun ja, das Problem ist, dass Sie … Wie Sie sicherlich wissen, sind diese Herren Versicherungsvertreter vom Schlage ‚Roland & Boelke’ … oder soll ich lieber sagen, Kredithaie? Schließlich geht es um viel Geld. Um sehr viel Geld … Aber was soll ich lange reden? Das können Sie sich sicher schon denken.“

„Allerdings, hehehe. Ich möchte es aber dennoch von Ihnen hören, schon um sicher zu gehen, dass ich richtig denke!“

„Mein Kompliment, Herr Parteivorsitzender. Sie haben ein Talent, die Dinge zu umgarnen“, kicherte jetzt auch der Mann.

„Wer umgarnt denn? Ich benenne nur den Fakt!“, stellte Uwe unmissverständlich klar. Argwöhnisch musterte er diesen ihm vis-à-vis sitzenden Schmierfinken niederster Kategorie. Am liebsten hätte er ihm jetzt so richtig eins reingewürgt.

„So kann man es auch nennen, hahaha“, steigerte dieser Frechling seinen Zorn. „Man merkt, Sie sind Politiker und sagen niemals, was Sie sagen sollten, sondern nur, was man hören möchte. So ist es richtig, haha … Also, um es klar zu sagen. Die Sache könnte insofern für Sie unangenehm werden, da die für Ihre Werbekampagne bereitgestellten Mittel aus dem Nachlass eines gewissen Berthold Wittenburg stammen. Ich nehme an, Sie sind mit diesem Herrn bekannt.“

Uwe fühlte sofort einen Stich in seinem Herzen und begann zu lavieren: „Wer sagt denn, dass ich ihn kenne?“

„Das ist doch stark anzunehmen, wenn Sie etwas aus seinem, sagen wir mal, ‚persönlichen Nachlass‘ finanzieren. Sehen Sie hier“, erklärte ihm Bohnsack und kramte dazu einen Zettel hervor, der eine handschriftliche Verfügung mit Uwes Unterschrift trug.

Schlagartig wurde dem Politiker der Ernst der Lage bewusst. „Nun ja, wenn Sie mich so fragen. Ich meine, mich jetzt dunkel zu erinnern … Ja, kann schon sein. Da war mal was“, druckste er herum, wobei man ihm die Peinlichkeit ansah.

„Dann dürfte Ihnen ja nicht entgangen sein, dass dieser Mensch – sagen wir es mal vorsichtig – geschäftsunfähig ist und sich momentan in einer geschlossenen Anstalt befindet.“

„Ja, auch davon habe ich schon gehört“, räumte Lindholm nach einigem Zögern ein und zündete sich eine Zigarette an.

„Sehen Sie, genau hier liegt das Problem. Aber vielleicht können Sie es mir erklären“, setzte dieser Widerling mit einem abscheulichen Lächeln hinzu und sah auch noch großmütig über die offenkundige Verlegenheit seines Gegenübers hinweg. Augenscheinlich war es ihm ein Vergnügen, einen solch windigen Hund in die Schranken zu weisen. „Wie kommt es, dass die für die Verträge nötigen finanziellen Mittel aus dem Vermögen dieses Herrn beglichen wurden, obwohl ein Zugriff aufgrund der derzeit noch ungeklärten Rechts- oder genauer Erbfolge unmöglich ist?“

Uwe gab sich erstaunt. „Na, Sie können Fragen stellen!“, meinte er und machte eine großartige Gebärde. „Woher soll ich das wissen?“

„Das sollten Sie aber. Denn wenn ich diese Frage nicht stelle, tun es vielleicht andere und das könnte unangenehm werden.“

„Nun ja. Vielleicht könnte mein Schatzmeister etwas dazu sagen?“

„Aber, aber. Wir wissen doch beide, dass der Schatzmeister das nicht kann.“ Bohnsack zwinkerte dem Parteivorsitzenden verschmitzt zu. „Ich denke, ich muss nicht betonen, welche Folgen ein Bekanntwerden dieses Umstandes für Ihre Partei und Ihre politische Karriere haben könnte.“

Uwe sah sich in seinem Vorgefühl bestätigt. Dieser Kerl spielte mit ihm. Schon wollte er ihn anfahren, was er sich erlaube und überhaupt. Er könnte stehenden Fußes die Hauswache rufen und ihn achtkantig rausschmeißen lassen, gefolgt von einem Tritt.

