Читать книгу Mord in Kreuzberg SO 36 - Ann Bexhill - Страница 4

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Als ich vom Küchentisch aufstand, war ich in der richtigen Stimmung, einen zündenden Hip-Hop Schlager zu schreiben, was vermutlich am vielen Zucker in Onkels Kuchenteig lag. Der Titel hatte platz in meinem Kopf genommen. Irgendetwas mit Ghetto und Moderne Automobiltechnologie etwa, “die Bitch in dem Porsche Bang bang bang“. Ich müsste mich schämen zu gestehen mit dem Käse mein Geld zu verdienen oder mich fremdschämen für die Hörer, aber zum Glück kannte man mich nur unter meinem lächerlichen Komponistennamen AK 47.

Ich hatte von meinem Tod geträumt, ich stand an der Himmelspforte und ein ungeheurer wichtig aussehender Engel musterte mich mit unterdrücktem Lächeln und sagte: »Deutscher Gangster Rap was? Na komm rein!«

Ich ging ins Arbeitszimmer mit Blick in den Hinterhof, die Haselnusssträucher den Schuppen, den alle aus einen mir nicht einsehbaren Grund Pavillon nennen und dem hinter dem Garten liegenden Spielplatz mit dem Klettergerüst und den Schaukeln. Nach einem Blick auf die Idylle machte ich mich an den Entwurf eines Textes. Skull Rekords verfasste als Subunternehmen Texte für andere Plattenstudios, für jeden, der uns angemessen bezahlte. Gerade als ich mich auf die stupide Arbeit des Schlagers fabrizieren konzentrierte, flatterte Betty Freitag herein. Sie ist ein hübsches Mädchen, groß und blond und völlig gedankenlos. Sie segelte durch die Glastür zum Hinterhof wie ein verirrter Schmetterling, sah mich an und rief mit einer Art Tadel in der Stimme: »Ach Sie hier?«

Wenn man vom Spielplatz kommt, führt der kürzeste Weg in die Oranienstraße mitten durch das Haus und den Laden. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt Eintrittsgeld zu verlangen aber mein Onkel erzählte mir, von dem uralten Recht der Menschheit sich ihre Wege zu Zielen selber zu wählen. Er meinte, nur weil er etwas Land gekauft hatte, bedeute das nicht auch, es zu besitzen. Die Leute kommen nicht einmal auf die Idee ums Haus herum, statt mitten durch mein Arbeitszimmer durch die Diele hinaus zum Laden zur Straße gehen.

»Wen hast du erwartet den Prinzen von Bell Air?«, fragte ich.

Sie sah mich mit ihren großen Augen an und fragte: »Den wen?«

»Ach das war eine Fernsehserie vor deiner Zeit!«

Sie ließ sich völlig erschlagen in einen meiner großen Sessel fallen und legte ihre verwirrend langen Beine übereinander. Es gibt Mädchen die sind für Tennisshorts gemacht und Betty Freitag gehörte dazu. Dort saß sie mit ineinander gefalteten Händen und starrte mich an, wie ein Entomologe ein seltenes Insekt.

Ich schrieb gerade: Bitch ey Bitch in dem Porsche bang bang bang.

Dieses bang kommt im Hip-Hop recht zweideutig daher außer es wird von Pistolenschüssen synchronisiert und plastisch für den letzten Idioten dargestellt. Ein Bang strich ich durch.

Ghetto mein Viertel meine Straße ich vermisse dich im Knast. Saxofon ich vermisse dein Gold deine Chicks meine Jungs den ganzen Real Gangster Shit. Ghetto du küsst mich in der kranken Seele nicht übertreiben und das Sterben erwähnen und mit Bang unterlegen Küsse aus dem Knast Refrain Küsse Küsse aus dem Knast du Bitch. Trompeten und Drums und Kinderchor episch. Ihr kriegt mich nicht klein und meine Stimme hallt durchs Ghetto. Neue Heimat Zellenblock D. Dein Mann aus *** irgendein Problemviertel mit hoher Arbeitslosigkeit je nachdem, wo der Auftritt stattfindet, vermisst die Hood.

