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Vom Pinkepeter und vom Hasepeter

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Es waren einmal zwei Strolche, waschechte Strolche, das heisst Menschen ohne Smoking und nach Mass gemachte Hemden, ohne Skarf modernster Farbe, ohne Rohrplattenkoffer, ohne Sinn für Hygiene und Sport, ja Menschen sogar ohne Vorhemd und Kragen — aber ganz ihrem Beruf hingegeben, hervorragende Pflichtmenschen, voll Streben und Ausdauer in allem, was mit ihrem Berufe, dem süssen Nichtstun — dolce far niente — zusammenhing.

Darin waren sie sich vollkommen gleich, so verschieden sie sonst im Wesen und in ihrem Aeussern waren. Das Aeussere war sogar grundverschieden, abgesehen von der nur ihnen eigenen „genialischen“ Mode sich zu tragen.

Dem Pinkepeter sassen ein paar Augen in dem graugelben, verwitterten, wie Kalkfelsen zermürbten Gesicht, die fuhren herum wie der Blitz in wetterschwangerer Wolke. Darunter sass eine mächtige Hakennase, ein grosser, schmallippiger und gekniffener Mund über einem brutalen, kantigen Kinn. Gross war er, der Pinkepeter, breitschulterig und hager; seinen Oberkörper trug er auf ziemlich elegant geschweiften O-Beinen, die seinem Gang einen besonderen Rhythmus verliehen. Er ging ganz auf in seinem Berufe, er war Fanatiker des Berufs, und lächelte überlegen über all die Idioten, die sich einen andern erwählten.

Dagegen nahm der Hasepeter, so leidenschaftlich er sich dem dolce far niente hingab, das übrige des Berufes keineswegs enthusiastisch auf, eher als etwas Unabänderliches, als ein Fatum; es war eben nicht zu ändern, und er glaubte, da er wohlbeleibt und kurzhälsig war, weder Atem noch Kraft zu etwas anderem zu haben, auch keinen Verstand, denn er hatte immer gehört, dass er „kurz von Verstand“ sei.

Natürlich war er ganz unter der Herrschaft des Temperamentsmenschen Pinkepeter und ihm blindlings unterworfen.

Da hätte sich auch ein anderer nicht mehr zu mucksen getraut, wenn ihn der Pinkepeter mit den hastigen Augen anblitzte, oder gar die Achseln zuckte! Der wäre gewiss und wahrhaftig ebenso zusammengeschnappt wie er, und hätte nicht mehr gepiepst.

Er war klein, der Hasepeter, und schwammig gediehen. Seine Augen waren hell und elegisch und lagen wie matte Tümpel zwischen den Hügeln des Fettes. Die Nase strebte vergebens über ihre bedeutendere Umgebung herauszuragen, was ihr nur in der Gegend des Mundes gelang, der sehr klein und wie zum Pfeifen gespitzt war. Von Ohr zu Ohr, ehemals brennend rot, jetzt mit Grau gemischt, zog sich unter dem Kinn weg ein sogenannter Hambacher, während das übrige Gesicht fast bis unter die Augen mit grauen Stoppeln wahllos überdeckt war.

Seit Jahren war ihm schon beschieden, ein ansehnliches Bäuchlein vor sich hertragen zu müssen, und es war einer seiner tiefsten Schmerzen, dass es entstanden, ohne dass er die eigentlich dazu nötigen ausgiebigen Mahlzeiten und Genüsse gehabt. Gewiss nahm sich das Bäuchlein gut und stattlich aus, und es war das einzige, das ihm sozusagen Uebergewicht über den Pinkepeter gab, aber es war ihm im Beruf hinderlich; .. der boshafte Pinkepeter zitierte öfter die Variante:

„Die Bäuch’, die Bäuch’,

Die Bäuch’ sin’ unser Schade!

‘s wär’ besser wahrlich sag’ ich euch,

Mer alle hätten gar keen’ Bäuch

Keen’ Bäuch und aa keen’ Wade.“

Mit den Waden war es nun soso beschaffen, bis dahinunter war das Fett leider nicht gedrungen, und das Bäuchlein balancierte auf zwei sehr beweglichen, aber unsicheren, obwohl sehr ausdrucksvollen X-Beinen (das Ausdruckvollste an ihm). Für verständnisvolle Gemüter war es stets ein erhebendes Schauspiel, die beiden Kumpane miteinander wandeln zu sehen. Leider geschah das selten, höchstens gegen Abend, wenn sie der gemeinsamen Wohnung zustrebten. Nämlich der Pinkepeter liebte es viel mehr seine eigenen Wege zu gehen und sich von Hasepeter zu isolieren. Gingen sie zusammen, so trug der Hasepeter in der Dunkelheit gewöhnlich schwer an irgend etwas. Blitzte und funkelte es in einer der engen Gassen des Städtchens von irgendeinem Wächter, so war der grosse und behende Pinkepeter im Nu verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt, des guten Hasepeters aber, der um keinen Preis die süsse Last fahren lassen wollte, und der sie wie ein toller Hund am liebsten mit den Zähnen verteidigt hätte (wenn es Essbares war!), nahm sich der liebevolle Arm der irdischen Gerechtigkeit an, und er musste die gemeinschaftliche Behausung mit einer Separat-Garçon-Wohnung „im Kittche“ vertauschen.