Das hatte er schon mal praktiziert und sich dabei verdammt wohlgefühlt. Aber da war die Sachlage eine andere. Deshalb entschloss er sich zu einer moderateren Variante. „Schon gut, schon gut. Habe verstanden. Und jetzt sind Sie hier, um mir einen Vorschlag zu machen“, folgerte er und inhalierte tief den Rauch seiner Zigarette.

„So kann man das nennen“, bejahte sein Gegenüber dreist. „Anderenfalls hätte ich bestimmt einen anderen Weg gewählt.“

„Da kann ich ja von Glück reden.“

Ungeniert musterte Bohnsack ihn. „Ja, das können Sie.“

„Wer weiß außer Ihnen noch davon?“

„Niemand.“

„Wie kann ich mir sicher sein?“, fragte Uwe mit skeptisch gehobenen Brauen. „Ihr ehrliches Gesicht allein genügt mir nicht.“

„Das muss es aber.“

Der Parteivorsitzende stutzte einen Moment. Dann aber drückte er nervös seine Zigarette aus und meinte überraschend trocken: „Eigentlich sollte ich Sie jetzt rauswerfen, Sie Dreckskerl!“

„Mehr kann ich Ihnen nicht bieten“, erwiderte der Besucher bedauernd.

„Verstehe, verstehe. Und was erwarten Sie nun?“

„Nun ja, wenn Sie mich so fragen“, wand er sich wie ein getretener Wurm. „Mir ist das schrecklich peinlich, wissen Sie. Und glauben Sie mir, das ist keineswegs meine Art.“ Er seufzte. „Aber heutzutage muss man sehen, wo man bleibt. Ich habe eine Familie mit fünf Kindern und mein Häuschen im Grünen ist auch noch nicht abbezahlt.“

„Ach so, ja natürlich“, erwiderte Uwe grimmig. „Und woran haben Sie gedacht?“

„An Hunderttausend. Das wäre doch in diesem Falle angemessen, oder?“

„Puh, Hunderttausend?“ Das traf ihn bis ins Mark. Erschrocken legte der Politiker die Hand an die Stirn. „Welche Garantien habe ich?“

„Mein Wort.“

Lindholm räusperte sich. „Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen?“

„Durchaus nicht. Ich überlasse Ihnen das Original des Prüfungsergebnisses. Dieses befindet sich auf diesem Stick.“ Sogleich zog er den kleinen länglichen Gegenstand aus seiner Hosentasche und legte ihn vor sich auf den Tisch. „Sobald sich dieser in Ihren Händen befindet, habe ich alles vergessen.“

Lindholm fühlte sich versucht, das Beweismittel zu ergreifen. Doch Anton steckte den Stick gleich wieder ein. „Tze, tze, tze“, kicherte er amüsiert, als hätte er diese Absicht erraten. „Wenn die Zeit reif ist. Ich denke, wir verstehen uns.“

Augenblicklich zuckte Lindholm zurück. „Tut mir leid, aber ich muss das erst überdenken“, zögerte er plötzlich. „Immerhin steht für mich dabei eine Menge auf dem Spiel. Wer garantiert mir, dass keine Kopien existieren?“

„Es gibt nur diesen einen Stick. Wie gesagt, mein Wort sollte Ihnen als Sicherheit genügen.“

„Verstehe, verstehe.“ Lindholm versank erneut ins Grübeln.

