Читать книгу Mord in Kreuzberg SO 36 - Ann Bexhill - Страница 3

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Onkel Tata ein großer ausladender Mann mit roten Apfelwangen, früher war er Gewichtheber im Arbeitersportverein Viktoria 36 Kreuzberg, hatte gerade den Kuchenteig fertig gerührt und zum Auskühlen auf den Tisch gestellt. Nun sah er aus dem Fenster. Die Küche im Gebäude des Plattenstudios Skull Rekords war das Herz des Hauses. Aus dem Küchenfenster zur Oranienstraße blicken machte ihm Spaß. Zu beobachten, wer wo ein- und ausging, alte Freunde zu begrüßen und mit den anderen Jungs (nun Opas) süffisante Bemerkungen darüber fallen zu lassen, wer sternhagelvoll war, wer sich mit wem geprügelt oder sich sonst wie daneben benommen hatte. Der Berliner Stadtteil Kreuzberg wirkte jetzt wie ausgestorben. Auf der Turmuhr der Mariannenkirche, die über den Dächern zu sehen ist, war es fünf vor 3 Uhr nachmittags. Ein Sturm aus Südwest kündigte sich an und ließ die Blattkronen der jungen Birkenbäume und Linden am Straßenrand schaukeln. Ab und zu fegte eine Windböe durch die Straße, wo er Papierfetzen und Flyer über den Boden schleifte und mit den Rocksäumen der weiblichen Touristinnen und Transvestiten spielte. Es war ein Nachmittag Ende August und eine Gluthitze zum Krepieren kündigte ein schweres Gewitter an. Ab und zu jaulte der Vorbote des Sturms auf und schmetterte angekippte Türen gegen Mauern oder kippte Werbeständer um. Angus Budrow unser Nachbar goss mit einer riesigen Gießkanne in den beiden Händen seine Rosenbüsche in den Kübeln vor seiner weißen Ladentür ab. Allem Anschein nach misstraute er der alle 20 Minuten wiederholten Sturmwarnungen im Radio. Angus trug einen schwarzen Anzug ein weißes Hemd und einen Strohhut er nickte mir zu. Ein gut gekleideter Mann lief vorbei, von Weitem merkte ich, dass er einen in der Krone hatte, er war, unsicher auf den Beinen. Schwarzgrau gestreifte Hose weißes Hemd blaue Weste und eine schwarze Krawatte. Er hatte einen roten Dreitagebart und einen Glatzkopf, eine helle Gesichtsfarbe und vom Bier oder der Wut rot gezeichnete Wangen. »Hoher Wellengang heute«, bemerkte ich und steckte mir den Rührlöffel schnell in den Mund als Onkel Tata nicht hinsah. Er ist der festen Überzeugung, dass der Verzehr von rohem Kuchenteig das reinste Gift für die Stimme ist. Der Betrunkene schwankte davon, hielt sich ab und zu an einer Laterne fest und durch das geöffnete Fenster drang sein Gesang das elbisch oder Bulgarisch sein konnte. Ich lachte, als der Mann den fruchtlosen Versuch unternahm, sich seine Zigarette mit feuchten Streichhölzern anzuzünden. Onkel Tata entschuldigte sich bei mir und beugte sich aus dem geöffneten Küchenfenster.

»Hurensohn! Säufer! Popwichser! Mongo!«, schrie er. Er drehte sich nach dem drolligen Auftritt von Herri Freitag dem Ex Sänger der Westshop Kerls und nun Plattenstudioboss zu mir und erklärte, dass jeder, der Herri Freitag um die Ecke bringen würde, der Musikwelt und seinen mit Vertrag geknechteten Künstlern eine große Freude bereite. Herri Freitag ein guter Sänger war Studioboss und hatte vor Jahren angefangen jedem der ein Mikro halten konnte unter Vertrag zu nehmen. Herri war der unbeliebteste Mensch in der Gegend. Sein mangelndes Selbstwertgefühl kompensierte er mit Hochmut und Geld ausgeben. Ihm gehörte die Szene und er zeigte es in dem er alle naselang in der Provinz Klamottenläden seiner Marke Gangsterlife eröffnete. Ich schüttelte den Kopf.

