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Die Nacht der Erkenntnis

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„Knack-knack“, ich wälzte mich im Bett unruhig hin und her. Und wieder „knack-knack“. Ruckartig und hellwach setzte ich mich auf. Wie konnte ein Mensch nur solche Geräusche während des Schlafens machen? „Knack-knack“, ich ging näher heran und legte meine Hände an seinen Kieferknochen, um dieses wahnsinnige Knacken zu beenden. Doch wieder „knack-knack“. Ich beobachtete seinen offenen Mund, aus dem bei jedem Atemzug dieses Geräusch hervortrat. „Knack-knack“. Wie macht man das bloß? Stoßweise versuchte ich zu atmen. Dann presste ich die Luft gegen den Kehlkopf, doch in dieser Lautstärke wollte es mir nicht gelingen.


Ich bemerkte, dass bei jedem Geräusch meine Aggressivität und Wut auf ihn wuchs. Der Raum und die Straße waren still und ließen diese Geräusche noch lauter erscheinen. Da war es wieder. Ich zog mich daran hoch, das wusste ich. Durch den leeren Raum drang dieses Geräusch wie ein Hämmern an mein Ohr. Kälte und Einsamkeit ließen es nachhallen und vermischt mit meiner Enttäuschung gipfelte es zum Trommelwirbel.


Es war 3 Uhr nachts, und ich beobachtete meinen schlafenden Ehemann. Wo war die Wärme geblieben, die ich früher empfand, wenn ich ihn heimlich anschaute? Meine Finger glitten über seinen Arm, ich spielte mit den Haaren darauf, doch ich spürte nichts. Kein Prickeln unter meinen Händen bei den Berührungen, die ich einmal so liebte.


Er drehte sich schlafend zu mir herum. Sein Mund immer noch weit geöffnet. Ich stellte mir vor, wie es wäre ihn jetzt zu küssen. Doch nichts an diesem Gedanken erregte mich. Schlimmer noch, er stieß mich ab.

Unruhig strampelte er die Bettdecke von seinen Beinen.

,Ach Du liebe Güte, er hatte sogar noch Socken an!‘


Über den weißen Tennissocken lugten ebenso weiße Waden hervor. Mein Blick wanderte langsam nach oben und jeden Zentimeter seines Körpers vergleichend zu dem Mann, den ich einmal geheiratet hatte, haftete ich an jeder Veränderung. Das T-Shirt hatte er schon beim Sport an, stellte ich fest. Seine dunkelblonden Haare kräuselten sich bis tief in den Nacken. Früher stand er von Eitelkeit getrieben solange vor dem Spiegel, bis auch das letzte Härchen an dem für ihn vorgesehenen Platz war. Heute sahen seine Haare höchstens jedes halbe Jahr einmal einen Frisör. Seine blasse Haut bräunte nicht leicht, doch was hatte er immer für Anstrengungen unternommen, um ihr doch einen leicht farbigen Touch zu verleihen. Sonnenbankbesuche nach einem festgelegten System standen früher auf seinem Stundenplan. Mal der Tiefenbräuner, mal der Gesichtsbräuner, dann wieder eine schwächere Bank, um bloß nicht zu rot zu werden.

Eitelkeit und ich standen früher bei ihm hoch im Kurs, beides hatte er zugunsten der Bequemlichkeit merklich abgelegt.

Ernüchtert stand ich auf und ging ins Wohnzimmer.

War es wirklich schon soweit gekommen?

Störte mich denn wirklich alles?


Ich zog die Fotoalben aus dem Schrank. Verzweifelt versuchte ich beim Anblick der Bilder von uns die Gefühle zurückzuholen. Ich sah uns in Frankreich. Unsere erste gemeinsame Urlaubsreise. Ich schloss die Augen und versuchte in Gedanken in die Vergangenheit zu reisen. Ich wollte den Sand unter meinen Händen fühlen, die Sonne auf meiner Haut, aber vor allem die Liebe, die uns einmal zusammengebracht hatte.

