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Als ich vom Küchentisch aufstand, war ich in der richtigen Stimmung, einen wirklich zündenden Schlager zu schreiben, was vermutlich am vielen Zucker in Tantchens Kuchenteig lag. Der Titel hatte schon platz in meinem Kopf genommen. Irgendetwas mit süßer Heimat und Moderne Agrartechnologie etwa, “die Gerda auf dem Traktor olalala“. Ich müsste mich schämen zu gestehen mit dem Käse mein Geld zu verdienen oder mich fremdschämen für meine Fans, aber zum Glück kannten mich die Meisten nur unter meinem Künstlernamen Robert Starck die Schunkelkanone. Ich hatte einmal von meinem Tod geträumt, ich stand an der Himmelspforte und ein ungeheurer wichtig aussehender Engel musterte mich mit Unterdrückten Zorn und sagte: »Schlagersänger was? Nicht bei uns hier oben!« Ich ging in mein Arbeitszimmer mit Blick auf den Garten. Die Haselnusssträucher den Schuppen, den alle aus einen mir nicht einsehbaren Grund Pavillon nennen und dem hinter dem Garten liegenden Gemeindeanger mit dem Ententeich und dem Birkenwäldchen. Nach einem Blick auf die Idylle machte mich an den Rohentwurf eines Schlagertextes, den ich einem angestellten Komponisten oder wen den ich gerade in der Plattenfirma erwischte absegnen lassen musste. Gerade als ich mich wieder auf die stupide Arbeit des Schlagers fabrizieren konzentrierte, flatterte Bettina Freitag herein. Sie ist ein sehr hübsches Mädchen, groß und blond und völlig gedankenlos. Sie segelte durch die Glastür wie ein verirrter Schmetterling, sah mich an und rief mit einer Art Tadel in der Stimme: »Ach! Sie?« Wenn man vom Gemeindeanger kommt, führt der kürzeste Weg ins Dorf mitten durch das Haus. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt Eintrittsgeld zu verlangen aber Tantchen erzählte mir vom uralten Wegerecht. Was kam Großvater auch auf die dumme Idee sein Haus mitten auf dem Weg zu, bauen? Nur weil er meinte, Land gekauft zu haben bedeute auch es zu, besitzen. Die meisten Leute kommen nicht einmal auf die Idee wenigstens ums Haus herum, statt mitten durchs Arbeitszimmer durch die Diele hinaus zur Dorfstraße gehen. »Wen hast du denn erwartet Clark Gabel?«, fragte ich. Sie ließ sich völlig erschlagen in einen meiner großen Sessel fallen und legte ihre verwirrend langen Beine übereinander. Es gibt Mädchen die sind für Tennisshorts gemacht und Bettina Freitag gehörte zweifellos dazu. Dort saß sie mit ineinander gefalteten Händen und starrte mich an wie ein seltenes Insekt. Ich schrieb gerade Gerda auf dem Traktor tsching tsching. Dieses tsching kommt im deutschen Schlager recht vieldeutig daher. Ein Tsching strich ich wieder durch.

Heimat meine süße Heimat wie vermisse ich dich in der Ferne. (Akkordeon und Trompeten) wie vermisse ich deine goldenen Sterne deine Felder deine, Flüsse deinen (nicht den Rhein Chemieverklappung Fischsterben) und die süßen Küsse. Von der Gerda auf ihrem Traktor tsching (Trompeten und Drums und Kinderchor) Heimat oh du ferne Heimat. Dein Werner aus Herne (irgendeine andere Krötenstadt die sich auf Gerda reimt) vermisst seine Gerda.