»Ist Peter hier irgendwo?«, fragte sie endlich.

Ich hatte schon angenommen sie habe vergessen, wohin sie wollte, und beehre mich bis zum Abend. Lange Beine mit einer glatten seidig schimmernden Haut können einen Mann auf andere Gedanken als das Schablonieren von Songtexten bringen.

»Ich habe ihn seit dem Frühstück nicht gesehen. Ich glaube, er wollte zu ihnen und ihnen angeblich Nachhilfestunden in Englisch geben.«

Sie sah mich tadelnd an und murmelte etwas von meiner schmutzigen Einbildung.

»Oh!«, sagte Betty, »ich glaube ich habe das total vergessen.«

Zum Glück schien ihr das nicht viel auszumachen, was nicht gerade für Hochzeitsglocken Geläut an der Kirche am Mariannenplatz spricht, nicht für den armen Peter meinen kleinen Bruder und Betty, in die er verschossen ist. Er hat kein Glück mit den Mädchen. Die die er haben will sehen ihn nicht an und die Frauen, die ihn eventuell nehmen würden, passen ihm nicht.

»Ist dein Onkel in der Nähe?«

»Tata ist im Garten – er sitzt als erfolgreicher Geschäftsmann Modell. Kaspermann malt erst ihn und dann alle nacheinander wen er gerade erwischt und voilà fertig ist das Familienporträt.«

Onkel Tata besteht auf ein Familienporträt, koste es, was es wolle. Onkel Tata wollte eins mit ihm im Anzug inmitten seiner Neffen und Angestellten auf einem Ledersessel mit einer Zigarre im Mund und in einem Raum voller Goldener Schallplatten. Kaspermann der junge Maler aus München, der sich seit drei Jahren in Kreuzberg zur Inspirationssuche befindet, hatte die Angewohnheit exakt die Leute zu malen, wie sie aussehen. Innerlich und äußerlich, erstaunlicherweise hat er trotzdem Kundschaft. Betty seufzte schwer, beim dritten Seufzer fragte ich, was los sei.

»Ach nichts«, sagte sie mit einem Augenaufschlag und einem tief aus einer leidenden Brust kommenden Seufzen.

»Also? Los rede oder du machst den Text, Bang und eine blonde Bitch verzeih das Wort und das Wort Ghetto als Ersatz für die Worte süße Heimat, müssen drin vorkommen!«

»Mein Vater«, sagte Betty. »hat ihn aus dem Haus geworfen. Das ist, als ob der Papst den Michelangelo Bunotti hinausgeworfen hätte, weil die Figuren an der Sixtischen Kapelle nackig sind.«

»Michelangelo Buonarroti Buoan nicht Buno und es ist die Sixtinische Kapelle. Und ich bezweifle, dass Felix Kaspermann die künstlerischen Fähigkeiten eines Meisters der Hochrenaissance besitzt. Warum hat er sich aufgeregt?«

»Weil er mich als Bitch malen wollte«, Betty machte eine Pause, bevor sie weitersprach, »es ist absurd – ich werde mir mein Bikini und die Goldketten hier anlegen und mich im Pavillon malen lassen.«

»Nein, meine Beste so entzückend Sie in einem hauchdünnen Nichts aussehen mögen. Nicht, wenn Ihr Alter es verbietet.«

Ihr Vater Herri Freitag, der für die NPD auch die Schulhof CD produzieren würde, wenn die genug bezahlen könnten, aber die NPD steht in der Schufa, besaß die leidige Angewohnheit alle zu, verklagen und bedauerlicherweise genug Geld es sich zu, leisten. Wahrscheinlich würde er mir ein Prozess wegen Kuppelei anhängen und die Schlagzeilen auf Youtube konnte ich mir schon vorstellen. Rapper AK 47 und Skull Records vermieten Atelier im Garten. Drogenlabor wäre besser für die Verkaufszahlen unserer Produkte, so musste der Schuppen in seiner Funktion als Schuppen ein gut gehütetes Geheimnis bleiben und musste der Pavillon genannt werden.

