Читать книгу Berg - Ann Quin - Страница 6

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Zwei Tage war der Alte jetzt weg. Berg lauschte Judiths Klappern hinter der Trennwand; ihren unzähligen Gängen an die Treppe, wenn das Telefon klingelte.

War der Alte jetzt endgültig gegangen? Warum bin ich ihm nicht gefolgt, als sich die Gelegenheit bot? Als hätte mich die mentale Anstrengung, den richtigen Augenblick zu berechnen, körperlich mehr oder weniger gelähmt. Achtundvierzig Stunden und hier bin ich immer noch; eine Dose Bohnen ist noch da, eine Scheibe Speck, wahrscheinlich schon verdorben und kaum einen Schilling für den Gaszähler. Sollte ich Erkundigungen nach dem Alten anstellen, natürlich ohne zu viel Misstrauen oder Neugierde zu erregen? Die Vermieterin könnte zuerst angegangen werden. Das will ich hoffen, dass der wiederkommt, wissen Sie, Mr. Greb, die haben seit über drei Wochen keine Miete bezahlt, wenn Sie den alten Herrn also sehen, oder sie, sagen Sie, ich würde gerne mal ein Wörtchen mit ihnen reden. Hab’ mir ja viel gefallen lassen, wirklich, wo sie noch nicht mal verheiratet sind, geht mich ja nichts an, ich meine, solange sie das Zimmer anständig in Schuss halten, die Miete bezahlen. Trotzdem finde ich, dass sie sich zu sehr zur Schau stellt, kein Schamgefühl mehr heutzutage. Wenn ich Sie wäre, Mr. Greb, würde ich mich von der fernhalten, schwängern Sie die bloß nicht wegen einem Schilling oder so, wenn Sie einen wollen, dann kommen Sie runter, ich hab’ immer genug da. Wenn er weg ist, kann man’s ihm ja eigentlich nicht verdenken. Hören Sie auf meine Worte, es wird nicht lange dauern, bis die sich mit einem anderen armen Tunichtgut einlässt, die Sorte kenne ich.

Berg grinste in den Spiegel, auf die Landschaft, die sich der inneren Planung anglich; er presste die Finger in die Furchen seiner Stirn, um die Nase herum, den Mund, dann wieder nach oben, zögerte an der bleichen Bestürzung zwischen den Falten unter seinen Augen. Ging es nicht ausschließlich darum, Judiths Gefühle zu bearbeiten, diese Emotionen, die noch nicht ganz in der Gussform getrocknet waren? Wer hätte gedacht, dass sich so etwas aus einer solchen Verbindung ergibt, auf die richtige Art überzeugt, würde er letztlich nicht reich belohnt werden?

Sollte man einen Brief unter ihrer Tür durchschieben, oder lieber warten, bis sie sich auf der Treppe begegneten, auch wenn man sich in letzter Zeit nur flüchtig gesehen hatte – der Sache Zeit geben? Zeit? Sogar jetzt ging draußen jemand vorbei, war es Judith? Berg öffnete seine Tür ein kleines Stück, sah seinen Vater nebenan durchs Schlüsselloch spähen. Der Drecksack ist also zurück – nein, Moment mal, nein, verdammt, er wendet sich ab, aber warum? War er in der unwahrscheinlichen Hoffnung zurückgekommen, Judith wäre nicht da, um seine Habseligkeiten zu holen und für immer zu verschwinden? Schon schlug die Haustür zu.