»Ist Peter hier irgendwo?«, fragte sie endlich. Ich hatte schon angenommen sie habe vergessen, wohin sie wollte, und beehre mich bis zum Abend. Lange Beine mit einer glatten seidig schimmernden Haut können einen Mann schon auf andere Gedanken als Liedertexte bringen. »Ich habe ihn seit dem Frühstück nicht gesehen. Ich glaube, er wollte zu ihnen und ihnen angeblich Nachhilfestunden in Englisch geben.« Sie sah mich tadelnd an und murmelte etwas von meiner schmutzigen Einbildung. »Oh!«, sagte Bettina. »Ich glaube ich habe das total vergessen.« Zum Glück schien ihr das nicht viel auszumachen, was nicht gerade für Hochzeitsglocken Geläut an unserer Kirche spricht, jedenfalls nicht für den armen Peter meinen kleinen Bruder und Bettina, in die er verschossen ist. Er hat eben kein Glück mit den Mädchen. Die die er haben will sehen ihn nicht einmal an und die Frauen, die ihn eventuell nehmen würden, passen ihm nicht. »Ist Agatha irgendwo in der Nähe?«

»Tantchen ist im Garten – sie sitzt Modell. Kaspermann malt erst sie und dann alle nacheinander wen er gerade erwischt und voilà fertig ist das Familienporträt.« Meine Tante besteht auf ein Familienporträt, koste es was es wolle und Kaspermann der junge Maler aus München, der sich bei uns seit drei Jahren zur Inspirationssuche befindet, hat die Angewohnheit exakt die Leute so zu malen, wie sie aussehen. Innerlich und äußerlich, erstaunlicherweise hat er trotzdem Kundschaft. Bettina seufzte schwer, beim dritten Seufzer fragte ich: »Was ist los?«

»Ach nichts«, sagte sie mit einem Augenaufschlag und einem tief aus einer leidenden Brust kommenden Seufzen. »Also? Los rede schon oder du machst den Text, Traktoren und eine blonde Gerda und die süße Heimat, müssen drin vorkommen!«

»Mein Vater«, sagte Bettina. »hat ihn aus dem Haus geworfen. Das ist so, als ob der Papst den Michelangelo Bunotti hinausgeworfen hätte, weil die Figuren an der Sixtischen Kapelle nicht richtig gekleidet sind.«

»Michelangelo Buonarroti Buoan nicht Buno und es ist die Sixtinische Kapelle. Und ich bezweifle, dass Felix Kaspermann die künstlerischen Fähigkeiten eines Meisters der Hochrenaissance besitzt. Warum hat er sich diesmal aufgeregt?«, fragte ich. »Weil er mich als Griechin malen wollte.« Bettina machte eine Pause, bevor sie weitersprach. »Es ist wirklich absurd – ich werde mir mein Laken einfach hier anlegen und mich im Pavillon malen lassen.«

»Nein, meine Beste so entzückend sie auch in einem hauchdünnen Bettlaken mit so hoffe ich doch nichts darunter aussehen mögen. Nicht, wenn Ihr Alter es verbietet.« Ihr Vater besaß die leidige Angewohnheit alle zu, verklagen und bedauerlicherweise genug Geld es sich auch zu, leisten. Wahrscheinlich würde er mir ein Prozess wegen Kuppelei anhängen und die Schlagzeilen in der Saarzeitung konnte ich mir schon vorstellen. Schlagerstar Robert Starck betreibt Bordell im Gartenschuppen, was wusste die SPD. War ja bald Wahlkampf. »Ach je.« Bettina seufzte. »Wie bieder hier alle sind. Wenn der Alte bloß endlich den Löffel abgeben würde. Geld hat er genug, ich könnte weggehen, nach Amerika und Fotomodell werden.« Ich unterließ es sie auf die Gefahren von schmierigen Produzenten, die sie groß rausbringen werden, zu, warnen. Sie gab sich naiv war es aber nicht. Ich merkte es daran, dass sie immer ihren Willen durchgesetzt bekam. »Ich weiß er ist ein Mistkerl aber Sie dürfen so etwas nicht sagen und nicht denken, Bettina.«

»Warum nicht? Jeder wünscht dem alten Geizhals den Tod, warum sollte ich die Ausnahme sein immerhin kenne ich ihn besser als Sie und habe viel mehr Grund ihm den Tod zu wünschen. Mich wundert nicht, dass meine Mutter und seine zweite Frau ihn verlassen haben. Ich frage mich, wann Anna seine Dritte endlich die Nase voll hat.« Ich fragte mich, ob Bettina doch noch den ganzen Nachmittag in meinem Arbeitszimmer verbringen würde und ob mein Konzert vor den Mitgliedern des Bauernverbandes, erfolgreich sein konnte wenn die einzigen neuen Stichpunkte zu meinen neuen Liedern auf meinem Schmierzettel. Gerda, Traktor, Hossa und wer, ermordet endlich Heribert lautete. »Haben Sie übrigens meine Handtasche gesehen?«, fragte sie stand auf drehte mir ihre entzückende Kehrseite zu und begann im Sesselpolster danach zu suchen. »Nein und ich glaube kaum das man eine Handtasche unter einem Sesselkissen übersehen würde.«