Bilder von unserer ersten Wohnung. Winzig klein, aber unsere gemeinsame Wohnung. Mir wurde es ein bisschen wärmer ums Herz.

Und es schrie in mir: ,Mach’ weiter so, erinnere Dich. Lass nicht los.‘

Ich blätterte und blätterte. Draußen dämmerte es, als ich die Alben schloss.


Ich hatte mich wirklich erinnert. Viele schöne Erinnerungen hatte ich Revue passieren lassen. Doch zu jeder fiel mir auch eine herbe Enttäuschung ein.

In unserem Frankreichurlaub hatte er heimlich Karten an seine Ex-Freundinnen verschickt, und während den Renovierungs­arbeiten für unsere Wohnung hörte ich zwischen Pinseln und Tapezieren des Öfteren den Spruch: „So viel Arbeit und was mache ich, wenn ich dich mal satt habe?“


Jetzt hatte ich ihn satt.

Ich hatte sein Desinteresse satt.

Ich hatte seinen Egoismus satt, und ich hatte sein Knacken satt.

Und das nun wirklich nicht wegen der Äußerlichkeiten! Die spiegelten nur seine gesamten Veränderungen sichtbar wider.

Und all das, was ich mir in meiner grenzenlosen Verliebtheit damals eingebildet hatte, war nie eingetreten. Täglich trafen mich gezielte Wortattacken. Doch von Zeit zu Zeit tat es weniger weh. Jetzt trafen sie mich nicht mehr, sie schossen an mir vorbei. Sie bewirkten nichts mehr, weil ich nichts mehr für ihn empfand. Und mit dieser Erkenntnis verplatzte meine Hoffnung auf Besserung wie ein Luftballon.

Ich liebte ihn wirklich nicht mehr. Die Enttäuschung trieb mir die Tränen in die Augen. Es war wirklich aus.


Im Badezimmer wusch ich meine Tränen mit eiskaltem Wasser aus dem Gesicht. Wer schaute mich da im Spiegel bloß an? Müde sah ich aus oder schlichtweg desillusioniert? Meine mittelblonden schulterlangen Haare hingen schlaff nach unten, und meine grünen Augen hatten ihren Glanz verloren. Auch die „fröhlichen Strähnchen“ der Frisörgilde peppten meinen Ausdruck nicht auf die gewünschte Art auf.

Es musste etwas geschehen.


Ich ging zurück in Richtung Schlafzimmer und blieb an Robins Kinderzimmertüre stehen. Ja, es war das einzig tolle, was wir zustande gebracht hatten. Unser Sohn. Ich streichelte ihm liebevoll ein paar hellblonde Strähnchen aus der Stirn und zog die Decke an sein Kinn. Wohlig lächelnd mümmelte er weiter.


Im Schlafzimmer rollte Sebastian sich gerade auf die andere Seite. Im Zimmer roch es nach frühem Morgen. Sein Knacken war in lautes Schnarchen übergegangen. Widerwillig legte ich mich auf meine Bettseite, eng an den Rand gedrückt, um mir körperlichen Abstand zu verschaffen.

Meine Gedanken wanderten noch einmal in die Vergangenheit.

In die Zeit, als wir uns kennenlernten.

Zum ersten Mal sah ich Sebastian, als ich mich im ortsansässigen Reiterverein anmeldete. Zaghaft betrat ich den Boxengang, der in das hintere Vereinszimmer führte. Ich fühlte mich nicht wohl, als ich an den Pferden vorbeiging, denn obwohl ich jeden freundlich grüßte wurde ich skeptisch beäugt und nur selten kam ein „Hallo“ zurück. Es war eben eine eingeschworene Clique, dieses Reitervölkchen.

Vor dem Durchgang zum Vereinsraum stand er, groß und raumfüllend versperrte er mir die Türe. Während er seine Hände gegeneinander rieb schaute er mich von oben bis unten aufdringlich grinsend an.

„Na, schöne Frau, wohin des Weges?“

„Ich möchte zum Reitstallleiter, Herrn Albers, können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?“

„Den Weg zeige ich Ihnen doch gerne“, sprach es, nahm mich am Arm und zog mich durch die Türe.