Den Pinkepeter dagegen traf diese Abwechselung nie; er fand es gedeihlicher und passender, die Nächte in seinen vier Pfählen zu verbringen. Diese Wohnung war standesgemäss, stil- und gemütvoll. Keine Etage von Peter Behrens, van der Velde, August Endell oder irgend einem andern „zelebren“ Raumkünstler ausgestattet, trunken von Linien nach dem Vertikalen und Horizontalen hin, in alle Ausschweifungen peinlich korrekter Berechnung und verblüffender Formenneuheit getaucht, — schöne Einfachheit waltete und ein Verschmähen jedes äusseren Effektes.

War die Behausung früher von edlem Vollblut bewohnt, später, ach, zum Kuh- und dann zum Schweinestall degradiert, so liess man sie in noch späteren Zeiten wegen gewisser Widerstandslosigkeit gegen die Unbilden der Witterung gänzlich auf. In diesem unwürdigen Zustande entdeckte dies trauliche Heim des Pinkepeters Spürnase, und er verstand es, daraus sofort eine durchaus stimmungsvolle Umrahmung für seine und des Hasepeters nächtliche Stunden zu schaffen. Zwei Räume besassen die beiden nun, allerdings nicht durch Mauern, nur durch Kreidestriche getrennt: hier Salon Pinkepeter, hier Salon Hasepeter.

Die zwei Gentlemen hatten den, für diese seltene und anspruchsvolle Art des Wohnens nötigen Takt. Einer respektierte das Zimmer des andern, — darin waren sie voll des differenziertesten Anstandsgefühls — stets klopften sie an, ehe der eine des andern Wohnung betrat, und sie sprachen nur zusammen, wenn sie sich in einem Raum befanden. Der Pinkepeter sprach übrigens nicht viel, er hatte Gründe dafür. So schwerfällig der Hasepeter im allgemeinen war, er passte verdammt auf, was der Pinkepeter sagte oder tat, weil es sein höchstes Streben war, auch so zu werden wie der „Meister“. Denn der Hasepeter fühlte sich dem Pinketer gegenüber ganz als Schüler und wäre lieber heute als morgen direkt in seine Fusstapfen getreten, wenn er nur gewusst hätte, wie man es anfängt, Pinkepeter zu werden. Gerade die Leichtigkeit des Redens und Handelns hätte er ihm abgucken mögen, da ihm die Leichtigkeit des Denkens ja doch versagt war. Ach! er gab sich alle erdenkliche Mühe, aber er sah keine Erfolge, der strebsame Hasepeter. Er tat ja alles, des Meisters Gunst zu erwerben; erntete er aber auch nur ein Wort des Lobes?

Oh, er hatte kein Glück, er hatte kein Glück! Gewiss kam er durch eine rätselhafte Fügung stets an die Stellen, die des Pinkepeters Fuss vorher betreten, und die ihm vollständig leer dünkten; oder der Pinkepeter war vor ihm knurrend fortkomplimentiert worden; den Meister trauten sie sich nicht ordentlich zu verschimpfieren, aber über ihn fielen sie dann hanebüchen her, und er musste, mit Schimpf und Schande, mit wüsten Reden und wüsten Püffen überschüttet, rennen, was ihn seine Beine trugen. Fand er aber wirklich einmal eine verständnisvolle Seele, die ihm gerade Brot reichen wollte, wenn ihn hungerte, so hatte gewiss der Pinkepeter die dazu erspriessliche Butter, den milden Speck, oder gar das feine „Schmeerche“ schon vorher erhalten. Und er ass Butter und Speck und noch mehr „Schmeercher“ für sein Leben gern!

Wie oft grübelte er darüber nach, warum das alles dem Pinkepeter zuteil wurde, förmlich für ihn vom Himmel fiel! Kein Wunder, dass ein gewisser Trübsinn, den er nicht recht in Worte kleiden konnte, des Hasepeters Leben überschattete, dass er oft, natürlich wenn er allein war, demütig zwar, aber dennoch heftig, sein Geschick beklagte. Manchmal tat er’s auch, wenn der Pinkepeter im Nebenzimmer war; darauf erscholl gewöhnlich ein herrisches Klopfen und auf des Hasepeters schmerzliches „Herein!“ trat der Meister unwirsch ein. „Ich hör dich alsfort lamentiere. Was hoscht for Schmerze? Wu kummt’s her? Du hoscht keen Qualitäte for dein Beruf! Do guck mich an! Was siehschste? En vollkommene Mensche, en egale Mensche: des is, ich füll mein Beruf reichlich und schenial aus. Hoscht du Resultate uffzuweise? Hoscht du Fortschritte zu gewärtige? Antwort: „nein“. Also dreh dich uff die anner Seit und loss die denksame Mensche schlofe. Nimm dein Kreiz auf dich, du folgscht m’r jo doch nit nach. Amen!“ Auf diese Rede hin getraute sich der Hasepeter nicht mehr zu rühren. Heldenhaft — schon um des Meisters würdig zu sein — verschluckte er seinen Schmerz und seine Tränen, und nur ein röchelndes Glucksen verriet seinen Kummer und seine Angst. Nur den Pinkepeter nicht erzürnen! Er war schrecklich in seiner Wut und schlug zu, wohin er traf!