»Ach je«, Betty seufzte, »wie bieder hier alle sind. Wenn der Alte bloß endlich den Löffel abgeben würde. Geld hat er genug, ich könnte weggehen, nach Amerika und Fotomodell werden.«

Ich unterließ es sie auf die Gefahren von schmierigen Produzenten, die sie groß rausbringen werden, zu, warnen. Sie gab sich naiv war es aber nicht. Ich merkte es daran, dass sie immer ihren Willen durchgesetzt bekam.

»Ich weiß er ist ein Mistkerl aber Sie dürfen so etwas nicht sagen und nicht denken, Betty.«

»Warum nicht? Jeder wünscht dem alten Geizhals den Tod, warum sollte ich die Ausnahme sein? Immerhin kenne ich ihn besser als Sie und habe viel mehr Grund ihm den Tod zu wünschen. Mich wundert nicht, dass meine Mutter und seine zweite Frau ihn verlassen haben. Ich frage mich, wann Anna seine Dritte endlich die Nase voll hat.«

Ich fragte mich, ob Betty doch noch den ganzen Nachmittag in meinem Arbeitszimmer verbringen würde und ob mein Konzert vor den Mitgliedern des Ökostromverbandes, erfolgreich sein konnte wenn die einzigen neuen Stichpunkte zu meinen neuen Liedern auf meinem Schmierzettel. Bitch, Porsche, bang und wer, killt endlich Herri Freitag lautete.

»Haben Sie meine Lacoste Handtasche gesehen?«, fragte sie, stand auf drehte mir ihre entzückende Kehrseite zu und begann unter dem Sesselpolster zu suchen.

»Nein und ich glaube kaum das es möglich ist eine Handtasche unter einem Sesselkissen zu übersehen würde. Man sitzt ja drauf oder?«

»Oh wie dumm. Ich weiß, dass ich sie irgendwo gelassen habe. Falls sie meine Tasche sehen darin ist mein, mit SO 36 beschriftetem, Basecap und darin sind meine Uhr und noch etwas sehr Wichtiges. War nett mit ihnen zu plaudern aber ich muss los will mir im KaDeWe irgendetwas anschauen.«

Sie stand auf und schwirrte wie eine Episode mit dem Übersinnlichen hinaus, wobei sie mir zurief: »Sagen Sie dem Peter Bescheid, ein anderes mal, was immer es war.«

Ich sagte mechanisch, »englisch!«

Nachdem sie weg war, machte ich mich an die Arbeit. Das Fabrizieren von erfolgreichen Hip-Hop Schlagern machte sich nicht von alleine, obwohl 99 Prozent aller Texte, die ewig vom gleichen handeln, so klingen. Meine Gedanken schweiften kurz vom Segen des Autos hinüber zu der Frage, warum der Hauptsitz der Plattenfirma die Texte en gros bei Onkel bestellte nicht im schönen Mitte, sondern im eher grauen Marzahn war. Dann dachte ich kurz über den Vizedirektor von Blondie Records nach. Ein als Mensch verkleideter BFC Hooligan namens Roger, der da ich seinen Künstlern ihre ersten erfolgreichen Songs schrieb, an mir hing und mich wie ein teures Sammlerstück behandelte. Wie den gelben Porsche, den er fuhr. Dann dachte ich über den Mann von der Musikstelle des Patentamtes für Medienrechte nach. Ein sympathischer Mann namens Moeller Biedenkopf. Er hatte vor Kurzem einige Lieder von Herrn Freitags Künstlern beschlagnahmt und ließ nun Studenten der Musikhochschule die geklauten Teile des Songs ausgraben. Ich konnte mir schadenfreudig vorstellen, dass bei Gangsterlife Records im Haus der Freitags die Dinge nicht zum Besten standen. Freitag hatte ein weiteres mal geheiratet eine Witwe, die wir so gut wie nie zu Gesicht bekamen. Ich vermutete, dass die Beziehungen zwischen ihr und ihm und Betty nicht allzu angenehm war.