Sein „Frisch-Fleisch-schnapp-ich-mir“-Blick traf mich aus über 1,80 Meter Höhe. Ich entriss ihm meinen Arm.

„Bitte vielmals um Entschuldigung Ihnen zu nahe getreten zu sein“. Er deutete einen Kniefall an und verschränkte übertrieben die Arme auf der Brust. Er bleckte wieder die Zähne.

Welch Unsympath!

Drei Monate später begann ich jedoch meine anfängliche Meinung über ihn zu revidieren. Er war hilfsbereit und stets bemüht um mich.


Eines Abends hatte er mich erfolgreich überredet mit ihm in einen Biergarten zu gehen. Wir fuhren gemeinsam, aber in getrennten Autos, vom Stall in die Düsseldorfer Altstadt. Vom Parkhaus aus liefen wir dann bei schönstem Sommerwetter die Rheinpromenade entlang.

Ob es nun die laue Nachtluft war oder seine nicht enden wollenden Komplimente, die meine Hormone ankurbelten, ich wusste es nicht, jedenfalls küsste er mich plötzlich und ich konnte nicht bestreiten, dass es mir gefiel.

Turtelnd kamen wir erst weit nach Mitternacht zu unseren Autos zurück und dort erwartete uns die „frohe Botschaft“, dass wir unsere fahrbaren Untersätze erst am nächsten Morgen wieder bekommen würden. Das Parkhaus hatte schon seit Stunden geschlossen! Er grinste mich schuldbewusst an, sagte aber kein Wort. Es war klar, dass er als gebürtiger Düsseldorfer genau wusste, wann welche Parkhaus schließen würde.


Als wir uns am Morgen verabschiedeten, waren wir ein Paar. Und recht bald darauf ein Ehepaar.


Knapp ein Jahr später wurde ich schwanger, und obwohl Sebastian – wie er allen sagte – furchtbar stolz war, kam mehr und mehr der Typ zum Vorschein, der mir einst den Weg versperrte.

Zum Tanz in den Mai nahm er mich selbstverständlich im siebten Monat nicht mehr mit.

„Schatz, was sollen denn die Leute sagen!?“


Ebenso wurden andere Aktivitäten, wie Grillabende oder Ausflüge mit dem Verein, für mich gestrichen.

„Denk an das Kind, du darfst dich nicht überanstrengen!“

Nun kein Vorzeigepüppchen mehr, wurde ich umgehend ins dunkle Kämmerlein verbannt. Und wenn es sich Sebastians Frau, mittlerweile mit einem Plus von 20 Kilo Körpergewicht, dann dennoch wagte auf Veranstaltungen zu erscheinen, dann wurde sie nicht beachtet.

So fristete ich mein Dasein bis zur Geburt von Robin zu Hause.


Im neunten Monat überkam mich ein Heulkrampf nach dem anderen. Meine Waage verachtete mich bereits seit Tagen, und auch mein Spiegel wollte nichts mehr von mir wissen. Schon das Schuhanziehen am Morgen wurde zur Tortur. Was hätte ich um aufmunternde Worte gegeben?

Zu hören bekam ich: „Habe noch niemanden gesehen, der so schnell so fett werden konnte“ oder „Muss dir bald jemand helfen beim Anziehen?“

Schließlich hatte mein Sohnemann ein Einsehen mit seiner gebeutelten Mama und beschloss den Sprüchen ein Ende zu bereiten und auf die Welt zu kommen.


Als ich meine Wehen bekam war Sebastian eigentlich an diesem Abend zu einer Party eingeladen. Hatten Robin und ich aber auch einen wirklich ungünstigen Termin herausgesucht!

„Bist du dir sicher, dass das Wehen sind?“ fragte er mich ungeduldig. „Ich wollte doch gleich zum Horst.“

„Ja, ganz sicher“, gab ich matt zurück. „Könntest du mich bitte jetzt fahren?“

Unwillig machten wir uns auf den Weg. Meine schwere Krankenhaustasche drückte, er mir nachdem wir die Treppen hinunterkamen, in die Hand.