Trotzdem konnte ihm der Hasepeter nicht grollen, dazu bewunderte er ihn viel zu sehr! Nur hie und da beschlich ihn ein Zweifel, ob er wohl von der Kunst des Meisters etwas profitiert habe. Warum fiel denn gar nichts für ihn ab? Warum musste er sich so oft die Finger verbrennen und der Pinkepeter nicht? Es wollte ihn zu Zeiten dünken, als sei er selbst doch nicht ganz allein schuld daran. Diese frevlen Gedanken wagte er natürlich nicht klar auszudenken, und bei solcherlei Anwandlungen war ihm nicht wohl zumute. So wenig wohl, dass er nach solch verwegenen Nächten sich die Augen nicht aufzuschlagen getraute, wenn er es nicht gar zustand brachte, sich vor Tau und Tag, wie ein begossener Pudel, zu verziehen.

An diesen denkwürdigen Tagen, in der nebligen Morgenfrühe, konnte auf einmal, trotz der Nüchternheit und Hoffnungslosigkeit, ein ganz wunderliches Freiheitsgefühl über ihn kommen. Dann trottete er mit stiller Heiterkeit fürbass und erschrak auf einmal, wenn sich seine Lippen plötzlich zu einem vergnüglichen Pfeifen spitzen wollten.

Das waren, nach Tagen der Erniedrigung, heimliche Freudenfeste für ihn. Segensreiche Spätherbsttage vielleicht, wo ihn das Glück ganz unvermutet überfiel, wo im Schutz des Nebels sich irgend etwas, was da kreucht und fleucht, oder süsse Aepfel und noch süssere Trauben unter seinen Rock verirrten. Das waren die Tage, wo es leise in ihm dämmerte, dass man seinen Beruf ausfüllen könnte, wenn man es könnte!

Manch kleine Sünde passierte ihm in diesen Stunden zügelloser Freiheit. Er beroch z. B. seinen „Fund“ von allen Seiten, sah ihn mit verliebten Augen und schmatzenden Lippen an, und schwelgte schon in der Vorfreude des Empfanges durch den Meister. Wenn der erst solche Dinge sah! Der würde Respekt vor ihm kriegen! Aber, aber! Der Magen krümmte sich, die Verliebtheit war zu gross, der Hunger musste wohl auch zeitweilig seinen Geist verwirren, — es wollte ihm nicht gelingen, die gute Gottesgabe mit heiler Haut heimzubringen.

Strafbare Gedanken überkamen ihn: es sei erspriesslicher, sich das ganze „ungedeelt“ angedeihen zu lassen, und es wollte ihn dünken, — verwirrten Geistes, wie er nun einmal war, — als schleppe eigentlich nur er immer nach Hause. Kam ihm dann ein Wald, ein Hohlweg oder eine Hecke in die Quere, war der Kampf schnell ausgekämpft. Ihn fror, er musste Feuer haben, ihn hungerte, er musste essen. Bald duckte sich ein Feuerlein hinter den Hecken, oder zwischen den Sandwänden des Hohlweges, und bald briet, schmorte und roch es, dass ihm das Wasser im Maule zusammenlief, und er mit halbblöden Augen fortwährend nach dem Objekt seiner Gier starrte. Wenn es nur endlich gar gewesen wäre! Das war ja die reinste Tortur! Zitternd vor lüsternem Verlangen sass er davor und fiel endlich darüber her, ehe es noch fertig war, und fand keine Ruhe, bis ihn die Backen schmerzten vor lauter Kauen, und bis es ausser aller Möglichkeit war, auch nur noch den kleinsten Bissen hinabzuwürgen.

Das Drohen der blitzenden Säbel, die schmerzhaften Griffe solider Hände und das dunkle „Kittche“ hatte er ganz vergessen.

Was er nicht mehr verschlingen konnte, trug er mit heim. Aber keineswegs mit ruhigem Gewissen. Nie hätte es der Hasepeter über sein Hasenherz gebracht, sich etwa seines Festmahls zu rühmen, wie es der Pinkepeter tat. Er suchte ängstlich alle Reste zu verbergen, genau wie ein Hund tut, der einen Knochen vergräbt; dabei führte er allerlei Kriegstänze aus, um den Pinkepeter abzulenken und die leckeren Abfälle seiner Schnüffelnase zu entziehen. Denn der schnüffelte alles heraus, darum hatte er auch stets was im Maul und stets etwas in den Taschen. Frei, offen, überlegen und prahlerisch verzehrte der Pinkepeter sein jeweiliges lukullisches Mahl vor dem Hasepeter, und es gereichte ihm zur besonderen Genugtuung, dabei schmatzen und rülpsen zu können und schmatzend und rülpsend zu lobpreisen, ohne auch nur nagelsgross an den hungrigen Genossen abzugeben. So was war hart, war Unmenschliches verlangt! Der Hasepeter vergass auch alle Mauern und Türen und kam jedesmal, des Vertrages nicht achtend, über den Kreidestrich gestürzt, bis der Meister ihn anschrie: „Du wüschder Kerl! Was kloppscht de dann nit an? Schäm dich! Du hoscht keen Ehr’ im Leib!“

