Читать книгу Mooskopf - Anja Tuckermann - Страница 9

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Die Nacht verdrückt sich, zögernd verblasst der Mond. Die Vögel singen gegen den Wind den Morgen herbei. Ein Specht klopft ein Loch in Rinkas Kopf. Sie läuft. Dunkel ist es plötzlich um sie, in ihr, dunstig und neblig. Ein Kribbeln steigt ihr von den Füßen in den Kopf. Vor jedem Schritt tritt sie in die Luft, um sicher zu sein, dass niemand vor ihr steht. Es wird dunkler, als die Nacht sein kann. Plötzlich greift jemand von hinten nach ihr, plötzlich ist sie starr wie Holz.

Bis zu den Knöcheln sinkt sie ins Laub ein. Ihre Augen sind dünnblauer Himmel, ihre Haare hellbraunes Buchenlaub. Der Wald ist zu einem Bett gepolstert.

Rinka spielt. Können meine Füße so zart ins Laub sinken, dass meine Ohren es nicht knistern hören?

Als sie die Augen wieder geöffnet hat, sieht sie ihre abgelegten Überreste vor sich liegen. Die Sonnenstreifen, die sich zwischen den Baumstämmen hindurchstehlen, spielen mit den Schatten der Rippen.

Weich liegen, wegschlafen.

Sie liegt weich und sinkt. Der Boden saugt sie auf. Lass mich nicht mehr los. Alle Blätter leuchten Herbst heran. Wald wächst über sie hinweg.

Die Sträucher straucheln über mich, der Winter schneit, das Eis friert mich.

Der Morgen kriecht durch den Wald, und der Wind lässt die Birkenblätter klimpern. Mit dem Harzgeruch der Tannen schleicht sich der Duft des alten Laubes in Rinkas Körper und legt ihre Gedanken still. Dann hört sie die Vögel. Krahkrah. Flügelschlagen ist über ihr und dann nicht mehr. Die hohen Buchen mit ihren glatten Stämmen stehen wie Riesen umher und rauschen sich gewaltige Geschichten zu. Es knackt irgendwo, sehr dicht bei ihr. Ein Reh steht da, still sieht es Rinka an. Sie bewegt ihren Kopf, es dreht sich um und springt davon.

Die Sonne steigt über die Baumkronen, aber sie ist schwarz. Trotzdem ist der Himmel hell. Die Vögel plärren Rinkas zernagten Schädel an. Der Boden nimmt sie.

Ich denke nicht mehr vor, nicht zurück, nichts mehr. Bin hautlos und friere nie. Bald wird der Brustkorb zusammenfallen, der Herbst mich bedecken. Ich werde verschwinden.

Das letzte Fleisch hat die Farbe der Bäume angenommen. Es ist zerfurcht wie die Rinde. Ameisen laufen auf ihrer Straße über das linke Bein. Ich habe Wurzeln aus mir wachsen lassen. Da, wo der Bauch war, ist jetzt nur noch ein Loch. Tiere haben sich satt gefressen. Die abgenagten Knochen sind mit Moos bewachsen, verlorene Äste, die im Wald modern.

Ich wusste nicht, dass ich etwas hätte tun können.

Die Haare schmiegen sich dem Boden an, liegen wie Gras zwischen den Gräsern, mit Tannennadeln und Laub vermischt.

In diesem Wald geht kein Mensch vom Weg ab.

Vom Gesicht sind nur noch Backenknochen, Zähne und Nasenwurzel übrig. Der Winter hat die letzte Haut mitgenommen.

Die Erde birgt mich in sich, tiefer möchte ich mich verkriechen, vom Herbst bedeckt, vom Winter zerfroren, vom Sommer überwachsen werden. Der Frühling wird durch mich hindurchblühen. Er hilft mir.

Wie oft fällt ein Mensch, bis er lernt?

Mooskopf

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