„Die wirst du doch wohl selbst tragen können, bist doch nicht krank!“

Wie nett, und warum hatte er mich dann in den vergangenen Wochen wie eine Aussätzige behandelt? Doch das eindeutige Ziehen im Bauch beendete abrupt meine gedanklichen Ergüsse.

Im Krankenhaus fragten wir nach dem Weg zur Entbindungsstation. Sebastian fand die Vorbereitungskurse lächerlich.

„Ich hechel da doch nicht mit fremden Leuten um die Wette!“

Alleine wollte ich nicht dorthin gehen, und so mussten wir uns nun durchfragen und kannten weder Ärzte noch Hebammen.

Meine Angst erklomm luftige Höhen!

Vor dem Aufzug blieb Sebastian stehen und drückte auf den Knopf.

„Ich fahre jetzt nicht mit dem Aufzug, stell dir vor der bleibt stecken. Nein, nein, ich gehe zu Fuß“, sagte ich ihm im gereizten Ton.

„Schön, ich nicht, wir treffen uns dann auf der dritten Etage.“

Mühsam schleppte ich mich die Stufen hoch, die Tasche in meiner linken Hand schien Wackersteine in sich zu haben. Dann wieder ein Ziehen und ich schnappte nach Luft.

Die Stufen wollten und wollten kein Ende nehmen.


Mehr als erschöpft kam ich vor dem Kreissaal an und sah Sebastian schon mit einer Krankenschwester dort stehen. Wenigstens etwas um was er sich gekümmert hatte. Doch weit gefehlt!

„Ach so, deshalb sind sie hier!“ lachte die Schwester mit elfenhafter Stimme.

„Ja, meine Frau meint sie hätte Wehen, könnten aber auch Blähungen sein, damit hat sie öfter zu kämpfen“, hörte ich ihn sagen.

Ich schüttelte resignierend den Kopf.

Nun wurde ich durchgereicht. Nach der Schwester folgte eine Hebamme, die mich an einen Wehenschreiber anschloss.

Zuverlässige, wunderschöne, dreiminütige Wehen wurden mir diagnostiziert. Zwischen Atmen und Prusten stammelte ich Sebastian zu: „Von wegen Blähungen du Blödmann“.

Die untersuchende Ärztin prophezeite mir die Geburt in weniger als einer Stunde, und ich wurde in einen Behelfskreissaal geführt. Alle anderen waren schon besetzt, schließlich sei heute Vollmond, da würden viele werdende Mütter reagieren und die anderen hätten sich rechtzeitig angemeldet.

Das hatte ich davon!

Eine kalte metallene Liege mit Beinauflagen in einem kleinen Raum, hier sollte also mein Sohn geboren werden. Die Schmerzen vermischten sich mit meiner Angst. Panik stieg in mir hoch, als ich das Krankenhauskittelchen überzog. Sebastian war noch mal schnell eine Zigarette rauchen gegangen, und ich versuchte mich selber zur Ruhe zu mahnen. Mit mir selbst vorgespieltem Interesse schaute ich mir die grünen Schränke und das nichtssagende Bild an der Wand an. Dann wurden die Schmerzen schlimmer und ich musste mich auf einen Stuhl setzen. Ich krallte mich an der Liege fest und versuchte gleichmäßig zu atmen.

,Atmen Karina atmen‘, sagte ich mir.

Mir wurde schwindlig und das Herz schlug mir bis zum Hals. Panik, das war eindeutig eine Panikattacke, und ich schrie nach der Hebamme.

„Ganz ruhig“, sie tätschelte meine Hand und machte den Weg frei für die Ärztin, „das haben wir gleich.“

Nun füllte sich der Raum. Zwei Hebammen und die Ärztin schauten gebannt auf den Wehenschreiber. Sebastian stand irgendwo hinter mir, ich konnte ihn nicht sehen.

„Wie lange dauert es noch? Es tut so weh“, fragte ich weinerlich in die Runde, bekam aber keine Antwort.