Demütig machte dann der hungernde Gescholtene: „klopf! klopf!“, grüsste, bettelte und nahm was gerade noch übrig war, mit einem Bückling in Empfang, wobei das Bäuchlein ein kleines selbständiges Freudentänzlein aufführte.

Niemals schlief der Pinkepeter auf den Resten seiner Mahlzeit, wie es der Hasepeter tat. Freilich der Pinkepeter konnte gut lachen! Mit der Nase! Wo in aller Welt hatte er denn die Nase her? Er roch alles auf Stunden im Umkreis. Wo es etwas Gesottenes, Gebratenes oder Gebackenes gab, war er in der Nähe und wanderte schnuppernd auf und ab. Stets war er über den Küchenzettel des Städtchens orientiert und behauptete, „riechend“ fast ebenso geniessen zu können, wie essend; ja er behauptete, sich vortreffliche Menüs mit der Nase herstellen zu können, die er seine „Nasenmenüs“ nannte. Hatte er einmal einen Tag nichts zu essen, so sagte er geheimnisvoll und mit zwinkrigen Augen zum Hasepeter: „Heut han ich aber e foines Nasemenü gehatt, meenschde!“ Auch machte es ihm „Pläsier“, herauszubringen, wer nur Rindfleisch sott, bei wem ein Schweinebrätche im „Backöfche“ schmorte, wer eine Gans oder eine Ente schön knusprig briet, oder wer die goldigsten Pfannenkuchen buck.

Alle guten Köchinnen kannte er, auch alle schwatzhaften, die ihre Küche und ihren Herd verliessen, um ihrer Schwatzlust zu fröhnen, alle trägen Hausfrauen wusste er zu nennen, die ihr Mittagbrot allein weiter brotzeln liessen, während sie mit aufgestemmten Armen unter dem Fenster lagen und auf die Strasse glotzten, auch alle guten Bürgerinnen, die sich mit dem Hasepeter, den er geschickt, am Haustor auseinandersetzten und dabei ihre Küche preisgaben.

„Schweinebrätcher“ briet niemand so fein, wie die Madame Herrlein, die Wirtin zum grauen Bären, und „Pannekuche“ verstand niemand so delikat zu backen, wie die Eisenhut’n, die Hebamme. Diese letztere nützliche Dame hatte nebenbei noch die angenehme Eigenschaft am Leibe, sehr oft mitten in der häuslichen Betätigung geschäftlich abberufen zu werden. Deshalb weihte ihr der Pinkepeter sein ganz besonderes Interesse, ohne ihr vorgestellt zu sein, oder ihre Hilfe für irgend ein ihm Nahestehendes in Anspruch genommen zu haben.

Sehr oft erwähnte er diese Dame dem Hasepeter gegenüber.

„Die Eisenhut’n is e Staatsfraa! Die kann Pannekuche backe! Sie hot mich schunn als ingelad’“ „Pannekuche“ war das Höchste, was der Hasepeter kannte, aber sonderbar! ihn lud die Witib nicht ein, von ihr kriegte er keinen zu schmecken. Im Gegenteil, sie schimpfte gottsträflich, wenn er demütig darum bat.

„Was? Pannekuche? Guck emol do! Du Tagdieb, du. Sei froh, wann d’ e trocke Stickl Brot hoscht! Pannekuche! So e Unverschämtheit!“

Wehmütig trollte er sich. Er hatte doch seit seiner Firmelung keinen mehr gekriegt, und das war eine beträchtlich lange Zeit, wo ihm doch an allen Ecken und Enden seines umfangreichen Gesichtes die Stoppeln grau zu spriessen begannen!

Das Stoppelgesicht war dem Pinkepeter ein Dorn im Auge, denn er selbst hielt etwas darauf, dass sein Gesicht blank und rein und täglich rasiert war. So präsentierte es sich halb wie das eines grossen Schauspielers, halb wie das eines grossen Verbrechers. Sein kostbarster Besitz war ein Rasiermesser, das er sorgfältig mit Anwendung immer neuer Finten vor dem Hasepeter versteckte. Aber der lachte nur gutmütig dazu.