„Sie wissen doch, dass Solveig Wittenburg als Erbberechtigte zunächst ihr Einverständnis auf einen Kontenzugriff gab, dann aber wieder zurückzog“, verdutzte dieser Frechling ihn erneut.

„Wie bitte?“ Lindholm horchte auf.

„Das war ja auch der Grund für diese plötzliche Auffälligkeit“, setzte diese Krämerseele mit sichtlichem Genuss hinzu.

Uwe war fassungslos. Davon wusste er gar nichts. Sollte das wirklich wahr sein, dann hätte er ihr diesen Besuch zu verdanken.

„Sie hat was?“ Misstrauisch sah er seinen Besucher an.

Dessen Lippen umspielte jetzt ein Lächeln, das allen Schmerz dieser Welt reflektierte. „Ich wunderte mich ja auch. Aber das ist doch sehr ungewöhnlich und da dachte ich mir, Sie sollten das wissen.“

Verdammter Halunke, schoss es dem Vorsitzenden spontan durch den Kopf. Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass du noch mehr weißt? „Ja, danke, das ist sehr anständig.“ Uwe lächelte still und boshaft, wobei seine Lippen zu zittern begannen. „Ich danke Ihnen, Herr Bohnensack!“

„Bohnsack bitte, ohne en!“, intervenierte er sichtlich pikiert.

„Verzeihung, Herr Bohnsack. Kann ich auf Sie zählen?“

„Aber sicher“, ereiferte sich dieser sogleich. „Ich bin großer Verehrer Ihrer Politik. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Und bevor die KVPD, allen voran dieser … dieser Brusig … Nun ja, Sie wissen schon.“

„Natürlich!“

„Sie werden aber verstehen, dass ich nicht endlos Zeit habe. In spätestens zwei Wochen erwarte ich die Zahlung in bar und in mittleren Scheinen auf die Hand. Keine Bank, keine Überweisung. Die Übergabe findet dann an einem Ort meiner Wahl statt. Das hat jetzt nichts mit Misstrauen zu tun. Aber in der heutigen Zeit … Verstehen Sie das bitte nicht falsch.“

„Nein, schon gut“, erwiderte Lindholm, tief in Gedanken. Aber dieser Schreck wirkte noch immer nach.

„Na dann – wir hören voneinander“, verabschiedete sich der Erpresser dümmlich lächelnd und erhob sich von seinem Platz.

„Sie sind ein schäbiger Lump. Wissen Sie das?“, konnte Uwe sich jetzt nicht verkneifen.

Daraufhin erwiderte sein Gegenüber emotionslos: „Dann sind wir schon zwei.“ Noch einmal nickte er dem Parteivorsitzenden zu und verließ lautlos das Zimmer.

Es dauerte eine Weile, bis Uwe sich wieder gefangen hatte. Dabei schockierte ihn weniger der Umstand dieser dreisten Erpressung, als vielmehr die Tatsache, dass ihn Solveig so schnöde hintergangen hatte. Was sollte das? Oder genauer, wer steckte dahinter?

‚Doch wie nun weiter?‘. Nachdenklich rieb er sich die Stirn. ‚Jetzt nur die Ruhe bewahren, vor allem aber, die näheren Hintergründe aufdecken.‘ Zwar wusste er noch nicht, wie er es tun würde – dafür aber, was er nicht tun würde. Und das war, Solveig zu vertrauen.

Also griff er zum Hörer und wählte eine ganz bestimmte Nummer. Doch bevor sich der Teilnehmer meldete, legte er gleich wieder auf. Kurzfristig disponierte er um und beschloss, die Sache anders anzugehen.

Obgleich er normalerweise in solchen Dingen überlegt und sachlich handelte und die näheren Hintergründe erst eruierte, oder besser eruieren ließ, entschloss er sich in diesem Fall anders.