»Oh wie dumm. Ich weiß, dass ich sie irgendwo gelassen habe. Falls sie meine Tasche sehen darin ist mein Hut und im Hut sind meine Uhr und noch etwas Wichtiges. War nett mit ihnen zu plaudern Franz aber ich muss los will mir im Hoffmanns Kaufhaus irgendetwas anschauen.« Sie stand auf und schwirrte wie eine Episode mit dem Übersinnlichen hinaus, wobei sie mir zurief: »Sagen Sie dem Peter Bescheid, ein anderes Mal, was immer es war.« Ich sagte mechanisch, »Englisch«. Nachdem sie weg war, machte ich mich an die Arbeit. Das Fabrizieren von erfolgreichen Schlagern machte sich ja nicht von alleine. Meine Gedanken schweiften kurz vom Segen des Traktors hinüber zu der Frage, warum der Hauptsitz meiner Plattenfirma nicht im schönen Saarbrücken, sondern im eher grauen Elberfeld war. Dann dachte ich kurz über den Vizedirektor von Blondie Records nach der meine Aufführungen plante. Ein als Mensch verkleideter Hai namens Roger, der da ich seine erste erfolgreiche Entdeckung war, an mir hing und mich wie ein teures Sammlerstück behandelte. So wie den gelben Maserati, den er fuhr. Dann dachte ich über den Archäologen vom Landesdenkmalamt nach. Ein sehr sympathischer Mann namens Moeller Biedenkopf. Er hatte vor kurzem eines der Felder von Herrn Freitag beschlagnahmt und ließ seine Studenten etwas ausgraben und bewachen. Er wohnte bescheiden in unserem Gasthaus seine Studenten trotz Sturmwarnung vom Wetteramt in Zelten auf dem Acker. Ich konnte mir schadenfreudig vorstellen, dass in der Villa Freitag die Dinge nicht zum Besten standen. Er hatte ein weiteres Mal geheiratet eine Witwe, die wir aber so gut wie nie zu Gesicht bekamen. Ich vermutete, dass die Beziehungen zwischen ihr und ihm und Bettina nicht allzu angenehm war.


