Читать книгу Winkelquartett - Anna Croissant-Rust - Страница 4
ОглавлениеFür den perplexen und ergrimmten Schuster, den furchtsamen Maxl und die bebende Mutter war die Sache nicht so schnell, nicht so ruhig und nicht so wortlos erledigt. Besonders für die Mutter nicht. Sie schämte sich, sie schämte sich so sehr! Sie hatte plötzlich das Gefühl einer unerhörten Demütigung. Sie hätte die elegante graue Dame ohrfeigen mögen.
Sie, ja sie, das Lieserl, hätte an dieser Stelle stehen sollen, sie hätte in diesem Coupé sitzen und die seidenen Röcke tragen sollen! Und in ihrer Verwirrung, Erbitterung und Demütigung war’s ihr, als sei der Maxl an allem schuld. Diese zweite Enttäuschung war viel schlimmer als die erste. Da war sie jung gewesen, frisch, hübsch und leichtsinnig und hatte sich schnell mit dem Meister getröstet, der jünger war als der Baron, und der sie sicher heiraten wollte. Jetzt war das Glück so plötzlich gekommen und ebenso plötzlich vor ihren Augen wieder versunken.
Blass vor Wut und heulend stürzte sie sich über Maxl her: „Uns alle bringst du ins Elend, was bist denn so a Kerl!“ mehr brachte sie nicht heraus.
Die heulende Frau kam aber dem ergrimmten Schuster wieder gerade recht. Es geht doch nicht an, seinen Zorn lediglich durch Zufeuern der Türen und Schimpfen allein zu besänftigen. Das besorgt die Sache auch nicht gründlich genug, und irgendwo mussre er doch heraus, nicht wahr?
Und plötzlich überkam ihn eine grenzenlose Wut über ihre voreheliche Untreue, die ihm jetzt diese Schande und den Spott des ganzen Paradieses dazu einbrachte, und er züchtigte seine Frau für die vor der Ehe begangene sinn- und zwecklose Untreue, ganz vergessend, dass er es war, der sie um alle Chancen gebracht hatte.
Fortwährend stiess er heraus: „Des hat man jetz davon, warst g’scheiter g’wen; i kann mi amal net an die Existenz von den Buam g’wöhnen und a jeder Christenmensch wird mir recht geben,“ obwohl er ihn doch anstandslos mit in Kauf genommen hatte.
„Du hast ja nix danach g’fragt,“ wimmerte die Frau.
„Wer fragt denn bei an bildsaubern Madl um a sechtene Kleinigkeit,“ lenkte der Meister ein, „aber wenn sie a g’schlampets Weib worden is, fragt oaner schon danach.“
„Ja, das war sie nun allerdings geworden, „a g’schlampets Weib“; zerrauft und stets halb gewaschen, im traditionellen Kleidungsstück des Paradieses, der farbigen Bettjacke, entweder ein Kind an der Brust, oder eines erwartend, so schlurfte sie im Hause umher.
„Du warst a Baronin word’n, du taugest dazua!“ höhnte der Meister Greiner, die Meisterin heulte nur immerzu und es war ihr, als müsste jetzt der Himmel über ihr zusammenstürzen.
Die Aufregung nach dem baronlichen Besuch, der ein unbestimmbares Parfüm in der Schusterstube zurückgelassen, das sich sogar siegreich gegen den Ledergeruch behauptete, blieb nicht die einzige.
Immer von Zeit zu Zeit in den nächsten Wochen gab es Augenblicke, wo die edle Seele des Meisters Knieriem aufschäumte und „wallte“.
„Kruzitürken, könnten mir dastehen, wenn der Kerl an anders G’stell g’habt hätt! Der wenn mein g’höret, der schauet anders aus, auf und der Stell hätten’s den adaptiert.“
Niedergedrückt und schuldbewusst schlich die Schusterin umher. Ihre Zuneigung zu Maxl mehrte sich nicht, auch die des Meisters keineswegs. Nur als Maxl in die Schule kam, reckte sich sein Stolz mächtig auf. Jetzt wollte er den Vater zeigen jetzt war Gelegenheit gegeben, sich als ein Mann von Grösse und Vorurteilslosigkeit zu zeigen.
