Читать книгу Thrill before you die - Anja Ollmert Ute Look Susanne Wolters Matthias März Rüdiger Kaufmann - Страница 7
Ein schattiges Plätzchen
ОглавлениеVorsichtig und voller Vorfreude packte ich das Paket aus. Zerbrechlich stand in großen Lettern darauf. Behutsam entnahm ich dem verschwenderisch beigelegten Verpackungsmaterial die kleine Statue aus Stein. Wunderschön. Ich hielt eine fast identische Kopie des berühmten und von mir geliebten „Angel of Grief“ in Miniaturform in meinen Händen. Ein leiser Schauer lief mir über den Rücken, denn diese kleine Skulptur entfachte in mir ein Gefühl, welches mir fremd war und ich nicht einordnen konnte.
Sehnsuchtsvolle Trauer.
Ich berührte die winzig kleinen Finger der rechten Hand und erschauerte. Gleichzeitig spürte ich förmlich die Verzweiflung, die ein Mensch empfinden musste, der seinen geliebten Partner verlor.
Verzweiflung!
Verzweiflung angesichts des Todes. Dies drückte die Skulptur aus.
Wie sehr muss ein Mensch geliebt worden sein, dem so ein wunderschönes Andenken und Grabmal gesetzt wurde. Ihr Name ist Emelyn, begraben unter dem beeindruckenden Original auf dem Friedhof in Rom.
So stelle ich mir auch mein Grab vor. Geschmückt mit einem monumentalen Engel. Mein Wunsch für die Unendlichkeit meines Seins.
Meine kleine Terrasse schmücken viele steinerne Skulpturen, Gargoyles, Steingesichter und jetzt im Sommer ein großes, buntes Blumenmeer. Für meinen kleinen Engel hatte ich einen besonderen Platz ausgesucht. Inmitten von Efeuranken hat er seinen Platz auf einem antikweißen runden Pflanzgefäß gefunden.
Betrete ich meine Mini-Terrasse, schaue ich zuerst auf meine Lieblingsskulptur. Trotz der Mittagssonne liegt sie im kühlen Schatten. Vereinzelte Sonnenstrahlen tanzen auf den kleinen filigranen Füßen. Schön ist mein kleiner Engel, überirdisch schön. Er liegt dort gefangen in tiefer Trauer.
Etwas ließ mich aus meinem Tiefschlaf hochfahren. Was waren das für Geräusche? Es hörte sich wie Kratzen und Scharren an. Unerträglich laut. Völlig schlaftrunken stieg ich aus meinem Bett. Je näher ich dem Wohnzimmer kam, desto lauter wurden die Geräusche. Ich sah, dass die Terrassentür geschlossen war. Dennoch mussten die Geräusche von draußen kommen, denn im Wohnzimmer herrschte absolute Stille.
Ich ging näher zur Terrassentür und schaute durchs Glasfenster nach draußen und wich jäh zurück. Etwas kleines, undefinierbar Schwarzes prallte mit einem lauten Knall gegen die Scheibe und fiel danach zu Boden. Was war das? Minutenlang blieb ich ohne mich zu bewegen vor der Tür stehen. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus. Ein Vogel konnte es um diese Uhrzeit nicht sein. Eine Fledermaus? Eher unwahrscheinlich. Vorsichtig öffnete ich die Tür und schaltete die Außenbeleuchtung der Terrasse ein.
Nichts, Stille.
An der Außenscheibe bemerkte ich eine leicht grünliche, phosphoreszierende Schleimspur. Und dann sah ich ein handtellergroßes, käferartiges Wesen auf den Bodenfliesen rutschen. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Es bewegte sich wie eine Made, denn es hatte keine Beine. Der Kopf war mit übergroßen Fühlern ausgestattet, die grün glitzerten. Der längliche, wurmartige Körper war schwarz.
Mehr konnte ich nicht erkennen, denn das Wesen rutschte rasend schnell durch die hölzerne Terrassenverkleidung auf den angrenzenden Hof und verschwand in der Dunkelheit der Büsche.
Auf den Fliesen nahm ich eine schimmernde und süßlich riechende Schleimspur wahr.
Ekel und Kälte durchdrangen mich. Fröstelnd ging ich zurück ins Schlafzimmer und hoffte darauf, nur schlecht geträumt zu haben.
In der darauf folgenden Nacht wurde ich wieder durch laute Kratzgeräusche geweckt. Sie schienen mir lauter, als in der vorigen Nacht zu sein. Widerwillig stieg ich aus meinem Bett und ging auf das Wohnzimmer zu. Dort angekommen blieb ich wie angewurzelt vor der geöffneten Tür stehen. Ich fing an zu zittern, denn was ich nun sah, ließ mich fast ohnmächtig werden.