»Können wir hoffen, dass der alte Knabe nicht demnächst in seinem Blut liegen gefunden wird.«

Onkel Tata lächelte und meinte: »Er ist ein aufgeblasenes altes Ekel. Kein Wunder, dass ihm seine Frau davongelaufen ist und die eigenen Kinder nichts mit ihm zu tun haben wollen.«

»Sie hätte ihn stattdessen abmurksen sollen«, bemerkte ich.

»Franz Kevin! Ich dulde nicht, dass du in meinem Studio leichtfertig von Mord sprichst«, schimpfte er, nachdem er ihm selber die Pest an den Hals gewünscht hatte.

»Onkel Tata erzählen tue ich es dir weil, ich weiß, dass du mich niemals bei den Bullen verpfeifen würdest.«

Onkel Tata, für andere und das Finanzamt Herr Anton Singer der Boss von Skull Rekords. Der in den siebziger Jahren sein Plattenlabel in Kreuzberg 36 mit der promotung seiner eigenen Punkband den Arbeitergesangsfreunden angefangen hatte, sah zu mir auf.

»Du weißt nichts vom Skandal, der uns droht!«, sagte er.

»Diesmal sitze ich was Wissen abgelangt auf dem trockenen. Was war los?«

Er seufzte und band seine Schürze ab und setzte sich an den Küchentisch.

»Joh Gerstein war einkaufen er brauchte ein paar Bandanas für seine Tour.«

»Hat eine beklagenswerte Kleinstadt Disco Geburtstag und wird mit einem Aufritt von dem Hip-Hop Arschloch belohnt?«

Joh Gerstein war der missratene Sohn von Onkels Freund Werner und sang für sein Leben gern, obwohl er es nicht konnte. Jeder der ihm irgendwann einmal nur guten Tag gewünscht hatte bekam ein Konzert von ihm zum Geschenk. Das Herri Freitag der Besitzer von Gangsterlife Rekords und dem gleichnamigen Modelabel auf Youtube stellte und Geld monetisierte. Joh der Gangster Rapper mit der erlogenen Biografie hatte eine so piepsige Stimme, dass sie Allergien auslösen konnte und dazu zeichnen sich seine Songs durch so schlecht gereimte Texte aus das es in den Ohren kratzt und Halluzination erzeugt.

»Er gab mir angeblich einen Zweihundert Euro Schein aber als ich in die Kasse sah um das Wechselgeld herauszugeben bemerkte ich das ein Fünfziger war. Ich gab ihm das Wechselgeld darauf heraus. Er beschwerte sich bei mir, und ich wies mit allem Respekt darauf hin, dass er sich geirrt haben musste. Ich sagte ihm taktvoll er sei nicht gerade der Klügste und habe es nicht mit dem Zählen, er habe sich geirrt. Ich empfahl ich ihm einen guten Alphabetisierungskurs in der Abendschule in Friedrichshain.«

Gerstein hatte nie eine höhere Schule von innen gesehen, was nicht an seiner Herkunft, sondern nur an seiner mangelnden Intelligenz lag. Er war eben dumm wie Brot sein Künstlername war § 174, weil er dachte, 174 stehe für Autodiebstahl. Onkel Tata seufzte, er war seit 30 Jahren im Musikgeschäft und hatte Dummheit kommen Singen und Gehen sehen. Er hatte mit Klugheit und Witz die Unabhängigkeit seines Unternehmens behalten, obwohl Herri Freitag seit einem Jahrzehnt alles unternahm, um das etablierte Plattenlabel Skull Rekords in seine Finger zu bekommen. Skull Rekords alte Songrechte waren eine Million wert. Onkel Tata war jetzt 65 Jahre alt und mir oblag es, den Laden zu schmeißen. Wir engagierten uns seit 2000 auch auf dem Hip-Hop Sektor und waren der größte Konkurrent für Freitags Gangsterlife Scheiß. Mein Onkel besaß im selben Gebäude wie das Studio seinen Szene Klamottenladen, in dem mein kleiner Bruder Peter half, bis er wusste, was er studierte. Onkel hoffte Peter würde in London an der John Lennon Akademie Musikvermarktung beginnen und Skull Rekords übernehmen.