Ein zweiter Arzt betrat den Raum, und ich spürte es würde Komplikationen geben.

„Sebastian, Sebastian“, schrie ich und als er sich näherte flehte ich ihn an, „frag was los ist, frag schon“.

„Ich kann denen doch nicht ins Handwerk pfuschen“, und mit diesen Worten trat er wieder in den hinteren Teil des Zimmers.

Ich versuchte es noch mal: „Was ist denn los? Nun sagen Sie mir es doch! Stimmt was nicht?“

Die nächste Wehe kam und ich presste den Schmerz weg.

„Nicht pressen!“ wurde ich angeschrieen.

„Die Herztöne Ihres Kindes sinken.“

Danach hörte ich nur noch „Schneiden!“, „Zange!“ mir wurde noch schwummeriger, und ich versuchte mich auf meinen Atem zu konzentrieren.

Dann die Aufforderung „Jetzt pressen“. Na was wollen die denn?

Leise drang Einigkeit der Fachleute an mein Ohr, dass Vorbereitungskurse Pflicht sein müssten, ich wäre ja das beste Beispiel.

Schier endlos schienen mir die nächsten Minuten bis zur Geburt von Robin. Doch dann war er endlich da. Mein Sohn – nun ja, eigentlich unser Sohn.

Ganz Vaterstolz streichelte Sebastian Robins kleines Köpfchen und nahm ihn dann, als ich in den Überwachungsraum gefahren wurde. Schon beim Waschen, Wiegen und bei der Untersuchung des neuen Erdenbürgers war Sebastian der Stolz in Person.

Zu mir sagte er – fast zärtlich – „Danke schön, danke für unseren Sohn.“

Sollte sich vielleicht jetzt doch alles ändern?

Nein, dieser Gedanke währte keine fünf Minuten.


Im Überwachungsraum angekommen, machte er mich sofort auf den Zustand meines nun zu großgewordenen „Bauchfells“ aufmerksam, drückte mir Klein-Robin in den Arm und verabschiedete sich, samt Hebamme, für eine Zigarettenpause.


Ich drehte mich im Bett herum und schaute Sebastian an.

Nein, er hatte mir wirklich genug angetan!


Als wenig später der Wecker klingelte, schlug er voller Wut auf den „Off“-Knopf und maulte unverständlich herum.

Nach weiteren fünf Minuten meldete sich der unverschämte Wecker erneut. „Blödes Mistding“, schnauzte er. „Mach mal Frühstück, ich muss raus!“

Ich wollte schon aufstehen, doch meine Erkenntnis von vorhin meldete sich. Los Karina, jetzt oder nie.

„Ich schlaf noch was. Ab heute gewöhnst du dich besser daran dein Frühstück selber zu machen.“

„Klasse, rumzicken am frühen Morgen. So was kann ich gebrauchen.“ Missmutig und böse dreinblickend stand er vor meinem Bett. Unsere Augen trafen sich.

„Keine Angst, die Zicke verlässt dich, Sebastian.“ Ich drehte mich zur anderen Seite und wartete auf das Donnerwetter, doch es blieb still.


Als Sebastian die Wohnung verlassen hatte, setzte ich mich an den Computer, um einen Artikel zu schreiben. Das Interview hatte ich schon vor drei Tagen gemacht und Herr Klarenwasser, mein Chefredakteur, würde sicherlich nicht weiter warten

wollen. Unkonzentriert legte ich los. Das Thema lag mir jetzt besonders.

Ein Ehepaar hatte Diamanthochzeit. Seit sechzig Jahren standen sie sich zur Seite und hatten mir stolz und händchenhaltend ihre Liebesstory erzählt. Inmitten ihrer zahlreichen Gäste schilderten sie ihre Liebe, die kein Hollywood-Macher schöner hätte schreiben können.

Schon bei ihrer ersten flüchtigen Begegnung wusste der Jubilar „das ist die eine“ und er erzählte seinem Vater, dass er die Frau getroffen habe, die er einmal heiraten werde. Der Vater belächelte seinen Sohn, denn zunächst war diese Liebe recht einseitig. Dass die beiden dennoch zusammenfanden, verdankte der Bräutigam der Schwiegermutter, die die Geschicke des jungen Glücks sorgfältig und unermüdlich lenkte, bis die Herzensdame ihn schließlich erhörte.