Er wollte den Frontalangriff, das hieß, er würde Solveig jetzt sofort aufsuchen und zur Rede stellen, notfalls die Wahrheit aus ihr herausprügeln. Ein solcher Verrat war inakzeptabel und bedurfte einer schnellstmöglichen Klärung.

Bereits kurz darauf verließ er voller Adrenalin das Zimmer. Frau Schneider teilte er mit, aus dringlichen Termingründen heute nicht mehr zurückzukehren. Eventuelle Nachfragen seien auf die Sprechzeit für den morgigen Tag zu verschieben oder ganz abzublocken.

Seine beiden Personenschützer schickte er mit einem belanglosen Auftrag fort, schon um deren dauerhafte Präsenz für die nächsten Stunden zu beenden.

Danach begab er sich zu seinem in der Tiefgarage parkenden Dienstwagen – einem dunkelblauen Daimler, natürlich mit ordentlich Power – und nicht zu der Nuckelpinne, welche erst vor Kurzem aus Öko-Gründen vom Rat georderte wurde.

Nachdem er, wie immer, die Scheiben mit den elektrischen Rollos verdunkelt und den Sportmodus eingelegt hatte, schlug er seinen Kragen hoch. Dann setzte er in James-Bond-Manier seine Sonnenbrille auf und fuhr, oder besser, bretterte mit quietschenden Reifen davon.

Gemäß seinem Faible für Risiken war sein Fahrstiel auch entsprechend. Vor allem fühlte er sich ohne seine wortkargen Bodyguards, die ihm die Landesregierung aufgrund seines Amtes stellen musste, frei und ungezwungen. Jetzt konnte er endlich mal die Sau rauslassen ohne ihre dämlichen Einwände.

Das war natürlich leichtsinnig, weil der Dienstwagen schneller auffiel. Immerhin hatte Uwe bereits zwei Anschläge überstanden – einen durch eine Umweltaktivistin, die ihn mit Eiern beworfen hatte und den zweiten, als sein auf dem hauseigenen Grundstück abgestelltes Auto unter einer dicken Schicht Feuerlöschschaum verschwunden war.

Dennoch hatte er heute Bock auf diese luxuriöse Karre und den Grund seines Ausfluges hatte niemanden zu interessieren.

Kaum auf der Straße, spielte er sofort mit dem Gaspedal, was ihm bei dieser 500 PS starken Kiste besonderen Spaß machte. Es war einfach ein Genuss, diesen Boliden brummen zu hören. „Platz da, du Affe! Hast deinen Lappen wohl im Kindergarten gemacht!“, brüllte er ungehalten, als ihn jemand schnitt.

Es war aber auch zum Verzweifeln. Ausgerechnet heute drohte er im Verkehr zu ersticken. Warum war die Dauer der Grünphase auf dieser Strecke so kurz? Und wieso wurde der Radweg noch nicht auf einen gesonderten Fahrstreifen verlegt?

Er meinte, einen entsprechenden Antrag bei der letzten Debatte eingebracht zu haben. ‚Na warte! Diese Opportunisten können sich warm anziehen‘, schimpfte er. Er war entschlossen, das zum Gegenstand der nächsten Rede zu machen.

„Was gaffst du so, Blödmann!“, schnauzte er einen Radfahrer links neben sich an, der ihn beim Abbiegen behinderte.

Auch wenn der sogleich abstieg und eine alberne Drohgebärde einnahm, zeigte Uwe ihm nur den Finger.

Bei der nächsten Gelegenheit donnerte er ungebremst durch eine Pfütze, worauf ein erschrockener Passant zur Seite sprang und danach einem begossenen Pudel glich. Darüber amüsiert, klopfte er brüllend aufs Lenkrad.

Dann aber, nach etwa zehn Minuten, zeigte der Bordcomputer plötzlich einen Anruf an. Da die Rufnummer unterdrückt war, wollte er erst gar nicht rangehen, tat es dann aber doch. Kaum hatte er das Gespräch angenommen, fragte eine unbekannte Stimme, ob er Uwe Lindholm sei.