Obwohl der Maxl seiner Gebrechlichkeit halber nicht einmal zum Kinderwarten zu verwenden war, liess er sich als Vater nicht lumpen, sondern machte ihm aus einem derben Stück Leder ein Paar Schuhe, die aussahen, als müssten sie noch an Generationen vererbt werden.
Das war das einzige, wodurch sich der Marl von Vevi Blockes Fritzl unterschied, denn der war barfuss gekommen, trotz des nebligen Oktoberwetters, und seine flinken, dünnen Beine sahen aus wie die ersten Zwetschgen, die seine Mutter für reif verkaufen wollte.
Wunderlicher Zug des Herzens! Wie sich das Chlonnenchltrählche und die dicke Krinolineline fanden, so fanden sich der Fritzl und der Maxl sofort, und es dauerte nicht lange, so waren sie unzertrennlich. Nicht dass sie ärmlich gekleidet waren, hatte sie isoliert, es gab der Langen- und Paradeisgässer, der Buben vom „Ring“, also von der Stadtmauer, genug, die ebenso zerrissen oder verflickt, fadenscheinig oder schmutzig gekleidet waren wie sie: es war „der Zug des Herzens“; ausserdem waren beide die Verfolgten und Verspotteten, Maxl wegen seiner Hässlichkeit, seines lehmfarbigen, traurigen Gesichtes und wegen seines Hinkens: schnell war er der „hinkende Maxl“ geworden, und der Fritzl, das „Obstlerdagerl“, weil er wie ein bösartiger, halbgerupfter flinker Rabe, klein, winzig und mit scheuen, schlimmen Augen unter sie geschlüpft war und für alle etwas Unheimliches hatte. Beide waren sie aber gemieden wegen ihrer Herkunft.
Kinder armer Leute hören so viel zu Hause reden, wo alles aufeinandergepfercht ist, und pappeln viel nach, auch das, was sie nur halb verstehen —
So war Maxl auch wieder zur Abwechslung „Der Schusterbaron“ und der Fritzl der „Dreivaterbua“.
Dass Maxl seelenruhig alles über sich ergehen liess — das war auch zu Hause seine Taktik —, verband den Fritzl nur noch fester mit ihm, denn dadurch fühlte er sich berufen, auch für ihn mit einzustehen, und vergalt alle Beleidigungen, die die anderen dem Maxl angedeihen liessen, mit der grössten Bosheit und Tücke oder mit plötzlich ausbrechender Wut; wie ein kleiner Sprühteufel konnte er dann sein. Er bekam dafür stets seine redliche Tracht Prügel — das war er von Mama Vevi gewöhnt —, im Schelten und Schlechtmachen blieb er ihnen trotzdem weit über, da spuckte und zischte er vor Leidenschaft, und die Schmähworte überkollerten sich förmlich, so notwendig hatte er’s.
Am meisten ärgerte ihn das „Dreivaterbua“, und er quälte Mama Vevi unaufhörlich, ihm das wüste Schimpfwort zu erklären. Er stampfte und weinte, weil sie ihm nichts sagen wollte, sondern nur heftig und zornig wurde, und trieb’s so lange, bis er eine Tracht Prügel — jedoch ohne Erklärung — hatte.
Maxls Schimpfname „Schusterbaron“ war verständlicher, obwohl es den beiden noch immer nebelhaft genug blieb, dass der Maxl eigentlich zwei Väter und doch nur einen und der Fritzl deren drei und dennoch keinen hatte.
Der Fritzl kriegte einen Mordsrespekt, als ihm der Schusterbaron in seiner langsamen und bedächtigen Weise von dem Besuche des wirklichen Barons erzählte, der die Paradeisgass und ihre Umgegend in solch heillose Aufregung versetzt hatte.
„Woasst,“ sagte an jenem denkwürdigen Tage der Maxl, der sonst gewöhnlich schwieg und nur ausnahmsweise seine Seele in tiefsinnigen Bemerkungen ausströmen liess: „Woasst, d’ Mutter hat g’sagt, des oan is der Papa und des andere der Vater.“
Das war wohl erschöpfend genug und damit gaben sie sich vorläufig zufrieden.