Ein Rasiermesser! Was hätte er denn mit einem Rasiermesser getan? Ja, wenn es ein „Pannekuche“ gewesen wäre! Für seine Zwecke besass er ja eine Schere und wenn er die Backen recht aufblies, fuhr sie liebevoll säubernd darüber. Sie schnitt nicht viel — er hatte sie in „der Bach“ gefunden — und war ganz ein Instrument des Friedens, was man dem Rasiermesser gar nicht nachsagen konnte. Das Rasiermesser schnitt wirklich, schnitt scharf und unerbittlich, das Rasiermesser war der Krieg, und so schnitt es — wenn auch nicht allein — auch den Faden durch, nein quasi die Nabelschnur, die ihn mit dem Pinkepeter verband. Anders die Schere, die sich von Anfang an alle Mühe gegeben, zu verbinden; sie wanderte durch Türen und Mauern, betätigte sich im Salon Pinkepeter wie im Salon Hasepeter und begleitete ihre friedliche Tätigkeit hüben und drüben mit einem lieblichen und eifrigen Gequietsche.

Waren die beiden einmal „bös“, so war gewiss sie es, die sie versöhnte, und nie sang sie so laut und melodisch, wie an den Tagen, wo sie dem Pinkepeter helfen musste, trotzdem er „bös“ war, weil seine Schuhe allzu phantastisch um seine Füsse stunden, oder weil seine Locken zu heftig geworden waren. Der Hasepeter hörte ihr mit Innigkeit zu; das „Bössein“ konnte er durchaus nicht vertragen, und mit einem grossen Glücksgefühl genoss er dann wieder die allabendlichen Reden des versöhnten Meisters, die durch die Mauern tönten.

„Gu’ Nacht, Kollesch.“

Hasepeter antwortete: „Gu’ Nacht, werter Meischder.“

Der Meischder: „Schlof orntlich.“

Er: „Ich schunn. Ehr aa.“

Der Meischder: „Was ich halt kann.“

In der Früh hiess es dann: — der Pinkepeter war immer zuerst wach — „Gude Morje, Kollesch.“

„Scheene gude Morje, Meischder.“

„Hoscht ausgeschlof’?“

„Henn Ehr ausgeschlof’?“

„Ich schunn. Du aa?“

„Wann’s sein muss —“

„Alla uff! zu Gott und der Welt!“

Mit einem Satz war der „Meischder“ auf und trommelte auf des Hasepeters grössten und weichsten Flächen herum, denn sonst blieb der unfehlbar liegen bis zum Mittag. Diese Tage inniger Kameradschaftlichkeit besassen etwas Rührendes für den Hasepeter, aber sie waren wie eine Kurve, die verheissend ansteigt, um plötzlich jäh abzubrechen. Der Anfang des Sinkens der Freundschaftskurve war so:

An einem wundervollen Spätherbsttag (ein Tag, wie er lind-melancholischer nicht leicht wo anders gedacht werden kann, als in den sandigen, umbuschten Hohlwegen, den Heidestrecken der Hinterpfalz), befand sich der Hasepeter auf der Wanderung. Das milde, einschmeichelnde und dabei doch tückische Wetter brachte ihm eine grosse seelische Depression, indem es ihm mit aller Klarheit zeigte, dass er ganz und gar ungeeignet zu seinem Berufe sei. Resultat: ein wüstes planloses Sich-hin-und-her-wälzen auf der Heide, ein Stieren mit tränenden, verglasten Augen nach dem verschwimmenden Himmel, ein grollender Bauch, der nicht einen Augenblick seine Klagen einstellen wollte. O dieses erbärmliche Schicksal, das ihm nicht einmal ein bisschen Kaffee in seinen grossen Hohlraum vergönnte!

Wie ein verprügelter Hund schlich sich der Hasepeter von der Heide fort, während sein Hungergefühl immer stärker wurde.

Plötzlich blieb er stehen, wie angenagelt; seine Nase, die sich sonst nicht durch besondere Feinfühligkeit auszeichnete, hob sich und schnupperte: Herrgott, wenn das nicht „Pannekuche“ waren! Ausgerechnet heute, wo sein Wanst leer war wie ein alter Schlauch, musste er diesen Duft in die Nase kriegen!

Mit dicken Tränen in den Augen, voller Sehnsucht schnuppernd, folgte er dem Dufte. Um die Ecke biegend, sah er auf einmal den Pinkepeter vor sich, der neben einem Strauch, im Sand des Hohlwegs lag und auf seinen Knien eine grosse Eisenpfanne hielt. Und dieser mächtigen Eisenpfanne entquollen, von einem hohen Stoss „Pannekuche“, die himmlischen Düfte. Den Hasepeter trug es wie auf einer Wunderrosenwolke hin zu „der Pann“; er ging nicht, er trottete nicht, er schwebte.

„Ach Gott! Pannekuche!“ stammelte er, und seine Nüstern erweiterten sich zu unheimlicher Grösse.

„Ja, Pannekuche,“ konstatierte trocken der Pinkepeter, und wühlte weiter mit den zehn Fingern in dem goldbraunen Berg, dass dem Hasepeter fast das Wasser aus dem Munde lief.

„Die Eisenhut’n hot se m’r gewe, sie is leider abberufe worre. Wann norre die Pann nit so schwer wär! Horch emol, — wann du die Pann zu der Eisenhut’n tragscht, no kannscht hawwe davun,“ und mit einer grossen Gebärde schob er den Rest dem Hasepeter zu, der in die Knie sank und sich förmlich in die grosse Pfanne legte.