Die verdammte Uhr zeigte 5 Uhr an. Onkel Tata würde es mir Übelnehmen der alten Kunstwelt nicht meine Aufwartung gemacht zu haben, er war stolz auf mich, den Texter und Interpret wenig inspirierender Schlager, der vor jeden noch so zwergenhaften Verein singen musste. Aber ich konnte mich nicht beklagen, aus einer erfolglosen Rockband weg zu einem Stereotyp mit dem Künstlernamen AK 47 mutiert zu sein. Mein Onkel sah mich 2000 bei einem unserer Konzerte in Berlins Bierkneipen, Stücke von Elvis und Chuck Berry er sagte mir, das mit dem Rock ’n Roll könne ich vergessen, ich sei nicht der Typ, aber als Gangster Rapper bringe er mich raus. Geld verdirbt den Charakter, jedenfalls die Versuche an welches zu kommen. Ich stand auf und betrachtete das verschobene Sesselkissen, unter dem Betty nach ihrer Handtasche gesucht hatte, das Dummerchen. Es wiederstrebte mir so ordnete ich das Kissen und fand eine kleine goldene Kette mit einem Revolveranhänger in der Sesselritze. Ich fragte mich, wie sie das angestellt hatte, wie konnte man eine Halskette verlieren, deren Verschluss nicht beschädigt war? Ich steckte die Kette ein und würde sie ihr geben, wenn sie das nächste mal unangemeldet durch mein Arbeitszimmer platzte. Ich ging stirnrunzelnd über die Jugend von heute ins Wohnzimmer. Mehrere Menschen im besten Alter waren in der guten Stube am gedeckten Tisch bei Kuchen und Kaffee Joints und Bier versammelt. Onkel Tata saß hinter dem Teetisch und versuchte nett auszusehen, wirkte aber wie eine Despot dessen Huld jeden Moment umschlagen konnte. Er war gekleidet, außer in seiner 2 Meter 130 Kilogramm schweren Gestalt, in einem Uralten schwarzen Anzug aus Polyester. Er war umgeben von uralt Revoluzzern und ich schüttelte allen die Hand und setzte mich. Budrow unsere direkter Nachbar ist ein weißhaariger alte Herr mit freundlichem, einnehmendem Skalpell scharfen Verstand, Herr Stein eine Mischung aus Einfalt und Tücke.

»Gerade haben wir«, sagte Onkel Tata mit schmeichlerischer Stimme, »über Dr. Moeller Biedenkopf und Frau Braun geredet.«

Stein sagte knapp: »Kein anständiges Mädchen würde es tun«, und kniff die dünnen Lippen zusammen.

»Was tun?«, fragte ich hatte man sie in flagranti nachts auf dem Spielplatz erwischt.

»Was tun? Als Sekretärin für einen Beamten vom Scheiß Staat zu arbeiten natürlich«, sagte Stein empört. Er war der Leadsänger der Torpedo Crew eine in den frühen 80zigern erfolgreichen Punkband. Jetzt betrieb er ein Buchladen.

»Oh, mein Lieber«, sagte Angus Budrow der Liedermacher, »ich glaube, die von den Hochschulen sind die schlimmsten. Denk an den armen Gert von den Springteufeln er, ist jetzt Kunstlehrer in einer Waldorfschule.«

Ich nahm mir ein Stück Kuchen und Onkel Tata goss mir wohlgesonnen ein Glas Bier ein.

»Beamte, die von ihren Familie getrennt leben müssen, weil sie nach Berlin versetzt wurden, sind die schlimmsten wegen der männlichen Bedürfnisse«, erklärte Stein lüstern und sah scharf Anwältin Spiegel an.