Etwas robbte auf mich zu, so groß wie eine Katze. Schwarz und bedrohlich. Das Mundwerkzeug schnappte auf und zu. Es war zum Beißen bereit. Je näher mir dieses Ungeheuer kam, desto mehr sah ich von der eklig grünen Schleimspur, welche es hinter sich herzog. Die gallertartige Flüssigkeit schien auf dem Parkettboden förmlich zu verdampfen.
Ich war unfähig, mich zu bewegen. „Kratz, kratz, kratz … kraaatz“
Dieses Wesen scharrte mit den Fühlern auf dem Parkett entlang und hinterließ tiefe Furchen. Es kam näher und näher auf mich zu. Schweißtropfen rannen mir von der Stirn.
Eine riesige Made, mit einem Käferkopf ausgestattet, war bereit mich zu fressen. Ich ergab mich meinem Schicksal.
Als ich es wagte, meine Augen zu öffnen, sah ich einen großen, schwarzen Schatten, welcher durch die Terrassentür flog.
Ich wachte auf und hatte unsägliche Kopfschmerzen. Was waren das nur für Albträume in der letzten Zeit. Ich konnte mir das nicht erklären.
Zwei Tage und Nächte verliefen völlig normal. Ich war normal, alles um mich herum war normal. Ich musste lachen. Über mich und meine Albträume.
Ein unerträglicher Gestank zog durch mein Schlafzimmer.
Ich lag in meinem Bett und riesige, glänzende Fühler, die wie Skeletthände aussahen schoben meine Lider hoch. Ich sah in Augen, grün, starr und unerbittlich. Groß und fordernd. Neben den Hauptfühlern befanden sich kleinere Fühler, die wie bösartige Schlangen hin und her zuckten. Aus diesen Fühlern tropfte grünlicher Schleim auf meine Haare. Der schwarze Madenkörper legte sich auf mich und begrub meinen gesamten Körper unter sich. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Aus dem abscheulich großen, schwarzen Mundwerkzeug schnellte ein mit Haaren bestückter Rüssel hervor und umschlang meinen Kopf.
Verwesungsgeruch drang in meine Nase. Süßlich, bedrohlich. Der Geruch des Todes umhüllte mich und nahm mir den Atem. Ich wurde ohnmächtig.
Als ich zu mir kam, hörte ich das mir mittlerweile sehr bekannte Klopfen.
Das Monstrum entfaltete Flügel von einer Dimension, welche ich zuvor nie gesehen hatte. Der Rüssel sog mich in den Körper der Bestie hinein und ich fühlte, wie ich immer kleiner wurde. Kleiner und kleiner. Unendlich gefühlte Zeiten später spuckte mich die Bestie aus und im Fallen sah ich meine „Angel of Grief“ Skulptur auf mich zukommen und ich versank in eine erneute Bewusstlosigkeit.
Der Geruch frischer Erde umfing mich.
Ich versuchte mich zu bewegen. Ich spürte meine Finger und Zehen nicht. Keinen Millimeter meines Körpers spürte ich. Nur meine Augen konnte ich öffnen und schließen. Panik mischte sich mit Verzweiflung und Angst. Hatte ich überhaupt noch einen Körper? Meinen Verstand hatte ich noch, doch mein Körper war einbetoniert, absolut bewegungsunfähig. War das der Tod?
Oder war es nur ein schrecklicher Traum? Ich hegte meine Zweifel, denn ich war wach. Hellwach.
Der nächste Morgen musste angebrochen sein. Ich hörte Vogelgezwitscher und aus der Ferne vernahm ich Straßenlärm. Ich wollte sterben, einfach nur sterben. Zeitgefühl? Was war das?
Ich musste monatelang in meinem Grab gelegen haben, denn mittlerweile hörte ich keine zwitschernden Vögel mehr und die Erde roch auch nicht mehr frisch, sondern modrig. War es Herbst? Winter?
Irgendwann vernahm ich, wie sich die Terrassentür öffnete, und eine Frauenstimme sagte: „ Schau mal Schatz, die Voreigentümerin der Wohnung hat wohl vergessen, diesen Pflanzkübel mit der wunderschönen Engelsfigur mitzunehmen. Sie wird sich bestimmt bei uns melden, falls es ein Versehen war und sie die Figur nur vergessen hat mitzunehmen“
Kurz darauf spürte ich, wie sich etwas auf meinem Gesicht bewegte, und öffnete meine Augen. Ein abscheulich, süßlicher Geruch drang erneut in meine Nase. Eine schwarze Made mit kleinen, grünen Fühlern robbte auf mein linkes Ohr zu.
„Du wirst bald Nachbarn haben“, raunte das stinkende Gewürm in mein Ohr. Mir liefen die Tränen übers Gesicht.
Ich konnte nicht helfen.