Die verdammte Uhr zeigte 5 Uhr an. Tantchen würde es mir Übelnehmen der Damenwelt nicht meine Aufwartung gemacht zu haben, sie war stolz auf mich, den Sänger wenig inspirierender Schlager, der vor jeden noch so zwergenhaften Verein singen musste. Aber ich konnte mich nicht beklagen, aus einer erfolglosen Rockband weg zu einer Schunckelkanone mutiert zu sein. Mein schmieriger Plattenboss sah mich 1965 bei einem unserer Konzerte in Saarbrücker Bierkneipen, Stücke von Elvis und Chuck Berry er sagte mir, das mit dem Rock könne ich völlig vergessen, ich sei eben nicht der Typ, aber als Schlagerstar bringe er mich groß raus. Ich stand auf und betrachtete das verschobene Sesselkissen, unter dem Bettina nach ihrer Handtasche gesucht hatte, das Dummerchen. Es wiederstrebte mir so ordnete ich das Kissen und fand eine kleine goldene Kette mit einem Kreuzanhänger in der Sesselritze. Ich fragte mich, wie sie das wohl wieder angestellt hatte, wie konnte man eine Halskette verlieren, deren Verschluss nicht beschädigt war? Ich steckte die Kette ein und würde sie ihr geben, wenn sie das nächste mal unangemeldet durch mein Arbeitszimmer platzte. Ich ging stirnrunzelnd über die Jugend von heute ins Wohnzimmer. Mehrere Damen im besten Alter waren in der guten Stube am gedeckten Tisch bei Kuchen und Kaffee versammelt. Agatha saß hinter dem Teetisch und versuchte nett auszusehen, wirkte aber wie eine Despotin deren Huld jeden Moment umschlagen konnte. Ich schüttelte allen die Hand und setzte mich. Frau von Leyster unsere direkte Nachbarin ist eine weißhaarige alte Dame mit freundlichem, einnehmendem Skalpell scharfen Verstand, Frau Stein eine Mischung aus Einfalt und Tücke. »Gerade haben wir«, sagte Agatha mit schmeichlerischer Stimme, »über Dr. Moeller Biedenkopf und Frau Braun geredet.« Frau Stein sagte knapp: »Kein anständiges Mädchen würde es tun«, und kniff die dünnen Lippen zusammen. »Was tun?«, fragte ich hatte man sie etwa in flagranti auf dem Acker erwischt. »Was tun? Als Sekretärin für einen unverheirateten Mann arbeiten natürlich«, sagte Frau Stein empört. »Oh, meine Liebe«, sagte Frau von Leyster, »ich glaube, die verheirateten sind die schlimmsten. Denken Sie an die arme Gertrude aus Gerstendorf.« Ich nahm mir ein Stück Kuchen und Tantchen goss mir wohlgesonnen eine Tasse Kaffee ein. »Verheiratete Männer, die von ihren Frauen getrennt leben müssen, sind natürlich die schlimmsten wegen der männlichen Bedürfnisse«, erklärte Frau Stein lüstern und sah mich scharf an. Ich unterbrach sie, »Heutzutage kann doch ein unverheiratetes Mädchen genauso eine Stelle als Sekretärin annehmen wie ein Mann.« Frau Stein und Tante lachten. »Und im selben Hotel wohnen?«, fragte Frau Arnold streng. Frau Stein murmelte leise Frau von Leyster zu: »Und alle Zimmer sind im gleichen Geschoss.« Frau Heinze, der Tod durch langen Monolog, erklärte laut und entschlossen: »Der arme Mann wird eingebracht wie der Fisch am Haken. Bevor er noch weiß, wo er ist, hat er den Köder geschluckt und den Ring am Finger. Frau Braun ist nicht so unschuldig, wie man daran sehen kann, dass sie Zigaretten raucht und zu schnell Automobil fährt.« Die Damen schüttelten den Kopf. »Unappetitlich dasselbe Hotel es zeugt von frivoler Moral. Bei einem Mann dazu einem der nach Knochen buddelt wie ein Hund kann man ja nichts anderes erwarten«, äußerte Frau Heinze mit ihrer üblichen Taktlosigkeit. »Das Mädchen ist mindestens fünfundzwanzig Jahre jünger als der Doktor, sich ins gemachte Nest setzen nenne ich das«, sagte Frau Stein, den Mund fest zusammengepresst. Frau von Leyster blinzelte Tantchen Agatha zu. »Glauben Sie nicht«, sagte sie, »dass Frau Braun nur einfach eine Arbeit braucht, die anständig bezahlt wird?« Tantchen berührte Frau von Leysters Arm und sagte: »Meine Liebe, Sie sind sehr behütet aufgewachsen auf ihrem Landgut in Pommern. Ach je, wenn sie unserer Lebenserfahrung hätten, wüssten sie es besser. Glauben Sie denn wirklich, dass sie diesen fetten Langweiler aus Liebe heiraten will?« Ich hatte wohl etwas nicht mitbekommen, seit wann wollte Moeller Biedenkopf heiraten vor allem eine Frau, die nicht das geringste Interesse an seiner Archäologie zeigte. »Soviel ich weiß, ist er recht betucht, höherer Beamter«, sagte Frau von Leyster nachgebend. »Ein ziemlich aufbrausender Mann fürchte ich. Neulich hatte er einen heftigen Streit mit Herrn Freitag.« Alle beugten sich interessiert vor auch ich denn von diesem wusste ich noch nichts. »Er hat Herrn Freitag beschuldigt, ein Dummkopf zu sein, der keinen Knochen eines Neandertalers von einem Hühnerknochen unterscheiden kann.« Nach einem Schluck Kaffee sagte sie. »Womit er zweifelslos recht haben dürfte.«