Ich unterbrach sie, »Heutzutage kann ein Mädchen eine Stelle als Sekretärin für ein Amt annehmen.«

Stein und Onkel Tata lachten.

»Und als ehemaliger Kämpfer für Gerechtigkeit die Bonzen in ihren Palästen noch fetter machen?«, fragte Herr Gerstein ein Mitbegründer der Hausbesetzerbewegung und nun in Rente.

Stein murmelte leise Budrow zu: »Und alle GEMA-Einnahmen fließen in den Militärisch Wirtschaftlichen Komplex die GEMA finanziert nur zum kleinsten teil die Künstler sondern den BND.«

Ernesto Heinze, der Tod durch Monolog, erklärte laut und entschlossen: »Der Mann wird eingebracht wie ein Fisch am Haken. Bevor er noch weiß, wo er ist, hat er den Köder geschluckt und den Ring am Finger. Frau Braun ist nicht unschuldig, wie man daran sehen kann, dass sie in ein Fitnessstudio geht und mit den Drogen aufgehört hat. Es ist nicht einmal etwas Politisches die kleine Verräterin an Utopia hat sich in den Beamten nur verknallt.«

Man schüttelte den Kopf.

»Unappetitlich nicht einmal dasselbe politische Lager es zeugt von frivoler Moral. Und dann ein Mann, der nach unseren alten Musikalischen Leichen buddelt wie ein Hund«, äußerte Ernesto Heinze mit der üblichen Taktlosigkeit.

Budrow blinzelte Onkel Tata zu. »Glauben Sie nicht«, sagte er, »dass Frau Braun einfach eine Arbeit braucht, die anständig bezahlt wird?«

Onkel Tata berührte Angus Arm und sagte: »Meine Lieber, Sie sind sehr behütet aufgewachsen in ihrer Hamburger Hafenstraße. Wenn Sie unserer Lebenserfahrung hätten, wüssten sie es besser. Glauben Sie denn, dass die heißeste Punkrockerin der 1980ziger diesen Langweiler aus Liebe heiraten will?«

Ich hatte wohl etwas nicht mitbekommen, seit wann wollte Moeller Biedenkopf heiraten vor allem eine Frau, die nicht das geringste Interesse an seiner Musikrechtlichen Arbeit zeigte.

»Soviel ich weiß, ist er betucht, höherer Beamter«, sagte Liedermacher Budrow nachgebend. »Ein ziemlich aufmerksamer Mann fürchte ich. Neulich hatte er einen heftigen Streit mit Herri Freitag.«

Alle beugten sich interessiert vor. Auch ich denn von diesem wusste ich noch nichts.

»Er hat Herri Freitag beschuldigt, ein Dummkopf zu sein, der viele Passagen komplett von den Knochen eines musikalischen Neandertalers, den Rosen Brüdern von 1923 gestohlen hat. Womit er zweifelslos recht haben dürfte.«

»Ja der Mann ist dumm wie Bohnenstroh!«, sagte Onkel Tata.

»Es hat auch vor kurzem Ärger wegen des Malers gegeben, der bei uns nach Inspiration sucht«, sagte ich und handelte mir ein paar Pluspunkte ein.

»Freitag hat ihn aus dem Haus geworfen. Offenbar hat er Betty nackt als sogenanntes Hip-Hop Häschen malen wollen.«

»Ha ich wusste es immer, dass sie etwas miteinander haben«, sagte Onkel triumphierend und sah sich mit gestrecktem Hals um. Er sah aus wie ein riesiger Vogel, ein Truthahn mit faltigen Hautlappen genauer gesagt.

»Dieser neue Künstler ... lungert immer um die jungen Frauenzimmer herum ohne was zu wollen! Direkt schmierig der Mensch.«

»Mädchen sind politisch naiver dafür kommerzieller und privat raffinierter«, beklagte Anwältin Stein die modernen Zeiten in Kreuzberg.