„Alla adieh!“ sagte der Pinkepeter, „sag aach mei’ Kumpliment an die Madamm Eisenhut, und do wär die Pann, und die Pannekuche wären foin gewes’.“

Doch davon hörte der Hasepeter nichts mehr. Er war eben dabei, mit seinem dicken Zeigefinger heftig in der Pfanne herumzufahren, bis er auch nicht die Spur eines fettigen Glanzes mehr darin entdecken konnte. Dann stiess er einen Seufzer aus, rappelte sich in die Höhe, schulterte die „Pann“ und trollte sich.

Im allgemeinen liebte er es nicht, das Städtchen zu betreten, die Landschaft ausserhalb gefiel ihm besser, und den Umgang mit den uniformierten Menschen, die sich ihm immer so sehr aufdrängten, fand er gar nicht standesgemäss.

Die Eisenhut’n aber wohnte ziemlich abseits, in einem niederen weissen Giebelhaus zwischen Hecken und Gärtchen. Dahin zu gehen, war ihm nicht allzu unangenehm, wenn nur die Eisenhut’n überhaupt daheim war, und er die schwere Last anbrachte! Die Eisenhut’n war daheim. Sie stand, gerade wie wenn sie ihn erwartet hätte, mit freudig gerötetem Gesicht unter der Türe, hielt die Hand vor die Augen und sah die Strasse entlang. Also war sie von ihrem wichtigen Gang nach Hause gekommen, und von Erfolg begleitet gewesen. Freundlich nahte sich der Hasepeter. Der grosse Augenblick war da, wo er Madame Eisenhut erobern konnte. Er machte seinen schönsten Kratzfuss und schickte sich an, die „Pann“ zu überreichen. In demselben Augenblick sah er das Gesicht der nützlichen Witwe blaurot werden. Sie stiess ein Kreischen aus, — nein! es wurde aus ihr gestossen — er hörte es zwar nicht mehr recht, denn etwas sehr Schweres fiel über ihn (war’s die Pann oder die Eisenhut’n?). Er fühlte sich gepackt, gezerrt, gerissen, geschoben, gepufft, getreten, und, obwohl er nach vorn und hinten bockte, wurde er mit einer Geschwindigkeit, die ihn starr vor schreckhaftem Staunen machte, in den dunklen Hausflur geschleift. Dann fiel die Türe hinter ihm zu, der Riegel kreischte — und nun gab’s keine Zeit mehr zu sehen, zu hören oder zu staunen, es gab nur zu fühlen. Ehe er nur reden, ehe er des Pinkepeters Kompliment ausrichten konnte, fiel unter Gekreisch und Geschimpfe ein Regen von Püffen, Stössen und Schlägen auf ihn nieder, dass er wähnte, mindestens ein halbes Dutzend Frauenzimmer sei um ihn beschäftigt, und dass er sich nur ducken und mit den beiden Armen schützen konnte, damit sie ihm wenigstens den Kopf nicht gar zu heftig zertrommelten; es tat an anderen, ungeschützteren Körperstellen so schon weh genug. „Han se d’r geschmeckt, die Pannekuche, du Oos, du freches?! Aa noch die Pann selwer se bringe! Haag fescht zu, Nikel, reiss’m die Hoor aus, Gret!“ zeterte die Eisenhut’n in der höchsten Fistel. „E Kumpliment vum Pinke —“ keuchte der Hasepeter, und versuchte vergebens sich seines Auftrags zu entledigen — weiter kam er nicht. Und nicht wegen der Schläge allein. Ein Blitzstrahl der Erkenntnis war vor ihm niedergefahren. Nein, deren zwei! Oh, der Pinkepeter — pfui! — Und dann: „Gret!“ hatte die Eisenhut’n geschrien? Wenn das seine Gret war? Hatte sie nicht immer mit dem Ammenikel, dem Sohn der Eisenhut’n, geprahlt? Wenn sie ihn nur denken lassen wollten! Aber da schlugen sie gerade auf seinen Kopf los — sie liessen ihn auch nicht reden, sie schlugen ihn auf den Mund, sie liessen ihn auch nicht sehen, sie pickten ihm förmlich die Augen aus — wie hätte er wissen können, ob das seine Gret war?!

Auf einmal öffnete sich die Türe wie durch einen Zauberschlag, ein Stoss, — der Hasepeter flog förmlich — das war der Nikel! — ein paar gehörige Tritte auf den zuletzt verschwindenden Körperteil — das waren die Weiber! — und draussen sass der Peter und heulte wie ein kleines Kind, und war in allen seinen Tiefen erschüttert und konnte doch nichts begreifen.

O weh! Kraft hatte der Nikel! Ja, wenn die Konkurrenz beteiligt war! Des Nikels Rache war verständlich. Er war vom Metier, er war ein scharfer Konkurrent — und er warb auch um die Gret! Aber wenn die Gret selber dabei war — seine Gret! (Innerlich getraute er sich, sie so zu nennen!) Himmelwelt! Wenn die mit geholfen hatte! Und während ihm das Herz weh tat, konnte er nicht umhin, sich die Stelle zu reiben, auf der er eben sass, und die ihm so sehr weh tat, weil sie — umfangreich wie sie nun einmal war — die meisten Hiebe gekriegt.