»Ja der Mann ist dumm wie Bohnenstroh!«, sagte Tante Agatha. »Es hat auch vor kurzem Ärger wegen des Malers gegeben, der bei uns nach Inspiration sucht«, sagte ich und handelte mir ein paar Pluspunkte bei der Damenwelt ein. Frau von Leyster nickte. »Freitag hat ihn aus dem Haus geworfen. Offenbar hat er Bettina nackt malen wollen.«

»Ha ich wusste es immer, dass sie etwas miteinander haben«, sagte Frau Arnold triumphierend und sah sich mit gestrecktem Hals um. Sie sah aus wie ein riesiger Vogel, ein Huhn genauer gesagt. »Dieser Künstler ... lungert doch immer um die jungen Frauenzimmer herum direkt schmierig der Mensch.«

»Mädchen sind so raffiniert«, beklagte Frau Stein die modernen Zeiten in unserem Dorf. »Er ist ein sehr gut aussehender junger Mann. Aber ein Kunstmaler! München Paris die ganzen Modelle auch nackte. Da wird Sekt getrunken und Kaviar gegessen und Striptease getanzt das ganze Drumherum!« Es fehlte nicht viel und sie hätte die Schilderung en détail fortgeführt. Aber die Anwesenheit eines Mannes bremste ihr Mundwerk. Frau von Leysten nahm den losen Faden der Unterhaltung wie Zügel fest in ihre Hände. »Aus Felix Kaspermann währe ein sehr guter Betrüger geworden, er hat diese Gabe, ein offenes unschuldiges Gesicht. Aber er ist ja Maler. In der Elberfelder Kunst Galerie fand eine Ausstellung seiner Bilder statt.« Frau von Leysten hatte wenig Interesse an der Kunst, wenn es nicht mit einem Handwerk davor geschrieben wurde, die gute Möbelkunst die Gartenbaukunst waren ihre Steckenpferde. Sie betrachtete Maler bis auf wenige Ausnahmen, die sie gelten, ließ das heißt ihre Werke waren teuer und hingen gut gesichert in einem Museum, als Kleckser aber sie ließ jedem nach seiner Fasson glücklich werden. »Er malt privat so modernen französischen Kram nehme ich an«, sagte sie, während ihre blauen Augen im Zimmer umherwanderten. Sie besaß den Blick, einen ganz besonderen Blick an denen sie alles erkannte, auch wenn sie es nur einmal sah. Es war der gelangweilte Blick eines satten Tigers nach der Beute. Bei ihr war die Augen Mund Koordination perfekt an einem Leben in einem überalterten Dorf angepasst. »Frau Gerstein war wohl wieder beim Friseur uns hat sich Kunsthaar rein flechten lassen, jedenfalls ist, ihr blondes Haar erstaunlich schnell gewachsen. Vor einer Woche war es noch so kurz wie bei einem preußischen Gardeleutnant.«

»Ich fürchte, die liebe Gertrude ist tatsächlich ziemlich modern im Umgang mit Frisuren sie ist ja nicht eine Studentin aus der Künstlerkolonie vom Montmartre.«

»So aufgedonnert sollte keine 60 Jährige herumlaufen, finde ich«, sagte Frau Stein. »Uns malt Felix auch«, sagte Agatha eine Spur frivol. »Aber nicht nur in einer Toga?«, entgegnete Frau von Leyster lächelnd. »Es könnte schlimmer sein er könnte mich runzliges Weib nackt malen wollen«, antwortete Agatha ernst. Alle anderen mich eingeschlossen sahen leicht schockiert aus. »Hat Bettina Ihnen von dem Ärger erzählt?«, fragte mich Frau von Leyster. »Mir?«