„Wer will das wissen?“, schnauzte er zurück, denn das war doch keine Art.

„Jemand, der sich um Ihre Sicherheit sorgt.“

„Wie bitte?“

„Wenn Sie nicht wollen, dass Ihnen etwas geschieht, fahren Sie jetzt weiter die Straße geradeaus und unterschreiten Sie 40 km/h nicht“, ermahnte ihn die Stimme.

„Was soll das jetzt? Wollen Sie mich veralbern?“ Uwe wusste nicht, was er davon halten sollte. Wiederholt sah er in den Rückspiegel, konnte jedoch nichts Verdächtiges erkennen.

„Keineswegs. Aber Sie sollten mir von jetzt an genau zuhören …“

„Ich denke nicht daran!“ Empört drückte Lindholm den Anrufer weg. Doch irgendwie kam er nicht zur Ruhe. Er spürte, dass etwas nicht stimmte, zumal das Telefon weiterhin schnarrte. ‚Verdammt! Wer war das nur?‘, dachte er und starrte immer wieder auf das Display mit dem Schriftzug ‚Anonymus‘. Seine Privatnummer war nur engen Vertrauten bekannt. Doch keiner von ihnen würde sich einen solchen Scherz erlauben.

So fuhr er weiter, obwohl das Schnarren nicht nachließ. Da reichte es ihm und er nahm erneut ab. „Hör zu, mein Freund! Wenn du nicht sofort Ruhe gibst, veranlasse ich eine Fangschaltung, und das wird dich teuer zu stehen kommen. Verlass dich drauf!“

„Dazu dürfte es leider nicht mehr kommen“, erwiderte die Stimme zu seinem Entsetzen.

„Wieso?“

„Weil in Ihrem Wagen ein Sprengsatz deponiert wurde und der Countdown bereits läuft.“

„Blödsinn! Das ist ja totaler Bullshit!“, brüllte Uwe. „Wer sind Sie, verdammt noch mal! Und was wollen Sie?“

„Ihr Leben retten.“

„Dass ich nicht lache!“

„Tun Sie nur das, was ich Ihnen sage!“, wiederholte der Anrufer. „Aber halten Sie bloß nicht an und unterschreiten Sie nicht die 40 km/h Marke. Anderenfalls wird der Sprengsatz aktiviert!“

„Das ist doch alles Unsinn. Ich werde jetzt anhalten“, brüllte Uwe äußerst gereizt.

Doch kaum bremste er ab, war ihm, als ertönte irgendwo unter ihm ein seltsames Geräusch, sodass er gleich wieder beschleunigte.

„In Ordnung, was wollen Sie?“, fragte er jetzt merklich gedämpft zurück.

„Fahren Sie die Straße weiter geradeaus … halten Sie dabei Ihr Tempo bei.“

„He, he, und was ist, wenn ich verkehrsbedingt halten muss?“, kreischte Uwe voller Panik, der immer noch nicht so recht wusste, was er davon halten sollte.

„Dann deaktiviere ich den Sprengsatz für diesen Moment.“

„Aha! Sie können mich also sehen!“, folgerte Uwe und starrte wie ein Irrer in den Rückspiegel. Dabei sondierte er die hinter ihm fahrenden Fahrzeuge. „Wo sind Sie jetzt, rechts oder links?“, wollte er plötzlich in einem Anfall dümmlicher Naivität wissen.

„Raten Sie mal“, spöttelte die Stimme. „Und jetzt biegen Sie links ab!“

Uwe gehorchte.

„Und jetzt weiter geradeaus, bis zur rechtsseitig befindlichen Baumreihe. Dort befindet sich ein kleiner Parkplatz. Dort halten Sie an, legen beide Hände sichtbar aufs Lenkrad und bewegen sich nicht.“

Mit Unbehagen stellte Uwe fest, dass er sich inzwischen außerhalb der Stadt befand. Weit und breit war niemand in der Nähe und sollte die Situation unangenehm werden, wäre kaum Hilfe zu erwarten. Doch blieb ihm eine Wahl? Er musste gehorchen, denn zu überprüfen, ob es sich wirklich nur um einen Bluff handelte, wagte er nicht.