Berg konnte seinen Vater nicht auf der Straße sehen. Er ging weiter, bis er den Stadtrand erreichte. Das Meer ein Ungeheuer, das sich wie betäubt im Schlaf herumwälzte. Regen fuhr ihm über das Gesicht. Zuflucht in einer Unterführung suchend, hörte er das Meer wie in einer Muschel. Am Ende des Tunnels wuchs das Licht zu einem riesigen weißen Fisch an, dann schrumpelte es zusammen. Himmel was für ein Glück, unglaublich fantastisches Glück, sicher sind die Götter mit mir. Der Alte torkelte weiter, jetzt näher, zweihundert Meter entfernt. Berg flach an der Wand. Das Stampfen des Meeres in seinen Ohren. Na so was, alter Freund, so sieht man sich wieder, scheußliches Wetter für einen Spaziergang, wie? Verfluchter Regen, alle meine Kippen sind durchweicht. Oh danke, alter Freund, rauchst du die auch, gar nicht mal schlecht, hast du Feuer? Eine Hand ausgestreckt, der schrumpelige Kopf nickt großväterlich einen Meter entfernt; drück ihn zu Boden, jetzt, jetzt. Tatsächlich wollte ich genau dich sehen. Klappernde Zähne von der Sorte, die nachts knirscht; hab ich’s nicht sieben Nächte lang auf der anderen Seite gehört? Das Ticken einer altmodischen Uhr, tickt jetzt am stählernen Herzen des Dreckschweins. Verstehst du, ist eine knifflige Situation, aber ich bin sicher, du wirst das verstehen. Ich hab’ beschlossen da wegzuziehen, ganz ehrlich, ich kann nicht mehr, die ist wahnsinnig, ganz offensichtlich völlig verrückt, hätte schon vor Ewigkeiten abhauen sollen, aber du weißt ja, wie’s ist; das Maß war dann voll, als sie ihren verfluchten Kater unten auf der Straße gefunden und mir vorgeworfen hat, jawohl mir, ich hätte ihn umgebracht, das verfluchte Vieh, oder wenn ich ihm schon nicht direkt was getan hatte, dann war’s trotzdem meine Schuld, dass ich die Tür offengelassen hab’, ich bitte dich, ich, der dem jaulenden sabbernden Biest nicht mal in die Augen geschaut hat, da ist es eskaliert, noch mitten in der Nacht, plötzlich ist sie auf mich losgegangen, hat mich grün und blau geschlagen, ich kann dir meine blauen Flecken zeigen, wenn du’s mir nicht glaubst, und das alles wegen diesem verfluchten Kater, also ich konnte den sowieso nicht ausstehen. Das Problem, mein lieber Freund, ist jetzt aber, dass sich mein Wellensittich da drin in Lebensgefahr befindet, wenn ich ihn nicht irgendwie da heraushole. Die Sache ist die, ich hab’ gedacht, wenn ich dir den Zimmerschlüssel gebe, dass du vielleicht mal reinspringen könntest, natürlich wenn sie ausgegangen ist, und Berty holen und auch, wenn’s dir nichts ausmacht, noch ein paar Sachen, Hemden und so weiter, ich hab’ hier auf dem Zettel alles aufgelistet, siehst du, da steht auch, wo du’s findest. Außerdem ist da noch eine Bauchrednerpuppe, das ist eigentlich sogar das Wichtigste, im Kleiderschrank hinten links, glaube ich. Weißt du, ich möchte mit einem Freund auf Reisen gehen, als Revue-Nummer sozusagen, hoffe in den Urlaubsorten, wenn die Saison beginnt, ein bisschen Kohle zu verdienen. Vielen Dank, bist ein Freund. Ich bin im Seaview Hotel abgestiegen, weißt du, gegenüber vom Pier, in der Seitenstraße, also jederzeit diese Woche, sie geht bestimmt irgendwann vor Freitag einmal aus.

Sie trennten sich am Pier, schüttelten sich die Hände, lächelten. Berg befingerte den Schlüssel, während er seinen Vater auf das Hotel zutorkeln sah. Er überquerte die Straße, zerknüllte die Liste. Er betrat einen Supermarkt und kaufte eine Dose Bohnen, mehrere Tafeln Schokolade und eine tiefgekühlte Pastete. Erinnerte sich an Ediths Plumpuddings, an ihr rosiges, dabei aber zartes Gesicht an dem runden Tisch, eingerahmt vom Fenster, einem Türdurchgang oder über dem Bett; Leckerbissen bei Krankheit, Brust und Rücken einreiben. Falten im Vorhang, Trennlinie im Kopf; einmal zusammenfalten, dann oben drüber, und runter, die Vergangenheit vom Jetzt trennen.