»Ja. Ich habe gesehen, wie sie durch Ihren Garten zu Ihrem Arbeitszimmer ging.« Frau von Leyster sieht alles hört alles und bekommt alles mir. Ihre Tarnung ist, sie arbeitet an einem Buch über die einheimische Sternenwelt und der einheimischen Vogelwelt und hat die Angewohnheit ein schweres Teleskop auf dem Gemeindeanger aufzubauen, sobald es eine wolkenlose Nacht gab, oder mit dem Feldstecher in der Hand zu wandern. Allerdings befürchte ich sie ist kein Hans guck in die Luft, sondern Hans guckt in die Fenster. Niemand hat auch nur eine Seite dieses Manuskriptes je zu Gesicht bekommen. Sie kannte jeden einzelnen Kometen, Planeten, Stern und jeden Bewohner und deren Gäste und vergaß niemals ein Gesicht. Professoren aus Freiburg beneideten die Frau um ihr Gehirn. Sie hatte Angebote aus Heidelberg und einer namhaften Klinik ihren Kopf nach ihrem Tod zum Zwecke der Forschung zu stiften. Ihr Gehirn mochte eine Sensation sein aber das drum herum sah wie eine Vogelscheuche aus. Klein gewachsen knöchern, gekräuseltes gelblich graues Haar, schwarzes Kleid, flacher Busen, auf dem ein großes goldenes Medaillon mit einem obskuren Pommern Heilligen ruhte. Ich fand der Märtyrer, der von Speeren durchbohrt wurde, sah aus als hätte er es verdient, so als hätte er Dreck am Stecken. Zerlumpte Kleidung und verfilztes Haar. So sollte kein anständiger Heiliger herumlaufen, fand ich. Und außerdem sollte man der Kirche verbieten, heilige Wenzelsmänner, oder so ähnlich auf die Gläubigen loszulassen, allein dieser Name würdigte die Märtyrer Sache in meinen Augen herunter. »Ja sie sagte, dass Heribert Freitag den Maler das Haus verboten hat«, gab ich zu. »Ich frage mich, ob der Maler und Bettina Freitag wirklich etwas miteinander haben«, fragte Frau Stein flüsternd. »Es sieht jedenfalls so aus. Was meinen Sie, Frau von Leyster?« Frau von Leyster schien nachzudenken. »Ich würde das nicht behaupten. Nicht Bettina sie ist ein flatternder Spatz ganz niedlich aber wenig fesselnd. Der Maler ist mehr der Eichelhäher Typ exotisch und selten, würde ich sagen.« Frau von Leyster verglich gerne Menschen mit Tieren, in ihren Augen war ich ein ungeselliger einzelgängerischer Fischreiher. »Aber Herr Freitag…«

»Er ist dumm! Er macht nicht nur einen dummen Eindruck, sondern er ist ein Dummkopf! Er hat jedes Buch nur zur Hälfte gelesen und das, was er in seinem kleinen Hirn behalten hat, auch noch zu einem Mischmasch verwoben, der Mann ist ein Idiot«, sagte Frau von Leyster und schnitt jeden Einwand ab. Tante Agatha erhob sich und brachte zur Feier des Tages, wie sie sagte, eine Flasche Riesling. Die Damen stellten bei ihrem Glas herben Wein fest, dass erstaunlich viele störende junge Menschen in West Bernburg versammelt waren. »Die sollten bloß nicht auf die Idee kommen und abends Tanzbälle geben oder dieses grässliche Kartenspiel Poker spielen. Ich kenne es aus den Zeitungen, kaum spielen sie Poker miteinander, schon gibt es Mord und Totschlag und davon gibt es draußen ja bereits genug«, erklärte Frau Spiegel kategorisch. Ich nickte ihr, Zustimmung heuchelnd zu. Frau Spiegel fuhr ungeachtete des mangelnden Interesses ihrer Sitznachbarn fort zu schnattern: »Als ich im letzten Jahr in Frankreich war, hatten sie dort keinen Saarriesling. Davon haben diese Barbaren noch nie etwas gehört.« Sie Trank den letzten Rest ihres Glases und rollte die saure Flüssigkeit genießerisch im Mund hin und her und blickte sich um. »Die arme Frau vom Teufel kann einem leidtun, so ein rosiges freundliches Geschöpf in der Hand dieses Fieslings«, seufzte sie dann. »Sie hat Geld wie Heu«, sagte Frau Stein ein wenig unsicher und fügte im Tonfall einer Lüge hinzu, »Natürlich bedeutet Geld nicht alles.«

»Ganz gewiss nicht«, bestätigte Tante und die Damen kicherten. Seufzend erhob sich Tante langsam unter einem Ächzen. »Rheuma! Zeit für eine neue Flasche auf einem Bein kann man ja nicht stehen«, erklärte sie.


Mord im Dorf

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