Also tat er, was ihm aufgetragen wurde und steuerte die Baumreihe an. Dann erreichte er den Parkplatz und brachte seinen Wagen zum Stehen. Brav legte er die Hände aufs Lenkrad und saß wie befohlen eine ganze Weile gelähmt da. Ein leichter Schauer ließ ihn erzittern, sein Herz pochte bis zum Hals. Bei Gott, Ohnmacht war ein verdammt dummes Gefühl.

Es folgten qualvolle Minuten. Dann aber geschah etwas Unerwartetes, ja, geradezu Unmögliches. Wie in einer schlechten Sitcom bog plötzlich ein kleiner grauer Fiat Panda in hohem Tempo ein und kam direkt hinter ihm zum Stehen. Die Tür sprang auf und dem Auto entstieg – eine Frau.

Und nicht nur das. Sie hatte verdammte Ähnlichkeit mit Ludmilla. Verdammt, das war Ludmilla! Er glaubte, zu träumen. Wie immer trug sie ihre große dunkle Sonnenbrille, hatte den Kragen ihrer pelzverbrämten Stola aufgeschlagen und hielt sich mit der linken Hand den Mund, wie jemand, der gewaltsam ein Lachen unterdrücken musste.

Als er sie so sah und dazu diese ganze surreale, geradezu unmögliche Situation, sprang er wie von einer Tarantel gestochen aus dem Wagen, stürzte auf sie zu und packte sie an den Schultern. Doch selbst das konnte ihre Heiterkeit nicht stoppen.

„Oh Gott, du solltest dich jetzt sehen, hahaha …“ Ludmillas Lachen überschlug sich. „Wenn du dich jetzt sehen könntest, hihihi … also nein … Ein so dummes Gesicht hast du lange nicht gemacht!“

„Was soll das? Was hat das zu bedeuten?“, brüllte Uwe und war drauf und dran, ihr eine zu kleben. Immerhin hätte er Todesangst ausgestanden und fände das keineswegs witzig.

„Ja, ich weiß. Aber das musste sein, denn anders wärst du nicht zur Vernunft gekommen“, gestand sie ihm, nachdem sie sich etwas beruhigt hatte.

„Was musste sein?“, schleuderte er ihr voller Verachtung entgegen. „Wovon redest du?“

„Ich rede von deiner Eigenmächtigkeit. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du gerade jetzt nicht so mir nichts dir nichts irgendwohin verschwinden kannst, ohne dich abzumelden. Es kann nicht sein, dass ich erst durch deine Sekretärin von irgendeinem Termin erfahre und niemand, nicht mal deine engsten Vertrauten, wissen davon. So etwas können wir uns nicht leisten … Und jetzt sage mir eines, und das auf Ehre und Gewissen, warum hast du deine beiden Sicherheitsleute nicht mitgenommen. Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?“

„Schon gut, schon gut. Reg’ dich ab“, versuchte Uwe, sie zu beruhigen. „Ich hatte einfach die Nase voll von all dem Stress und wollte raus. Einfach mal raus, ohne irgendjemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Geht es dir nicht ebenso? Hast du nicht auch manchmal die Nase voll und willst raus?“

„Ja schon! Aber jemand wie du kann nicht einfach raus! Schon deshalb solltest du vorsichtiger sein! Dazu steht zu viel auf dem Spiel, vor allem jetzt, so kurz vor der Wahl! Du hast viele Feinde! Die warten nur auf ihre Chance!“

„Nun ja, irgendwo hast du schon recht“, lenkte Uwe ein, verschwieg aber weiterhin den wahren Grund. Fürchtete er doch, Ludmilla könnte, angesichts seiner Verfügungen über Wittenburgs Vermögen, irgendwelche unliebsamen Schlüsse auf eine mögliche Verbindung zu dessen Tochter Solveig ziehen. Also beließ er es dabei, auch wenn diese Variante nur wenig glaubwürdig klang.