Dennoch sprang er, allen Schmerzen zum Trotz, rasch auf, als die Türe abermals ging, und war sofort fluchtbereit. Ein zweites Mal? Nein, nicht um alles in der Welt! Aber zur Türspalte heraus kam nur ein friedlich scheinender bepantoffelter Fuss, und auf der Spitze dieses Fusses wippte seine Mütze: „soin Kapp“. Und siehe da, das zum Pantoffel gehörige Frauenzimmer versetzte seiner Kopfbedeckung einen soliden Schwung, so dass sie ihm mitten ins Gesicht flog — die Mütze nämlich!

Sie war’s! die Gret! die Geliebte! Gewiss war sie ihm trotz allem Unerklärlichen gut, hätte sie ihm sonst seine Mütze wiedergegeben? Nur zum Ammenikel sollte die Gret nicht gehen! Er hätte sie doch so gern geheiratet! Wenn er nur den Mut gefunden hätte, es ihr gerade heraus zu sagen! Sie war doch eigentlich über seinem Stand, sie besass ein kleines Haus, weit, weit draussen in den Feldern —

Was hatte er dagegen zu geben? Wenn sie sein Gemüt nicht zu schätzen wusste, brachte er nichts mit in die Ehe ausser der Schere und einem alten silbernen Ringlein seiner Mutter.

Ach, wie war das Leben so schwer! An so vieles musste der Hasepeter auf einmal denken! So viel hatte er in seinem ganzen Leben nicht denken müssen, und es waren schwere und trübe Gedanken, und je näher er seinem Salon kam, desto mehr verdüsterten sie sich. Zu Hause warf er sich, von Verachtung für das Dasein erfüllt, auf sein Lager. Was war denn das für eine Gerechtigkeit, wenn man für drei Pfannenkuchen Prügel für sechs Leute bekam? Und wenn ein „Mädche“, das für einen allein da sein sollte, auf einmal für einen andern da war?

Als der Pinkepeter pfeifend heimkam, muckste er sich nicht, und gab auch keine Antwort auf seine Reden: „No, was hot die Eisenhut’n gesaht? — Hm? — Nix? — Mir scheint, die Pannekuche drücken dich als noch?!“

In der Nacht warf sich der Hasepeter ohne Ruhe herum und stöhnte nach der Gret, so dass ihn der Pinkepeter, die Hände in den Taschen, am Morgen keck frug: „Was is dann des mit der Gret? Was kreischde dann immer: Greet?“ Trotzdem des Hasepeters Herz vor Bitterkeit quoll, riss es ihm doch ein paar Worte heraus, die er eigentlich nicht hatte sagen wollen: „Sie war beim Ammenikel!“

„No — und?“

„Sie soll nit zum Ammenikel!“

„Warum?“

„Wann ich se doch heirate will!“

Da lachte der Pinkepeter aus vollem Halse; dann zog er überlegend die Stirne in Falten: „Siehscht’s. Tätscht du dich rasiere! Hunnerdmol han ich d’rs schunn gesaht, aber du fuchtelscht als norre mit dere roschtige Scheer im Gesicht erum. Die rasierte Leid kriechn die Mädcher! Der Ammenikel is rasiert! Braucht dich aber nit gar so arg se kränke, ich han d’r die Pannekuche verschafft, ich verschaff d’r aach die Gret. Heit Owend bring ich se mit. Alla adieh!“

Als der Pinkepeter draussen war, fing der Hasepeter laut zu heulen an und fuhr sich dabei prüfend über das Gesicht. Ach Gott! der hatte ja recht, es starrte ja von Stoppeln! Aber er war viel zu elend und viel zu enttäuscht, um aufzustehen und sich gründlich anzusehen, oder sich gar die Schere zu holen. Da, o Wunder, sah er auf einmal das Rasiermesser blinken! Der Pinkepeter war weggegangen und hatte es nicht versteckt!

Wenn er jetzt —? Ach, es lohnte sich nicht! Mit aller Wucht, wie um seinen Entschluss zu bekräftigen, warf sich der Hasepeter auf die andere Seite, dass alles nur so krachte, und döste in seinem schwarzen Elend weiter. Er hörte die Mittagsglocke läuten, hörte die Schulkinder vorbeischwatzen, schlief und wachte und wachte und schlief wieder. Endlich erblasste das Stückchen Horizont, das er von dem kleinen Fenster aus sehen konnte, eine feurige Röte stieg am Himmel auf und warf ihren Abglanz durch das schmutzige Stück Glas auf des Hasepeters Bett. Der Abendwind rauschte in den Bäumen, Tritte näherten und entfernten sich wieder — da überkam’s ihn plötzlich, dass er das blitzende Rasiermesser nicht mehr aus den Augen lassen konnte. Willenlos, von einer höheren Macht gezogen, musste er von seiner Streu aufstehen und in einer wilden, sich immer steigernden Erregung auf seinen Backen herumkratzen. „Er bringt die Gret mit, er bringt die Gret mit,“ flüsterte er mit gespitzten Lippen vor sich hin, und dann wieder: „Die rasierte Leid kriechn die Mädcher —“