Seitdem hielten sie zusammen, und was auch immer sich an Schwierigkeiten in ihren Weg stellte, sie fanden gemeinsam eine Lösung. An der Türe verabschiedete mich das Paar mit den Worten: „Bis in zehn Jahren, dann feiern wir eiserne Hochzeit.“ Sie winkten mir noch lange nach. Doch ihre Worte sollten noch viel länger in mir nachhallen. Das war echte Liebe. „Cincero Amore“, die einzige und wirkliche Liebe.

So etwas wollte ich auch empfinden, dachte ich, und vielleicht kam dadurch auch die Erkenntnis der vergangenen Nacht.


Gedankenversunken schrieb und schrieb ich ihre Geschichte. Zum Schluss merkte ich, dass sie viel zu lang war. Nun hieß es kürzen. Doch was soll man bei so einer wunderschönen Geschichte kürzen. Jeder Satz den ich aus dem PC löschte tat mir leid. Und ich bemerkte wie meine Tränen erneut rollten.

Geschichten, die das Leben schrieb. Oh, was hatte ich einen

depressiven Drehbuchautor!


Aber nun stand auch noch meine wöchentliche Kolumne auf der Tagesordnung. „Leben live“, witzig, spritzig, alltäglich. Wie sollte ich das in meiner Stimmung zustande bringen?

Wieder einmal half mir die Erinnerung an Sebastian.


Immer zu spät

Wann immer ich eine Verabredung habe – ich komme zu spät. Oh, nicht, dass ich mich nicht bemühe pünktlich zu sein. Aber wenn ich einen Termin habe, scheint sich die Welt gegen mich zu verschwören. „Mama, guck mal was passiert ist!“ Und ich sehe, schon in den Startlöchern stehend, den Traubensaft quer über das Bett verteilt. Super! Nun heißt es Bett abziehen, in die Waschmaschine stopfen und dann loseilen. Natürlich mit einer viertel Stunde Verspätung. Ist es nicht der Saft, dann hat es der Welpe mal eben nicht mehr bis in den Garten geschafft, die Nachbarin muss dringend etwas mitteilen, oder das Telefon klingelt. Und sollten einmal keine anderen Personen meine Zeit in Anspruch nehmen, kann ich darauf wetten, dass mein Schlüssel wie vom Erdboden verschluckt ist, oder dass das Müllauto genau so vor meinem Wagen seinen Dienst verrichtet, sodass ich nicht gleich losfahren kann. Nun hatte ich eine Verabredung mit meiner Freundin. Als Treffpunkt hatten wir den Münsterplatz vereinbart, und dort konnte ich sie unmöglich lange stehen lassen. Alle Verzögerungen einplanend, stellte ich den Wecker eine halbe Stunde früher, Telefon und Schelle wurden ignoriert und den Hunden ließ ich die ganze Zeit die Tür zum Garten auf. Und zum ersten Mal seit langem schaffte ich es. Ich war pünktlich. Als ich auf dem Marktplatz stand, begann es zu nieseln. Den Schirm hatte ich in der Eile natürlich vergessen. Durchnässt sah ich sie eine halbe Stunde später auf mich zuschlendern. „Sorry. Aber ich hätte nicht gedacht, dass du mal pünktlich bist!“


Typisch Sebastian! Doch ich entschied mich die Geschichte schnell auf meine Freundin umzuschreiben, denn er sollte in meinem Leben einfach keinen Platz mehr haben.

Welch Bildnis! Ich war wirklich zu spät dran, ich hätte mich schon viel früher trennen müssen!


Wir einigten uns zunächst noch gemeinsam in der Wohnung zu leben, bis Sebastian etwas für sich gefunden hatte. Ich schlief also fortan mit in Robins Kinderzimmer.


Tausche Mann gegen Therapieplatz

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