»Anstatt seinen Fehler einzusehen, stürmte § 174«, mein Onkel grinste, »erbost davon direkt in die Schenke, wo Herri Freitag sich betrank.«

»Oh je der noch!«

Herri Freitag gehört zu den Menschen, die sich ein Vergnügen daraus machen für Wirbel zu sorgen. Er würde die Sache so groß machen, dass ein Mord, wie das Mopsen eines Kekses aus der Bäckerei wirken würde. Er war der Prototyp eines garstigen Mannes. Er hatte sich in den Jahren auf Kosten seiner Künstler und der Intelligenz seiner Hörer ein immenses Vermögen zusammengerafft.

»Wenn Freitag dir den Fehdehandschuh hinwirft, weil ihm Gegner ausgegangen sind, hat er sich den Falschen ausgesucht.«

Und das hatte Herri Freitag. Mein Onkel war resolut und seine Zunge galt als tödliches Instrument, außerdem verfügte er über seine Camorra, ein Netzwerk abgetakelter Künstler aus Kreuzberg. Wenn man es sich mit einem verdarb, war man schneller isoliert, als ein Leprakranker seinen Daumen verlor.

»Das Wort, das er gebrauchte, als er zusammen mit Gerstein alias Paragraf wie ein Verrückter angestürmt kam und einen Blick in meine Ladenkasse werfen wollte war, Betrug!«

Onkel Tata war der lauterste Mensch in der Gegend. Seinen Ruf anzukratzen war als unterstelle man dem Papst Prostitution.

»Niemand bei Verstand wird dich verdächtigen, vergiss es einfach. Was hast du heute noch vor?«, fragte ich, um vom leidigen Thema Herri Freitag abzulenken. Der Mensch machte nicht nur ihm Kummer, wie bedauerlich musste es erst seiner Familie ergehen mit so einem Menschen bestraft zu, sein.

»Meine Pflicht«, sagte Onkel Tata tugendhaft, »meine repräsentative Pflicht, als ein hohes Tier in der Musikbranche ist und deshalb kommen Freunde zu Kaffee und Kuchen und Bier.«

»Also deshalb der Kuchen! Wer kommt alles?«

»Stein, Angus, Werner und Frau Spiegel«, zählte er das who is who in Kreuzberg auf.

»Ich mag sie«, sagte ich. Frau Spiegel war eine junge Anwältin spezialisiert auf Medien und Urheberrecht eine attraktive Person, die sich nicht zu fein war, im Garten ihrer Villa in Zehlendorf eine Badeparty zu geben und mich einzuladen.

»Ja das kann ich mir gut vorstellen Franz. Naja hoffen wir das sie nicht anfängt von, ihren Superstars zu reden. Das einzige Thema, das sie zu interessieren scheint.«

Frau Spiegel liebte alles, was mit dem Hochadel der Pop Kultur zu tun hatte, egal ob Elton John oder die Snoop Dog. Sie liebte es nicht nur, sie musste uns davon alles bis ins kleinste erzählen. Ich hatte den Verdacht den Stapel Zeitschriften, den sie weg liest, wie ein Fresssüchtiger einen Teller Frikadellen, überdecken eine unbefriedigte Beziehung.

»Über was werdet ihr reden?«

Onkel Tata machte sich Stichpunkte zu Themen, die gerade interessant waren. Er überflog seine Unterhaltungskarten, wie der Moderator einer Quizsendung vor der Show.

»Wahrscheinlich nichts, was dich angeht, Franz.«

Onkel Tata lächelte, strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn und sagte: »Das Übliche die Skandale von gestern oder die von Morgen wer weiß, was Budrow herausgefunden hat.«

Angus Budrow besaß die Gabe mit einer für seinen Jahrgang 1960 beeindruckenden Sehschärfe alles, um sich herum wahrzunehmen.

»Davon gibt es hier genug nehme ich an«, entgegnete ich sarkastisch.

Wir lebten in einem Dorf in Kreuzberg 36, in dem die Automarke die jemand fuhr, Anlass zu wüsten Spekulationen war. Es war nicht viel los in Kreuzberg, denn Westberlins Musikszene war, so Tot und Ideenlos wie ein Friedhof um Mitternacht. Man schrieb und redete zwar viel vom kreativen Potenzial doch man war unfähig Neues zu erschaffen, West Berlin, zehrte vom Alten wie eine Made von einer Leiche.

Mord in Kreuzberg SO 36

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