»Er ist ein gut aussehender Mann. Aber ein Kunstmaler ohne proletarische Ausrichtung und Botschaft! München Paris die ganzen Modelle nur wo ist der Skandal? Wo schleudert seine Nackte dem bürgerlichen Betrachter seine Wahrheit von sexueller Ausbeutung und Betrug von der Leinwand ins Gesicht! Da wird Sekt getrunken und Kaviar gegessen und getanzt das ganze Drumherum ohne Botschaft und ohne Anliegen!«

Budrow nahm den losen Faden der Unterhaltung wie Zügel fest in ihre Hände.

»Aus Felix Kaspermann währe ein guter Betrüger geworden, er hat diese Gabe, ein offenes unschuldiges Gesicht. Aber er ist Maler. In dieser von Yuppies betriebener Kunst Galerie am Kotti fand eine Ausstellung seiner Bilder statt.«

Budrow hatte wenig Interesse an der Kunst, wenn es nicht mit einem Lieder oder Handwerk davor geschrieben wurde, die gute Möbelkunst die Gartenbaukunst waren seine Steckenpferde. Er betrachtete Maler bis auf wenige Ausnahmen, die er gelten ließ, das heißt, sie waren früh gestorben und ihre Werke waren teuer und hingen nun gut gesichert in einem Museum als Kleckser. Aber er ließ jedem nach seiner Fasson glücklich werden und war kein verbitterter Mensch geworden.

»Er malt privat so modernen französischen Kram nehme ich an«, sagte er, während seine blauen Augen im Zimmer umherwanderten. Er besaß, einen besonderen Blick an denen er alles erkannte, auch wenn er es nur einmal kurz sah. Es war der gelangweilte Blick eines satten Tigers, nachdem er Beute geschlagen und gefressen hatte. Bei ihm war die Augen Mund Koordination perfekt an einem Leben in einem überalterten Kreuzberg angepasst.

»Gerstein war wohl wieder beim Friseur und hat sich Kunsthaar rein flechten lassen, jedenfalls ist, sein blondes Haar erstaunlich schnell gewachsen. Vor einer Woche war es noch so kurz wie bei einem preußischen Gardeleutnant«, sagte er.

»Ich fürchte, er ist tatsächlich ziemlich einfaltslos im Umgang mit Publikum und denkt anstatt neuer Beats genüge eine neue Frisur. Er ist wirklich ein gelehriger Barde der Freitags Gesangs Akademie.«

»So aufgedonnert sollte keiner mit ernsthaftem Anspruch herumlaufen, finde ich«, sagte Stein.

»Uns malt Felix auch«, sagte Onkel Tata eine Spur frivol.

»Aber nicht nur in Blink Blink und Bikini wie auf dem billigsten Cover einer Musik Zeitschrift«, entgegnete Budrow lächelnd.

»Es könnte schlimmer sein er könnte mich runzligen Mann nackt malen wollen«, antwortete Onkel Tata ernst.

Alle anderen mich eingeschlossen sahen leicht schockiert aus.

»Hat Betty Ihnen von dem Ärger erzählt?«, fragte mich Budrow.