Und er wollte rasiert sein, er wollte das „Mädche krieche“. So schabte und kratzte er denn weiter, und vernichtete alles, was im Zwielicht erreichbar war. Er glühte so sehr in seinem schönen Eifer, dass er gar nicht hörte, wie die Türe aufging und zwei mit sachten Schritten hereinkamen. Erst als ein kalter Luftzug über seine nackten Beine strich, sprang er mit einem Schrei vom Fenster weg und mitsamt dem Rasiermesser ins Bett. Mit einem Satz war aber auch der Pinkepeter hinter ihm drein, er hatte sein Rasiermesser gesehen!

„Du kannscht doch nit erinn! Es is doch zugeschloss’!“ machte der Hasepeter weinerlich und versuchte vergebens sein kurzes Hemd über seine Beine zu ziehen, da er in der Eile anstatt unter die Decke ober die Decke geraten war.

Nun war sie da, und er empfing sie im Hemd! Zitternd vor Aufregung und Scham, suchte er nach seinen Kleidern. Dabei schabte ihm die Rührung die Kehle, und er stiess gepresst zwischen seinen gespitzten Lippen ein paarmal: „Gre—et! Gre—et!“ heraus.

„Mei’ Rasiermesser will ich!“ brüllte der Pinkepeter, ohne Notiz von des Jüngers zart erotischen Anwandlungen zu nehmen, „mei’ Rasiermesser!“

Doch wagte er noch nicht bis an des Hasepeters Bett vorzudringen, er schleuderte nur ein über das andere Mal eine Drohung durch die nachbarlichen „Mauern“. Immer wilder wurden seine Drohungen, so dass der verängstigte Hasepeter wie unter dem Bann dieser ungezügelten Wildheit in dem beginnenden Dunkel lautlos unter die Decke kroch.

„Gibscht’s her oder nit?“ schrie der Pinkepeter noch einmal und machte einen Schritt vorwärts, „oder ich massakrier’ dich!“

Kein Ton, alle drei lauerten. Da zuckte plötzlich ein kleines, zages, blaues Flämmchen auf, der Hasepeter hatte, ganz gegen die Hausordnung, ein Schwefelholz angezündet.

„Ja, jetz guck norre!“ höhnte der Pinkepeter, „es is die Gret. Hoscht gemeent, sie bleibt bei dir, du Dappes? Bei mir bleibt se!“ Er wollte sich ausschütten vor Lachen, bis ihn plötzlich wieder die Wut übermannte.

„Du unterschteh dich aber nit un zünd m’r noch emol e Streichholz an! Du rührscht dich jetzt nit, verstann? Sunscht kumm ich und schneid dr mit’m Rasiermesser de Hals ab! Do legscht de glei des Rasiermesser hin, do uff de Borrem sunscht is dein letschdi Stund do.“

Keinen Ton gab der Hasepeter von sich; erst nach einer Weile raschelte es. Langsam kroch er im Dunkeln auf allen Vieren aus der Streu, langsam kroch er zu dem Holzstoss, der beider Kommode vorstellte, und suchte dort. Etwas fiel zu Boden und legte sich mit einem feinen Klang hin, das Ringlein der Mutter. Man hörte ihn behutsam und zugleich ängstlich und erregt danach tappen, hörte ihn an seinem Lager Herumtasten und wühlen, sah dann eine schwarze Silhouette mit einem Bündel am Arm durch das Zimmer humpeln, quer durch den Salon Pinkepeter, schwer atmend an der Gret vorbeischleichen, die noch immer an demselben Platz stand und unschlüssig zuschaute.

„No?“ sagte ärgerlich der Pinkepeter, „was sin’ dann des for Manöver?“ aber der Hasepeter humpelte stumm weiter. Als er die Türe aufstiess, stand ein dicker, weisser, eiskalter Nebel draussen, eine fremde Welt lag da und ein wüster Wind pfiff durch die Türe, dass die Gret fröstelnd zusammenfuhr.

„Du werscht’n doch nit fortlaafe losse?!“ sagte sie zum Pinkepeter. „Alla ruf’n! Es is zu wüscht drauss.“

Aber der Pinkepeter hörte nicht auf sie. „Er werd doch nit —?“ schrie er. Was war ihm jetzt die Gret! Er wollte sein Rasiermesser!

Mit einem wilden Satz sprang er an des Hasepeters Bett und riss alles auseinander, bis er endlich mit einem Fluch das Wühlen und Suchen aufgab.

„Des Schinnoos hot mei’ Rasiermesser mitgenumm’! No wart’ norre! Wart’ norre!“ rief er, halb erstickt vor Zorn und schoss an der verdutzten Gret vorbei, die Türe weit offen lassend, in den dicken, weissen Nebel hinein.

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