Ob sie ihm das abnahm, war zweitrangig. Vielmehr ärgerten ihn ihre ständigen Schnüffeleien. Das setzte ihn herab und hatte etwas Demütigendes. Und wie hatte sie es nur angestellt, dass alles so verdammt echt klang? Aber sie besaß ohnehin ein seltsames Talent, ihn bisweilen mal so aus ‚Spaß‘ zu foppen.

Mit Schmerzen erinnerte er sich an den jüngsten Fauxpas, als sie ihm heimlich ein sogenanntes Furzkissen unterschob, gerade als er in geschlossener Runde vor seinen Parteikameraden Platz nahm.

Das nachfolgende Geräusch war so peinlich, dass er am liebsten im Boden versunken wäre. Als dann alle noch lachten, blieb ihm nichts, als notgedrungen mitzulachen. Dabei hätte er sie am liebsten erwürgt.

Oder ein anderes Mal, als sie ihn nach einigen verbalen Attacken gegen einen Gegner in Gegenwart namhafter Parteikollegen ‚Popeye‘ nannte und ihn damit der Gefahr eines neuen Spitznamens aussetzte. Oh nein, auch das hatte er nicht vergessen und würde es auch nicht, wie er überhaupt in solchen Dingen sehr empfindlich war.

„Sag mir nur eines“, fragte Uwe jetzt verwundert, „wie hast du das mit der Stimme gemacht, ich meine, ich hatte doch einen Mann in der Leitung? Oder irre ich da?“

„Ist das wichtig?“

Zu ihrer Überraschung reagierte er heftig darauf: „Natürlich ist es das! Oder meinst du, ich lasse mich von dir noch einmal auf den Arm nehmen?“

„Es gibt da eine App zur Stimmenverzerrung. Diese filtert die Tonlage und Stimmenschwingungen nach Belieben aus. Das Ergebnis ist eine Spannbreite von der Bass- bis zur Heliumstimme. Vorhin erst habe ich dein Fräulein Lisa veräppelt. Sie glaubte im Ernst, sie habe beim ‚Verrückten Telefon‘ 500 Euro gewonnen. Ist das nicht witzig?“

„Oh, du verdammtes Luder! Glaubst du wirklich, es sei der richtige Augenblick für solche Albereien?“ Er schien jeden Sinn für Humor verloren zu haben. Selten hatte sie ihn so verstört gesehen. „Irgendwann drehe ich dir noch den Hals um. Mach das noch einmal und du bekommst den zu spüren!“ Ohne zu zögern, griff er in seine Jacke und hielt ihr eine Browning 1910 unter die Nase. „Verlange jetzt keine Vorführung“, zischte er. „Die ist echt und vor allem scharf. Schon deshalb ist es ratsam, mich niemals nervös zu machen.“

„Oh Gott!“ Wo hast du dieses Ding her?“ Sichtlich erschrocken fuhr Ludmilla zurück.

„Ist doch jetzt nicht wichtig“, erwiderte er und steckte die Knarre wieder weg.

„Aber du hast doch gar keinen Waffenschein.“

„Wen interessiert das?“ Seine Miene blieb erstaunlich reglos. Erst als sie es mit der Angst bekam und ganz blass wurde, tätschelte er ihr vergnügt die Wange.

Ludmilla wurde plötzlich ganz kopflos. „Oh Gott, wann wirst du endlich erwachsen? Wie soll ich dich betreuen und managen, wenn ich über solche Dinge nichts weiß. Hast du gehört: Ab sofort keinerlei Eigenmächtigkeiten mehr! Nicht, bevor du die Wahl gewonnen hast. Weißt du denn nicht, dass dir die kleinsten Fehler zum Verhängnis werden können?“

„Ach komm, Mausi. Haben wir denn bisher nicht immer alles hingekriegt? Das Leben verlangt Cleverness und da ist Misstrauen fehl am Platz.“ Tatsächlich beruhigte Ludmilla sich bald wieder.