»Mir?«

»Ja. Ich habe gesehen, wie sie durch Ihren Garten zu Ihrem Arbeitszimmer ging.«

Budrow sieht alles hört alles und bekommt alles mir. Seine Tarnung ist, er arbeitet an einem Buch über die einheimische Soziologie und einem Manuskript über die einheimische Vogelwelt und er hat die Angewohnheit ein schweres Teleskop auf den Spielplatz aufzubauen, sobald es eine wolkenlose Nacht gab, oder mit dem Feldstecher in der Hand umherzuwandern. Allerdings befürchte ich, er ist kein Hans guck in die Luft, sondern guck in die Fenster. Niemand hat eine Seite dieses Manuskriptes zu Gesicht bekommen. Er kannte jeden einzelnen Dealer, Studenten, Vogel und jeden Bewohner und deren Gäste und er vergaß niemals ein Gesicht. Professoren aus Freiburg beneideten den Liedermacher um sein Gehirn. Er hatte Angebote aus Heidelberg und einer namhaften Klinik seinen Kopf nach seinem Tod zum Zwecke der Forschung zu stiften. Sein Gehirn mochte eine Sensation sein aber das drum herum sah wie eine Vogelscheuche aus. Klein gewachsen knöchern, gekräuseltes gelblich graues Haar, schwarzer Anzug, langer Hals, auf dem ein großes goldenes Medaillon mit einem obskuren Heilligen ruhte. Ich fand der Märtyrer, der von seinem Amulett von Speeren durchbohrt wurde, sah aus als hätte er es verdient, als hätte er Dreck am Stecken. Zerlumpte Kleidung und verfilztes Haar. So sollte kein anständiger Heiliger herumlaufen, fand ich. Und außerdem sollte man der Kirche verbieten, heilige Wenzelsmänner, oder so ähnlich auf die Gläubigen loszulassen, allein dieser Name würdigte die Märtyrer Sache in meinen Augen herunter.

»Ja sie sagte, dass Herri Freitag den Maler das Haus verboten hat«, gab ich zu.

»Ich frage mich, ob der Maler und Betty Freitag etwas miteinander haben«, fragte Stein flüsternd, »es sieht so aus. Was meinen Sie?«

»Ich würde das nicht behaupten. Nicht Betty sie ist ein flatternder Spatz ganz niedlich aber wenig fesselnd. Der Maler ist mehr der Eichelhäher Typ exotisch und selten, würde ich sagen.«

Budrow verglich gerne Menschen mit Tieren, in seinen Augen war ich ein ungeselliger einzelgängerischer Fischreiher.

»Aber Herri Freitag …«

»Er ist dumm! Er macht nicht nur einen dummen Eindruck, sondern er ist ein Dummkopf! Er hat jedes Buch nur zur Hälfte gelesen und das, was er in seinem kleinen Hirn behalten hat, noch zu einem Mischmasch verwoben, der Mann ist ein Idiot«, sagte Budrow und schnitt jeden Einwand ab.

Onkel Tata erhob sich und brachte zur Feier des Tages, wie er sagte, eine Flasche Riesling. Die Herren stellten bei ihrem Glas herben Wein fest, dass erstaunlich viele störende junge Menschen in Kreuzberg versammelt waren.

»Die sollten bloß nicht auf die Idee kommen und abends Pogo Konzerte geben oder dieses grässliche Kartenspiel Poker spielen. Ich kenne es aus meiner Jugend, kaum spielen die Poker miteinander, schon gibt es Mord und Totschlag und davon gibt es draußen bereits genug«, erklärte Budrow kategorisch.

Ich nickte, Zustimmung heuchelnd zu. Frau Spiegel die sich bewundert vorkam wie die Geliebte des Sonnengottes fuhr ungeachtete des mangelnden Interesses ihrer Sitznachbarn fort zu schnattern: »Als ich im letzten Jahr in Frankreich war, hatten sie dort keinen Saarriesling. Davon haben diese Barbaren noch nie gehört.«

Sie Trank den letzten Rest ihres Glases und rollte die saure Flüssigkeit genießerisch im Mund hin und her und blickte sich um.

»Die arme Frau Freitag kann einem leidtun, ein rosiges freundliches Geschöpf in der Hand dieses Fieslings«, seufzte sie.

»Er hat Geld wie Heu«, sagte Stein unsicher und fügte im Tonfall einer Lüge hinzu, »natürlich bedeutet Geld nicht alles.«

»Ganz gewiss nicht«, bestätigte Onkel Tata und alle kicherten. Seufzend erhob sich Tata unter einem Ächzen.

»Rheuma! Zeit für eine neue Flasche auf einem Bein kann man nicht stehen«, erklärte er.

Mord in Kreuzberg SO 36

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