Aber der hohe Besuch spukte noch lange in ihnen nach, wenn sie beisammen auf der Kräuterwiese sassen oder an den Rainen am Erzberg lungerten und dabei die männlichen und weiblichen Knirpse des „Vaters“ zusammen hüteten, denn das taten sie jetzt immer selbander.
Stets trabte das ungleiche Gespann, der Maxl mit unbeholfenen schwerfälligen, der Fritzl mit kleinen trippelnden Schritten vor der schusterlichen schwerbepackten Equipage aus der Paradeisgass daher.
Vor der Stadt verwandelte sich das elende Gefährt, das der Vater Schuster aus Holz und mit Unmut zusammengezimmert hatte, flugs in das elegante adelige. Denn sie liebten es lange Zeit, Baron und Baronin in der Paradeisgass zu spielen, und zwar entpuppte sich der Fritzl als sehr geschickter und gewandter, ja selbst als intriganter Akteur; er wusste auch stets die besten und eindrucksvollsten Rollen dem Maxl abzunehmen. Er war abwechselnd Baron und Baronin, manchmal sogar beide zugleich (obwohl er noch nie einen lebenden Baron oder eine Baronin gesehen), während dem Maxl der Kutscher oder der Lakai zugeteilt wurde, der nicht einmal diese Rollen zu Fritzls Zufriedenheit ausfüllte. Die Statisten, Volk und „Gemurmel“ führten die kleinen, feuchtnasigen Schusterlein männlichen und weiblichen Geschlechts schlecht und recht aus. Mit hellseherischem Blick erkannte Fritzl, dass dem Maxl alles, aber auch alles zur Darstellung des Barons abging: „Du eigenst di net dazua, den Baron zu spiel’n,“ sagte er, „den mach i,“ oder „die Baronin kannst du net spiel’n, hast koan Schein davon“. Und Maxl dienerte ununterbrochen, riss unverdrossen Kutschenschläge auf und klappte sie wieder zu, sass vorne steif auf dem Wagen und gab den Rössern, in diesem Falle den kleinen Schusterlein, die Peitsche, aber auch das tat er nicht zu Fritzls Zufriedenheit. „So macht ma’s net,“ schrie er, „du hast koan Leben!“
Er hatte doch Gelegenheit zu beobachten, er wohnte doch beinahe am Marktplatz, und kam wirklich einmal eine Equipage, er sah sie gewiss! Er hatte Erfahrung! Seine kleinen blanken Augen waren überall; nichts entging ihm alles Auffallende, alles Komische zog ihn an, wie das Glitzernde die Dohle.
Ueberall in der Stadt war er zu finden, bald da und bald dort. Seine Frühreife, sein rasches Mundwerk und sein für einen kleinen Kerl ganz erstaunlicher Hohn verschafften ihm nach und nach Uebergewicht über die anderen Rangen, die aufhörten, ihn zu verspotten, ihn sogar fürchteten und seinethalben auch den Maxl in Ruhe liessen. Fritzls Mut war erstaunlich, nie leugnete er etwas in der Schule, obwohl er beim Lehrer nicht gut angeschrieben war, und wo es galt, sich frech und furchtlos zu zeigen, war er einer der ersten, ja er suchte es den Aeltesten zuvorzutun. Das tat er nicht etwa aus moralischen Gründer oder aus Strebertum, Gott bewahre, es war eine Art Sport bei ihm, ein Trieb.
Darum getraute er, der kleine Knirps, sich auch, das Chlonnenchltrählche zu verhöhnen, selbst wenn der Date oder die Tante Mine dabei waren, obgleich ihm die alte Jungfer mit dem Schirmchen drohte oder der Date Aaron einen Ansatz machte, wie wenn er mit einem Bockssprung auf ihn los wolle, um ihn zu züchtigen, was ihm der Fritzl promptest in vollendeter Weise nachahmte, so dass Vater Mahn beim Publiko den kürzeren zog.