Zur Feier des Tages lud er sie zu einem Essen zu Giovanni ein, seinem Lieblingsitaliener. Dort erklärte er ihr bei einer Flasche Vine Rosé in einer romantischen Anwandlung, wie sehr ihm alle den Buckel runterrutschen könnten. „Was sind schon gewonnene Wahlkreise gegen dich, meine Liebste?“, begann er, ihr zu schmeicheln.

„Nanu? Was ist denn in dich gefahren?“ Forschend sah sie ihn an.

„Ach Chéri, du sollest nicht immer so schlecht von mir denken. Sind wir nicht ein wundervolles Team?“

„Oje, wenn du weiter so redest, könnte man es fast glauben“, kicherte Ludmilla, nahm ihr Glas und stieß mit ihm an.

Dann aber begann, dieses ‚Solveig-Problem‘ ihn erneut zu quälen. Kurzfristig disponierte er um. ‚Vielleicht wäre es besser, die Sache doch nicht direkt anzugehen, sondern zunächst die Hauptgefahr auszuschalten‘, dachte er infolge einer plötzlichen Gedankenüberkreuzung. Immerhin wähnte Solveig sich arglos und es gab keinen Grund, etwas zu überstürzen. Also entschuldigte er sich kurzerhand und begab sich zur Toilette.

Nachdem er sich überzeugt hatte, dass niemand weiteres in der Nähe war, zückte er sein Smartphone und rief nun doch eine ganz bestimmte Nummer an.

Auch wenn er normalerweise offene fernmündliche Äußerungen mied, machte er dieses Mal eine Ausnahme. Und so unterrichtete er Kalle sofort über die neue Laus in seinem Pelz.

Er trug ihm auf, alles über diese Kanaille herauszubekommen und vor allem, die Quelle stillzulegen. Das bedeutete in diesem Fall nichts anderes, als eine professionelle Manipulation einiger Datenwege einschließlich der Beseitigung des bzw. der entsprechenden Datenträger. „Kriegst du das hin?“

„Nun ja, das wird schwierig“, begann er, sich sofort zu winden, was Uwe gar nicht gefiel.

„Was willst du damit sagen?“

„Dazu müsste man die ganzen Zahlenkombinationen ändern, einschließlich der Zugangscodes zu den Bankverbindungen.“

„Ja und?“

„Dazu kommen die zu knackenden Passwörter. Das ist eine Menge Arbeit.“ Kalle seufzte, dass es im Übrigen sehr gefährlich und verdammt schwierig wäre.

„Red’ nicht so ‘n Stuss. Wie viel“, fragte Uwe ihn auf den Kopf zu.

„Meine Experten sind nicht billig.“

Uwe wusste aus Erfahrung, dass es diese Mistkerle allesamt faustdick hinter den Ohren hatten. Doch er hatte keine Wahl. „Also?“, schnarrte er ihn an.

„Wenn Sie mich so fragen, unter zweitausend läuft da nix.“

„Halsabschneider!“, fluchte er.

„Tut mir leid, so sind die Preise.“

„In Ordnung. Aber dann erwarte ich noch eine finale Lösung des Problems.“

„Dann kämen aber noch mal fünfhundert dazu.“

Was blieb Uwe, als zähneknirschend anzunehmen. Danach begab er sich wieder zu Ludmilla.

Er wirkte nachdenklich und hatte alle Mühe, sich zusammenzunehmen. Und obwohl ihm fröstelte, lächelte er seine Frau an, wie am ersten Tag, und leerte mit ihr sogar noch eine weitere Flasche.

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So oder so ist es Mord

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