Er erhitzte die Bohnen und briet den Speck, bis der Dampf übers Fenster und den Spiegel stieg, die Feuchtigkeit sammelte sich an den Wänden. Er saß auf der Bettkante und balancierte den Teller auf seinen Knien, grübelte nach jedem Bissen. Natürlich ist es absurd zu denken, das Ganze sei schlicht ein Mittel der Rache oder gar der Verbitterung – es kann kaum als etwas Persönliches bezeichnet werden, nicht jetzt, tatsächlich bin ich nie so objektiv gewesen. Wenn auch dem Zeitalter innewohnend, gut und schön, so ist die Idee historisch betrachtet vielleicht ein wenig dekadent. Was genau hoffe ich zu beweisen – mit einem einfachen Sprung von einem Drahtseil, das zwischen zwei unsichtbaren Mauern gespannt ist, eingeschlossen auf allen Seiten, und gäbe es hinterher bedingungslos Raum, will sagen, wenn alles nach Plan laufen würde? Es ist nichts als ein irres Insekt, das halb gestochen wurde, sich jetzt aus einer ungewollten Haut windet. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, sich damit abzufinden – schön und gut, darauf zu beharren, das Bedürfnis über Jahre der Verdrossenheit zu nähren, aber was, wenn man es zum Schluss niemals annimmt oder von sich weist, dem Vorwurf in Ediths Blick, ihren hängenden Mundwinkeln wird man sich stellen müssen. Berg hielt die Gabel hoch, betrachtete das Licht – eine ägyptische Königin, die gefangen in einem silbernen Turm tanzte – er starrte sein eigenes Spiegelbild auf dem Teller an, ein schwaches Aufschimmern einer kaum erkennbaren Person. Eine andere Klasse, geboren in eine andere Umgebung, wer konnte schon sagen, wie das ausgehen würde? Sicherlich eine Frage von Glück, ob man in Seide oder Baumwolle gewickelt wurde, und außerdem was konnte er für das Vorangegangene? Ich, der Unterzeichnende, schwöre hiermit verdammt zu sein durch einen, der keinen anderen Namen trägt als Alistair Charles Humphrey Berg. Wieso sollte er einem Außenstehenden erlauben, etwas zu zerstören, das von jetzt an nur wachsen wird, wenn es das will? Habe ich diejenigen, die mich entweder liebkost oder getreten haben, nicht insgeheim gehasst, verachtet; warum lasse ich mir die vergeblichen Versuche gefallen, mich entsprechend ihrer Vorstellungen und Methoden umzuerziehen? Zugegebenermaßen bis zu einem gewissen Punkt habe ich mich gefügt, aber die Verachtung, die Abscheu waren immer da, wenn auch zu Beginn beinahe unerkannt.

Ich verstehe dich nicht, Aly, ganz ehrlich nicht, manchmal wird keiner von uns schlau aus dir, was willst du, was denkst du, dass dir das Leben schuldig ist?

Aber er konnte kaum erwarten, von Lotte und all den anderen Cousins und Cousinen berührt zu werden. Mit neun, mit dreizehn, sogar mit achtzehn Jahren, ja, da war es ihm wichtig, so wichtig, dass er in ihrer Anwesenheit verstummte. Sie berührten nie jenes kritische Zentrum, zumindest das konnte er für sich allein beanspruchen; nicht einmal Lotte mit Titten wie ihren und in der Feuerglut geschmiedeten Augen.

Dein Vater war genauso, hatte immer große Pläne für die Zukunft. Das ist es, hat er immer gesagt, wird alles gut, ganz bestimmt, das wird uns ohne Ende Erträge bringen. Fünfhundert Pfund, mehr brauche ich nicht, Cousin Murry hat mit dem Burschen gesprochen und schon bald sind wir so weit, eröffnen Ende des Monats, vorausgesetzt natürlich, wir bekommen das Geld, wir brauchen nur noch einen Sponsor. Naja, er war mit den geliehenen Hundert beim Hunderennen, hat natürlich alles verloren.

War er denn grundlegend anders, sicherlich sehnte er sich wie die meisten seit der Steinzeit nur danach, als einer beurteilt zu werden, der’s wert war, den ihm gebührenden Lohn zu empfangen, ein Festmahl der Götter sozusagen, ohne unbedingt seine Seele aufgeben zu müssen? Wenn er kein Gott sein oder sich mit den Herrschenden arrangieren konnte, dann müssten die Bilder zerstört werden.

Berg

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